ERLEBNISBERICHT ÜBER EINEN VERBORGENEN STRANG DER DEUTSCHEN POLIZEIGESCHICHTE
verfasst von Hellmut G. Haasis,
Autor über Freiheitsbewegungen,
Zeitzeuge für die Widerständigkeit politischer Feiern heute
(Mai 2007)
WIR dienten ab Dezember 1981 den Sicherheitskräften der pfälzischen Bezirksregierung Neustadt als Hauptaufgabe.
Volle sechs Monate lang.
WELCHE EHRE
Wer waren diese WIR?
Alles Freunde und -innen des Heidelberger Verlags Wunderhorn, bei dem mein Buch „Volksfest, sozialer Protest und Verschwörung“ gerade erschienen war.
Das unschuldige Papier beschwor ein gewaltiges Sicherheitsrisiko herauf.
Wir waren fünf an der Zahl – weil man‘s nicht glauben will, auf welche Gefahrenmassen ein POLIZEIAPPARAT seine Kräfte konzentriert, wiederhole ich:
FÜNF ERWACHSENE PERSONEN
Halt, Pardon, wir waren auch noch:
EIN KINDERWAGEN MIT KIND DRIN
MEINE NEUE HAMBACH-FAHNE AM BAMBUSSTAB
2 RUCKSÄCKE
4 BÜCHER
1 SCHWÄBISCHES TASCHENMESSER
VESPERBROTE UND GETRÄNKE ZUM EIGENEN VERZEHR
Naiv, wie wir waren, dachten wir, nur Sprengstoff und Waffen aller Art könnten für Helmut Kohl eine Gefahr bedeuten.
Oh nein, auch bedrucktes Papier kann schlühümm würkkön.
Es rächt sich, dass die Sicherheitskräfte unsere Bücher nicht lesen.
Mit einem Schlag fühlten wir uns weit in die Geschichte zurückgeschleudert, ins Zeitalter des großen Meisters eines Polizeistaates: des nirgends zu verehrenden Fürsten von und zu und durch METTERNICH, unseligen Angedenkens in Wien (1815-1848).
Am 27. Mai 1982 trudelten wir also morgens einfach so am Bahnhof von NeustadtWeinstraße ein.
Wie sich bald zeigen sollte, trug ich in der Hand die gefährlichste Waffe: meine neue, von mir entworfene, selber hergestellte und unterwegs im Zug heimlich zusammengesteckte Hambach-Fahne.
Da war ich noch unbewacht gewesen, sonst hätte man mich daran hindern können - durch alsbaldiges und nachhaltiges polizeiliches Einschreiten.
Als wir auf dem Bahnhofsvorplatz einlaufen – ich glaube, es war gegen 11 Uhr - zeigt mir gleich mein polizeierprobter Freund Arnfrid Astel (Schriftsteller, Redakteur beim Saarländischen Rundfunk):
„Eiei, wer ist denn schon vor uns da?“
Ein lässig herumlungernder Tagdieb.
Ein Landstreicher?
Nein, dafür ist die Jeans zu frisch. Er sitzt unmotiviert auf einer Steinstufe, schaut zum Vorplatz hinunter.
Astel verschwörerisch, er enttarnt: „MEK Kaiserslautern“.
„Ha? Wa isch-n des? Ein Fußballverein?“
Astel, der Sprachkünstler, klärt mich auf:
„Mobiles Einsatzkommando“
„Auf-m Fußballplatz? Geid-s jetz au des?“
„Nein, auf dem politischen Kampffeld von Regierung und Polizei gegen die Opposition.“
Ihr Einsatzwagen, getarnt mit privatem Nummernschild, steht so recht passend im Halteverbot unter einem Baum. Wenn wir Gelegenheit dazu bieten, können wir gleich abtransportiert werden.
Aber wir spielen nicht mit, wir spielen unser eigenes Spiel, das 150 Jahre alte Pfälzer Demokratenspiel.
Wir beraten uns, im Schutz eines soeben heranfliegenden Hubschraubers, und bleiben bei der in meinem Buch publizierten Ansicht, wir werden bloß auf den Berg hinaufgehen, ganz unkompliziert und nur für uns und ohne Segen von irgend jemandem.
Wir rechnen damit, unterwegs samt Kind, Kinderwagen und Pampers verhaftet zu werden – als Sicherheitsrisiko für Helmut Kohl, der zur selben Zeit wie wir an die Wiege der deutschen Demokratie treten möchte.
Wir konnten nicht wissen, dass heute mal wieder unterwegs die Demokratie geschwind ein wenig pausieren muss.
Wir haben unsere staatsgefährdende Demonstration gar nicht angemeldet. Wir halten nichts von solchen Schikanen. Wir spazieren, wo und wie und mit wem wir wollen.
Als wir losziehen, bekommen wir vorne ein Polizeimotorrad und hinten einen Streifenwagen verpasst.
Was? Das ist alles?
Aber nein, in der Luft zwirbelt noch ein Hubschrauber, der verzweifet hin- und herkreist, weil wir wirklich arg langsam gehen.
Im Dorf Hambach wird’s ernst, es geht den Berg hinauf.
Unten erwartet uns eine großzügig bewaffnete Polizeikette, die den HEILIGEN BERG DER DEUTSCHEN POLIZEIÄNGSTE abschirmt vom Rest der freien Republik.
Hier endet der demokratische Sektor der Bundesrepublik.
Wir werden abgetastet nach Waffen und Wurfgeschossen, unser Minigepäck wird aufs genaueste untersucht.
Lange Gesichter unter den Polizeimützen. ALLES UMSONST. Gab’s nicht kleine Zweifel in den Polizeihirnen über den Sinn dieses überdimensionierten Einsatzes? Ich glaube: nein.
Oben auf dem Berg sind wir DAS EINZIGE VOLK beim traditionellen Honoratioren- und Obrigkeitsfest.
Für uns gibt’s keinen Zutritt zur Feier der HERRSCHENDEN KLASSE. Die Honoratioren-Langweiler bekommen übrigens die Anwesenheit beim alten Demokratenfest als Dienst vergütet. Ohne Bezahlung, freiwillig, käme kaum einer. Die Demokratie muss ihre Festjubeler kaufen.
Das passt zum Geist der Zeit und des Milieus.
Wenigstens am Eingang zum Burgsaal dürfen wir stehen.
Mit meiner im Wind aus dem Rheintal flatternden grün-roten Hambachfahne, mit ihren polizeiwidrigen aktuellen Bezügen zu Gorleben, Wyhl und Startbahn West (Frankfurt).
Der Polizeigeist will uns provozieren. Ein mittelgroßer Dickbauch, Mitte dreißig, etwas verkommenes Gesicht, ähnlich einem Zuhälter, springt mit ständig klickendem Foto auf mich zu und um mich herum, knipst mich minutenlang in provozierender Absicht.
Für Porträts geht der Dickwanst mit seiner Dienstkamera bis auf weniger als 50 cm an meinen Kopf heran. Er erwartet einen Fausthieb – den er zweifellos verdient hätte.
Aber ich ärgere ihn, indem ich ihn um den Erfolg seiner Dienstaktivität prelle. Er schafft’s einfach nicht, mich verhaften zu dürfen.
Später hat mir KD Wolf vom Verlag Roter Stern bestätigt, er kenne diesen Typ von den dienstlichen Auftritten in Frankfurt. Es sei einer vom Staatsschutz Frankfurt, als recht übel bekannt.
Meine geistige Nahrung sind in diesen Augenblicken die Biografien der Hambacher, voran Siebenpfeiffer, Wirth, Venedey und der Bürstenbinder Becker aus Frankenthal. Alle hatten sie mehr Repression auszuhalten. Ich lasse mich nicht provozieren – und halte mich mit meiner Fahne im Wind – bis die heilige Bullizei abzieht.
Unser Rückweg verläuft friedlich. Kohl und Gelichter ziehen ab, der Berg ist frei. Wir kommen ohne Hubschrauberbegleitung ins Tal hinunter.
Das Weitere lässt sich nur visionär ausmalen. Die politisch Verantwortlichen gaben niemals zu, dass der Polizeiansatz verfehlt war und das Ansehen der Demokratie beschädigte.
Na ja, Kohl und seine Politik und seine Bestechlichkeit wurden später ja noch viel mehr zu einer Belastung der Demokratie.
Visionäre Hoffnung: Der Polizeieinsatz wird intern kritisiert, der Rechnungshof rechnet spitz. Der unnötige Einsatz hat 120.000 DM gekostet. Lange Gesichter.
Mannomann, ihr alten Penner. Hättet ihr uns die Hälfte gegeben, vielleicht wären wir feuchtfröhlich in Heidelberg geblieben.
Und die Staatskasse hätte 60.000 DM gespart.
Der Sicherheitschef wird versetzt – aber unfähige Beamte wird ein Volk nie los - später schickt man ihn nach Sachsen, wo er mit Zuschlägen – genannt „Buschzulage“ – bei Laune gehalten wird.
Inzwischen pensioniert, erzählt er gerne zur vorgerückten Stunde und nach dem sechsten Bier, die schönste Aktion seines Dienstes sei die in Hambach 1982 gewesen. Einen ganzen Tag lang 5 Fußgänger bewachen, die nix bei sich hatten.
neue HAMBACHER FAHNE, 1982 entworfen und hergestellt vom hambach-geschichtsschreiber und fahnenkünstler hellmut g. haasis. am 27. mai 1982 unter polizeischutz von ihm auf den geburtsberg der deutschen demokratie hinaufgetragen. im besitz des künstlers und geschichtsausgräbers.