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GEORG ELSER

Erhard Jöst:
Johann Georg Elser - der deutsche Wilhelm Tell

(Rede bei der Elser-Feier 13. 04. 2008 in Heidenheim-Schnaitheim)

„Der Starke ist am mächtigsten allein.“ Jeder kennt diesen Ausspruch, den Friedrich
Schiller dem Wilhelm Tell in den Mund legt.

Gewiss: Eine äußerst problematische und umstrittene Aussage, eine fragwürdige und gefährliche Einstellung. Viele haben sie zu Unrecht für sich in Anspruch genommen, nicht aber Johann Georg Elser, der am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller ein Bomben-Attentat auf Adolf Hitler durchführte und auf dessen Anordnung am 9. April 1945 in Dachau von dem SS-Oberscharführer Theodor Heinrich Bongartz ermordet wurde.

Elser war ein Einzeltäter ähnlich wie Schillers Tell. Dieser antwortet auf Stauffachers Aussage, „Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden“, mit: „Ein jeder zählt nur sicher auf sich selbst.“ Der enttäuschte Stauffacher hakt nach: „So kann das Vaterland auf Euch nicht zählen, / wenn es verzweiflungsvoll zur Notwehr greift?“ Und Tell, ihm die
Hand gebend, erläutert seine Haltung: „Der Tell holt ein verlornes Lamm vom
Abgrund, / Und sollte seinen Freunden sich entziehen? / Doch was ihr tut, laßt mich
aus eurem Rat, / Ich kann nicht lange prüfen oder wählen; / Bedürft ihr meiner zu
bestimmter Tat, / Dann ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen.“

Wilhelm Tell beteiligt sich nicht am Rütli-Schwur, er tötet den Landvogt Geßler ohne
Absprache als Einzeltäter und avanciert dadurch zum allseits anerkannten Retter des
Landes.

Auch Johann Georg Elser beteiligte sich an keiner Verschwörung, sondern bastelte allein und ohne Absprache die Bombe, mit der er Deutschland von dem Diktator befreien wollte. Wie wir wissen, fehlten nur wenige Minuten, und der Welt wäre vielleicht die Fortführung des fürchterlichen Weltkriegs, wahrscheinlich aber ein barbarischer Völkermord erspart geblieben.

Elsers Bombenanschlag auf Adolf Hitler irritierte die Deutschen, wie aus
zeitgenössischen Berichten hervorgeht. Es wird auch deutlich, wie uneins sie waren
und in welchem Maße selbst Antifaschisten sich von dem deutschen Geist der Nazis
die Sinne hatten vernebeln lassen.

„Das Attentat war eine größere Überraschung als der Russenpakt. Die Aufregung war
geradezu ungeheuer. Die wildesten Gerüchte kursierten. Hitler sei selbst getötet
worden, es sei gar nicht wahr, dass er bereits wieder in Berlin sei. Heß sei auch tot,
Göring sei verschont geblieben, weil er nicht in München gewesen sei. Er habe sicher
vorher gewusst, dass etwas losgehen sollte. Das Attentat sei von der Göringclique
angestiftet worden. Es sei von den Militärs gemacht worden und viele andere Dinge
mehr.

Es gab fast keinen Menschen, der nicht irgendwie von der Sache aufs tiefste aufgewühlt worden wäre. Wesentlich haben dazu die ausländischen Sender beigetragen, die vor allem in diesen Tagen sehr viel gehört wurden, insbesondere die
englischen Sender.

Schalmeienkapelle Schwäbisch Hall

 

Schließlich setzte sich aber auch in diesem Falle die amtliche Propaganda wieder
durch. Einige Tage nach dem Attentat war die Meinung ziemlich verbreitet, dass das
Attentat tatsächlich von den Engländern gemacht worden sei. Die amtliche deutsche
Propaganda hatte dabei umso leichteres Spiel, als sonst niemand imstande war, eine
auch nur annähernd plausible Erklärung für das Attentat zu finden.“

Die zitierte Beschreibung der „allgemeinen Situation in Deutschland“, in Berlin
geschrieben und abgeschlossen am 2. Dezember 1939, stammt aus den
Deutschlandberichten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die im Auftrag
des Exilvorstands der Partei herausgegeben wurden.

Der Bericht spiegelt die große Irritation wider, die Elsers Attentat ausgelöst hatte. Man rätselte, wer hinter dem Anschlag auf das Leben des Diktators steckte. Was konnten sich die Genossen nicht alles vorstellen, zumal die Nazis mit großem propagandistischem Aufwand ihre Mutmaßungen verbreiteten: Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppierungen innerhalb der NSDAP, die Engländer als Drahtzieher, ja es wurde sogar erwogen, dass das Militär hinter dem Attentat stecke.

Später kamen, von Hitler selbst ersonnen, noch weitere Gerüchte und Vermutungen hinzu: Der damals in der Schweiz lebende Otto Strasser könnte es gewesen sein oder Kommunisten oder Nazi-Gegner aus dem polnischen Untergrund. Dass ein Arbeiter als Einzeltäter die Bombe gebastelt und zum Einsatz gebracht hatte, wollte die Gestapo lange Zeit nicht glauben.

Man traute dem „einfachen Mann“ den logistischen Aufwand und den Bau eines raffinierten Zeitzünders nicht zu. Und als die Nazis die Wahrheit wussten, brachten sie diese bewusst nicht in die Öffentlichkeit.

Hellmut G. Haasis hat ausführlich geschildert, wie Elser in der Nacht vom 13. zum 14. November 1939 die Tat gestand:

„Im ganzen Verfahren dürfte sein größter Triumph gewesen sein, dass er die Kripo und selbst die Gestapo von seiner Alleintäterschaft überzeugen konnte. In diesem Regime, das in jedem Individuum nur eine von außen gelenkte Marionette sah, eine
außergewöhnliche Leistung.“

Auch die weiteren Berichte der SPD vom November 1939 schilderten die
Verwirrung, die das Attentat ausgelöst hatte.

„Als die Kunde vom Münchener Attentat kam,“ heißt es in einem zweiten Bericht aus Berlin, „ war es für den kleinen Mann nicht ganz einfach, sich zurechtzufinden. Es hagelte ein Regen von Gerüchten, Mutmaßungen, Verdächtigungen auf ihn herab, an die er bisher nicht im Entferntesten gedacht hatte. Secret Service, Staatsfeinde, ja, gab es denn so etwas überhaupt noch im Dritten Reich? Und wenn der Engländer hier Bomben wirft, wie kommt er durch die Ketten der übermächtigen deutschen politischen Polizei? Was sind Staatsfeinde im geeinten Reich? (...) Andererseits sagt man sich: Ein solcher Anschlag kann doch nie alle „Führer“ auf einmal treffen und schon deshalb ist er sinnlos. Er hätte im günstigsten Fall als Folge lediglich eine innere Verwirrung und der Nutznießer wäre der Feind, der Krieg wäre verloren und das Elend wäre noch viel größer als nach Versailles; alle Anstrengungen seit 1933 wären nutzlos gewesen. So kann man nur mit Staunen feststellen, ganz gleich wer die Bombe warf, den Erfolg ernten dieNazis.“

Eine verhängnisvolle und falsche Einschätzung der Situation, die zudem Einblicke in die fatale Denkweise des sozialdemokratischen Berichterstatters gewährt. Denn aus seinen Ausführungen geht der Wunsch hervor, dass Nazi-Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewinnen soll. Er bedenkt nicht, dass dadurch die Herrschaft der Nazis gefestigt worden wäre. Elsers zentrales Handlungsmotiv war aber gerade, den Krieg zu verhindern bzw. umgehend zu beenden.

Die Uneinigkeit und die grob falschen Einschätzungen, die man aus manchem Bericht herauslesen kann, rechtfertigen Elsers Handlungsweise. Denn man kann sich vorstellen, dass das Attentat bereits in der Vorbereitung gescheitert wäre, wenn er seinen Plan nicht für sich behalten und wenn er nicht als Einzeltäter gehandelt hätte.

Peter-Paul Zahl verdeutlicht die Uneinigkeit, die unter den Mitgliedern der verbotenen SPD, der KPD und in der arbeitenden Bevölkerung herrschte, in seinem „deutschen Drama Johann Georg Elser“. In einer Szene lässt er den Dreher Rudolf sagen:

„Siehst, sechs Mann sind wir hier, und sechs Meinungen haben wir. Das ist
doch nicht gesund. Da hat ein starker Mann kommen müssen, ein richtiger Führer,
hab' ich mir gedacht, einer, der für Ruhe und Ordnung sorgt und die Arbeitslosen
wegmacht...“.

Berichte der SPD aus Rheinland-Westfalen zeigen einen weitaus besseren politischen
Weitblick als der aus Berlin.

„Je länger das Geraune geht, umso weniger Licht kommt für das Volk in diese Angelegenheit. Nur wenige glauben wirklich an die Ergebnisse der amtlichen Untersuchung. Manche sagen sogar: „Zwanzig Minuten zu spät.“ Aber
natürlich nur im allervertrautesten Kreise.“

Aus einem Bergbaubetrieb wurde berichtet: „Das Münchener Attentat hat ungeheuere Aufregung verursacht. In den ersten Tagen gab es eine wahre Sturmflut von Gerüchten und es wurde heftig debattiert. Viele wollten in dem Attentat den Anfang von Hitlers Ende sehen und alle wurden schon recht frech und offen. Da erfolgten, zwei Tage nach dem Anschlag, vielen Verhaftungen, zunächst von Juden, dann von politischen Gegnern des Systems. Sofort wurde es wieder stiller und die Leute wurden ängstlich.“

Der letzte Bericht lässt die Auswirkungen vermuten, die ein erfolgreiches Attentat
hätte haben können: Wahrscheinlich wären noch mehr Menschen „frech und offen“
geworden. Hellmut G. Haasis hat in seiner Elser-Biografie „Den Hitler jag' ich in die
Luft“ ja einige Dokumente veröffentlicht, die belegen, dass „auf viele Oppositionelle
und Widerstandskämpfer (...) das Attentat wie ein Fanal“ wirkte.

Vielleicht hätte man im Jahr 1939 tatsächlich eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte noch aufhalten können. Zwar hatte Hitler bereits im Januar dieses Jahres für den Fall eines Krieges die „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ angedroht, aber die Vernichtungsmaschinerie war noch nicht angelaufen, die perfide Wannsee-Konferenz mit dem Beschluss der „Endlösung der Judenfrage“ kam erst drei Jahre später zustande.

Dass die fürchterlichen Mordaktionen dann in Gang gebracht wurden und dass sich nach neuesten Schätzungen mindestens 200 000 Deutsche und Österreicher daran beteiligten, beschäftigt bis heute die Wissenschaftler. Auf die Frage, ob „Einzelne, die sich verweigern, das Gemetzel (hätten) aufhalten“ können, antwortete die Genozid-Forscherin Birthe Kundrus in einem SPIEGEL-Interview:

„Die gesamte Aktion ist durch Einzelne kaum aufzuhalten, wenn sie erst mal in Gang gekommen ist.“ Denn dann setzt sie ungeheure Mordgelüste frei: „Alles eine Frage der
Perspektive. Wenn die Welt aus den Fugen ist, wird Perversion zur Normalität“, wie
der SPIEGEL dazu feststellte (Nr. 11/2008).

Das heißt aber im Umkehrschluss, dass man die Aktion gar nicht in Gang kommen lassen darf. Also erscheint Elsers Handlungsansatz als gerechtfertigt.

In Schillers Schauspiel „Wilhelm Tell“ hält Stauffacher eine bewegende Rede, auf die
sich auch Elser hätte berufen können:

„Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht, / Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, / Wenn unerträglich wird die Last – greift er / Hinauf getrosten Mutes in den Himmel / Und holt herunter seine ew'gen Rechte, / Die droben hangen unveräußerlich / Und unzerbrechlich, wie die Sterne selbst- / Der alte Urstand der Natur kehrt wieder, / Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht - / Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr / Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben - / der Güter höchstes dürfen wir verteid'gen / Gegen Gewalt – Wir stehn vor unser Land, / Wir stehn vor unsre Weiber, unsre Kinder!“

Erhard Joest am Rednerpult

 

Lässt man das Pathos weg, dann lautet die Quintessenz der Verse: Wenn ein Tyrann
die Menschenrechte außer Kraft setzt, dann ist Widerstand gegen ihn erlaubt, ja sogar
geboten.

Diese Auffassung hat sicherlich auch Elser vertreten. Ein „einfacher Arbeiter“ hatte erkannt, worauf Hitlers Menschen verachtende Ideologie hinauslaufen würde, und er hatte allein den konsequenten und richtigen Entschluss gefasst, mit der Durchführung eines Attentats auf den Diktator Krieg, Zerstörung und Völkermord zu verhindern. Dennoch bleibt es ein moralisches Problem, wenn ein Mordanschlag ohne die rechtfertigende Einbindung in eine Gruppe durchgeführt und der Tod von Unbeteiligten in Kauf genommen wird.

Auch Friedrich Schiller war sich der Brisanz durchaus bewusst, die sein Schauspiel „Wilhelm Tell“ enthielt, indem es den politischen Mord feiert. Er hat dem Attentäter Tell klare Aussagen in den Mund gelegt, um von vorne herein Missverständnissen und Fehlinterpretationen entgegenzutreten.

Bevor Wilhelm Tell den Landvogt Geßler ermordet, legt er Rechenschaft ab. Zwar lauert er auf „des Feindes Leben“, aber nur, um die „holde Unschuld“ der „lieben Kinder“ zu verteidigen, um sie zu schützen vor der Rache des Tyrannen.“ Und um auszuschließen, dass sich jeder beliebige Attentäter auf Tell als Vorbild berufen kann, führt Schiller eine Begegnung zwischen seinem Titelhelden und Johannes Parricida herbei, der den Kaiser, seinen Onkel, ermordet hat, weil dieser ihm sein Erbe verweigerte.

Dem Kaisermörder, der sich mit ihm auf eine Stufe stellen möchte, hält Tell entgegen: „Unglücklicher! / Darfst du der Ehrsucht blut'ge Schuld vermengen / Mit der gerechten Notwehr eines Vaters? / Hast du der Kinder liebes Haupt verteidigt? / Des Herdes Heiligtum beschützt? Das Schrecklichste, / Das Letzte von den Deinen abgewehrt? / - Zum Himmel heb' ich meine reinen Hände, / Verfluche dich und deine Tat – Gerächt / Hab' ich die heilige Natur, die du / Geschändet – Nichts teil' ich mit dir – Gemordet / Hast du, ich hab' mein Teuerstes verteidigt.“

In Grenz- und Entscheidungssituationen stellt sich immer wieder aus Neue die Frage
nach der moralischen Rechtfertigung eines Tyrannenmordes. In dem 1949
uraufgeführten Stück „Les Justes“ von Albert Camus stehen russische Revolutionäre
vor einem Dilemma: Sie haben die Chance, den tyrannischen Großfürsten mit Bomben zu töten, allerdings müssten sie dabei auch den Tod seiner beiden kleinen Neffen in Kauf nehmen, die sich ebenfalls in seiner Kutsche befinden.

Der Revolutionär, der den Auftrag durchführen soll, bringt es nicht übers Herz, Kinder zu töten. Er muss sich von einem Komplizen deshalb heftige Vorwürfe anhören. Weil er die Neffen des Großfürsten nicht getötet hat, würden „noch jahrelang tausende russische Kinder Hungers sterben.“ Bei der Befreiung vom Despotismus und der Schaffung eines „Lands der Freiheit“, in dem „der von seinen Unterdrückern und seinen Vorurteilen befreite Mensch“ in Frieden leben dürfte,, würde „der Tod zweier Kinder nicht ins Gewicht fallen“. Darf man also Unschuldige, darf man Kinder auf dem Altar der Revolution opfern? Vor dieser Frage ist offenbar selbst Friedrich Schiller zurück geschreckt: Bei ihm kann Tell den Tyrannen töten, ohne dass andere Personen in Mitleidenschaft gezogen werden.

Elser musste sich als Mann der Tat dieser Frage stellen. Er entschied sich zur
Durchführung des Attentats und war bereit, sein Gewissen zu belasten.

Elsers Weg zur Anerkennung war lang und ist noch längst nicht abgeschlossen. Das liegt daran, dass sein Anschlag „zwei Schutthaufen“ hinterließ, wie Hellmut G. Haasis
konstatiert: „den ersten im Bürgerbräukeller, den zweiten in den Köpfen der Deutschen. Der geistige Trümmerberg konnte erst in den letzten dreißig Jahren allmählich abgetragen werden.“

Haasis verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die offizielle Geschichtsschreibung, die Elser lange Zeit ignoriert, schließlich nur widerwillig und stiefmütterlich erfasst hat, bei der Rezeption seiner Beweggründe gerade das von ihm ins Feld geführte soziale Motiv völlig ausgeblendet hat.

„Heute ist“, so Haasis, „mit Hängen und Würgen der Kriegsgegner Elser akzeptiert, der
Kämpfer für soziale Verbesserungen der Arbeiter bleibt unter den Teppich gekehrt.“

„In dem Geständnis, das er einige Tage nach seiner Verhaftung ablegte,“ schreibt Claus Christian Malzahn in SPIEGEL.Online, „beklagte (Elser) unter anderem, dass die Arbeiterschaft im NS-Staat „unter einem gewissen Zwang“ stehe.

„Der Arbeiter kann zum Beispiel seinen Arbeitsplatz nicht mehr wechseln, wie er will, er ist heute durch die HJ nicht mehr Herr seiner Kinder und auch in religiöser Hinsicht kann er sich nicht mehr so frei betätigen.“ Elser forderte Freizügigkeit sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit; lauter Werte, die später vom Grundgesetz garantiert werden sollten. Elsers Kritik am Nationalsozialismus war vielleicht rhetorisch nicht geschliffen, aber sie war eindeutig: Die Herrschaft der NSDAP greift in völlig unakzeptabler Weise in das Leben der Menschen ein. Also muss man sich wehren.“

Malzahn spekuliert: „Wenn der Welt am Vorabend des 9. November 1939 in
München nicht 13 Minuten verloren gegangen wären, hätte es eine ganze Reihe
anderer deutscher Daten gar nicht gegeben. Auch der Mauerfall wäre ausgefallen. Die
Mauer wäre nie gebaut worden. Die 13 Minuten des 8. November 1939 waren die
teuersten in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Sie haben die Menschheit in nicht
einmal sechs Jahren, zwischen 1939 und 1945, über 50 Millionen Leben gekostet.
Mindestens 5,6 Millionen Juden wurden in Europa von den Nazis ermordet. Für die
Deutschen bedeuteten diese 13 Minuten am Ende: Flucht, Vertreibung – und
Teilung.“

Malzahn resümiert: „Wäre Hitler am 8. November nur ein paar Minuten länger im
Bürgerbräukeller geblieben – Johann Georg Elser wäre heute womöglich ein
Nationalheld.“

Aber was spricht eigentlich dagegen, bei dem Nationalhelden aus dem Konjunktiv einen Indikativ zu machen? Die Vorarbeiten dazu, Johann Georg Elser zum deutschen Wilhelm Tell zu stilisieren, sind bereits gemacht, nicht zuletzt bemüht sich der Heidenheimer Georg-Elser-Arbeitskreis mit zahlreichen Arbeiten und Aktionen nachhaltig darum, das Andenken an dem couragierten Tischler zu pflegen, Gedenkorte zu errichten und ihm den gebührenden Platz in den Geschichtsbüchern zuzuweisen.

Einer in der taz vom 11.2.2008 veröffentlichten dpa-Meldung konnte man entnehmen, dass der Dramatiker Rolf Hochhuth fordert, Elser in Berlin auf dem Gelände der früheren Reichskanzlei ein Denkmal zu errichten. Bemerkenswert ist seine Begründung: Elser sei ein „wahrhaft großer Mann“ gewesen, der „nicht erst wie die Generalität handelte, als sie merkte, der 'Führer' bringt die Rote Armee auf ihre Rittergüter.“

Der polemische Seitenhieb auf die Militärs ist von der Sache her gesehen durchaus berechtigt. Es ist nun endlich auch an der Zeit, dass die Historiker, die bisher über den „einfachen Arbeiter“ Elser die Nase gerümpft und kritiklos und ausschließlich das Attentat der Gruppe um den Grafen Stauffenberg als heldenhafte Tat gefeiert haben, ihm Respekt und Anerkennung gewähren.

Elser-Gedenkstein Heidenheim-Schnaitheim

Wie man den Nachrichten entnehmen konnte, fand Hochhuths Initiative für ein Elser-Denkmal die notwendige politische Zustimmung und die Zusage der finanziellen Förderung von Seiten der Reemtsma-Stiftung. Jetzt kommt es nur noch darauf an, sich auf eine Konzeption und auf die Konkretisation zu einigen.

Elsers Attentat diente in der Vergangenheit bekanntlich mehrfach als Stoff für
Theaterstücke und Filme. Die neueste Bearbeitung hat Dieter de Lazzer in Zusammenarbeit mit Felix Huby vorgenommen. Ihr Volksstück „Allein gegen Hitler“
wurde am 28.2.2008 im Theater Lindenhof Melchingen uraufgeführt, seine Aufnahme ist umstritten.

Besonders heftig fiel der Verriss von Haasis aus: „So stellt sich Klein-Erna einen Widerstandskämpfer vor: unselbstständig, fremdbestimmt, geistig bescheiden, unorginell.“

Dabei hatte Huby offenbar durchaus die Absicht, Elsers schwäbischen Charakter zu erschließen, wie aus einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten hervorgeht:

„Elser war sehr kreativ im Gestalten der Bombe, die er im Münchner Bürgerbräu-Keller gezündet hat. Das ist schon sensationell, je mehr man sich damit beschäftigt, umso unglaublicher wirkt diese Geschichte. Und er hat sich auch immer wieder von der Gesellschaft abgesondert, war zugleich aber auch ein Entertainer, der zum Tanz aufgespielt hat. Das erwartet man bei dieser Person nicht.“

Organisationen, denen Elser angehörte wie beispielsweise die Naturfreunde, sind in
der Pflicht, die Erinnerung an den engagierten Demokraten zu pflegen, und ich freue
mich, dass sie dieser Verpflichtung nachgekommen sind und auch weiterhin
nachkommen.

An Johann Georg Elser wird vor allem auch durch den nach ihm benannten Preis für Zivilcourage erinnert, der seit dem Jahr 2001 vergeben wird. Denn man pflegt das Vermächtnis eines deutschen Demokraten und Kriegsgegners, der im Dritten Reich Widerstand geleistet hat, dadurch am besten, dass man in seinem Sinne weiter arbeitet. Wachsamkeit ist in allen Zeiten vonnöten. Und auch in einem demokratischen Staat gibt es viele Anlässe, bei denen die Bürgerinnen und Bürger Zivilcourage unter Beweis stellen können.

Beispielsweise gehörte in den achtziger Jahren viel Mut dazu, sich in der Friedensbewegung zu engagieren, die sich für den Abzug der Pershings aus Heilbronn und aus Mutlangen einsetzte. Wenn man sich engagierte, gar an Blockaden der Zufahrten zu den Stationierungsorten der Atomraketen beteiligte, riskierte man gravierende, zum Teil auch berufliche Nachteile.

Mit großem Zorn erinnere ich mich noch an die Schändlichkeiten, die Gerhard Mayer-Vorfelder verübte, der seinerzeit in Baden-Württemberg den Kultusminister spielen durfte. Er drohte sogar den Lehrern Disziplinarmaßnahmen an, die sich an Friedensdemonstrationen beteiligten, die so ausgesehen haben: Lehrer und Schüler bildeten auf dem Schulhof in der Großen Pause einen Kreis und gaben sich die Hände.

Gegenwärtig erscheint der Einsatz für die Friedenspolitik notwendiger denn je. Die
zahlreichen Militäreinsätze müssen beendet, der Krieg als Mittel der Politik muss
geächtet werden!

Kämpfen wir gemeinsam in Elsers Sinne gegen Sozialabbau, gegen die gewachsene
Kriegsbereitschaft und gegen die Beteiligung deutscher Soldaten an Kriegseinsätzen.

Und sorgen wir dafür, dass Johann Georg Elser als deutscher Freiheitskämpfer
vorbehaltlos anerkannt und mit einem Denkmal als deutscher Wilhelm Tell geehrt
wird.

Erhard Jöst (Heilbronn)


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