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BAUCH, FRAU UND TAPFERKEIT

 

Haltung ist der letzte Halt.
Unser Mann spricht sich aus.
Norbert Eilts spielt in Stuttgart, Wortkino, Werastraße 6

Und wurde besucht von Hellmut G. Haasis (Reutlingen) und seiner Gerlinde.

Wo gibt es das noch? Ein Schauspieler, vorzüglich sprachgeschult, ein extrem abwechslungsfähiger Mime, unterhält mit hoher Wortkunst weit außerhalb des Mainstreams.

Das „Wortkino“: eine Geheimeinadresse für literarische Feinschmecker. Nicht weit weg vom autoritär geführten Regietheater des Staatsschauspiels. Friedel Schirmers Regime hat in Stuttgart die Wortkultur gründlich ruiniert.

Im Wortkino empfangen uns ein intimer Raum, vier Stufen abgesenkt, duftende Blumen, eine rätselhafte Bühnenbeleuchtung, Tisch, Stuhl und viele kleine Teppiche. - Das Programm:

„Höflichkeit“ von Emile August Chartier, einem französischen Philosophen, 1868-1951.
„Das Elfte Gebot“ von Robert Gernhardt, geb. 1937.
„Der Charakter“ von Chartier.
„Des Kaisers neue Kleider“, das berühmte Märchen des Dänen Hans Christian Andersen, 1805-1875.

„Der Bauch“ nach Nicol Ljubic.
„Die Nacht, in der das Bett zusammenbrach“ von James Thurber, einem amerikanischen Erzähler, 1894-1961.
„Schwarzer Peter“ von Hans Rasch, geb. 1939, hinter dem sich der Intendant des Wortkinos versteckt.

Das Licht geht zurück, durch den weiten Bühnenraum schreitet ein exakter Mensch. Die Stimme streng, alles klar abgezirkelt, die Mimik stramm sortiert, die Haare mit Gel hochgetrimmt. Die erste Überraschung: Mimik und Stimme, Text, Körperhaltung und selbst Frisur passen nahtlos zusammen. Man sieht das Bemühen um Höflichkeit leibhaftig vor sich, auch wenn nichts mehr für ihre Notwendigkeit zu sprechen scheint.

„Das Elfte Gebot“ erweitert unsere religiöse Überlieferung, scheinbar scherzhaft, in Wirklichkeit eine Antwort auf vitale Bedürfnisse in unserer unerträglich verlärmten Umwelt. Eine geheime Utopie, vom Himmel herab verkündet, wo Gott seinem Knecht Gernhardt dieses vergessene Gebot auf dem Feldberg offenbarte.

Ein praktisches Stück Religionskritik, denn natürlich wissen alle: Die Stimme aus dem Lautsprecher (die Stimme des Intendanten) wird nichts bewirken. Und eine letzte Utopie: Es wäre so schön, wenn wenigstens dieser Gott mit diesem Gebot nicht TOT wäre.

„Der Charakter“ verheddert sich in dem verkrampften Kampf gegen die Laune. Und macht alles nur schlimmer: ausweglos. Der Mensch bootet sich selbst aus durch Verkrampfung.

Hoffnung segelt mit einer märchenhaften Satire daher: „Des Kaisers neue Kleider“. Noch nie hab ich diesen Klassiker so köstlich vorgespielt bekommen. Ein Glanzstück Weltliteratur. Im Zuschauersessel, für jede Aufklärung dankbar, fühlt man sich an diesem Abend heimisch. Jawohl, so ist es. Anders als durch Aufklärung über das Schwindlergehabe unserer Konsumgesellschaft wird es schwerlich einen Ausweg geben aus der aktuellen Gesellschaftskrise. Aber wir können sicher sein, es wird beim Alten bleiben, und wir fühlen uns hilflos in den Stuhl gedrückt: Nur Kinder finden da heraus, nur kindlich unschuldige Gemüter, weit weg von Raffgier und Kriecherei, die überall zu Karriere und Ansehen und Macht und Zaster führen.

Norbert Eilts läuft zur Hochform auf. Die verschiedenen Charaktere durch Brillen angekündigt – und durch Stimme, Haltung und Gesichtsausdruck vollendet. Hörrlych hümmlüsch, kann ich nur empfinden. Zu uns kommt der Schaum schlagende Designer Karl Lagerfeld. Die Brille: genau so ist er. Mit der rechten Hand spielt er weltmännisch locker seine Designer-Lufschlösser vor. Getroffen der schnoddrige Ton. Die selbstzufriedene, elegante Leerheit taucht vor uns auf wie in einem surrealistischen Gemälde von Salvadore Dalí. Man kann sich an diesem Schwindel-Schneider nicht satt genug sehen. Endlich dürfen mal die Opfer über schön tuende Nichtsnutze lachen.

Nach der Pause inszeniert sich der bedrohte Mann. "Der Bauch“ zeigt einen über Nacht total verunsicherten Mann. Ein gelungener Text aus der „Brigitte“. Kein Ausweg in Sicht, keine Aufklärung. Hier ist der Zuschauer gefordert. Helfen könnten Lachen, Spotten über angeblich eiserne Gesetze, wie ein Mann zu sein hätte. Frauen geht es ja nicht besser, beide gejagt von sich rasant ablösenden Verhaltensmustern. Hier scheint mir ein Weg offen für den Schauspieler, Stimmen-Imitator und Mimik-Aussteller Norbert Eilts.

„Die Nacht, in der das Bett zusammenbrach“ wechselt erneut Milieu und Thematik. Der Vater will mal auf dem Dachboden in des abwesenden Großvaters Bett schlafen. Die Ängstlichkeit der übrigen Familienmitglieder, die dort oben nur Unglück lauern sehen, führt zum schönsten Chaos, nur der Vater droben im Bett merkt als letzter etwas von den eingebildeten Gefahren. Eine gute Studie über ansteckende Hysterie. Das Ganze rasant erzählt, wie ein Schicksalsschlag, dem man nicht entrinnen kann.

Zum Schluss bringt der „Schwarze Peter“ ein tristes Ende. Getroffen die leicht schwäbische Dialektfärbung, die regionale Maulfaulheit, wo man sein Gebiss nur so weit öffnet, wie es unbedingt nötig ist, um eine Bretzel hinunterzuschlingen. Erneuter Haarwechsel und eine trostlose Haltung vor dem Tisch. Man sieht, hier liegt alles im Argen, Änderung täte not, aber sie kommt nicht in Sicht.

Der moderne Mann durchgehend überfordert. Niemand kann ihn leiden, mit den Frauen wird es nichts mehr, keinen Ansprüchen kann er genügen, er zahlt bloß Alimente. Also will er sich künftig nur noch leasen lassen, verantwortlich sind die mietenden Frauen, sie haben es ja so wollen. Nach dem Gebärstreik der besser ausgebildeten Frauen folgt der Liebesstreik der frustrierten Männer. Eilts als kultureller Trendsetter, nimmt vorweg, was im Kommen ist.

Erfreulicherweise ein Text ohne den üblichen zynischen Unterton von Männerfeindlichkeit. Ein herb-schüchterner Hilferuf. Es gibt noch was zu entdecken, zu tun, zu erleben. Die Bühne ist nicht alles.

Im August, als wir im „Wortkino“ waren, gab sich Stuttgart angenehm aufgeräumt: Der Urlaub hatte die Stadt leergefegt. Die Terrassencafés stellten um halbelf Uhr abends die Stühle zusammen.

Es blieb nur die Stuhlansammlung vor dem Landtag. Um uns nur noch ein Feldhase, eine Ratte im Blumenbeet und allerliebst ein Mäuslein zwischen den Stühlen - und der Schauspieler Eilts, dessen Mimik, Gestik und Sprachkunst man nicht nur einmal erleben muss. Stuttgarts Theaterwelt hat kaum etwas Besseres zu bieten.

Hellmut G. Haasis (Reutlingen)
Wer diese oder andere Vorstellungen besuchen will, schaue sich am besten die Houmpeitsch an. Man kann sich das Programm monatlich mailen lassen.
www.Wortkino.de
info<at>Wortkino.de
Kartentelefon: Barbara Legewie, Gesine Keller 0711/26.24.363
Wortkino, Werastraße 6, Stuttgart (in der Nähe der Württ. Landesbibliothek, der Hochschule für Musik und Gestaltung, hinter dem Oberlandesgericht). Wenn man geschickt ist, bekommt man in der Nähe abends sogar einen Parkplatz.

Diese Besprechung erfolgte übrigens aus Begeisterung, ist keine Auftragsarbeit.


 

/wortkino/index.php | anares.org | comenius-antiquariat.ch Samuel Hess 2005