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Elser, Nachträge zur Biographie

Nachtrag Nr. 19

CRINIS Max de Crinis (1889-1945)
Leiter der Psychiatrie an der Charité (Berlin)

SS-Mann, Hitlers bevorzugter Psychiater. Günstling von Walter Schellenberg (Auslandsgeheimdienst des SD), SD-Agent, beteiligt an der Entführung in Venlo (9. November 1939), Förderer der Euthanasie-Morde.
Vermutlich der führende Psychiater bei den Quälereien gegen Georg Elser ab November 1939 mit dem Dopingmittel Pervitin u. a.


Aus einem kurzen Überblick über die Entwicklung der Neurologie
an der Charité (Berlin)
• Im Nationalsozialismus (1933 – 1945)

“Der Name Bonhoeffer steht vor allem durch den Sohn Dietrich und den Schwiegersohn Hans von Dohnanyi und deren Vorbereitung des Attentates auf Hitler vom 20.07.1944 für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Karl Bonhoeffer selbst hat zwar einerseits diesen Widerstand gebilligt und war gegen das Euthanasieprogramm eingestellt, andererseits gab es eine aktive Beteiligung an den Sterilisationsprogrammen der Nationalsozialisten. Im Exodus ab 1933 mussten eine Reihe bedeutender jüdischer Wissenschaftler, Neurologen und Psychiater wie z.B. Paul Schuster, Franz Kramer, Erwin Straus, Arthur Kronfeld, Kurt Goldstein, Robert Hirschfeld, Max Bielschowski die Berliner Universität verlassen und emigrierten zumeist in die USA, nach England und Kanada.

Nach Karl Bonhoeffers Emeritierung 1938 wurde ein Mitglied der NSDAP und der SS, Max de Crinis (1889-1945), neuer Leiter der Klinik. De Crinis war einflussreichster Nationalsozialist im Establishment der deutschen Psychiatrie. Er war ein Protagonist der "Aktion Gnadentod" vom Anfang bis zum Ende. Dieses Programm hatte zum Ziel, geistig Behinderte umzubringen und es wird vermutet, dass De Crinis die Worte in Hitlers Ermächtigungsschreiben vom 1. September 1939 zur Euthanasieaktion formuliert hat. 1939 wurde er dann auch von Hitler mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet; 1945 entzieht sich De Crinis durch Selbstmord der drohenden Verhaftung.”

Vgl. Jasper H: Maximilian de Crinis (1889-1945): Eine Studie zur Psychiatrie im Nationalsozialismus. Abhandlungen zur Geschichte der Medizin in und der Naturwissenschaften. Matthiesen Verlag, Heft 63, 1991.

Was der Psychiatrieforschung bisher fehlt, sind die politischen Verstrickungen des SS-Mannes de Crinis in die Leiden von Georg Elser.

Walter Schellenberg, Chef des SD-Auslandsgeheimdienstes (im Reichssicherheitshauptamt), später Nachfolger des Abwehrchefs Admiral Canaris, forderte Anfang November 1939 Crinis auf, seinen psychiatrischen Spießgesellen bei geheimen Verbrechen, bei der Entführung zweier britischer Geheimdienstler in Venlo (Holland) mitzumachen.

Zu den Ereignissen in Venlo, die ganze Räubergeschichte ist hier ausgezeichnet dokumentiert. HYPERLINK http://209.85.135.104/search?q=cache:zAm-KzO8oL4J:www.georg-elser-arbeitskreis.de/texts/venlo-akteure.php+max+de+crinis&hl=de&ct=clnk&cd=17&gl=de http://209.85.135.104/search?q=cache:zAm-KzO8oL4J:www.georg-elser-arbeitskreis.de/texts/venlo-akteure.php+max+de+crinis&hl=de&ct=clnk&cd=17&gl=de

Crinis sollte einen oppositionellen deutschen Offizier mimen – was ihm mühelos gelang, weil die beiden Engländer Best und Stevens die größten Penner der Zeit darstellten. Crinis war für dieses Kommandounternehmen nicht im geringsten trainiert und stolperte einfach so hinein. Aber die Engländer benahmen sich bodenlos leichtsinnig. Sie ließen sich zu einem getürkten Treffen mit der angeblichen deutschen Opposition, in Wirklichkeit einem SS-Trupp, nur 60 m hinter der niederländischen Grenze anlocken. Die Entführung der Engländer gelang, dank eines Überfallkommandos von SS-Gangstern, Mitstreitern von Reinhard Heydrich, angeführt von dessen Spezialisten fürs Grobe: Alfred Naujoks.

Elser befand sich ab Ende November 1939 gefangen in Berlin. Er weigerte sich unnachgiebig, irgendwelche Engländer als Hintermänner, Geldgeber und Bombenlieferanten zu erfinden. Deshalb befahl Hitler, die besten, ihm gefügigen Psychiater sollten Elser behandeln, mit allem, was die “Wissenschaft” hergebe. Drei Herren sollen bei diesem Missbrauch der Medizin mitgemacht haben.

Ihre Namen sind nicht überliefert, nach dem Krieg legte sich, wie überall, das Schweigen der Kumpane auch über diese Gestalten. Wer könnten die drei gewesen sein?

Von der Biografie, der Position, der SS-Mitgliedschaft, der Bereitschaft zu Verbrechen und vor allem von der Nähe zu Walter Schellenberg her dürfte es ziemlich wahrscheinlich sein, dass Max de Crinis zu diesen drei gehörte. Womöglich war er sogar der Anführer.

Wer war dieser Max de Crinis?
Er soll einen guten Ruf als Mediziner gehabt haben.

Solche Lobsprüche kennen wir genügend. Wenn man nachprüft, fällt so manches nachgeplapperte Lob in sich zusammen. Das Wichtigste an Crinis war schließlich, dass er schon lange zur SS gehörte und beste Beziehungen zu Schellenberg besaß, dem mächtigen Mann der SS-Auslandsspionage. –

Crinis war 1899 geboren in der Steiermark als Sohn eines Arztes, studierte in Graz Medizin und wurde dort 1924 außerordentlicher Professor für Neurologie. (mit 25 Jahren?). Am 2. Mai endete er durch Selbstmord zusammen mit der Ehefrau.

In Österreich profilierte er sich konsequent als Rechtsradikaler, Anhänger der alldeutschen Bewegung von Schönerer, die den Anschluss an Deutschland betrieb. Mitglied der NSDAP in Österreich schon seit 1931. 1934 soll er bei der Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Dollfuß mitgewirkt haben. Crinis wurde vom klerikalfaschistischen Regime Wiens verfolgt. Deshalb nahm er 1934 gern einen Ruf nach Köln an. 1936 Eintritt in die SS. 1939 Wechsel nach Berlin – und gleich wird er Psychiatriechef in der Charité und Professor der Humboldt-Universität. Von Kriegsbeginn an bestimmte alleine Crinis, wer an den medizinischen Fakultäten der deutschen Universitäten berufen wurde. Das wirft ein hübsches Licht auf die damals Beförderten.

Seine SS-Personalakte weist ihn als fanatischen Förderer des Antisemitismus aus. Nun entpuppt er sich auch im medizinischen Bereich als Anhänger eines radikalen Judenhasses.

Spätestens in Berlin scheint er Anschluss bekommen zu haben an den SD, zu dessen Auslandschef Schellenberg, und wird als besonders effektiver SD-Agent geführt. 1943 war man sich im Reichssicherheitshauptamt sicher, dass Crinis diskret und mit optimalem Erfolg für den SD arbeitete (Kater S. 216).

Als zweiter der drei Ärzte, die Elser quälten, könnte Prof. Dr. Karl Gebhardt in Frage kommen, Himmlers Leibarzt. Er war freilich Chirurg. Geb. 1897 in Oberbayern (woher ungewöhnlich viele Altnazis stammten), 1948 hingerichtet in Landsberg als Kriegsverbrecher. Zeitweilig Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. 1923 Teilnehmer am Hitlerputsch. Experimente an KZ-Häftlingen in Ravensbrück und Auschwitz. 1942 nach dem Heydrich-Attentat in Prag behandelte er den sterbenden Heydrich mit reichlich Morphium. Bei der Beerdigung spielte er den rührenden Ersatz-Papa in Prag und Berlin, mit den beiden Heydrich-Söhnen an der Hand (Haasis: Tod in Prag, 2002).

Michael H. Kater. Ärzte als Hitlers Helfer, Hamburg/Wien 2000, S. 215-217, 220-221, 254, 285, 287.


 

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