Elser, Nachträge zur Biographie
Nachtrag Nr. 18
DIE VERGESSENEN JAHRGÄNGE UM GEORG ELSER UND DER AMERIKANISCHE HISTORIKER ANDREW DONSON
Eine Bemerkung von Hellmut G. Haasis
Andrew Donson, Professor an der University of Michigan (Ann Arbor), publizierte in der amerikanischen Zeitschrift “Social History” (Vol. 31, No. 3, August 2006) einen Aufsatz über die Nazi-Elite, die 1933 mit Hitler an die Macht kam.
Was war das für ein Männertyp?
Wir erfahren das, was die Älteren noch wissen: Die da über Deutschland hereinbrachen, waren Verherrlicher der Gewalt, geprägt vom Männlichkeitswahn, ihre große Hoffnung galt dem Kriegmachen.
Donson untersucht die geistige Entwicklung der Jahrgänge 1900 bis 1908, Hitlers Mordkumpane Himmler, Höß, Heydrich und andere.
Seine Quellen? Der Nachlass des amerikanischen Historikers Theodore Abel, der 1934 mit Unterstützung seiner Regierung nach Deutschland reiste und die politischen Biografien von 700 führenden Nazis erforschte.
Gelernt hat die Regierung daraus ja leider nichts, sie hat bis 1941 gebraucht, um mit diesen Gangstern zu brechen. So wenig nützt oft die Forschung.
Immer dasselbe trübe Ergebnis, was Kenner der deutschen Geschichte nicht überrascht. Wir selbst erlebten diese “Brüder” noch lange nach 1945: Überlebende einer nur militärisch besiegten männertümelnden Wahnwelt. Der Bruch mit ihnen fand erst ab 1967 statt, was uns die vereinigte Medienmafia der nationalen Rechten und der staatstragenden Anpasser nie verzieh.
Das Fazit von Donsons Studie in einer Besprechung der Süddeutschen Zeitung (21. 8. 2006, S. 14):
“Dank seiner Archivrecherchen kann Donson die Einflüsse der Schulen, der Kriegspädagogik und der Jugendverbände für die ideologische Prägung der jungen Männer einschätzen, deren Generation am Aufstieg des “Dritten Reichs” entscheidenden Anteil hatte.
Als Grund dafür macht Donson die unerwartete Kriegsniederlage von 1918 aus. Das abrupte Kriegsende habe die Jungen und Jugendlichen daran gehindert, aktiv am Krieg teilzunehmen und ihren Patriotismus und ihre Männlichkeit unter Beweis stellen zu können.
Dabei sei ihre Ausbildung und Freizeitgestaltung darauf ausgerichtet gewesen, sie national zu erziehen und für den Dienst am Vaterland vorzubereiten. Da sie in der Regel aber zu jung für die Front waren, leisteten sie freiwillige Hilfsdienste in der Heimat und übten im Spiel den kriegerischen Ernstfall, der für sie nicht mehr eintrat.
Als Ventil für den aufgestauten Patriotismus fungierten nach dem Krieg Freikorps, SA und NSDAP. Für Donson gaben sie den jungen Männern die Möglichkeit, ihre maskulinen Fantasien auszuleben und ihren patriotischen Traum vom Soldatentum zu verwirklichen.”
Klug geschrieben. So gewinnt man ein Lehrstuhl-Profil, mit der Aussicht auf eine neue Schul-Richtung. Flugs ein psychologisches Theorem über die Geschichte stülpen, gleich ist bewiesen, was wir schon wissen. Das Ergebnis - eine Null-Nummer: Wiederholung des Bekannten.
Andere Möglichkeiten, die auch in der deutschen Geschichte angelegt waren und genauso hätten siegen können – nichts davon kommt zu Wort. Was ist denn mit den Kriegsgegnern um 1900, die die Novemberrevolution vorantrieben? Die nie bei Hitler mitmachten, der schließlich nicht auf legalem Weg die Mehrheit bekam?
Einer von vielen: Georg Elser geboren 1903, ein Jahr älter als Heydrich. Die roten, kriegsunwilligen Matrosen, die Rätebewegung, die Kommunisten, die Sozialisten, die linkssozialen Christen, die Friedensanhänger – auch viele ihrer Mitstreiter kamen aus diesen oder benachbarten Jahrgängen.
Erlitten sie etwa keinen Stau ihrer Hoffnungen? Doch, genauso. Sie kamen nicht zum Zug, sie bekamen keine freizügige Demokratie von unten, in der sie ein Wort hätten mitreden können.
Da haben also offenbar noch ganz andere Faktoren mitgewirkt, die bei einer verengten Theoriebildung unter den Tisch zu fallen pflegen. Mit weniger Aspekten für ein Thema lässt sich leichter operieren.
Die christliche Segnung von Militär, die Unterdrückung anderer Völker, die autoritäre Zurichtung der Persönlichkeit. Die christlich-messianische Beschwörung eines Erlösers des deutschen Volkes aus dem “Elend von Versailles”. Da hat besonders die evangelische Kirche mächtige Kriegshilfe geleistet. Wahnideen der nationalen Rechten, die sich von einer Weltverschwörung eingekreist fühlte. Fast alle evangelischen Geistlichen waren deutschnational: die Brücke zu Hitler.
Es haben viele viele Kräfte mitgemacht, dass die segensreiche Niederlage 1918 umgemünzt wurde in einen neuen Anlauf zur “historischen Sendung” Deutschlands.
Ach ja, die Mitwirkung der deutschen Großindustriellen hat man in unserer Zeit illusionärer Börsenhoffnungen nachhaltig weggeschwemmt.
Theodore Abel betitelte seine biografische Studie von 1938 “Why Hitler came into Power”.
Blind erscheint uns ein Blick nur auf Biografien. Kein Wunder, dass die angloamerikanische Geschichtsschreibung bis heute keine Freude, kein Interesse, keinen Blick hat für die produktiven Abweichler, die eben in das Raster der Männertümelei nicht passen.
Studien zum 20. Juli 1944 gibt es im Englischen genügend, kein einziges Buch dagegen zu dem profiliertesten Abweichler: Georg Elser.
Wie lange wird es brauchen, bis Hitlers gefährlichster Gegner auch im englischsprachigen Teil der Welt entdeckt wird? Vielleicht erst, wenn eine Nachwuchskraft hofft, eine neue Linie für die Karriere nützen zu können?
Hinterher wird die nächste Generation raunen, irgendwann einmal habe ein Paradigmenwechsel stattgefunden.
(Februar 2007)