Elser, Nachträge zur Biographie
Nachtrag Nr. 29
Felix Huby/ Dieter de Lazzer: Georg Elser – Allein gegen Hitler
U Melchingen 28.2.08
Regie: Christoph Biermeier
Über die Dörfer, tief in der tiefsten schwäbischen Provinz, im Niemandsland zwischen Kuhstall und gepflegten Biohöfen, liegt in Melchingen das Linden-hof-Theater. Eine Art ländlicher Kulturwallfahrtsort, eine knappe Stunde von dem wissenschaftslastigen Tübingen entfernt. Grobe Holzbänke in der Scheu-ne, eine Ansammlung von Wirtshaustischen auf dem Bühnenpodest – doch statt Volksmusik: Tango
1.O-Ton
nervöse, verhuschte, kunstvoll verquetschte Harmonikaklänge. Dazu windschief zappelig die Verrenkungen der Figuren, die immer wieder zu Gruppenbildern erstarren.
2. O- Ton
Kein pralles Volkstheater im Lindenhof. Das Stück um Georg Elser, den wort-kargen, erfolglosen Hitler-Attentäter von der schwäbischen Alb, den obsessi-ven Bombenbastler und Zündertüftler ist eher der Stoff, aus dem die ländli-chen Albträume sein könnten. Statt nostalgischer Märtyrerverehrung nun also schriller Todestango und ein Ballett aus Stammtisch, Verhör, Folter und Komplott-Szenen, die flashartig aufeinander knallen, zerfallen, ausgeblendet werden, in anderer Formation neu entstehen. Das baut einen Rhythmus auf, aus dem es kein Entkommen geben soll. Ein Sound und Sog der Körperspra-chen, der die Figuren wie Schlafwandler der Geschichte erscheinen lassen will: schleichende Lemuren, Widergänger und befehlswütige Doppelgänger Hitlers. Des Hitlers, der in uns allen lauert.
3. O-Ton
Und genau in dieser Doppelgängerschaft, die in ihrer Zuspitzung auf einen virtuellen Paarlauf Hitler/Elser mündet, liegt auch das Problem dieser Thea-terarbeit, die vorwiegend in surrealen Abgründen stochert. Eine Auseinan-dersetzung mit der politischen Motivation dieses „ungebildeten“ Widerständ-lers, der bereits 1939 spürte, „daß ein Einzelner ein ganzes Volk in den Krieg und ins Unglück führt“, ist bestenfalls angedeutet. Allzu entschlossen komisch wird auf die Dauer der „Ein-bißchen-Hitler-in-uns-allen“-Gestus mit falschen Bärtchen, Chorgebelfer und Hitlergruß als Winkstaffel, mal forsch, mal ver—druckst.
4. O-Ton
Und dann ist da noch dieses fragwürdige Schlußduett, das die Elser-Figur mit sich selber spielt: Hitler als Double Elsers, Elser als Double Hitlers. Beide ob-sessiv, beide Verfolgungs-Wahn-gesteuerte Einzeltäter. Der eine als Pathe-tiker, der andere trocken. Prosa pur. Hier greift der nüchterne Dialekt.
5. O-Ton
So verführerisch diese Idee den theatralisch effektsicheren Autoren Felix Huby und Dieter de Lazzer erschienen sein mag – letztlich führt sie auf die falsche Spur. Die klare Sicht auf die Dinge geht im Bühnennebel verloren: Es gibt keinen Bruder Hitler. Der furztrockene Elser war nicht alter ego, sondern politischer Antipode des Herrn aus Braunau. Daran krankt die Aufführung. Elser kann im Reigen von soviel Nazikarikaturen kein Profil gewinnen. Und trotz fallsüchtiger Todesstarreposen, morbiden Tangoverrenkungen, trotz Rauch und weißer Schminke – ein wirkliches Gefühl für das Bedrohliche unter dem Klamauk, für Spitzelei und Lebensgefahr will sich an diesem Abend nicht einstellen. Allenfalls Bewunderung für die offenbar an Marthaler geschulte gestylte Professionalität der Lindenhof-Truppe.
6. O-Ton
Cornelie Ueding
Gesendet im Deutschlandfunk 1. März 2008.