haasis:wortgeburten

 

VORSCHLAG AN EINEN GROSSEN VERLAG

wie innovationen auf die welt kommen – auf die papierwelt - beinahe.

SCHRITT 1

25. 8. 2007
nach gewissenhaften vorprüfungen schickte ich im sommer 07 meinem freund martin stankowski, in einer großen medienstadt am rhein lebend, drei titelvorschläge für hinterlistige romanprojekte.

der brief ing weiter an den mit ihm befreundeten großverleger. ohne seilschaft bleibt man überall ausgegrenzt – mit auch oft genug, wenn man nicht den gewinnträchtigen trends hinterherschreibt.

Vorschlag:
chaplin und picasso in prag. surrealistischer roman
gestapo am zürichsee. spionageroman
joseph süß oppenheimer muss hängen. roman eines unerwünschten

 

SCHRITT 2

8. 11. 2007
relativ bald kam die antwort, so klassisch formuliert, dass ich sie der geneigten literatur-nachwelt überliefern möchte. genauso werden trends hochgehalten bzw. neue ideen niedergehalten. am drücker sind kaufmanns-ideen, von literatur und derzeitiger geistiger situation reichlich entfernt.

„1. den kafka-chaplin-picasso-roman müsste man lesen, wenn er ganz fertig gestellt ist. das problem ist, dass die literatur über jede der drei figuren unendlich groß ist. der roman müsste schon ein meisterwerk sein, um dagegen anzukommen.

2. der schweizer gestapo-mann: scheint mir zu speziell zu sein.

3. oppenheim: er hat wohl eine biografie geschrieben, und ein roman käme wohl gegen feuchtwanger, der ein klassiker ist, nicht an.

soweit meine gedanken dazu, alle in bisschen skeptisch.“

mein freund martin stankowski fügte mir handschriftlich dazu:
„wie du siehst - wenig hoffnungsvoll!“

 

SCHRITT 3

16. 11. 2007
ich kann’s nicht lassen. auch wenn ich keine chance habe, so muss ich dennoch einen solchen schlag verarbeiten. beides bin ich gewohnt, ablehnungen wie schriftliche verarbeitungen.

so bekam martin von mir hinterher folgenden brief – ob er ihn dem verleger weitergab, weiß ich nicht, glaube es kaum. man darf die höheren herren nicht verärgern. sie vertragen eine abweichende meinung nur schwer.

die hierarchien sind zu steil aufgebaut und gelten als sakrosankt – und der autor steht weit unter der untersten, wird er doch nach langer arbeit in der regel schlechter entlohnt wird als das hilfspersonal.

wer’s nicht glaubt, soll autoren fragen, wie lange sie an einem großen werk arbeiten und wie hoch am ende effektiv ihr stundenlohn liegt. – ein jammer. bestsellerautoren vom angloamerikanisch dominierten weltmarkt zu fragen, ist irreführend.

„lieber martin,
tausend dank, dass du trotz zu erwartender schlechter aussichten meine vorschläge dem chef von k&w unterbreitet hast.

auf die wenig hoffnungsvolle antwort hätte ich wetten können. das liegt an vielen gründen, u.a. müssen die verlage bei einer erstauflage mindestens 8-10.000 exemplare auflegen. das fördert mainstream-themen.

pionierarbeiten haben bei großen verlagen keine chance mehr, man muss das thema langsam hochschreiben und das dauert bald 10 jahre.

aber die art, wie er antwortet, ist geradezu köstlich und klassisch. so sind sie, die chefs, hemdsärmlig, rasch zupackend und immer gehetzt. und so galoppieren sie fröhlich am thema vorbei.

zu 1)
wenn ich an einem roman bastle „chaplin und picasso in prag“ und den noch als surrealistisch bezeichne, ist wirklich nicht einzusehen, was ich mit der ganzen meeresweiten literatur über kafka, chaplin und picasso zu tun haben soll. ach ja, der verleger kann sich halt nicht vorstellen, dass ich diese figuren ganz ohne wissenschaftliche forschung frischfröhlich durch prag laufen lasse – und sie dabei ihre eigenheiten ausleben.

seine antwort war dennoch wertvoll:
ich weiß jetzt, was ein erfahrener verleger assoziieren wird.
dennoch schicke ich ihm das ding – über deine vermittlung, wenn ich bitten darf – sollte das werk einmal fertig werden. es steckt in der mitte. am ende ist mir aber ein kleiner verlag lieber – als keiner.

zu 2)
dass der schweizer abwehrmann gegen die gestapo zu speziell ist, auch das hab ich geahnt. köln ist halt weit weg von zürich. - im zeitalter der gloablisierung ein lächerliches argument. - wenn der schräge roman hinterher gut gehen sollte, was ich annehme, wird es – hoffentlich – tönen, alles sei nur ein missverständnis gewesen. - der fall beruht auf geheimmaterial der kripo, das noch niemand lesen durfte. bleibt mir also vorbehalten.

zu 3)
der süß oppenheimer ist gut gekontert. ich hätte wohl schon eine biografie geschrieben – und mein roman käme gegen feuchtwanger nicht an. (dasselbe argument war schon zu 1 zu hören gewesen) so iss-es, der erfolg verbaut ein thema für immer. ich werde es dem feuchtwanger schon noch eintränken. auf ihn geht das abgrundtiefe misstrauen der vagen kenntnisse bis heute zurück.

seinen roman finde ich einen schmarrn. eine riesenauflage von angeblich 3 millionen beeindruckt mich und mein innovationsbedürfnis nicht, nur meinen geldbeutel.

wenn ich meine lage so überdenke, häufen sich in meiner süß-materialsammlung unerträglich die klammheimlichen bis offenen beschuldigungen des ermordeten süß oppenheimer, 1738 in stuttgart in einem fall von justizmord an den galgen gebracht.

ich muss mir ständig sagen lassen, ich hätte den süß reinwaschen, der sei doch ein ganz berüchtigter verbrecher gewesen ............usw. sagen die besserwisser gerne, ohne je eine minute im archiv vergeudet und mein buch richtig gelesen zu haben. das urteil steht schon lange vorher fest. eigentlich seit 1738.

ich spüre unter aller gesellschaftlich eingeübten judenfreundlichkeit die weiterexistenz, vielleicht sogar das allmähliche heranwachsen einer subtilen, leise marschierenden judenabwehr. - von antisemitismus kann man da noch nicht reden.

man will den juden einfach nicht haben, wenigstens nicht einen so reichen und so frech modern auftretenden. der verschandelt doch das land, die schöne stadt stuttgart, das ehrliche alte württemberg.

der jud muss weg, gerade weil seine leiche noch immer irgendwie vor den toren der stadt hängt.

wohin ich mit dem thema komme, werde ich abgeblockt. in anderen zusammenhängen würde man von ausgrenzung reden.

komisch, wie hier ein bald 270 jahre toter ausgegrenzt wird. offenbar selber schuld – und erst recht sein biograf.

wo hätte man ihn gerne, den süß?
zu verschweigen ist er nun nicht mehr.

da überfiel mich unlängst bei der beschäftigung mit komponisten in theresienstadt die böse idee:

wie wäre es, wennn wir den reichen, alles gold des landes stehlenden juden süß oppenheimer in einen transport nach theresienstadt und späternach auschwitz steckten? in einen der viehwaggons, wie man ihn erleben kann in der kz-gedenkstätte von schwäbisch hall?

also komponiere ich an einem weiteren surrealistischen roman herum:

JOSEPH SÜSS OPPENHEIMER
THERESIENSTADT-AUSCHWITZ

schau her, martin, dein versuch bei k&w war nicht ohne nutzen.

wie sagten unsere mütter und großmütter?
ALLES HAT AUCH SEIN GUTES.

dir zum dank eine lachende satire zum papiergeschrei über grass und partei und waffen-ss. du bist doch 43-er jahrgang?

na dann haben wir dich damals ausgeschlossen. recht so, ihr wart viel zu jung.
hahahahahaha

ciao
tanti cordiali saluti
hellmut“

 

SCHRITT 4

diese dokumentation hat mir wieder gut getan.
EIN SEELISCHER STUHLGANG.

Ich kann mich freuen, ich hab drei leute BESCHISSEN.

gespart habe ich mir den hausarzt, den psychiater und die apotheke. keine depression, kein sitzen bleibender ärger – sondern FREUDE AN DER LITERARISCHEN BOSHEIT.

Ein harmloses vergnügen – und kostenfrei.

 

 

 

 

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