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Elser, Nachträge zur Biographie


NACHTRAG 23

Die politische Öffentlichkeit tut sich noch immer schwer, Elser zu würdigen. Meistens ist der Atem schon aus, wenn der Name Stauffenberg gefallen ist.

Eine Ausnahme bildete schon vor über zehn Jahren Helmut Kohl. Während der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger 2007 erklären ließ, er werde frühestens im Jahr 2010 Georg Elser durch eine Kranzniederlegung ehren, hat der Altbundeskanzler Helmut Kohl wieder einmal auch Elser unter unsere bedeutendsten Widerstandskämpfer eingereiht.

Der Rahmen ist umstritten: das öffentliche Gelöbnis. Aber Kohls linke Kritiker sind in Sachen Georg Elser oft noch recht schwach auf der Brust. Kohl erinnerte nicht aus opportunistischen Gründen an Elser, wie es bei Oettinger und anderen zu erwarten ist. Nein, er ist ehrlich überzeugt, dass Elser unter die Großen gehört. Kohl lässt keinen Zweifel daran, dass Hitler getötet werden musste. Und er hebt als einer der wenigen Henning von Tresckow hervor, der einer der energischsten Befürworter eines Anschlags war, der eine eigene Eingreiftruppe aufgebaut hatte, um Hitler bei einem Truppenbesuch festzunehmen und hinzurichten. Eine einmalige Leistung.

Schon beim Erscheinen meiner Biografie im Jahr 1999 bewies Kohl Niveau. Als er beim Besuch der Frankfurter Buchmesse an den Stand des Rowohlt Verlags kam, durfte er sich aussuchen, was er mitnehmen wollte. Die Lektoren empfahlen ihm dies und jenes. Er lehnte ab und ließ seine Augen weiter suchend über die neuen Titel schweifen.

Da fiel ihm meine Biografie in die Augen, er nahm nur dieses Buch mit. Und er hat es ganz offenbar gelesen – was ja auch selten ist.

Auch wer Kohl nicht zu seinen Lieblingspolitikern rechnen mag, wird ihm künftig zugute halten müssen: Hier zeigte er sich den allermeisten Funktionsträgern der Macht unendlich überlegen. Das sollten wir ihm nicht vergessen. Und er sprach jetzt, obwohl er gesundheitlich ziemlich angeschlagen war.

Freitag, 20. Juli 2007
"Ein Aufstand des Gewissens"
Gedenken an Hitler-Attentat

Altkanzler Helmut Kohl (CDU) hat den Widerstand gegen Adolf Hitler als Aufstand des Gewissens und Mahnung an die nächsten Generationen gewürdigt.

"Wenn wir etwas aus der Tragödie der vergangenen Kriege lernen, dann dies: Wir wollen alles dafür tun, dass wir in diesem Haus Europa in Frieden und Freiheit zusammenleben", sagte Kohl in seiner Rede zum traditionellen Gelöbnis im Gedenken an das gescheiterte Attentat von Offizieren auf Hitler am 20. Juli 1944. Der große Auftrag vor allem an die Jugend sei, die politische Union Europas zu vollenden.

Seit 1999 veranstaltet die Bundeswehr am 20. Juli ein Gelöbnis von Rekruten am Sitz des Verteidigungsministeriums, wo im Innenhof des Bendlerblocks Oberst Schenk Graf von Stauffenberg und drei seiner Mitverschwörer gegen Hitler erschossen worden waren. Von Stauffenberg hatte sein Dienstzimmer im Bendlerblock, in dem damals die Seekriegsleitung und das Allgemeine Heeresamt untergebracht waren. 450 Rekruten gelobten, dem Staat "treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen".

Die Gelöbnisformel erinnert nach den Worten von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) daran, dass Recht und Freiheit keinesfalls Selbstverständlichkeiten seien.

"Es sind vielmehr verletzliche Errungenschaften, für die wir uns jeden Tag als Staatsbürger aufs Neue einsetzen müssen." Der militärische Widerstand sei eine der wichtigsten Traditionslinien der Bundeswehr.

Kohl sagte, der 20. Juli 1944 sei ein großes Datum der deutschen Geschichte. Neben dem militärischen Widerstand würdigte er wie kaum ein Gelöbnisredner vor ihm die Studenten um die Geschwister Scholl und den Schreinergesellen Johann Georg Elser, der bereits 1939 versucht hatte, Hitler zu töten. Auch Elser sowie Hans und Sophie Scholl wurden hingerichtet.

Der letzte Überlebende des engeren Verschwörerkreises um von Stauffenberg, Philipp Freiherr von Boeselager, sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", nach dem Krieg habe der Widerstand in der Bevölkerung zunächst keine Rolle gespielt: "Er war obsolet und tabu." Erst jetzt mit der Enkelgeneration sei der Widerstand wieder aktuell. Der 89-Jährige sagte: "Zum Wesen des Widerstandes gehört es, dass man etwas zu verlieren hat, dass man persönlich ein Risiko eingeht." Von Boeselager hatte damals für die Gruppe um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg den Sprengstoff besorgt.

Repräsentanten von Regierung, Bundesrat, Bundesverfassungsgericht und Bundeswehr legten Kränze in den Gedenkstätten im Bendlerblock und in der ehemaligen Hinrichtungsstätte Plötzensee nieder. Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU) sagte, was Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus bedeutete, überfordere die Vorstellungskraft im heutigen friedlichen und freiheitlichen Alltag. Auch wenn das Attentat in seinem eigentlichen Anliegen erfolglos gewesen sei, habe es einen wichtigen Zweck erfüllt. Der Widerstand habe vor aller Welt "Nein" zu Hitlers Regime gesagt.

Ein Enkel von Stauffenbergs wird in dem geplanten Film über das gescheiterte Hitler-Attentat mit dem US-Schauspieler Tom Cruise mitspielen, bestätigte die Produktionsfirma in Berlin. Die Dreharbeiten sollen bis Ende Oktober in Berlin und Brandenburg dauern. Eine Drehgenehmigung im Bendlerblock hatte die Bundesregierung abgelehnt, um die Würde des Ortes nicht zu stören.

Die Polizei sicherte das Gelände um den Bendlerblock weiträumig ab. Knapp 100 zumeist junge Menschen protestierten gegen das Gelöbnis. Rund 600 Polizisten waren im Einsatz.

(quelle: ntv im web)


Kohl, Cruise und das Erbe des 20. Juli
20. Jul 21:30

Bei ihrem Gelöbnis hat Altbundeskanzler Kohl 450 Rekruten an ein großes Datum der deutschen Geschichte erinnert. In seiner Rede im Bendlerblock nannte er das Hitler-Attentat einen «Aufstand des Gewissens».

Johann Georg Elser gehörte nicht zum Kreis des militärischen Widerstands gegen Hitler. Er war nicht dabei, als Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg und andere Offiziere das Bombenattentat auf den Diktator planten. Und trotzdem nennt Altbundeskanzler Helmut Kohl am Freitagabend beim traditionellen Gelöbnis zur Würdigung des missglückten Attentats am 20. Juli 1944 den Namen des Schreinergesellen in einer Reihe mit Stauffenberg.

Denn Elser hatte lange vor den Militärs versucht, Hitler umzubringen, weil er in ihm einen Kriegstreiber sah. Sein Bombenanschlag schon 1939 scheiterte, weil Hitler entgegen aller Planung den Ort des Geschehens Minuten vorher verlassen hatte. Auch Elser wurde hingerichtet.

Kohl ist der erste Altkanzler, der die Gelöbnisrede zum 20. Juli hielt, und wie kaum ein anderer zuvor erinnert der CDU-Politiker an Elsers Mut - an das Attentat «eines Einzelnen».

«Die unermessliche Angst der Verschwörer konnte nur mit großer innerer Kraft und Gottvertrauen getragen werden. Ihr Mut verdient unseren besonderen Respekt und unsere tiefe Dankbarkeit», würdigt Kohl die Widerstandskämpfer gleichermaßen.

Er hebt auch die Rolle des Generalmajors Henning von Tresckow hervor. Von Tresckow habe von Stauffenberg nachdrücklich zu dem Attentat ermutigt. Während von Stauffenberg in Berlin hingerichtet wurde, beging von Tresckow an der Front Selbstmord, um bei Verhören keine Namen preisgeben zu müssen.

Kohl sagt, «das - gescheiterte - Attentat vom 20. Juli war ein Aufstand des Gewissens». Und er leitet daraus einen Dauerauftrag an die nächsten Generationen ab: Den Frieden in Europa zu bewahren.

«Wenn wir von der Zukunft Europas reden, so ist es vor allem das Europa Ihrer Generation», sagt er an die Adresse der rund 450 Rekruten, die an jenem Ort geloben, Deutschlands Freiheit tapfer zu verteidigen, wo von Stauffenberg und seine Mitverschwörer vor 63 Jahren erschossen wurden. «Es ist Ihr Jahrhundert. Es ist nicht mein Jahrhundert», betont der Altkanzler, der gesundheitlich angeschlagen wirkt.

Das Zusammenleben in Frieden und Freiheit in Europa sei für ihn das, wofür die Männer und Frauen des 20. Juli starben. Und: «Ihr Schicksal bleibt uns Mahnung.»

Auch der letzte Überlebende des engeren Verschwörerkreises um von Stauffenberg, Philipp Freiherr von Boeselager, richtet große Hoffnung auf das politische Engagement der Jugend. Nach dem Krieg habe sich zunächst niemand für den Widerstand gegen Hitler interessiert, sagte der 89-Jährige der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». «Erst jetzt mit der Enkelgeneration, da ist das anders, die interessiert das, und plötzlich ... ist der Widerstand wieder aktuell.»

Ein ganz anderer Prominenter als Kohl weckte nach Einschätzung eines Bundeswehr-Offiziers gerade bei jungen Menschen Interesse an dieser Zeit der Geschichte, auch wenn er keinen Einlass in den Bendlerblock bekam: der US-Schauspieler Tom Cruise. Der bekennende Scientologe spielt in einem Film über das gescheiterte Attentat von Stauffenberg, erhielt aber keine Drehgenehmigung für den Bendlerblock. Das habe nichts mit der Glaubensausrichtung von Schauspielern zu tun, argumentierte die Bundesregierung. Sondern damit, dass die Würde des Ortes verletzt würde, wenn er zu einer «simplen Kulisse» umgewandelt würde.
(Kristina Dunz, dpa)

 

 

 

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