Elser, Nachträge zur Biographie
Nachtrag Nr. 16
ERICH BLOCH -
JÜDISCHER ZEITZEUGE AUS KONSTANZ
Bisher kennen wir kaum zeitgenössische Stimmen zu Elsers Konstanzer Zeit. Ein wenig mag da aushelfen der Konstanzer Jude Dr. Erich Bloch, geboren 1897. Im Jahr 1938 rettete er sein Leben nach Palästina. 1980 gab er seine Erinnerungen zu Protokoll. Daraus wurde ein wertvolles Buch. (Erich Bloch: Das verlorene Paradies. Ein Leben am Bodensee 1897-1937. Bearbeitet von Werner Trapp. Sigmaringen 1992)
Bloch kehrte als einer der wenigen Juden nach dem Krieg nach Konstanz zurück. Während seines Freiburger Studiums hatte er sich in marxistischen Kreisen bewegt, was bei ihm zu einer großen marxistischen Privatbibliothek führte, die er noch 1933 bei sich aufbewahrte und erst kurz vor einer Hausdurchsuchung der Gestapo vernichtete.
Mit Beginn der Naziherrschaft zog Bloch sich von der politischen Betätigung, wohl auch der Orientierung überhaupt zurück. Nach seinen Erinnerungen scheint er die Konstanzer Kommunisten nicht bemerkt zu haben – was nicht so recht glaubhaft ist.
Jedenfalls schreibt er nichts über die KPD und über kommunistische Aktivitäten. Das ist umso erstaunlicher, weil wir aus einem Freiburger Archivfund wissen, dass die Konstanzer Kommunisten 1932-33 weit mehr politische Aktivitäten entwickelten als die Sozialdemokraten (3. Auflage meiner Elser-Biographie, S. 279).
Hat hier die Furcht sein Gedächtnis gesäubert?
Bloch bezeugt, dass unter den Konstanzer Juden schon 1930 darüber gesprochen wurde, ob man auswandern solle. Bloch fühlte sich ganz als Konstanzer, er rechnete mit seiner Sicherheit - und blieb.
Glücklicherweise kaufte er 1930 einen freien Bauernhof in Horn auf der Halbinsel Höri. Dorthin konnte er just 1933 übersiedeln, in eine Gegend, wo es keine Nazis gab. Was für ein Paradies, ein doppeltes. - Noch heute ist diese Gegend dem Ruhe Suchenden zu empfehlen. Aber nicht weitersagen, sonst wird auch dieser Flecken ruiniert.
Bloch ist schon vor 1933 entsetzt, wie gierig die Konstanzer zu den Naziblättern „Stürmer“, „Völkischer Beobachter“ und „Führer“ griffen. Gegen die heiß geliebte Legende der Konstanzer heute, sie wären nie braun gewesen, hält er fest: „Als er [Hitler] 1932 einmal in Radolfzell sprach, ist fast ganz Konstanz hingefahren.“ (S. 83) Die Hochburg des Zentrums – wovon Bloch übrigens nie spricht – war weich geworden.
Nach dem Krieg strickten die Konstanzer an dem Märchenfaden: Hitler kam nur bis Radolfzell, nie nach Konstanz. War ja auch nicht nötig, es gab schon genügend Hitlerfreunde am See.
1932 hörte die harmlose Stimmung in der besseren Bürgerschaft auf, zu der Bloch mit seiner Villa „in der Laube“ gehörte, einem wunderschönen Haus gegenüber der Lutherkirche. Bis dahin spürte er keine Vorurteile gegen Juden, niemand von ihnen dachte daran, man müsse sich eines Tages bewaffnen, sein Leben retten.
„Erst im Jahr 1932 hat man bemerkt, dass die SA in Uniform im Stadtbild hin und wieder sichtbar wurde und dass sich diese Leute gruppierten. Aber man hatte hier keine Angst. Man dachte, das sind mehr oder weniger mittelmäßige oder stark reduzierte Charaktere, und solche Leute können doch niemals glauben, in Deutschland herrschen oder regieren zu können. Und auch wir haben das geglaubt. Wir waren fest davon überzeugt, dass man ein Kulturvolk wie die Deutschen, mit so vielen wissenschaftlichen und intellektuell befähigten Menschen, niemals gleichsam über Nacht mit solchen Phrasen und Gemeinheiten regieren könne, wie diese Leute sie in ihren Zeitungen zu dreschen pflegten.“ (S. 83-84)
Nicht erst 1932 dürfte dagegen Elser erkannt zu haben, dass die Nazis Unglück über Deutschland brächten, es war wohl schon 1930, als das kommunistische Milieu der Schreiner noch intakt war. Aber außer den Kommunisten schien niemand beunruhigt.
Ende 1932, als Elser schon wieder in Königsbronn lebt, kommt es zu einem exemplarischen Hetzfeldzug des „Völkischen Beobachters“ gegen den Konstanzer Juden Emanuel Levinger (S. 84-85). Niemand solidarisiert sich mit Levinger gegen die Verleumdung, der Jude habe für eine Taxifahrt zu wenig bezahlen wollen.
Einschüchterung? Feigheit? Oder dachte man, irgendwann geht das braune Unwetter schon vorüber? Gerade die nach Bloch gut organisierten Sozialdemokraten regten sich nicht, was Bloch schwer enttäuschte, aber auch nicht aktivierte.
Schon bevor die Nazis die Straßen beherrschten, hatte das Konstanzer Bürgertum die Abwehr aufgegeben (S. 85). Darin sah sich Bloch auch von Schweizer Besuchern bestärkt, die vor 1933 einen siegesbesoffenen Aufmarsch der Nazis erlebten. Alle, auch die Schweizer Gäste, waren wie gelähmt.
Die Blochs zogen 1933 also auf die Höri, nach Horn, wo sie sich von Gärtnerei und Landwirtschaft ernährten. Dem Nazibild so gar nicht entsprechend. Der dortige paradiesische Friede dort führte zur Fehleinschätzung. Hitler wurde noch immer nicht für voll genommen. „Wir hielten ihn für einen Komiker, für einen Hampelman, weil er auch so häufig im Zirkus gesprochen hat - wir hielten ihn schlicht für einen nicht ernst zu nehmenden Zirkuspathetiker.“ (S. 86)
Der Konstanzer Druckbetrieb Stadler verhandelte seit Oktober 1932 mit der Nazizeitung „Bodensee Rundschau“, um sie drucken zu dürfen. Also warf der Chef seinen leitenden jüdischen Mitarbeiter Bloch hinaus. (S. 87)