HAMBACHER FEST 1832
REBELLION IN HAMBACH
Vortrag in Bad Dürkheim im Großen Fass am 21. Mai 2007 auf einer Kreisversammlung der GRÜNEN
Von HELLMUT G. HAASIS
Roland Vogt (Bad Dürkheim) zum Dank und Gedächtnis
Die Pfalz hatte in der Zeit der Großen Französischen Revolution Glück im Unglück der Kriegszeiten: Sie bekam den Adel und den höheren Klerus los, die verschwanden einfach im Rechtsrheinischen, stoppten ihre Flucht vor den französischen Freiheitsheer erst hinter Ulm, viele erst in München.
Jahre später wurden sie enteignet. Das Volk durfte erstmals wählen. Wenn man genau hinsieht, waren es freilich nur die Männer und bald auch nur die besser Betuchten, die Steuern bezahlten. Der Besitz von Adel und Klerus wurde versteigert.
So entstand eine neue Schicht, die an der Aufrechterhaltung der Grundsätze von Freiheit und Gleichheit massives Interesse hatte. Revolutionär zu sein, diente dem eigenen Vorteil.
DAS GLÜCK DES REVOLUTIONÄREN ERBES
Die deutschen Staaten hätten nach Napoleons Sturz gerne das demokratisch umgestaltete linksrheinische Gebiet restauriert, Adel und Klerus zurückgebracht, mussten aber davon absehen, andernfalls wäre es zum Aufstand und zur wirtschaftlichen Katastrophe gekommen. Die verschuldeten alten Feudalstaaten schielten nach den finanzkräftigen ostfranzösischen Territorien.
- Festbankett eines liberalen Bürgervereins, Holzstich um 1840. - Zwischen diesen Herren, der neuen Aufsteigerschicht, und den einfachen Leuten, der Masse in einer Demokratie, liegt eine unüberwindliche Kluft.
Bayern musste den Pfälzern, als diese dem Königreich zugeschlagen wurden, Zähne knirschend mit einem Sonderstatus demokratische Sonderrechte garantieren.
Diese nannte man „die Institutionen“, an der Zahl acht: Freiheit und Sicherheit der Person, Gleichheit vor dem Gesetz, Gewerbefreiheit, Gewaltenteilung, öffentliches Gerichtsverfahren, Geschworenengerichte in Kriminalfällen, Trennung von Staat und Kirche und Sicherheit des Eigentums (Morgenröte S. 145f)
Die Pfälzer achteten misstrauisch darauf, dass an ihrem Sonderstatus auch nicht ein einziges Stück missachtet wurde. So befand sich die Pfalz in ständiger Verteidigungsstellung gegen das weit drüben im Osten liegende bayerische Königreich.
Darüber hinaus sprach sich nach der französischen Julirevolution von 1830 herum, dass die Pfalz vom zahlungsschwachen bayerischen Staat ausgeplündert wurde. Ein Regierungspräsident in Speyer hatte berechnet, dass ab 1816 über 20 Millionen Gulden – heute vielleicht Hunderte von Millionen Euro - nach Bayern flossen, ohne dass viel zurückkam – abgesehen von den unbeliebten bayerischen Gendarmen. Denn Polizei und Zoll befanden sich in den Händen der Bajuwaren, die man in der Pfalz als Besatzer empfand.
Das Klima verschlechterte sich, als die Bayern wieder ein erstes Kloster errichteten, wo doch alle Klöster seit der Revolution aufgehoben waren. Der für die Schulpolitik verantwortliche, beliebte Schulrat Butenschön war ein alter Freund demokratischer Grundsätze, im Straßburg der heißen Revolutionsfase ein kirtischer und doch gesinnungstreuer Jakobiner.
Dass er 1825 in Speyer durch einen Klerikalen ersetzt wurde, empfand die pfälzische Führungsschicht als Kriegserklärung an die laizistische, aufgeklärte, kirchenferne Kultur und Bildung.
Noch übler kam die Errichtung einer Zollmauer um die Pfalz an. Damit wurde der Weinexport empfindlich verteuert: An den Grenzen standen bayerische Zöllner, die wie alle bayerischen Beamten nichts vom pfälzischen und französischen Recht verstanden, ja des Französischen nicht einmal mächtig waren. Das schmälerte bei den Pfälzern die Liebe zu München.
Die Zollmauer warf den Pfälzer Weinhandel so darnieder, dass beim Demonstrationszug auf das Hambacher Schloss ein eigener Block mit Winzern mitzog und eine schwarze Protest- und Trauerfahne trug, mit der Aufschrift „Die Weinbauern müssen trauern.“
DIE PRESSEZENSUR SCHMECKT NICHT
Andererseits weckte die Julirevolution von 1830 in der Pfalz Hoffnungen und gute Erinnerungen. Die pfälzischen Landtagsabgeordneten in München verschärften ihren Oppositionskurs, voran ihr Sprecher, der Zweibrücker Rechtsanwalt Schüler, der aus einer revolutionären Bergzaberner Familie stammte. Die Opposition zwang die Regierung zur Entlassung des reaktionären Innenministers und strich dem König sein privates Budget zusammen.
- Friedrich Schüler, Zweibrücken, Anwalt, Landtagsabgeordneter drüben in Bayern, anerkannter Führer der demokratischen Opposition dort, 1848 in die Paulskirche gewählt, 1849 bis zum bitteren Ende im Stuttgarter Rumpfparlament, Mitglied der letzten Revolutionsregierung der sterbenden Republik
Als im Landtag danach keine weiteren Angriffe auf den König und seine Kolonialpolitik gelangen, gründeten die Pfälzer Abgeordneten 1832 in Zweibrücken den Press- und Vaterlandsverein, die erste politische Organisation seit den Jakobinerklubs der Revolutionsära.
Vor Jahren war auch für die Pfalz die verfassungswidrige Pressezensur eingeführt worden. Das hatte den Nerv des pfälzischen Demokratiebewusstseins getroffen. Das Pulverfass politischer Unzufriedenheit war bis oben hin gefüllt, es fehlte nur ein Funken.
- Zeitung nach erfolgreicher Zensur
Dafür sorgt der bayerische Regierungspräsident in Speyer Wrede, Sohn eines drüben in Bayern wartenden Generals, dessen sehnlichster Wunsch es war, den Spuk der Pfälzer Demokratie auszutreiben, an der Spitze einer Invasionsarmee.
Der Speyerer Regierungspräsident verbietet ein Verfassungsfest, das in Neustadt an der Weinstraße die Freunde der Pressefreiheit feiern wollen. Angeregt hat sie dazu der verfolgte Journalist Siebenpfeiffer, der ständig von der Polizei behindert wird.
Die Neustädter kuschen nicht und bestürmen die Regierung, die angesichts der rasant um sich greifenden Unruhe das politische Fest auf dem Hambacher Schloss genehmigen muss. Aber der bayerische Regierungspräsident in Speyer verbietet jeden Zuzug von auswärts – ein erneuter Schlag gegen die in der Pfalz selbstverständliche Freizügigkeit.
Typisch für das freiheitsgewohnte, selbstbewusste Land: An die Beschränkung hält sich niemand, im Land des florierenden Weinhandels ist man offen für jeden Fremden.
DAS FEST BEGINNT
Am Morgen des 27. Mai 1832 formiert sich ab 8 Uhr auf dem Neustädter Markplatz der Zug nach Hambach und zum Schloss hinauf. Schon am Tag zuvor sind Hunderte Auswärtiger gekommen, auf Fuhrwerken, mit Blumen bekränzt, man hört allenthalben Freiheitslieder.
Von den Kirchen läuten aus Freude und nicht aus altväterlichem Kirchenglauben die Glocken, auf den Bergen werden riesige Freudenfeier angezündet und sofern man hat, schießt man Geschütze ab. Ein Fest der Freude und der Hoffnung.
Im Neustädter Schießhaus treffen sich später die einflussreichsten Persönlichkeiten aus verschiedenen deutschen Ländern, darunter später führende Politiker der 1848er Revolution. Beim Hambacher Fest kommt bereits ein wenig die Frankfurter Paulskirche in Sicht.
Im Festzug geht vorne eine Bürgergarde mit Musik, danach ein Frauenblock mit der polnischen Fahne. Die Polen haben 1831 vergeblich um ihre Freiheit gekämpft, ihre Flüchtlinge werden unter den Demokraten als Brüder empfangen. In der Pfalz gibt es Frauenvereine, die für die Notleidenden sammeln. Im Festzug folgen eine Deutschlandfahne mit der Aufschrift „Deutschlands Wiedergeburt“, danach die Abgeordneten des pfälzischen Landrats, des Regionalparlaments, und Abordnungen aus vielen deutschen Ländern, darunter Rheinpreußen, Badener, Hessen, Württemberger, Franken usw. Anschließend Festbesucher von auswärts mit deutschen Fahnen schwarz-rot-gold.
- Hambacher Festzug 1832, kolorierter Stahlstich
Auf dem vier Kilometer langen Weg ins Dorf Hambach und das Schloss hinauf singt man ein Lied Siebenpfeiffers „Hinauf, Patrioten, zum Schloss, zum Schloss! Hoch flattern die deutschen Farben“.
Es klingt die nationale Revolution an: „Vor der Tyrannen Angesicht beugt länger der freie Deutsche sich nicht.“
Oben auf dem Berg sind stundenlang Reden zu hören. Sie werden ordentlich dokumentiert und immer wieder nachgedruckt. Tatsächlich können die meisten Zuhörer nichts davon verstehen, bei 20.000 Zuhörern ohne Lautsprecher ist das einfach nicht möglich.
Mittags wird die Zeit knapp, die zentrale Führung löst sich von selbst auf, verschiedene Redner sprechen an verschiedenen Orten des Berges. Das Fest ist flexibel.
Direkt um die Redner herum gibt es riesigen Beifall für die Kampfansage an die deutschen Fürsten, aber weiter weg wird aus dem Demokratenfest eher ein Weinfest.
Mittags steht ein Festessen auf den wenigen Tischen, ist aber nur für einzelne erschwinglich. Die meisten begnügen sich mit ihrer mitgebrachten Mahlzeit. Dem Wein sprechen alle zu, ohne dass es nennenswert Besoffene gibt.
- Kärtchen für das Mittagessen auf dem Fest, Preis 1 Gulden 45 Kreuzer. Für die allermeisten Besucher ein unerschwinglicher Superpreis. Die kommende Zweiklassengesellschaft lädt zu Tisch.
Zwischen den Feiernden schleichen Dutzende von politischen Spitzeln herum, schon damals. Deshalb ein Hoch auf die Spitzel!
Ihnen verdanken wir interessante Berichte, die besten. Ein Spion Metternichts aus Wien wird entlarvt und unter Spott den Berg hinuntergejagt.
Politische Spannungen kommen wohl zur Sprache, aber sie trüben die Heiterkeit des Tages nicht. Die einheimische Fraktion setzt auf die Kooperation mit dem ersten demokratischen Land Europas, mit Frankreich, während der Franke Wirth echt deutsch-national vor Frankreich warnt, was man ihm übelnimmt. Aus Straßburg kommen uniformierte Nationalgardisten, die freudig begrüßt werden. Überhaupt stimmt noch das Verhältnis zum Elsaß.
- Philipp Jakob Siebenpfeiffer, einer der populärsten Redner und Vorkämpfer für die Demokratie (aus Lahr/Südbaden)
- Johann Georg August Wirth, Franke aus Hof, beliebter Redner und politischer Autor, 1848 in die Paulskirche gewählt
RISSE IN DER EINHEIT
Am Ende der Kundgebung tritt als Sprecher einer radikaleren Fraktion der Frankenthaler Bürstenbinder Becker auf, der den bewaffneten Aufstand vorschlägt.
Ein verzweifelter Sonderweg, denn dafür stehen überhaupt keine informierten und geübten Massen bereit. Becker muss nach dem Fest wie so viele in die Emigration gehen, in die Schweiz. 1848 kommt er mit waffenfähigen Handwerksgesellen zurück, die sich in Baden für die demokratische Reichsverfassung schlagen. 1849 befehligt er in Baden als einziger Zivilist eine Division im Abwehrkampf gegen die preußische Invasionsarmee. Und gut, sagen selbst ausgebildete Generalstabsoffiziere.
Die führende Politikerschicht des Hambacher Festes forciert die Erweiterung des Press- und Vaterlandsvereins, dessen Zentrale sie nach Frankfurt verlegen will, weg vom Rand des Reiches in eine große Handelsstadt. Frankfurt war auch Sitz des Deutschen Bundes, des Herrschaftsinstruments der reaktionären deutschen Fürsten.
Eine geheime Sonderversammlung im Neustädter Schießhaus strebt die Bildung eines deutschen Nationalkomitees an, das an der deutschen Einigung arbeiten soll. Dem widerstrebt die Zweibrücker Gruppe um Schüler, die auf die Kooperation mit Frankreich setzt, wo in den nächsten Tagen die republikanische Opposition unter dem ergrauten Revolutionsgeneral Lafayette den König stürzen will.
- Schießhaus bei Neustadt, Versammlungsort der künftigen Führungspersonen
Wir sehen: Es gab viele verschiedene Sichtweisen für die nationale Einigung, die sich gegenseitig behinderten, nicht ergänzten.
Ganz gefehlt hat auf dem Hambacher Fest die sozialrevolutionäre Strömung, die Not der armen Leute. Diese verfügten nicht über genügend Geld, um das Fest zu besuchen, das Fahrgeld war unerschwinglich. Sie nahmen auf ihre Weise am politischen Aufschwung teil und zwar durchaus kreativ, geistvoll.
Noch vor dem Hambacher Fest wurden im März 1832 erste Freiheitsbäume gesetzt, das französische Erbe war nicht vergessen.
Anfangs setzten sich die alten Bürgermeister durch. Ein neuer Anlauf in Annweiler, wo 30 unzufriedene Bürger ihrem Bürgermeister aus Protest einen Freiheitsbaum vor sein Haus stellen. Der ruft gleich nach dem Militär.
Als zwei Kompanien Infanterie anrücken – wegen eines Baumes – finden sie die Stadt besetzt mit 3.000 bewaffneten Bürgern. Darunter erstaunlich viele Frauen, versehen mit Mistgabeln und Prügeln. Das Militär muss abziehen.
Im Annweiler Tal folgen bis Pirmasens neue Freiheitsbäume. In Homburg, damals zur Pfalz gehörig, schreitet das politische Bewusstsein weiter. Der erste Freiheitsbaum, ohne irgendwelche Zeichen, wird noch von der Obrigkeit umgelegt, der zweite trägt schon eine schwarze und eine rote Fahne.
Die vermögenden Bürger lassen sich beinahe verleiten, den Baum umzulegen, da werden sie von ärmeren Radikalen bedroht - und gehen leise nach Hause. In der Nacht zieht ein Demonstrationszug singend durch den Ort und lärmt vor den Häusern bekannter Reaktionäre.
1848 wird man das eine Katzenmusik nennen.
WILDE FREIHEITSBÄUME
Ungehorsam durchzieht das Land, allenthalben werden Freiheitsbäumen aufgerichtet, über 70 konnte ich bsher nachweisen. Bald verziert man sie mit den aktuellen Beschwerden, die Freiheitsbäume heißen nun zutreffender Beschwerdebäume.
Die erste Demokratie versucht, sich ein soziales Standbein zuzulegen. Es wird Jahrzehnte brauchen, bis dieses Standbein etwas fester wird. Heute erleben wir, wie es wieder wackelt, angeknabbert vom Weg zu einer neuen Zweiklassengesellschaft.
Die wilden Freiheitsbäume signalisieren: Die Freude über die materiellen Ergebnisse der Revolution hat sich inzwischen verbraucht. Eine neue Armut ist herangewachsen, von den demokratischen Honoratioren lange unter der Decke gehalten.
Im bayerischen Landtag drüben in München kommt sie nie zu Wort - kein einziges Mal. Bei den dortigen Lobeshymnen auf die demokratischen Errungenschaften in der Pfalz ist der Abgeordnete Adolay aus Speyer aufgefallen, unangenehm, er hat stets geschwiegen, wo doch sonst alle Pfälzer viel und laut reden, zum Ärger der Bayern.
Adolay sieht sich endlich gezwungen, sein Schweigen zu rechtfertigen. In einer kleinen Schrift, einem unbezahlbaren Juwel der deutschen Sozialbewegung, breitet er den Jammer der armen Leute mit dem formalistischen französischen Recht aus, wo der kleinste Streitwert das Vielfache an Gebühren zur Folge hat.
Adolay ist ein sehr gewissenhafter Abgeordneter, er arbeitet zuhause als Notar und zählt in Speyer zu den am höchsten Besteuerten.
Aber als Armenadvokat weiß er besser als die Vermögenden, wo die einfachen Leute der Schuh drückt. Er ist ein guter Abgeordneter, der nicht für den eigenen prallen Geldbeutel spricht, sondern für den schmalen der sozial Schwächeren. Schon immer ein seltener Fall. Der Adolay, er lebe hoch!!!
Die untergründig heranwachsende Unzufriedenheit hatte gleich nach der französischen Julirevolution im Revoluzzerstädtchen Bergzabern einen klassischen Niederschlag gefunden.
Eines Morgens im Oktober 1830 fand der Bürgermeister an seiner Haustür ein Manifest der neuen Unterströmung angeschlagen, überschrieben mit „Nachricht und Warnung“ (Morgenröte S. 183). Hier spricht nicht ein dequalifizierter Verlierer, sondern ein kluger Bürger, der aus dem politischen Alltag bei den Ämtern weiß, dass die kleinen Leute ständig eingemacht werden. Die Demokratie hat sich von den Schwächeren verabschiedet, woandershin.
„Wenn in Monatsfrist die Taxe des Gerichts und Steuerboten, Einnehmers, Forstbeamten, Richters, Gerichtsschreibers usw. nicht heruntergesetzt und sich nicht jeder Untertan vor seinem betreffenden Gericht (...) selbst verteidigen kann und endlich zu den Landständen (d. i. zum Landtag in München) aus mittlerer sowie der armen Klasse Bürger zugelassen werden, so werden unfehlbar Maßregeln ergriffen werden, die ganz Europa in Erstaunen setzen sollen.“ (Morgenröte S. 183)
SOZIALREVOLUTIONÄRE STRÖMUNG
Die Unzufriedenen werden sich mit der Faust wehren, so liest der Bürgermeister an seiner Haustür.
Dazu passt die sozialrevolutionäre Strömung neben und unter dem Hambacher Fest, die mit der nationalen Kundgebung und dem Streitobjekt Pressefreiheit nichts am Hut hat.
Schon in der Geburtsstunde der modernen Demokratie beginnt die Trennung zwischen Sozialbewegung und Nationalbewegung. Die den Ton angebenden Hambacher hatten an sozialen Fragen kein Interesse, sie orientierten sich an der demokratischen Amtselite, der es wirtschaftlich recht gut ging.
In Frankenthal und im rheinhessischen Worms erhoben sich die Hungernden wegen der hohen Lebensmittelpreise. Die Akteure waren von der „untersten Klasse“, wie die Zeugen sich ausdrückten, während mit den teuren Fuhrwerken nur die Vermögenderen nach Hambach gefahren waren.
Die Hambacher Protestbewegung fiel sichtbar auseinander. (Volksfest S. 111ff) In Frankenthal forderten die Taglöhner, künftig dürften angesichts des Mangels an Arbeit keine Auswärtigen mehr beschäftigt werden. Der Stadtrat gab dem Druck nach und halbierte per Verordnung den unerschwinglich hoch gestiegenen Brotpreis.
In Wollmesheim und Mörzheim verlangen Rebellen, sie wollten einen Freiheitsbaum im Wald schlagen und aufstellen. Es findet eine ungenehmigte Gemeindeversammlung statt. Anlass zur Unzufriedenheit gibt seit langem der Bürgermeister, gegen den ein Amtsverfahren läuft.
Mit dem Wind von Hambach im Rücken wird die Opposition mutiger und erklärt:
„Jetzt ist die Zeit, wo man sprechen darf. Heute ist Freiheit, heute kann jeder sagen, was er will. Wer eine Beschwerde hat, soll sie vorbringen. Wer will, dass der Feldschütz wegkomme, kann sich erklären. Wer einen andern Einnehmer will, kann es auch sagen usw.“ (Volksfest S. 126f)
Die Versammlung geht auf dem Rathaus weiter. Hier sorgt das Hambacher Fest für kritische Kräfte gegen einen undemokratisch gewordenen Amtsinhaber.
Schon immer lastet die Not stark auf Alsenborn - heute einem Ortsteil von Kaiserslautern. Auch dort liegt der Brotpreis viel zu hoch, die Gemeinde verabschiedet ein Programm für Notstandsarbeiter. Wer finanzielle Hilfe will, muss im Taglohn für die Gemeinde arbeiten (Volksfest S. 129).
- illegale Holzsammler aus Armut, vom Förster gestellt. Holzstich 1830er Jahre
Nach dem Hambacher Fest wird der Ton radikaler, eine alte Utopie der bäuerlichen Gesellschaft lebt wieder auf: Man solle den Wald für alle aufmachen und ihr Vieh zur Weide hineinlassen. Sie bräuchten überhaupt kein Forstamt mehr, keinen Förster und keinen Waldschützen, sie könnten mit dem Wald machen, was sie wollten, der gehöre ihnen.
Eine Jahrhunderte zurückreichende Erinnerung an den genossenschaftlichen Besitz der Wälder.
Die Sprecher der Armen beriefen sich auf Hambach, sie hätten dort gehört:
„Wo die Fahne der Freiheit weht, muss alle Schlechtigkeit der Fürsten verschwinden.“ (Volksfest S. 134)
Die Armen verstanden die proklamierte nationale Freiheit sozial. Im späteren Prozess von Landau offenbarten die Verteidiger der Hambacher Redner ihre ganze Überheblichkeit darin, dass sie die Alsenborner als die bekanntermaßen größten Waldfrevler der Pfalz abqualifizierten. - Armut war ein moralischer Defizit und peinlich, gerade recht zur Verspottung.
Die sozialrevolutionäre Unterströmung des Hambacher Festes verlor, sie wurde in der gesamtdeutschen Repression einfach zugeschüttet, durch die erzwungene Emigration in die Schweiz und nach Frankreich abgeschoben.
Bis heute spielt sie im Geschichtsbewusstsein keine Rolle. Das rächt sich an der Demokratie selbst, stärkt es doch die elitären Tendenzen.
So war es dann 1848/49, wo zwar Handwerker, Arbeiter, Tagelöhner und Bauern die Massen der Revolutionäre stellten, gipfelnd im badischen Freiheitskampf 1849 gegen Preußen – aber die Wortführung und die spätere Meinungsbildung lag damals wie heute bei den Gebildeten, den Amtsträgern und anderen wohlbetuchten Herrschaften.
GROSSER WURF ZUR NATIONALEN BEFREIUNG
An den größten Versuch in Sachen nationaler Befreiung wagte sich die Zweibrücker Gruppe um den Abgeordneten Schüler. Sie stand in enger Verbindung mit Lafayette und den Republikanern von Paris. Jeden Tag sollte es dort zu einer Erhebung kommen, um das Königtum zu stürzen.
Mit dem Wind der neuen Republik im Rücken hofften die Zweibrücker die Pfalz von Bayern zu befreien.
Wie weit die nationale Konzeption der Zweibrücker reichte, ist nie herausgekommen. Denn als am 5. Juni 1832 die Erhebung in Paris fehlschlug, flüchteten die führenden Zweibrücker, sie befürchteten Hausdurchsuchungen und Verhaftungen.
Als erfahrene Politiker hatten sie ein Gespür für die staatliche Repression. Alle ihre Papiere waren von verdächtigen Spuren gesäubert, als die Gendarmen in aller Herrgottsfrühe anklopften.
So wissen wir nichts Genaueres über die angestrebte gesamtdeutsche Erhebung, für einen Freistaat ohne Fürsten.
Im Hintergrund einer größeren europäischen Erhebung wartete eine in Frankreich exilierte Truppe kampferprobter Polen, die den Pfälzern beispringen sollte. – Ein wenig europäischer Geist, schon sehr früh, als davon noch niemand sprach.
Auch in diesem Punkt sieht das Hambacher Fest wie eine Generalprobe für 1848 aus, wo bewaffnete Arbeiterzuzüge, darunter Exilpolen, aus Paris, Besancon und der Schweiz eingriffen – leider immer viel zu schwach.
Wohl schon 1832 zielte ein anderer weit reichender Revolutionsplan darauf, dass Pfälzer Gemeinden mit einer großen Truppe nach Frankfurt marschieren und dort mit Hilfe hessischer Bauern den fürstlichen Bundestag sprengen, die Versammlung der Diplomaten aller deutschen Fürsten.
Im folgenden Jahr wurde ein unglücklicher Versuch unternommen, bekannt geworden als Frankfurter Wachensturm, bei dem 10 % der ermittelten Teilnehmer Pfälzer Studenten waren.
- Frankfurter Wachensturm 1833, verunglückte Erhebung gegen die Fürsten und ihren Bundestag
DIE REAKTION STEHT AUF
Die angegriffenen Staaten des Deutschen Bundes, voran Österreich und Preußen – darunter ein unseliger Herr Bismarck – waren glücklich, nun über die Pfälzer herfallen zu können - das Feigenblatt war ab.
Der Anführer der allmächtigen Reaktion, Fürst Metternich, erklärte die Hambacher Kundgebung nicht bloß für einen Skandal, sondern für ein Attentat (Volksfest S. 162).
- Der Denkerklub, aktuell gebliebene Utopie der Herrschenden aller Länder
Das Schlimmste war für ihn die Forderung nach einer deutschen Nationalversammlung. Wenn die deutschen Staaten nicht zuschlügen und die Hambacher Strömung vernichteten, würden sie bald selbst nicht mehr existieren.
So falsch lag der Herr in Wien nicht, aber es bedeutete eine Katastrophe für die deutsche Geschichte, dass es noch bis 1918, eigentlich bis 1949 dauern sollte, dass eine funktionsfähige Demokratie zustande kam.
Metternich, der Todfeind jeder demokratischen Mitwirkung, wurde aus lauter Angst zum Einbläser für die bayerische Regierungspolitik.
Er plädierte für die militärische Unterdrückung der demokratischen Provinz am Rhein, die in den Ausnahmezustand zu versetzen wäre, im Land solle ein Militärgouverneur herrschen. Was bedeutet hätte, alle Rechte der Pfälzer aufzuheben.
Die Folge: eine unbeschränkte Diktatur.
Dies war der Wunschtraum des nach Bayern geflüchteten pfälzischen Adels seit 40 Jahren, seit 1792.
Nach Metternich sollten Österreich und Preußen im Hintergrund ihre Truppen zur umfassenden Zerstörung demokratischer Ansätze bereit halten.
Wir sehen erneut: Das Hambacher Fest ist eine Vorschau der 48er Revolution, als preußische Armeen die süddeutschen Demokraten niederwarfen.
Mit Metternichs Anweisungen im Ohr beauftragte der bayerische König einen rachesüchtigen, gestürzten pfälzischen Adligen mit der Strafexpedition, den Carl Philipp Fürst von Wrede.
- Fürst Wrede, Kommandeur der bayerischen Strafexpedition, Kriegsminister, Scharfmacher der bewaffneten Reaktion
Als dieser Wrede im nächsten Jahr gehört haben wollte, nicht nur drüben in der Pfalz rege sich von neuem die demokratische Opposition, sondern auch in Württemberg und in Baden, kotzte er die ganze Gemeinheit seiner Seele aus, im Briefwechsel mit dem Obereinbläser Metternich in Wien.
„Ich kenne nur ein Mittel – Galgen und Rad.“ (Volksfest S. 168).
Er lässt uns tief in seinen Charakter blicken:
„Ich bin ja doch wohl kein harter, grausamer Mann, aber ich wiederhole, ohne Galgen und Rad wird man der Umtriebe in Deutschland nicht Meister. Allein, ich versichere, es werden keine drei aufgehängt, und dann ist Ruhe.“ (S. 168) Danach dehnt er seine Ordnungsidee von Galgen und Rad aus auf „die Universitäten“ und „alle Aufruhr-Prediger“ (S. 168).
Wenn es gegen die Freiheit geht, ist bei den Herren Eile angesagt, während sie für Erleichterungen Jahrzehnte brauchen.
Der Bundestag der Fürsten packt schon vier Wochen nach dem Hambacher Fest den gesamtdeutschen Verfassungsbruch und Putsch an. Alle demokratischen Regungen werden verboten – auch gegen die geltenden Verfassungen der Einzelstaaten.
Alles, was den Landesfürsten einschränkt, ist strengstens verboten. Wenn ein Landesherr die Volksbewegung nicht unterdrücken kann, dürfen die Bundestruppen in jeden deutschen Staat einmarschieren.
Alle Landesparlamente verlieren das bisher selbstverständliche Recht, ihrem Fürsten Gelder zu verweigern.
Für die Pfalz war das ein klarer Verfassungsbruch. Wer eine Erklärung dagegen unterschrieb, flog ins Gefängnis. Vom Strafverfahren wurden die Geschworenengerichte rechtswidrig ausgeschlossen, weil sie gewiss nicht für die Putschisten entschieden hätten.
Eine flankierende Maßnahme: die Säuberung der Beamtenschaft. Angefangen beim höchsten Richter der Pfalz, dem Präsidenten des Appellationsgerichtshofes in Zweibrücken, dem alten Demokraten Birnbaum aus Landau. Der oberste Gerichtshof wurde nach München verlegt.
FLUCHT UND SOLIDARITÄT
Wie populär die Sprecher, Anführer einer Oppositionsbewegung sind, können wir an ihrem weiteren Schicksal sehen: Inwiefern und wie genießen sie Solidarität?
Die ersten Verhafteten wurden geschwind befreit, bei einem freiheitlich gestimmten Volk innerhalb einer noch ungefestigten, rechtswidrigen Diktatur bietet das keine Schwierigkeit.
Die beiden Landesfremden, Siebenpfeiffer und Wirth, waren verbohrt in ihre Rechthaberei, sie wollten erst nach dem Sieg des Rechtes befreit werden, vom Volk selbst, nicht durch riskikofreudige Fluchthelfer.
Erst in der Haft lernten sie dazu.
Siebenpfeiffer war hier schneller und realistischer. Er ließ sich nach der rechtswidrigen Verurteilung vom entschlossensten Hambacher, dem Frankenthaler Bürstenbinder Becker, aus dem Gefängnis holen.
Wirth hielt an einer Maximaposition fest: Nur wenn das ganze Volk aufstehe und ihn befreie, verlasse er das Gefängnis. Dafür saß er Jahre ein. Wie wenn das Volk davon etwas hätte und lernen könnte, von der Niederlage.
1834 soll er von Zweibrücken nach Kaiserslautern transportiert werden. Da die Regierung Aufsehen und Zwischenfälle befürchtet, ordnet sie einen nächtlichen Transport an.
Hinter dem Schelmenkopf, in einem finsteren Waldgebiet zwischen Zweibrücken und Homburg, liegt ein kollektiver Robin Hood im Hinterhalt. Die beiden bayerischen Gendarmen sehen sich von „einer Rotte von 14-16 mit Pistolen bewaffneter Burschen umringt“. (Oberrheinische Freiheitsbäume S. 86)
Es kommt zu einer kurzen Schießerei, die Ordnungshüter ergeben sich gleich, sie wollen ihr Leben behalten. Die Bewaffneten möchten Wirth aus der Kutsche holen. Da erklärt der Dogmatiker und Rechthaber von seinem Sitz aus: „Nur wenn das ganze Volk kommt und mich befreit, bin ich bereit.“
Die Helfer schütteln die Köpfe, sie haben umsonst ihr Leben, ihre eigene Freiheit riskiert. Fünf der beim Befreiungsversuch beteiligten Studenten fliehen und wandern in die Vereinigten Staaten aus. In Abwesenheit werden sie „zum Tod verurteilt“.
Das wird nach 1849 Hunderten demokratischer Freiheitskämpfer genauso gehen.
Wirth kommt 1835 frei, aber man liefert ihn nach Passau aus, wo er wieder einsitzt. Nun endlich lernt er und ergreift die erste Chance zur Flucht.
Es gibt kein köstlicheres Beispiel für die Liebe der freiheitlichen Pfälzer zu ihren Repräsentaten, als herauszubekommen, wo Siebenpfeiffer während seiner Flucht die letzte Nacht auf deutschem Boden unterschlüpfte, bevor er nach Frankreich ging:
in einer Mühle bei Rheinzabern in der Südpfalz, im Haus des Vorsitzenden des Geschworenengerichts, das Siebenpfeiffer im ersten Prozess völlig zu Recht freigesprochen hatte.
Die Verhaftung Siebenpfeiffers war zu einem überwälltigenden Volksfest geraten, so etwas ist nur in der Pfalz möglich, in der weinreichen Vorderpfalz.
Siebenpfeiffer wohnte im Dorf Haardt bei Neustadt/Weinstraße. Als ein Hauptmann der Gendarmerie morgens um 6 Ulhr Siebenpfeiffer verhaften und abtransportieren will, findet er den Garten mit entschiedenen Gegnern dieser Unrechtsmaßnahme angefüllt.
Der Polizist muss argumentieren, die Menge lässt sich nicht umstimmen. Die Bürger sind gut informiert und haben schon lange erkannt, dass nach dem Staatsstreich aus Bayern das pfälzische Recht untergraben ist, weil über allem jetzt die Anweisungen der bayerischen Regierung stehen.
Der Gendarm probiert es mit Provokation, er will sich prügeln lassen, um mit Militär über die Leute herfallen zu können.
Daraufhin läuten die Einwohner Sturm mit ihren Kirchenglocken, das ganze Dorf ist auf den Beinen.
In einem Vermittlungsversuch bieten sich Bürger an, Siebenpfeiffer sicher ins Gefängnis zu bringen – was dieser paradoxerweise selber will – wenn der Hauptmann seine acht Gendarmen entlasse.
Der muss sich beugen und ist zwei Stunden lang ganz ohne Schutz, vielmehr unter dem Schutz der Bürger selbst. Und keiner krümmt ihm ein Haar, obwohl der Gendarm doch so gerne für den Staatsstreich leiden würde.
Die Menschenmenge kommt langsam nach Neustadt hinein: eine Mischung aus Volksfest und Karneval. Viele verfluchen den Gendarmen, eine bürgerliche Sicherheitsgarde beruhigt, er tue ja nur seine Pflicht.
Um 9 Uhr geht in Neustadt ein Zug von vier Leiterwagen los, über Kaiserslautern nach Zweibrücken. Der überforderte Hauptmann schreibt nachher in seinen uns heute oft zum Lachen reizenden Bericht:
„Die ganze Sache hatte einen ganz andern Charakter angenommen. Es wurde ein Festtag. Man lachte, trank, sang Lieder. Die Bitterkeit, die Widersetzlichkeit war verschwunden, und so bereitwillig man war, mich anfangs zu misshandeln, ebenso sehr bestrebte man sich, mir Aufmerksamkeit zu beweisen und meinen Willen zu vollziehen.“ (Volksfest S. 173; über die spätere Flucht Siebenpfeiffer S. 180)
Nicht ganz so fröhlich, aber erfolgreicher dank pfälzischer Solidarität vollzog sich die Flucht des Mannheimer Journalisten Venedey, eines der wichtigsten Redner von Hambach. Er wurde in Mannheim festgenommen, nach dem ersten misslungenen Fluchtversuch nach Frankenthal gebracht, zur Auslieferungshaft nach Preußen.
Von einem Frankenthaler Freund aus Heidelberger Studienjahren ließ er sich Ausbruchwerkzeuge ins Gefängnis schmuggeln. Gerade noch in der letzten Nacht vor der Auslieferung gelang es ihm, die Decke seines Haftlokals zu durchbrechen, sich abzuseilen und beim Morgendämmern aus Frankenthal zu schleichen.
Erst 33 Jahre nach der Flucht getraute sich Venedey, seine Geschichte zu veröffentlichen. Er ließ sich damals von einem Bauernfuhrwerk mitnehmen, winkte mit großzügiger Bezahlung, wenn der Bauer schneller fahre. So kam Venedey bald nach Dürkheim.
„Fünf Minuten vor Dürkheim ist das Weingut, die Villa meines Freundes Fitz. Hier ließ ich halten und stieg ab. Als ich aber den Kronentaler bezahlt hatte und weiter zog, sah mir das Bäuerlein verwundert nach.
Ich ging also an dem Gute meines Freundes (Fitz) vorbei, auf die Stadt zu, bis der Bauer kehrt gemacht und bald auf einem Nebenwege zum Walde verschwand. Erst dann kehrte ich um, ging nach Pfeffingen – so glaube ich heißt das Gut – trat ein ins Haus, unangemeldet ins Zimmer und – da war die Freude groß über die Rettung des Aufgegebenen, des Verlorenen.
Wenige Minuten, nachdem ich bei meinem Freunde saß, rief seine Schwester, die am Fenster stand: „Da ritten die Frankenthaler Gensdarmen schon vorbei!“
Und in der Tat hörten wir nachher, dass sie mir auf dem Fuß nachgeeilt und mein Signalement (Steckbrief) nach Dürkheim gebracht hatten. Das war dann die Ursache, dass ich andere Kleider anzog, Haar und Bart stutzte, Pfeffingen verließ und, ohne Dürkheim zu berühren, in das Tal hinter Dürkheim ging, wo ein Glaubensgenosse die dortige Papiermühle besaß und mich freudig und in seinen Schutz nahm.“ (Volksfest S. 205f)
So ging es dem Elsaß zu. Nachts wurde Venedey von Begleitern weiter gebracht, tagsüber ruhte er in einem Versteck aus, bekam neue Kleider, Geld und einen neuen Wegführer. Von Bergzabernern wurde er über die Grenze nach Wissembourg gebracht. (mehr und launiger in meinem Erzählband „Edelweißpiraten“ S. 71-88)
GESCHWORENENGERICHT IN LANDAU
Im Juli 1833 begann der Geschworenenprozess gegen zehn Hambacher Redner, ausgerechnet in Landau - seit der Großen Revolution eine Hochburg der demokratischen Opposition, auch gegen Napoleon.
Als nach langen Verhandlungen die Geschworenen über den Schuldspruch entscheiden mussten, fällten sie zum Entsetzen der bayerischen Regierung und zum Ärger Metternichs und Bismarcks einen Freispruch. Das Land jubelte, die Reaktion schwor Rache und verschärfte die Repression.
Das gehört schon zur Vorbereitung auf die 48er Revolution.
HEINRICH HEINE
Eines der klügsten Urteile über Hambach verdanken wir Heinrich Heine, der zuerst nur neidisch war, weil sein Konkurrent Börne dort leibhaftig aufgetreten war und sich hatte feiern lassen.
Das Fest von Hambach bekundete , so beginnt Heine, „einen großen Fortschritt, zumal wenn man es mit jenem anderen Feste vergleicht, das einst ebenfalls zur Verherrlichung gemeinsamer Volksinteressen auf der Wartburg (1817) stattfand.
Nur in Außendingen, in Zufälligkeiten sind sich beide Bergfeiern sehr ähnlich, keineswegs ihrem tieferen Wesen nach. Der Geist, der sich auf Hambach aussprach, ist grundverschieden von dem Geiste oder vielmehr von dem Gespenste, das auf der Wartburg seinen Spuk trieb.
Dort, auf Hambach, jubelte die moderne Zeit ihre Sonnenaufgangslieder, und mit der ganzen Menschheit ward Brüderschaft getrunken; hier aber, auf der Wartburg, krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabensgesang, und bei Fackkellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren!
Auf Hambach hielt der französische Liberalismus seine trunkensten Bergpredigten, und sprach man auch viel Unvernünftiges, so ward doch die Vernunft selber anerkannt als jene höchste Autorität, die da bindet und löset und den Gesetzen ihre Gesetze vorschreibt.
Auf der Wartburg hingegen herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anders war als Hass des Fremden und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wusste, als Bücher zu verbrennen.“ (Volksfest S. 227)
Mit diesen beiden Festen trennt sich die deutsche Geschichte, abgrundtief und in den Folgerungen katastrofal.
Es war nicht nur Deutschlands Unglück, sondern in der Folge erst recht Europas, dass die Teutomanen und Frankreich- und Fremdenhasser auf dem Wartburgfest die Oberhand gewannen und gleich jüdisches Schrifttum verbrennen durften.
Diese Linie hörte erst 1945 auf.
Wir tun gut daran, sie heute in ihren letzten Zuckungen gar nicht mehr zum Zug kommen zu lassen.
Literatur:
Haasis, Hellmut G. Haasis: Voksfest, sozialer Protest und Verschwörung. 150 Jahre Hambacher Fest. Heidelberg, Wunderhorn, 1981.
Ders. Morgenröte der Republik. Die linksrheinischen deutschen Demokraten 1789-1849. Berlin, Ullstein, 1984.
Ders.: Edelweißpiraten. Erzählungen über eine wilde Jugendbewegung gegen die Nazis, pfiffige Gefangene, eine Flucht im Weinfass,m einen bäuerlichen Geheimbund, deppete Geheimpolizisten, eine spottlustige Arbeiterrepublik und fröhliche Missachung der Obrigkeit. Grafenau/Württ., Trotzdem, 1996.
Ders.: Oberrheinische Freiheitsbäume. Von Mainz über Basel zum Bodensee. Ein politischer Reiseführer. Berlin/Bodenheim, Philo, 1999 (S. 65ff Pfalz)