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Elser, Nachträge zur Biographie

Nachtrag Nr. 26

Erwin Haasis: Predigt am 12. November 1939 nach Elsers Anschlag (Nachlass im Besitz von Hellmut G. Haasis)

Was die Geistlichen aller Konfessionen nach Elsers Anschlag am nächsten Sonntag predigten, gehört zu den Grauzonen der Überlieferung. Wenige Meldungen in Kirchenblättern zeigen noch nicht, mit welchen Antworten die Pfarrer das Attentat verarbeiteten, für sich und die anderen Ratlosen.

Auf einen Glücksfall stieß ich im Nachlass meines Vaters Erwin Haasis, damals 2. evangelischer Stadtpfarrer in Mühlacker/Enz, Kreis Vaihingen/Enz. Er hatte, wie eine Minderheit seiner Kollegen in Württemberg, um das Jahr 1936 den Treueid auf den Schreihals von Braunau verweigert.

Aus theologischen Gründen, ihr oberster Herr sei Gott, nicht der Reichskanzler. Aber immerhin rechnete mein Vater ab jetzt damit, entlassen zu werden, wie es in anderen Landeskirchen auch geschah.

Am Sonntag nach Elsers Anschlag, am 12. November 1939, hielt mein Vater eine Predigt zur Kirchweih. Erstaunlich ausführlich setzte er sich mit den Angriffen auf die Kirche auseinander.

“Man bekämpft die Kirche mit allen Mitteln der Gewalt, der Propaganda, des Schlechtmachens, der Ausschaltung aus der Öffentlichkeit. Das geht durch unsere ganze Zeit hindurch: der Mensch braucht die Kirche nicht mehr, er schafft sie ab, er macht sie überflüssig.“ Das war noch lange nicht das, was die Nachgeborenen rasch mit dem Gütesiegel „antifaschistisch“ bekleben, aber es war doch dagegen und zwar öffentlich, vor lauter wankelmütigen, ängstlichen, neugierigen oder auch denunziatorischen Zuhörern. Einer redet zum stummen Rest.

Danach spricht mein Vater von der Ohnmacht der Kirche, ihrer Einflusslosigkeit. Was jetzt über die Kirche hereinbreche, sei vielleicht von Gott aus gesehen „kein so schreckliches Unglück“.

Und er tröstet sich und die Zuhörer mit der künfigen „Herrlichkeit der Kirche. Sie beruht auf der Vereinigung der Gläubigen mit ihrem Herrn. Sie umspannt Himmel und Erde, Vergangenheit, Gegenwart u. Zukunft bis hinein zur letzten Offenbarung Christi am Ende der Tage. Sie erzählt nicht bloß von der leidenden u. kämpfenden, sondern auch von der jubilierenden u. triumphierenden Kirche. „Die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwinden.“ Schon zu der Apostel Zeiten haben die sonst oft unübersteigbaren Schranken der Völker, der Rassen und Sprachen ihrem Siegeszug nicht standhalten können.“

- Das passte zum nazistischen Rassismus, den mein Vater für den schwächsten Punkt des Nazismus hielt, wie er in einer Beurteilung des Parteiprogramms notierte. Diese Bemerkung hat meine Mutter mit anderem vernichtet, als ich mir mal eine kritische Position gegen den toten Vater erlaubte. Dazu später ausführlicher. -

Erwin Haasis weiter: Es komme nicht auf die äußere Form an, das „Sterben der russischen Cristenheit“ führe nicht zum Tod, „sondern zur Neubelebung durch Gottes Geist.“ Jeder solle sich nicht fragen, was andere tun, sondern er solle selber etwas nur „im Namen Jesu“ tun. Dann sei Jesus mitten unter der Gemeinde. Dann sei die Kirche unüberwindlich, „denn ihr Herr hat alle Feinde überwunden und zuletzt auch den Tod.“

Mein Vater kommt zum Schluss –da steht plötzlich Elsers Anschlag im Raum, im Kirchenraum, auf der Kanzel, alle sind gespannt, was sagt der Haasis dazu, der immer wieder aktuelle politische Ereignisse und Zustände aufgriff:

„Kirchweih, Vereinsfest, etwas Überständiges, Veraltetes? Nein Freudentag, dass Gott einen Ort der Liebe u. Versöhnung gestiftet hat in der Welt des Kampfes. Erschrocken über das Attentat. Neben dem Dank, dass Gott das Leben unseres Führers erhalten hat durch ein Wunder, steht die Ahnung, wie tief sich in diese Welt der Hass eingefressen hat, dass es zu so etwas hat kommen können.
Ist die Kirche veraltet, unnötig? Sie ist nötiger als je, so nötig wie das liebe Brot, Amen.“

Womöglich können wir in diesem Text eine geläufige Antwort des deutschnationalen lutherischen Staatskirchentums in Württemberg auf Elsers Attentat sehen. Ich nehme an, in dieser Position konnten die verschiedenen Flügel innerhalb der württembergischen Kirche zusammenkommen, ausgenommen die Kirchliche Bruderschaft, eine erklärte Oppositionsgruppe.

(Januar 2008)


 

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