GEORG ELSER EIN LIBERTÄRER SOZIALIST
(erschienen in: NEUES DEUTSCHLAND, 9. November 2009. Die Fragen stellte der Berliner Journalist Lothar Eberhardt. Von Haasis hinterher leicht korrigiert)
F
Herr Haasis, Ihre Biographie zu Georg Elser haben Sie zum 70. Jahrestag des Attentatversuches (8. November 1939 um 21:20) völlig überarbeitet. Was ist neu?
A
Zuerst mal das Sichere, das inzwischen niemand mehr bezweifelt. Nach einem Jahr gründlicher Vorbereitung verfehlte Georg Elser Hitler nur um 13 Minuten. Elser, damals einer der hellsten Deutschen, hatte früher als andere erkannt, dass Hitler einen Weltkrieg vom Zaun brechen will. Wie viele Deutsche hatte er grausige Erinnerungen an den ersten Weltkrieg: Hunger, Tote, Krüppel, die Not seiner Familie. Das alles wollte er nicht noch einmal erleben.
F
Ist Elser nicht schon gut erforscht?
A
Das Buch bringt einen neuen Ansatz und antwortet auf eine zehnjährige Debatte, nach meiner ersten Version von 1999. Es gab immer wieder Versuche, Elser seine Tat madig zu machen. Darauf hatte ich zu antworten. Allgemein anerkannt ist inzwischen, dass er das Attentat alleine unternahm und damit den Weltkrieg verhindern wollte. Das Stigma des „einfachen Schreiners“ habe ich widerlegt mit vielen neuen Quellen. Wichtig sind vor allem die Aussagen seiner Geschwister, sie bezeugen den Bruder als einen intelligenten Bastler, Erfinder und Tüftler. So wuchsen mir die bisherigen 280 Seiten auf 400 Seiten heran: ein total neues Buch. Es gibt viele neue Kapitel, auch wurde der Aufbau umgestellt. Elser ist ein schon lange vor 1933 absolut entschiedener Hitlergegner, der nicht umkippt. Ein autonomer Mensch ohne militärische Funktion, ohne einen hohen gesellschaftlichen Rang, ohne blaues Blut. Das alles gilt bei den Deutschen bis heute eher als ein Manko.
F
Aber jetzt ist Elser lückenlos erforscht?
Etliches ist noch unbekannt und wird es bleiben. Wir müssen uns damit abfinden, dass der zweibändige Schlussbericht der Kripo nicht mehr gefunden wird. Er ging gedruckt an alle Gestapoleitstellen, ist dort aber am Kriegsende vernichtet worden. Aber was ich Neues gefunden habe, reicht, um Elser viel besser als bisher aus seinem Inneren heraus zu verstehen. Der absolute Gegentyp zu den damaligen NS-Tätern und –Mitläufern.
F
War Elser organisiert? Wie sehen Sie als Empanzipationshistoriker die Traditionslinien, in denen Elser z.B. zu alten Freiheitsbestrebungen steht?
Er war Holzarbeiter, Schreiner. Und Schreiner sind aus Tradition staatskritisch, links, sozialistisch, bis in die Gegenwart. In diesem Milieu hat Elser in Konstanz ein sozialistisches Bewusstsein entwickelt, wohnte in einer WG mit linken Holzarbeitern, las Münzenbergs „Arbeiterillustrierte“ und wanderte mit den Naturfreunden. Er war nicht der Typ Proletarier, wie man ihn aus den Großstädten und Industriezentren kennt. Er war ein genossenschaftlich denkender, hoch motivierter, selbst verantwortlicher Handwerker. Mitglied der KPD war er nicht, wohl aber im Rotfrontkämpferbund, freilich als Karteileiche. Er war äußerst hilfsbereit. Seinen Schlag gegen Hitler verstand er als selbstverständliche Hilfeleistung für Millionen, damit diese nicht ermordet werden. Bevor er 1932 arbeitslos wurde, hatte er im Genossenschaftsgeist mit Freunden eine Uhrenfabrik aufgebaut. - Elser sticht durch seine technischen Fähigkeiten hervor, die selbst Kripo und Gestapo stark beeindruckten. Unter allen Versuchen, Hitler zu beseitigen, steht Elsers Unternehmen einmalig dar: mit der Größe, der Materialbeschaffung, dem Sprengapparat und der Handlungsweise, aus dem Volk heraus unentdeckbar zu handeln. Elser scheiterte nur an der nicht vorhersehbaren früheren Abreise Hitlers. Sonst wäre Hitler mit seinem Führungskorps ein Fall für den Friedhof gewesen. Der Weltkrieg wäre zu verhindern gewesen. Die dritte Garde wäre nicht fähig gewesen, diesen Zweifrontenkrieg durchzupeitschen. Die Katastrophe Shoa, Krankenermordung und Blutbad in Europa wäre nicht gekommen.
F
Woraus hat Georg Elser sein Kraft geschöpft, das Attentat ganz alleine durchzuziehen?
Rückschläge wegzustecken, hatte er in der Kindheit gelernt. Er war immer zäh und hatte in der zerstörten Familie, während der Hungerzeit und gegenüber dem Vater sich zu behaupten gelernt. Zu Hause musste er früh mitarbeiten im väterlichen Fuhrbetrieb und auf dem eigenen Ackerland. Hier hatte er gelernt, einem Diktator auszuweichen. Er war trainiert auf eine harte Einzelexistenz. Im Schreinerberuf lernte er, Pläne zu entwickeln und umzusetzen. Er war ein gewissenhafter Handwerker, der keine Schlamperei durchgehen ließ. Seinen Explosionsapparat hat er rein zeichnerisch entwickelt. Die Gestapo wollte lange nicht glauben, dass er alles alleine gemacht hatte. Elser brauchte dafür kein Ingenieurstudium, es war eine gewaltige autodidaktische Leistung.
F
Hatte er jemand in seine Pläne eingeweiht?
Er hat zuhause gelernt, dass man die entscheidenden Sachen für sich behält. Der Vater hat Georgs Arbeitskraft ausgenützt, das Geld versoffen. Die Mutter war eine bigotte pietistische Frau und hielt demütig den Rücken hin, wenn das Schicksal auf sie einschlug. Georg hat einen eigenen Weg gesucht, mit 22 Jahre zog er weg, an den Bodensee, dort erlebte er erstmals Freiheit. - Das letzte Mal traf er seine Mutter bei der Gestapo in Berlin. Beide haben, echt schwäbisch, während der Konfrontation unter den Augen der Gestapo kein Wort miteinander gesprochen. Beide haben sich nur mit Blicken verständigt.
F
Wie viele Hitlerattentate gab es?
Ernsthafte gab es kaum eine Handvoll. Historiker zählen gerne rund 45 auf – aber was für welche! Ich habe noch weit mehr gefunden, sie wurden nur nicht in den Kanon aufgenommen. So weiß ich von alten Kommunisten in Reutlingen, wo ich lebe, dass 1932 fünf von ihnen im Strassengraben lagen, als Hitler zu einer Kundgebung erwartet wurde. Aber fünf Karabiner haben keine Chance bei einem schnell fahrenden Auto, und Hitler wählte kurz vorher eine andere Route.
Neben Elser halte ich am meisten von Henning von Tresckow, Oberst im Generalstab der Herresgruppe Mitte an der Ostfront. Er hat es mehrmals versucht, lange vor Stauffenberg. - Elsers Attentat kam am nächsten an den Erfolg heran. Einen so schön zerdepperten Saal hat es nie mehr gegeben. Aber Elser wurde lange nicht ernst genommen, weil er kein hoher Militär war, kein Abitur hatte und keine adlige Verwandtschaft.
F
War ihm seine schwäbische Mentalität hinderlich?
Mitnichten, die war eher förderlich. Er drängte sich nirgends nach vorne, war schwäbisch-bescheiden. Deshalb war er der Gestapo als kommunistischer Wähler und Sympathisant unbekannt. Georg Elser war ein freiheitlicher libertärer Sozialist, ein freier Geist. Das war seine Chance in München. Er ließ sich durch die Nazis nicht provozieren. Er hat sich vor niemandem offenbart. Ein ruhiger, rationaler Handwerker, dem man diese Tat nie zutraute. Seine Legende als Attentäter war glänzend:
„Ich arbeite an einer Erfindung, und wenn die Erfindung funktioniert, melde ich sie auf dem Patentamt an. Und wenn es richtig geklappt hat, könnt ihr es am nächsten Tag in der Zeitung lesen.“ Eine bessere Tarnung konnte er nicht erfinden.
Dieser Elser wäre schon lange eines großen, seinen besonderen Charakter herausstellenden Denkmals wert.
Porträtzeichnung Georg Elser durch den Königsbronner Künstler Krause, 1930er Jahre