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Elser, Nachträge zur Biographie

Nachtrag Nr. 20

Kadelbach, Königsbronner Pfarrer zur Elsers Zeit.
Was sein Sohn über den Vater schrieb, berührt auch Georg Elser.

“In unserem Biedermeier-Sekretär sind Geheimfächer. Erst wenn man die mittlere der drei kleinen Schubläden ganz herausnimmt, sind seitlich die kleinen Kästchen mit den kurzen Stoffgriffen zu entdecken. Diese Versteckchen haben etwas Geheimnisvolles.

Ich muss dabei immer an Georg Elser denken. Sein Beruf war ja Kunstschreiner. Er hatte auch das ganze Material für seine Zeitbombe in einem selbstgefertigten Holzkoffer mit doppeltem Boden transportiert.

Alle im Dorf, auch wir im Pfarrhaus, sprachen nur mit vorgehaltener Hand über Elsers Attentat auf Hitler im Bürgerbräukeller. Die meisten schämten sich noch Jahre nach dem Krieg, dass er ein Königsbronner war.

Er ist im selben Jahr geboren wie mein Vater.

Anfang September 1939, während mein Vater sich freiwillig zum Militärdienst bereit erklärt, kniet sein Gemeindeglied Georg Elser Nacht für Nacht in München hinter einer Säule im Bürgerbräukeller und bereitet unter unsäglichen Anstrengungen das Attentat auf den kriegswütigen Diktator vor.

Ein einfacher Mann sei Elser gewesen. So einfach, dass er sich sein natürliches Empfinden bewahrt hat. Einfach nicht anfällig für den verführerischen Mythos. Unbeirrt geht er seinen Weg. Bleibt ganz einfach bei der Wahrheit, auch unter Folter. Sagt beim Verhör im Keller der Gestapo in Berlin [Irrtum. Das Verhör fand oben in einem üblichen Verhörzimmer statt, das große des 3. Tags wohl sogar im Konferenzraum, weil so viel NS-Prominenz kam], was er von der Regierung hält. (...)

Hätte Elsers Tat den gewünschten Erfolg gehabt: Der Zweite Weltkrieg wäre vielleicht im Keim erstickt. Millionen Menschen wären nichts ums Leben gekommen. Auch nicht mein Vater. Der Terror hätte ein Ende gefunden. Auch in unserem Dorf. Und dann wäre der ‘Gergl’ Elser mit seiner Zither und dem Holzkoffer mit den Beweisstücken im doppelten Boden im Gathaus ‘Hecht’ erschienen und hätte seine Geschichte erzählt. Und sie hätten ihm auch dann nicht geglaubt. Zu einfach, hätten sie gesagt.

Den Wilderern aber, die immer wieder Forstbeamte ermordet hatten, wurde mit der Errichtung eines Museums ein respektables Denkmal im Dorf gesetzt.” (Ulrich Kadelbach: Requiem für einen Vater, Stuttgart 1999, S. 36-37)

Am 17. September 1934 hatte Kadelbach an Hitler geschrieben (S. 38-39), in einem Ton, der gut zusammenklingt mit Elsers Beschwerden im Kripo-Verhör in Berlin über die Gewalt gegen die Kirche. Hierin ist er mehr Königsbronner als viele der lahmen Arschkriecher, damals und später.

Kadelbach protestiert gegen die “Vergewaltigung unserer Kirche mit ihrer altüberlieferten Tradition”. Man müsse an eine “unmittelbar bevorstehende Christenverfolgung” denken. Die Gemeinde stehe “treu zur bekennenden Kirche”. Viele Pfarrer seien bereit, “Amt und Beruf aufzugeben, wenn das Unrecht in der Kirche siegt”.

Kadelbach wurde 1943 zum Militär eingezogen. Bis dahin beriet er Elsers Mutter treu und intelligent, wie sie sich gegenüber dem Angebot der Gestapo verhalten sollte, ihrem Schorsch ins KZ zu schreiben, via Berliner Gestapozentrale. Sie folgte dem Rat: ganz vorsichtig schreiben, nichts Politisches erwähnen.

Die Mutter schrieb nur einmal, Georg antwortete nicht, er bekam den Brief nie. Seine Mutter hatte es geahnt.

 

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