Georg Elser
Oder
Die Verwurstung des fähigsten Hitlergegners
von Hellmut G. Haasis
Beinahe wäre am 8. November 1939 unser lange allseits geliebter Strolch Adolf abrupt aus der Politik verschwunden. Der schwäbische Schreiner Georg Elser hatte nach drei Monaten fleißiger und unauffälliger und gar ehrenamtlicher Nachtarbeit im Münchner Bürgerbräukeller die Säule hinter Hitlers Rednerpult mit zehn Kilo Dynamit präpariert. Die beiden eingebauten Schwarzwalduhren gingen exakt, um 21.20 Uhr lösten sie die Explosion aus, aber Hitler befand sich schon auf dem Weg zum Hauptbahnhof.
Warum? Das neblige Herbstwetter erlaubte für den nächsten Morgen keinen Flug nach Berlin, deshalb musste Dreiliter, wie listige Widerspenstige seinen Namen variierten, nachts mit seinem Sonderzug zurückreisen. Ziel: den sofortigen Einmarsch in Frankreich vorbereiten.
Nur aus diesem Grund verließ er 13 Minuten den Biersaal vor dem Donnerschlag. Elser, der seinen genialen Apparat bis zu 144 Stunden vorher einstellen konnte, war schon an der Schweizer Grenze in Konstanz. Völlig erschöpft versäumte er, den gewählten Grenzübergang zu kontrollieren. So ging er in eine frische Falle der Grenzpolizei und wurde in die bayerische Gestapozentrale nach München eingeliefert.
NIEMÖLLER HAT IMMER RECHT
Nach Folterungen durch Himmler legte Elser ein Geständnis ab, um nicht erschlagen zu werden. Ein Jahr lang wurde er im Reichssicherheitshauptamt Berlin gequält, dann ins KZ Sachsenhausen verlegt und im Februar 1945 nach Dachau. Dort erschoss ihn am 9. April 1945 der SS-Oberscharführer Theodor Bongartz.
Die nach dem Krieg Geborenen wundern sich immer wieder, warum man so wenig und so spät von Elser hörte. Als Elsers wirkungsvollster Gegner wirkte Pfarrer Niemöller, der drei Jahrzehnte lang bis zu seinem Tod predigte, Elser sei SA-Mann und SS-Unterscharführer gewesen und habe das Attentat vermutlich auf Anweisung von Heydrich und Himmler, vielleicht gar im Auftrag von Hitler durchgeführt. Beweise blieb er schuldig, der Konfrontation mit Elsers Verwandten wich er aus.
Diese Linie krönte der Historiker Hans Rothfels in seinem Standardwerk zum 20. Juli mit Erfindungen und Abwertungen. Rothfels’ schlechte Meinung von Elser bekam in der angloamerikanischen Geschichtsschreibung Heiligenstatus. Nach dem Gesetz der Historiker, dass unfehlbar stimmen muss, was viele Kollegen nachplappern, kam die Kampagne gegen Elser aus dem Ausland als unbezweifelbare Wahrheit zurück.
DER HEILIGE GEORG
Seitdem Elser in der Berliner Gedenkstätte deutscher Widerstand 1995 eine Sonderausstellung bekam und Helmut Kohl im Fernsehen ein paar Sätze dazu abließ, geriet Elser kurz in den Sog der Heiligsprechung. Schließlich ist in der Geld- und Mediengesellschaft sankrosankt und als Sinngeber anerkannt, wer im Fernsehen abgefeiert ist. Für den Heiligsprechungsakt genügen 20 Sekunden.
Man darf sich nicht wundern, dass bei einer solchen verordneten Anerkennung Elsers Persönlichkeit und Motive auf der Strecke bleiben. Das geschieht mit Absicht. Weggehobelt wird, was sich nicht zur Befriedung und Einschläferung und Verdummung, zur Unterhaltung und zum Aufbau eines unkritischen Stolzes verwenden lässt.
Bei der Rezeption von Elsers Beweggründen wurden seine Antriebskräfte verkürzt. Eine gesellschaftliche Zensur, durchaus nicht selten, aber wenig reflektiert. Elser hatte trotz Folterungen, Schlafentzug und ständiger Bedrohung durch bewaffnete Gestapoleute im Verhör erklärt:
“Ich stellte allein Betrachtungen an, wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden könnte.” (Haasis S. 173)
Das soziale Motiv steht an erster Stelle. Heute ist, auch nach meiner Biografie, mit Hängen und Würgen der Kriegsgegner Elser akzeptiert, der Kämpfer für soziale Verbesserungen der Arbeiter bleibt unter den Teppich gekehrt.
Elsers Anschlag stellt für die Bewusstseins-Ingenieure ein Ärgernis dar, sobald man die halblebigen und peinlich späten Aktivitäten der 20. Juli-Verschwörer zum Vergleich heranzieht.
Das tat ich 2002 auf einem Stuttgarter Symposium. Ein Zitat aus der Biografie beschloss mein Referat. Während Elsers Uhren tickten, habe der militärische Widerstand nichts getan.
“Hitler selbst rechnete grundsätzlich mit einem Aufruhr oder einem Attentat. Vor seinen führenden Militärs hatte er dagegen nicht viel Respekt, er hatte oft genug erlebt, wie schnell sie einknickten, wenn er sie anschrie. ... Die hohen deutschen Militärs, die es nicht wagten, Hitler zu beseitigen, opferten dann ohne Skrupel ganze Divisionen.”
Was bei allen Rezensenten durchgegangen war, verstieß in der vom Stuttgarter Haus der Geschichte durchgeführten Veranstaltung gegen den staatlich kontrollierten Konsens. Der Leiter Dr. Schnabel, eine führende Kraft im Wissenschaftsministerium, stieg stracks gegen mich in die Bütt: Diese Aufwertung Elsers unter gleichzeitiger Herabwürdigung der Leute um Stauffenberg dürfe man nicht durchlassen. Großer Beifall. Ich staunte, niemand steht gerne so alleine, ein wenig am Pranger.
Eine weitere Entschärfung Elsers unternahm am 9. März 2004 die staatliche Geschichtsmanufaktur Knopp: der 20. Juli im ZDF. Dank der Nachbarschaft höher gestellter Personen, die Hitler zu beseitigen suchten, geriet Elser bedenklich nahe an bessere Kreise. Wie wollte die Firma Knopp den strengen Geruch eines linken, ausgesprochen roten Hitlerfeindes neutralisieren? Durch eine kontraproduktive Auswahl der Zeitzeugen und durch die Kritiklosigkeit der anderen Versuche, die sich sträflich spät an Hitler herangewagt hatten.
Zur Bewertung von Elsers Leben und Tat wählte Knopp renommierte Gesichter, die nach langer Verwendung in solchen Produktionen für jedes Thema brauchbar sind: Hildegard Hamm-Brücher und Ralph Giordano. Beide haben zu Elser nichts oder nichts Eigenständiges publiziert, eine quellengestützte Erforschung des Themas kann bei solchen aufgepumpten “Zeitzeugen” sowieso nicht erwartet werden.
Knopp präsentiert gerne auch Nachfahren verstorbener Zeitzeugen, Zeugen also nur nach dem Familiennamen.
Ein herrlicher Gummibegriff des historischen Zeugen. Hier muss man von gezielter Fälschung reden. Solcher Unfug kann Schule machen. Bald treten Enkel auf und schwafeln, wie wenn sie vor 100 Jahren irgendwo dabei gewesen wären.
Der “einfache Schreiner”, wie inzwischen fast alle sagen, verschwindet am Ende bei Knopp. Er wird nachts irgendwo umgebracht. Nix genaues braucht man nicht zu wissen. Der SS-Mann, der Elser tötet, hat keinen Namen, obwohl man ihn seit fünf Jahren in meiner Biografie finden kann. Der Mörder hat kein Gesicht, obwohl ich mehrere Fotos von ihm auftrieb und eines publizierte.
Dieser Herr, der SS-Oberscharführer Theodor Bongartz aus Krefeld, hat einen schön geschriebenen Lebenslauf hinterlassen, der ihn als ganz normalen Hauptschüler ausweist, mit guter Schrift und anständigem Beruf: Stuckateur, mit Meisterprüfung.
EXTREMER ANGRIFF AUS CHEMNITZ
Elsers Verwertung für ein stromlinienförmiges Geschichtsbild stehen noch immer Lebenslauf, Tat und Gesinnung im Weg. Diese Schwierigkeiten nützte ein tendenzieller Rechtsextremist wie der Chemnitzer Lothar Fritze zu einer grundsätzlichen Attacke auf Elser. Zeitgleich mit dem Erscheinen meiner Biografie veröffentlichte er in der Frankfurter Rundschau (9. November 1999) seine Antrittsvorlesung. Der “Moralphilosoph”, wie er sich nennt, griff ohne ausreichende Kenntnis der Quellen und der Biografie Elser brachial an.
Mein Misstrauen gegen die hochnäsigen, superpatriotischen und leise tretenden Herren des 20. Juli fand dabei eine hübsche Bestätigung. In der Frankfurter Rundschau hatte eine bemerkenswerte Redakteurin Fritzes Artikel durchgesetzt und mein Alternativangebot im Papierkorb versenkt: Jutta Roitsch, Enkelin des unseligen Carl Goerdelers, der im Fall eines Sieges über Hitler eine Monarchie und sozial-arrogante, autoritäre Herrschaft installiert hätte. Was für eine unheilvolle Familienkontinuität.
Mit seiner Elser-Verdammung gelang es Fritze, das Dresdener Hanna-Ahrendt-Institut zu spalten und an den Rand des Absturzes zu drängen. Gestützt auf unwissende, sensationsgierige Moderatoren heizte Fritze einen “neuen Historikerkrieg” an, der eine Weile die Gazetten und Talkshows ernährte.
Fritzes Courage verflüchtigte sich, als er sich dem Biografen Elsers stellen sollte. Von da an war von Fritze nichts mehr zu hören. Zum Bedauern der Unterhaltungsbranche.
Was proklamierte Fritze? Seinem verschrobenen Akademikergefasel Sinn abzuringen, erfordert viel Einfühlung in eine weltfremdes Hirngespinst. Im Wesentlichen bleibt der Vorwurf, dass Elser für seine Begründung, er wolle den Krieg verhindern, keine “Beurteilungskompetenz” besaß.
Klartext: Fritze hält Elser für deppet und ungebildet, kein Wunder mit nur sieben Jahren Volksschulbesuch.
Man kann in diesem Geist ergänzen. Elser fehlte alles, was man in Deutschland von einer anständigen Geschichtsgröße erwarten darf: Abitur, Studium, Doktortitel, blaues Blut, militärischer Rang und bedeutende, saubere Verwandtschaft – und ein schönes Erbe im Rücken.
Für Darmstädter Studenten zog ich die Folgerung:
“Am schlimmsten sind die Konsequenzen, die Fritzes Argumentation hat. Fritze wendet für den Extremfall eines Attentats im “Dritten Reich” moralphilosophische Kategorien an, die so niemand auf der Welt nachvollziehen kann..... Ausdrücklich hat Fritze betont, ein solches Attentat dürfe man nur dann durchführen, wenn diejenigen, die mitgefährdet sein könnten, zumindest hinterher dieses Attentat akzeptieren könnten. Elser hätte sich, nachdem Hitler den Bürgerbräukeller vorzeitig verlassen hatte, todesmutig hineinstürzen und die anwesenden Nazis vor der bevorstehenden Explosion warnen sollen. Hier zeigt sich, dass Fritze keine Ahnung von den tatsächlichen Gegebenheiten hat. Der Saal war durch dreifache schwer bewachte Sperren für jeden unzugänglich, der nicht zu den ‘Alten Kämpfern’ gehörte.” (zoon politikon, Zeitschrift des AstA der TU Darmstadt, Sommersemester 2000, S. 27/28)
Der Unglücksrabe Lothar Fritze ist Honeckers letzte Rache. Nach 1990 publizierte er Arbeiten, in denen er die DDR-Dissidenten als moralisch unqualifiziert beurteilte. Sein Wunsch war die Rechtfertigung der Mitläufer. Auch gegen Hitler war nach ihm der Widerstand moralisch nicht legitim, weil Personen, die eventuell unabsichtlich Schaden erleiden konnten, vorher nicht gefragt worden waren.
Damit schoss Fritze weit über das Biedenkopf-Milieu hinaus und verärgerte selbst seine Gönner. Auch der 20. Juli ist nach Fritzes Grundsätzen moralisch nicht zu rechtfertigen.
Meine Folgerung : “Fritze liefert die ‘wissenschaftliche’ Rechtfertigung für die Mitläufer aller Regime. Dies wird seinen Karriereaussichten sicher nicht schaden.”
Ein wunderliches Schachspiel
Knopps ZDF-Film über Elser (10. 3. 2004) setzte den ersten größeren Verwurstungsversuch in Gang. Genau neun Tage später schreckte der Münchner Marketingberater Peter Wittmann die örtliche Presse mit der “Entdeckung” auf, er besitze ein von Georg Elser im KZ geschnitztes Schachspiel.
Vor Jahren hätte niemand etwas gegeben auf irgendein Erinnerungsstück des angeblichen Sonderlings und SS-Mannes. Nun aber, mit dem Weihwasser des Fernsehens gesegnet, kroch als erste die Münchener AZ auf den Leim: “59 Jahre schlummerte das Schmuckstück im Verborgenen.” (AZ 19. 3. 2004, Artikel von Marie-Christine Piller).
Das Märchen: “Der Münchner Hitler-Attentäter schnitzte sie (die Schachfiguren) während seiner Haft im KZ Sachsenhausen und Dachau von 1939 bis 1945.” Angeblich hatte ein polnischer Arzt 1944 in Dachau Elser medizinisch versorgt.
Unsinn: Elser kam erst im Februar 1945 nach Dachau. In Sachsenhausen wurde Elser erst im November 1940 eingeliefert. – Elser sei lungenkrank gewesen. – Falsch – Der Pole habe ihn mit Medikamenten und abgezweigten Lebensmitteln gerettet. – Quatsch: Elser erhielt auf Hitlers Befehl das beste Essen, aus der Kommandantenküche und in doppelter Ration. Er war völlig isoliert, niemand durfte zu ihm und er nicht zu anderen, dafür garantierten drei SS-Wachen, die bei Ungehorsam sofort denunziert und liquidiert worden wären. Hitler hielt Elser für seinen gefährlichsten Gegner.
Dieser polnische Arzt soll Wittmanns Vater gewesen und 1950 in einem polnischen Gefängnis gestorben sein. Elser habe ihm in Dachau aus Dankbarkeit das Schachspiel geschenkt. Der heutige Besitzer beruft sich darauf, seine Mutter habe ihm die Herkunft des Schachspiels so erzählt. Wittmanns naiv: Warum sollen meine Eltern mich belogen haben?
Besser wäre die Frage: Warum verkohlt uns der heutige Besitzer? Ganz einfach: Er will 30.000 Euro.
Hurra! Endlich ist der tatkräftigste deutsche Widerstand im Herzen des Kapitalismus angekommen. Auf dem Niveau der Geldspekulanten. Was zählt, ist Geld, nur Geld, etwas anderes gibt es nicht. Wenn nur Wittmanns Legenden glaubwürdiger wären. Es rächt sich, wenn man sich nicht informieren will, man wird schnell bei Lügen ertappt.
Wittmann fühlte sich genötigt, sein Fantasie auf die Figuren anzuwenden. Einer der Bauern des Schachspiels habe “einen völlig anderen Gesichtsausdruck als die übrigen Figuren, fast scheint er zu weinen.” Was steckt dahinter? Wittmann fantasiert: “Elser fertigte ihn (diesen weinenden Bauern), als er am 20. Juli 1944 vom Scheitern des Stauffenberg-Attentats auf Hitler hörte.”
Zwei Tage nach dem Unsinnsartikel in der AZ mischte sich ein Kommunalpolitiker ein. Für die “Grüne Stadtratsfraktion und rosa Liste” stellte Siegfried Benker den Antrag, die Stadt möge “das historische Schachspiel Georg Elsers für das Stadtmuseum erwerben”.
Frei von jeder Kenntnis behauptete Benker, das Schachspiel sei “ein herausragendes Dokument der Zeitgeschichte”. Das Kulturreferat möge die Echtheit prüfen. Aber eigentlich weiß der Grüne schon alles: Das Schachspiel sei “zumindest zum Teil – von Georg Elser während seines Aufenhalts im KZ Dachau geschnitzt” worden.
Dem betrügerischen Anschlag auf die Münchner Stadtkasse widersetzte sich Hella Schlumberger aus der Türkenstraße. Dem Chef des Stadtmuseums Dr. Wolfgang Till gab sie neun Gründe an die Hand, warum dieses Schachspiel nicht von Elser stammen könne. Damit war eigentlich alles gesagt.
Aber nun wollte auch das bayerische Fernsehen dabei sein. Jahrzehntelang hatten die Münchner Fernsehjournalisten bei Widerstandskämpfern, natürlich auch bei Elser, durch Schweigen geglänzt. Wahrscheinlich hätte man sich in der Programmdirektion genauso interessiert gezeigt, wenn eine Unterhose Elsers aufgetaucht wäre.
In München schaut aus jeder Skurrilität Karl Valentin heraus. Das gehört zum schönsten Zug der Stadt, nur hat es mit der politischen Geschichte und mit dem Widerstand gegen Dreiliter nichts zu tun.
Die bayerische Fernsehsendung (3. 4. 2004) wurde dem Schwindelbruder Wittmann zum Verhängnis. Die Vermutung von Hella Schlumberger, Wittmann sei erst durch Knopps Sendung auf die Idee gekommen, Elser als Besitzer zu erfinden, bestätigte Wittmann selbst:
“Ich wusste, dass es einer der Attentäter von Hitler war, aber das ist irgendwo alles so im Hinterkopf verschwunden. Und erst, als die Dokumentationen jetzt in letzter Zeit gesendet wurden, über die Attentate auf Hitler, war eben auch ein Bericht über Georg Elser. Und auf Grund dieses Berichtes hab’ ich mich erinnert: Mensch, du hast ja noch die Schachfiguren, die wurden von ihm (Elser) eigentlich geschnitzt.”
Nach der Sendung erwachte jäh die Süddeutsche Zeitung, die nun vor einem “Rätsel” stand (7. 4. 2004, Christoph Lungwitz). Dr. Till schaute sich die Figuren an und trompete hinaus, er habe keinen Zweifel, “dass das Schachspiel mit dem KZ Dachau in Zusammenhang steht”.
Wie wenn es in Dachau eine so leistungsfähige Schnitzerwerkstatt gegeben hätte.
Erfrischend dagegen die Leiterin der KZ Gedenkstätte Dachau Barbara Distel. Sie hält die ganze Geschichte “für einen ausgemachten Schwindel”. Und Hella Schlumberger kann nur staunen, wie Leute reihenweise auf das Märchen hereingefallen sind.
Es scheint einen Bedarf an simplen Erfindungen zu geben. Je belangloser und hirnrissiger, desto willkommener.
Da können ja noch allerhand Trittbrettfahrer auf uns zukommen, Kujaus geistige Erben. Vielleicht taucht bald der Schulranzen von Stauffenberg auf? Oder die Zange, mit der er die Bombe für Hitler scharf machte?
Und wie wäre es mit Goebbels letzten Hausschuhen? Und Görings letztem Kondom?
Jeder Schwachsinn kann zur Unterhaltung dienen. Die Verblödung im Kulturbetrieb rächt sich an ihren Produzenten, die jedes Unterscheidungsvermögen verloren haben. In diesem Sinn erklärte ich der TZ (6. 4. 2004) bloß: “Das ist ein Witz.”
Nichts braucht mehr wahr zu sein, zwischen Fälschung und Wahrheit gibt es nur die eine Differenz: der Geldwert. Wenn eine Fälschung mehr Geld bringt, ist eben die wahr, mehr als der ursprüngliche, richtige Tatbestand.
Zu Beurteilung des Schwindels hätte es gereicht, wenn man Elsers Biografie gelesen hätte. Elser war nie Schachspieler, warum sollte er ein Spiel schnitzen? Er hatte in seiner Zelle nur Bretterholz, kein Schnitzholz. Er besaß keine Drehbank, um die Stücke vorzufertigen, sondern eine Hobelbank. Ihm fehlte Schnitzwerkzeug. Bei der Verlegung nach Dachau wurde ihm alles abgenommen, selbst das Bild seiner Verlobten. Und so weiter.
Es gibt auch äußere Gründe gegen die Zuschreibung. Das Spiel hat kunsthandwerkliches Niveau. Es stammt aus einer Profiwerkstatt, gefertigt nach einem Typus, der nach dem 1870er Krieg modern wurde. Mein Tipp: eine Südtiroler Werkstatt im Grödnertal. Die besten Spiele kann man sich im Heimatmuseum von St. Ulrich ansehen.
Genug. Elser kann nicht verwurstet werden – oder noch nicht? Seine Klarsicht, seine unbeirrbare Konsequenz, sein Bruch mit dem nationalen Dünkel des Volkes werden ihn vor einer Verwurstung im Unterhaltungsbetrieb bewahren. Hoffentlich.
Konstruktive Kritik
Nebenher lebt eine erfreulichere, eine politisch produktive, aufklärerische Variante der Elser-Vergegenwärtigung. Auf meine Biografie hin erhielt ich eine konstruktive Kritik, die Elsers Überlieferung verbessert. Nach einer Lesung kam der Besitzer eines Tagebuchs auf mich zu. Er übergab mir, was sein Vater 1940 in Konstanz von dem Grenzpolizisten Rieger, der Elser festnahm, erfahren hatte.
Ein andermal bekam ich Kontakt zu einem Zeitzeugen, der zeitgleich mit Elser im Reichssicherheitshauptamt inhaftiert war. Ein anderer schickte mir die alten Aussagen einer Gestapo-Sekretärin, die 1939 Elsers Verhör mitgeschrieben hatte.
Der Höhepunkt dieser kollektiven Weiterarbeit. Ein Fachmann von Wismar trieb mir die Erklärung aus, Elsers Kopfschmerzen im August 1939 seien psychosomatisch gewesen, Folgen seiner Grübeleien und Unsicherheiten.
Elser sammelte den Industriesprengstoff Donarit 3 und schlief gleich neben ihm, kannte aber nicht die gesundheitsschädlichen Ausdünstungen, unter denen er dann litt.
Mein Kritiker versteht mehr von der Sache als ich. Denn sein Gutachten, mit Kopien aus der Fachliteratur seines Berufes belegt, unterschrieb er mit der Ehrfurcht gebietenden Berufsbezeichnung: “Sprengmeister”.
Haasis, Hellmut G.: “Den Hitler jag’ ich in die Luft”. Der Attentäter Georg Elser. Eine Biographie. Rowohlt 3. Aufl. 2001.
(unverändert, erstmals erschienen in: schwarzer faden, Nr. 77, 24. Jg., Sommer 2004, S. 34-37)