haasis:wortgeburten

Georg Elser schwäbisch

REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER 27. 6. 2007

Schwäbischer Aufrechter

Elser: I han emmr gwisst, der Kerle (Hitler) stirzt ganz Deitschland en da Ondergang. Gnau so isch komma. Guckat Se an da Hemml nauf. Jeda Nacht kommat Honderte von Flieger. Des älles han-i vrhendra wella. I han Pech gheed, ben vrdwitscht worra. Etzad muaß-e dafir zahla.

Der schwäbische Schreiner Georg Elser hätte im Jahre 1939 mit einem Attentat beinahe Adolf Hitler beseitigt und Deutschland so vor seiner Geschichte - vor dem Zweiten Weltkrieg und Millionen von Judenmorden - bewahrt.

Doch dem Schwaben fehlten 13 Minuten. Er wurde erwischt, verhört, gefoltert und schließlich per Kopfschuss im KZ in Dachau getötet.

Der Betzinger Autor und Verfasser der Elser-Biografie »Den Hitler jag' ich in die Luft«, Hellmut G. Haasis, erzählt nun in seinem Theaterstück »Georg Elser schwäbisch bei der Gestapo« die Details aus den Verhören nach der missglückten Tat und von Elsers Aufenthalt in den SS-Gefangenenlagern in Sachsenhausen und Dachau.

Dabei trifft das breite Schwäbisch EIsers auf das Bürokraten-Deutsch der Gestapo-Offiziere, was ja bereits ein Widerspruch in sich bedeutet und den Leser oder Zuhörer trotz der Tragik der Sache beim einen oder anderen Mal schmunzeln lässt.

Haasis übt Sozialkritik auf Schwäbisch, lässt den »Täter«, der zum »Opfer« wird, schwäbisch-ehrlich, einfach, in seiner Muttersprache und in breitestem Dialekt sein Vorgehen beschreiben und schafft so Nähe zum Täter und zu seiner Gesinnung, die allein darin bestand: den Mann, der den Untergang bringen wird, aus dem Weg zu räumen.

Bis zum Schluss ist Georg Elser von seiner Tat überzeugt und bereit gewesen, alle Konsequenzen zu tragen. (kay)

Hellmut G. Haasis: Georg Elser schwäbisch bei der Gestapo. Ein Stück in 20 Szenen. 56 Seiten, 12 Euro Freiheitsbaum Verlag Betzingen.

 

Georg Elser für das Theater
Hellmut G. Haasis: Georg Elser schwäbisch bei der Gestapo. Ein Stück mit 20 Szenen. Paris/Prag/Reutlingen: Freiheitsbaum 4. Aufl. 2010, 57 S.
von Uli Klemm (Ulm)
Hellmut G. Haasis zählt zu einer besonderen und seltenen Art der Kulturschaffenden. Als Schriftsteller, Regisseur, Schauspieler, Mundartdichter, Clown, Historiker, Biograf und Verleger ist er in der Tradition der radikalen Aufklärung ebenso verwurzelt wie in seiner Leidenschaft zur schwäbischen Heimat.

Belege dafür sind nicht nur seine Kulturpreise, wie z.B. der Thaddäus-Troll-Preis oder der Schubart-Preis der Stadt Aalen, sondern vor allem seine zahlreichen Publikationen.

1970 veröffentlichte er z.B. die vergessenen jakobinischen Revolutionsschriften des Kantschülers Johann Benjamin Erhard. In den 1980er Jahren folgten verschiedene Bände über deutsche Jakobiner und Freiheitsbewegungen in zwei Buchreihen, „Spuren der Besiegten“ (3 Bände) und „Gebt der Freiheit Flügel“ (2 Bände).

1994 und 1998 publizierte er zwei Bücher über den Juden Joseph Süß Oppenheim, und 1999 erschien seine bekannte Biografie über den Hitler-Attentäter Georg Elser, „Den Hitler jag‘ ich in die Luft“, die im Rowohlt Verlag in drei Auflagen erschien und 2009 in der Edition Nautilus in einer überarbeiteten Ausgabe.

Über das Attentat vom Mai 1942 auf den SS-Obergruppenführer, Chef des Sicherheitsdienstes SD, stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren und den Leiter der Wannsee-Konferenz, Reinhard Heydrich, schrieb er 2002 eine ebenfalls viel beachtete Biografie.

In diesem Publikationskontext ist auch seine Edition Freiheitsbaum im Theater (erschienen in seinem Verlag Freiheitsbaum in Reutlingen) eingebunden, in die Hörspiele, Dramen und Szenen veröffentlicht werden. Das Ziel dieser Edition ist es – laut einer Selbstbeschreibung – die „Freunde eines inhaltlich anspruchsvolleren schwäbischen Theaters“ ansprechen zu wollen. Es geht ihm dabei vor allem um eine Darstellung des „aufmüpfigen Geistes der Schwaben“ – typisch für Haasis.

In dem 10-Personen-Theaterstück in 20 Szenen, „Georg Elser schwäbisch bei der Gestapo“, dem ersten Text in dieser Reihe, geht es ausschließlich um die unmittelbare Zeit nach seiner Verhaftung und die tagelangen Verhöre und Folterungen durch die Gestapo. Die Sprache der Täter ist dabei hochdeutsch - die der Opfer schwäbisch.

In einer surrealistischen Schlussszene tauchen alle Personen nochmals in einer Post-Nazizeit zusammen mit Ministerpräsident Oettinger auf, der wirres Zeug über eine privatisierte Gedenkstätte für Widerstandskämpfer mit Döner-Bude, Go-Kart, Geisterbahn und Souvenirläden spricht:

„Die unerträgliche deutsche Geschichtslast kann nur bewältigt werden, wenn wir sie dem Konsum anpassen“ (S. 51).

Was Haasis hier dem ehemaligen Ministerpräsident Oettinger in den Mund legt, ist Fantasie bezogen auf die Person Oettingers – jedoch auch Fantasie bezogen auf die Gedenkstättenkultur der Zukunft?

Das Theaterstück ist prägnant, dicht und intensiv und auch lesbar, wenn man den schwäbischen Dialekt nicht beherrscht. Es zeigt die Stärke und Schwäche von Menschen in Diktaturen und verdeutlicht die gefährliche Gruppendynamik in geschlossenen Systemen.

Der mit historischen Fotos bebilderte Text ist der gelungene Versuch, den aus der moralischen Empörung und dem politischen Freiheitsbewusstsein erwachsenen Mut eines „kleinen Mannes aus dem Volk“ gegen Barbarei und Unvernunft dazustellen.

Der Text ist für die Bühne ebenso geeignet wie für den pädagogischen Einsatz in Schulen und in der außerschulischen Bildungsarbeit. Haasis sind 20 Szenen um Georg Elser gelungen, die Beachtung verdienen.

(Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg Ulm e. V. – KZ Gedenkstätte. Mitteilungen Heft 52/Juli 2010, S. 32)

Uli Klemm, promovierter Pädagoge, lange Leiter der Volkshochschule Ulm Außenstelle Langenau – wie haben wir uns kennengelernt? Wir schrieben beide gelegentlich im „Schwarzen Faden“ (Kripo und Landesverfassungsschutz zucken zusammen, aber nur noch historisch) und im Trotzdem-Verlag geschrieben.

Dann hat er mich zu Veranstaltungen, Auftritten usw. nach Langenau eingeladen. Von da an beobachtete er genau und amüsiert mein Werk. Vor einigen Wochen entdeckte er bei der digital-Druckerei Leibi (Neu-Ulm) mein schwäbisches Stück über Elser.

Ein Rezensionsexemplar liegt seit zwei Jahren bei der Südwestpresse Ulm im berghohen Stapel ungelesener Bücher des Mundart-Fachmannes Wolf-Henning Petershagen – und schnarcht vor sich hin. Besprochen werden dort nur Bücher, die aus dem engsten Kumpelkreis rübergeschoben werden: „absolutes Muss, echt spektakulär“.

Ähnlich liquidiert wurden dort meine Elser-Biografie „Den Hitler jag ich in die Luft“, Heydrichs Ende „Tod in Prag“, die Biografie von Joseph Süß Oppenheimer usw. Was nicht den Stallgeruch des Ulmer Kollegenkränzchens hat, wird im nächsten Antiquariat hinterm Münster gegen eine Rote Wurst eingetauscht.

So gehen überregional wichtige Werke von Nicht-Ulmer-Verlagen und –Autoren an dieser selbstzufriedenen Stadt an der oberen Donau vorbei. Im Schatten des Münsters lebt es sich überholt, alles Wichtige ist schon passiert, in früheren Jahrhunderten.

Vor einigen Jahren sattelte Uli Klemm um auf Geschäftsführer von Apotheken in Ulm, jetzt hat er wieder Luft bekommen und treibt seinen pädagogischen Verlag klemm+oehlschläger mehr um.

 

 

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