HAMBACHER FEST 4
Die überrumpelten Gefängniswärter
Der Ausbruch des Kölner revolutionären Demokraten Jakob Venedey in Frankenthal November 1833
Ein warmer Pfingstsonntag in Neustadt an der Weinstraße, links des Rheins in der bayerischen Pfalz. Von weither treffen singende, lachende Leute ein, auf festlich geschmückten Fuhrwerken. Im längsten Demonstrationszug des ganzen Jahrhunderts ziehen sie zu einer nahe gelegenen Burgruine hinauf: zum Hambacher Schloss, hoch über dem Rheintal.
30.000 Leute aus Südwestdeutschland, viele aus dem Rheinland, etliche sogar aus Berlin, veranstalten das erste Nationalfest des zersplitterten deutschen Volkes. Ihre Redner fordern dazu auf, alle deutschen Fürsten zum Teufel zu jagen. Sie wollen Freiheit und brauchen kein teures und gefährliches Militär. Sie verlangen das gleiche Recht für alle, keine Bevorzugung der adligen Schmarotzer. Statt der Fürstenherrschaft soll eine Volksherrschaft entstehen.
Die Zuhörer jubeln, sofern sie in dem Gewühl überhaupt etwas verstehen. Vor allem wird gefeiert. Wenn es die republikanische Freiheit noch nicht gibt, warum sollte man sie nicht in einem mitreißenden Volksfest ein bisschen im voraus genießen?
Einer der Redner ist Jakob Venedey aus Köln. Vor Jahren studierte er in Heidelberg, nun arbeitet er im Sinne der revolutionären, demokratischen Opposition als Journalist bei der Mannheimer Zeitung „Der Wächter am Rhein“.
Inmitten des Befreiungsfestes bewegen sich die Spitzel der bedrohten Fürsten wie Falschgeld. Keiner erkennt sie ohne weiteres, niemand will etwas mit ihnen zu tun haben. Fleißig notieren sie die Namen der unbequemen Volksredner und verhelfen so der Polizei in den deutschen Bundesstaaten zu neuer Arbeit: Überwachung und Verfolgung.
Während wenige Wochen nach dem Hambacher Fest drüben in der Pfalz ein Redner nach dem andern hinter Schloss und Riegel landet, schreibt rechts des Rheines, im badischen Mannheim, Jakob Venedey in aller Gemütsruhe weiter seine Zeitungsartikel.
Da klopft eines Tages ein Polizeikommissar mit zwei Gendarmen an die Wohnungstür und erklärt mit fester Stimme, die keine Widerrede duldet:
„Darf ich den Herrn Zeitungsschreiber einladen, mir zur Kriminaluntersuchung auf das Rathaus zu folgen?“
„Einladen?“ Venedey kommt der Ton unpassend vor.
„Ja, ich bitte darum“, sagt der Kommissar bestimmt.
Wenn ich aber Ihre höfliche Einladung ebenso höflich ausschlage und lieber hier bleibe?
„Dann...“ Der Kommissar zeigt nur mit dem Daumen über seine Schulter auf die beiden Gendarmen hinter sich. Die nehmen sofort eine stramme Haltung an.
Der Daumen des verehrten Herrn Vorgesetzten lässt sie im ersehnten Würdeglanz erscheinen. Dieser über alles geschätzte Daumen des höheren Dienstgrades erhebt sie unendlich weit über ihre untergeordnete Stellung hinaus. Ergriffen, wehmütig verfolgen ihre Augen, wie der Daumen hinter der Schulter des Vorgesetzten wieder verschwindet.
Venedey überfällt blitzschnell die Ahnung, dass dieser mächtigen Eintracht nur mit List beizukommen sei. Er bittet zuerst darum, sich im Nebenzimmer etwas Wäsche holen zu dürfen. Dort befindet sich gerade Besuch, sein Schwager, dem er blitzartig eine große Schreibmappe mit politisch belastenden Briefen zusteckt. Als der pflichteifrige Kommissar folgt, ist die Mappe bereits unter der Jacke des Besuchers verschwunden. Die anschließende Hausdurchsuchung fördert keine gefährlichen Briefe von polizeibekannten radikalen Demokraten zutage.
„So ein Pech für den Kommissar“, murmelt Venedey, als er sich strahlend von seinem Schwager verabschiedet.
Unterwegs zum Mannheimer Rathaus, in dem sich ein kleines Gefängnis befindet, tauft sich Venedey um. Er will lieber Michael Rauschvogel heißen, geboren 1810 in Wien. So macht er sich um fünf Jahre jünger, ist also jetzt, im Jahr des Hambacher Festes achtzehnhundertzweiunddreißig, erst 22 Jahre alt. Seine erfundene Heimat liegt weit genug von Köln entfernt.
Zufrieden mit seiner Täuschungsidee, lässt sich Venedey zu einer Zelle im zweiten Stockwerk führen. Er summt das frechste politische Lied vor sich hin, das er auf dem Hambacher Fest hörte, eine Kampfansage an die einzelnen deutschen Landesherren.
Fürsten, zum Land hinaus.
Jetzt kommt der Völkerschmaus.
Naus naus naus!
Den deutschen Bundestag
werft faule Eier nach!
Kikiriki kikiriki.
Nun ist im Lande Raum.
Pflanzet den Freiheitsbaum!
Hoch hoch hoch!
Die übermütige Stimmung zehrt sich rasch auf, als die schweren Riegel ins Schloss fallen. Venedey sitzt benommen da.
‚Haben Gefängnismauern einen Menschen nicht schon bei lebendigem Leib begraben? Wer soll mich da rausholen? Sitzen drüben in der Pfalz nicht schon Dutzende von Republikanern hinter Gittern? Hatte man mich nicht mehrmals gewarnt, die Verhaftungswelle werde auch Mannheim erreichen, als einen der ersten werde es mich treffen? Hätte ich nicht, wie so viele Pfälzer, lieber nach Frankreich flüchten sollen?’
Erregt und geschwächt legt sich Venedey auf seine Holzpritsche. Hier kommt keiner mehr raus: dicke Mauern, schwere Eisenstäbe, massive Türme, unbezwingbare Riegel - und leider zu aufmerksame Wärter.
Venedey durchsucht seine Erinnerungen. War er nicht selbst einmal in einem Gefängnis gewesen? Nicht als Häftling, sondern als Rechtsanwalt. Vor Jahren hatte er in Köln einen Schneider in der Haft besucht, um ihn vor Gericht verteidigen zu können.
Er schmunzelt vor sich hin. Der Schneidergeselle, nach außen hin ein schmächtiges Bürschlein, war ein gefeierter Ausbrecherkönig. Köstlicherweise hatte er Zaun geheißen. Wie wenn irgendein Zaun ihn je hätte halten können, wo der Häftling zuletzt sogar aus dem höchsten Gefängnisturm von Köln herausgekommen war.
Schon damals hatte Venedey vor diesem tapferen Schneiderlein den Hut gezogen. Die letzte Flucht hatte er sich haarklein erzählen lassen. Venedey hatte ihn gefragt:
„Wie stellen Sie das an, immer wieder durchzubrennen?“
„Das ist ganz einfach. Ich habe keine Lust, hier mein Leben zu beenden. Ich brauche frische Luft, ich brauche Platz, um mich bewegen zu können. Ich will herumturnen. Ich tanze gerne. Und ich sitze lieber mit meinen Freunden bei einem Glas Bier als hier im Loch. Wer wirklich mit allen Kräften raus will, der findet am Ende auch einen Weg. Man muss aber verdammt gut auf die kleinste Kleinigkeit acht geben.“
Venedey streckt sich genüsslich. Auf der Pritsche erlebt er die Freude des Schneiders nach, der immer wieder entkommen war. Merkwürdig: das unbeugsame Schneiderlein flößt ihm jetzt mehr Mut ein als die vielen Reden auf dem riesigen Hambacher Fest.
Gestärkt springt der Gefangene auf. Blitzschnell ist ihm der Plan klar. Zuerst verklemmt er mit seinem Taschentuch, seinem Hutband und den Seitenstreifen seines Hemdes die Fensterriegel so fest, dass das Fenster im Notfall sich nur äußerst schwer und folglich unter Zeitverlust öffnen lässt.
Gegen Abend bestellt er bei seinem Wärter ein Abendessen, gegen Bezahlung: ein Schweinekotelett und einen ordentliche Flasche Wein. Im Gefängnis gibt es keine Verpflegung. Als der Wärter kommt, tritt der Häftling kräftig auf der Stelle, wie wenn er auf und ab marschierte. Die Tür geht auf: die ersehnte Öffnung. Offener geht es gar nicht.
Aufpassen, jetzt kommt es auf jede Kleinigkeit an. Jetzt muss es klappen, nie mehr wird es eine solche Gelegenheit geben. So spürt es Venedey heiß durch sein Hirn blitzen.
Der Häftling bleibt am Tisch stehen, mit dem Rücken zur Tür, anscheinend am Aufschließen und an dem, was kommen wird, nicht interessiert. Während der Wärter, der nichts Böses ahnt, das Abendessen auf den Tisch stellt, geht Venedey ganz harmlos, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, langsam rückwärts zur Tür. Mit einem Sprung ist er draußen, klemmt mit dem Fuß die Tür zu und wirft die Riegel vor.
Unten, im Erdgeschoß, findet der Gefangene das Rathaustor bereits geschlossen. Er flucht leise vor sich hin. Oben, im zweiten Stock, beginnt der überrumpelte Wärter um Hilfe zu brüllen. Zum Glück scheint vorerst niemand auf ihn zu achten.
Venedey klettert im Innenhof auf einen Brunnen. „Wenn ich nur ein Affe wäre“, denkt er. Über einen Fensterladen am Hauptgebäude will er sich auf das Dach eines angrenzenden Holzstalles schwingen und in den Nachbargarten springen. Dann wäre er gerettet.
Leider bricht der Fensterladen herunter. Venedey stürzt auf den steinernen Brunnentrog, verstaucht sich schwer beide Füße und schlägt mit dem Kopf auf.
Ohnmächtig bleibt er liegen. Aus.
Als er die Augen wieder aufschlägt, tobt über ihm der Wärter, der sich selbst befreien konnte, zerrt ihn mit sich, treibt ihn mit Fußtritten und Faustschlägen die Treppen hoch, zurück ins gerade erst verlassene Loch.
Ein trübes Wiedersehen mit der Zelle.
Aus ist der Traum von der Freiheit. Auf seiner Pritsche stiert Venedey bloß noch an die Wand. Eine trübselige Aufschrift springt ihm ins Gesicht: „Gefangener Mensch - armer Mensch.“ Was für ein Trost: auch anderen vor ihm ging es nicht besser.
Am nächsten Morgen kommt der Polizeikommissar zum Verhör. Venedey liegt bewegungsunfähig auf der Pritsche, seine Füße sind dick geschwollen.
„He Sie, haben Sie gestern Abend ausbrechen wollen?“
Venedey gibt sich treuherzig. „Aber sicher, Herr Kommissar.“ Der wieder Eingefangene macht sich keine Hoffnung mehr.
Der Beamte ist perplex, fasst sich nur langsam: „Ja aber warum?“
Venedey ist gefasst: „Einfach weil es mir draußen weit besser gefällt als hier drinnen.“
Der Polizeibeamte vergisst, sein Gebiss zu schließen. Wie? schreit er und kann nicht glauben, dass ein verletzter Häftling so was zugibt. „Was sagen Sie dann, wenn sich hinterher Ihre Unschuld herausstellt?“ Um dem Gefangenen die Dummheit zu beweisen, schlägt er sich dabei mit der flachen Hand auf die Stirn.
„Nichts, ich kenne meine Unschuld schon jetzt. Nur Sie wissen noch nichts davon. Das ist bloß Ihr Irrtum, nicht meiner.“
„Aber wenn sich das erst später ergibt - so verstehen Sie doch - dann haben Sie sich dennoch strafbar gemacht, einfach wegen des Fluchtversuchs.“
„Auch wenn nur Sie sich geirrt haben, nicht ich? Ich bin nämlich schon jetzt unschuldig. Dennoch soll ich vorerst als schuldig gelten, nur weil sie nichts Besseres wissen?“
„Logisch. Jeder, auch ein irrtümlich Verhafteter, darf erst raus, wenn wir es einsehen. Wir sind die, auf die es ankommt, nicht Sie. Sie zählen jetzt nicht, Sie sind nur Gefangener. Und ein Gefangener hat immer Unrecht.“
„Und vorher, bevor Sie endlich, vielleicht zu spät eine Erleuchtung bekommen?“
„Vorher ist allein schon der Fluchtversuch ein strafbares Misstrauen gegen Klugheit und die Unfehlbarkeit der Polizei und der Justiz. Erst wenn auch wir es begreifen, ist die Freiheit kein Verbrechen mehr.“
„Warum darf der Häftling überhaupt jemals wieder raus?“
Der Kommissar gibt auf:“ Ach, mit Ihnen kann man nicht reden. Sie haben eine ganz andere, eine radikale Weltansicht, sie wollen ja doch bloß raus. Für solche höheren Werten wie Sicherheit und Ordnung haben Sie eben kein Verständnis.“
„Schon möglich. Ihre Art von Sicherheit kostet mich ja auch meine Freiheit.“
Aus dem leicht kopflos gewordenen Kommissar bringt Venedey nach und nach heraus: ein preußischer Spitzel in Mannheim habe ihn angezeigt. Preußen verlange die Auslieferung, um Venedey vor Gericht zu stellen wegen einer geheimen Propagandareise nach Köln für die revolutionäre Opposition. Venedey gelte als Teilnehmer einer Verschwörung. Als ein sehr gefährlicher Umstürzler.
Mehr als die bayerischen Gefängnisse der Pfalz fürchtet Venedey die preußischen. ‚Also nichts wie raus hier.’
Zuerst müssen aber die Füße kuriert werden. Als sie allmählich heilen, verrät Venedey davon noch lange nichts. Die Wärter sollen glauben, dass der Gefangene nach wie vor gehunfähig sei.
Mit der Zeit bringt Venedey heraus, dass genau über ihm ein ihm bekannter Mannheimer Student einsitzt. Auch ein verwegener Demokrat. Als Venedey republikanische Lieder für sich singt und pfeift, fällt auf einmal jemand von oben ein.
Sie beschließen, zusammen zu flüchten. Zur Verständigung vereinbaren sie Deckworte. Sollte je einer der Zettel entdeckt werden, die sie sich zustecken, so kann niemand ihn verstehen. Das Gefängnis nennen sie nur ‚Schule’, einen bestimmten Mannheimer Fluchthelfer ‚Schulmeister’, für Geld steht ‚Stroh’, der Gefangenenwärter heißt ‚Schneider’, das notwendige Brecheisen harmlos ‚Bleistift’, eine Feile ‚Hut’.
Nach unten und oben befördern sie ihre Zettel mit Bindfäden, gelegentlich mit einer Stange, die Venedey aus Teilen seiner Pritsche herstellte. Manchmal unterhalten sie sich auch zum Fenster hinaus. Als die Schließer Verdacht schöpfen, gehen die beiden Häftlinge zum beliebten Klopfalfabet über. Jeder, der sich mit den Regenten anlegt, sollte es kennen.
Venedey bringt es seinem Mitgefangenen bei. Es besteht aus fünf Gruppen zu je fünf Buchstaben Die erste Gruppe umfasst die Buchstaben A bis E, die zweite F bis K, die dritte L bis P, die vierte Q bis U, die fünfte V bis Z.
Die Gruppe, aus der ein Buchstabe stammt, wird durch langsame Schläge, in großen Abständen, gemeldet, der jeweilige Buchstabe danach durch kurze Schläge, die die Position des Buchstabens innerhalb der Gruppe anzeigen.
Die beiden Häftlinge versuchen es mit einem Beispiel: der Buchstabe P wird geklopft mit drei langen Schlägen, danach fünf kurzen. Mit einem harten Gegenstand klopft der eine an ein durchlaufendes Rohr, der andere hört in seiner Zelle am Rohr mit.
Mit Hilfe eines Spiegels, der ebenfalls an der selbst gebastelten Stange befestigt wird, bekommt Venedey heraus, dass sich unter ihm ein vergittertes Zimmer befindet. Nun will er wissen, ob es bewohnt ist. Deshalb fragt der morgens den Wärter:
„Sagen Sie mir: was war das heute Nacht für ein irrsinniger Lärm unter mir? Da kann man ja kein Auge zutun.“
„Das kann nicht sein, drunter ist nur das Archiv, in dem nachts niemand arbeitet.“
„Dann kam das Spektakel von einem Stockwerk tiefer her.
Auch ausgeschlossen, dort wird nur Holz gelagert.“
Venedey möchte jubeln, er muss sich zusammenreißen. Jetzt weiß er sicher, dass der nächtliche Fluchtweg frei ist. Noch diese Nacht will er die schwächliche Lattendecke auf dem Zellenboden durchbrechen. Dafür hat er schon die Türklinke eines angrenzenden, leeren Zimmers abgemacht.
Der Student über ihm verlangt, sie müssten vorher über Fluchthelfer einen Wagen besorgen, für unterwegs bräuchten sie Ersatzpferde und überhaupt eine Menge Geld. Er wolle nichts mittellos im elsässischen Straßburg eintreffen, in Frankreich. Wer weiß, wie lange ihr Exil dauern kann.
So vergehen noch einige Tage. Gerade am letzten, als endlich alles zur Flucht vorbereitet ist, trifft Preußens Auslieferungsgesuch in Mannheim ein. Venedey werden Handschellen angelegt. Zu Fuß muss er mit einem Gendarmen durch Mannheim zur Rheinbrücke und über den Fluss. Unterwegs gaffen ihn die Leute wie einen tollwütigen Fuchs an.
Mitten über dem Strom durchfährt Venedey der Gedanke, sich loszureißen und in den Rhein zu springen. Der sichere Tod würde alle Ungewissheit über die Zukunft beenden.
Aber gleich packt ihn auch die Wut, ja regelrecht der Hass auf die Fürstenclique. Er will sich doch lieber am Leben erhalten, um sich für diese Demütigung zu rächen.
Abends kommt der Arrestant nach Frankenthal in der Pfalz. Im neuen Gefängnis wird ihm der leere Frauensaal zugewiesen.
Dort trifft Venedey nur vier Strohsäcke an, eine schmutzige Wolldecke, eine Holzbank, die an der Wand verankert ist, einen Holzstuhl, einen großen eisernen Ofen, der ebenfalls an der Wand festgemacht ist, und zuletzt, anstatt eines Aborts, einen Ekel erregenden Nachtstuhl.
Venedey weiß: hier gibt es die letzte Gelegenheit zum Ausbruch, ein preußischer Polizeikommissar ist bereits unterwegs, um Venedey zu übernehmen.
Der erschöpfte Häftling bittet den Gefangenenwärter zuerst darum, gegen Bezahlung ihm aus einer Wirtschaft Essen und Trinken zu besorgen. Der Schließer staunt über den selbstsicheren und keineswegs verarmten Untersuchungsgefangenen.
„Darf man fragen: was haben Sie denn ausgefressen?“
Venedey sagt etwas, womit er bei den gewöhnlich kriegsunwilligen Pfälzern am ehesten auf Verständnis stoßen kann:
„Oh, nichts Besonderes. Ich bin nur ein flüchtiger preußischer Kriegsdienstverweigerer.“
Der Wärter nickt mitleidig: „Jaja, das verdammte Militär. Zuerst frisst es das Land leer, nachher verheert es, was übrig geblieben ist.“
Venedey stellt sich im besten Licht dar: „Wenn ich in Köln ankomme, wird der Polizeikommissar sein blaues Wunder erleben. Ich bin schließlich aus bester Familie. Mein Vater ist ein stadtbekannter Rechtsanwalt - was sogar stimmte. Zur Zeit Napoleons, bevor dieser die Republik umbrachte und das Kaiserreich ausrief, war mein Vater der Polizeichef von Köln.“
Des Schließers Augen werden größer, fast wie ein Mühlrad.
„Schließlich kennt meine Familie die mächtigsten Bankiers und Grundstücksbesitzer der Stadt.“
Dann betritt Venedey mit seiner Erzählung schwankenden Boden. „Die werden der Polizei einheizen.“
Hier flunkert er, denn die Reichen unter den Kölner Bürgern werden sich einen feuchten Dreck um einen steckbrieflich gesuchten Republikaner kümmern. Dessen Kampf gegen die Monarchie könnte ja am Ende gar den Geschäften schaden.
Gespielt absichtslos fragt Venedey den respektvoll gewordenen Schließer:
„Wohnt denn hier in der Stadt nicht ein junger Jurist namens Heimberger? Das war mein Studienfreund.“
„Natürlich, der arbeitet sogar auf dem Gericht, als wissenschaftliche Hilfskraft beim Staatswalt.“
Venedey bittet darum, diesen Freund aus besseren Tagen zu einem Besuch aufzufordern oder von ihm wenigstens ein interessantes Buch gegen die Langeweile zu holen.
Der Wärter weiß natürlich nichts davon, dass Venedey bei der Ankunft in Frankenthal zufällig diesen Freund auf der Straße traf und, ohne dass der begleitende Gendarm etwas bemerkte, ihm zuflüsterte:
„Warte zu Hause, bis ich dich rufen lasse.“
Der Freund Heimberger kommt fast verdächtig rasch. Er will alles tun, um Venedey herauszuholen. Beide waren schon in Heidelberg begeisterte Anhänger einer künftigen deutschen Republik. Ihre Väter hatten in Deutschland zu den ersten Anhängern der Französischen Revolution gezählt. Beide Familie waren mit dem feurigen Geist der Großen Revolution getauft.
Pflichtgemäß hört der Wärter zu, was sich der einheimische Jurist und der Häftling zu sagen haben. Beide entfalten mit vergnügter Fantasie ihre erzählerischen und schauspielerischen Talente.
Venedey schildert dramatisch, wie er zum Militärdienst im preußischen Köln gezwungen werden sollte, wie er bei Nacht und Nebel durchging, wie er hoffte, im freien Südwestdeutschland, vor allem in der lustigen und weinreichen Rheinpfalz frei leben zu können.
Heimberger spielt wunderbar mit. Er zittert bei Gefahren heftig mit, beim Lob für die Pfälzer ruft er „Bravo“.
Kurz, beide seifen den Wärter nach den Regeln der Schauspielkunst ordentlich ein.
Venedey versteht sich darauf, im Bewacher die pfälzische Seele zu rühren und das Beamtenhirn einzuschläfern:
„Können Sie uns für gutes Geld eine Flasche Wein besorgen, einen erlesenen Tropfen?“
„Oho, so was kann ein Pfälzer immer, selbst wenn er sonst nichts kann.“
Der Wärter schließt hinter den beiden ab, ganz sicher, dass der Flüchtling jetzt gewiss nicht entspringen kann, während er dienstlich nach einem extraguten Fläschchen Pfälzer Riesling fahndet. Er träumt ein wenig vor sich hin, schwebt in den Wolken: „Wenigstens heute einmal ein herrlicher Beruf: Wärter in einem fidelen Gefängnis.“
Derweil entwickelt Venedey ungestört seinen Fluchtplan. Heimberger solle ihm zusammen mit einem Buch eine Eisensäge und ein Brechmittel besorgen.
„Ein Brechmittel? Zum Ausbrechen?“
„Nein, nicht zum Ausbrechen, sondern zum Erbrechen.“
„Warum denn das?“
„Vermutlich schon morgen wird ein preußischer Polizeibeamter mich abholen. Dann ade Freiheit, vielleicht auf Jahrzehnte. Um fürs erste transportunfähig zu sein, nehme ich morgen früh, kurz vor Morgengrauen, das Brechmittel ein. Der Erfolg wird hoffentlich bald zu sehen sein: auf dem Boden.“
Als der Wärter stolz mit einem köstlichen Tropfen zurückkehrt, stoßen die Freunde an und erzählen Schwänke und Streiche aus ihrer Heidelberger Studentenzeit. Bald muss auch der Wärter sich vor Lachen den wackelnden Bauch halten.
Die ausgelassene Stimmung beginnt sein Pflichtgefühl einzulullen.
Der Lohn für die Schauspielkunst bleibt nicht aus. Als Heimberger das nächste Mal Venedey besucht, lässt der Wärter beide bereits unbeaufsichtigt. Feile und Brechmittel wechseln den Besitzer.
Kurz vor Morgengrauen schluckt Venedey die bittere Medizin. Kurze Zeit später ersäuft er viele der Wanzen, die ihn die Nacht über fast nicht schlafen ließen, im Auswurf seines Mageninhalts.
Als der Wärter aufschließt und Venedey zum Transport nach Preußen abholen will, fährt er entsetzt zurück:
„Was ist denn das für eine Sauerei auf dem Boden da?“
Venedey krümmt sich auf dem Bett, das ist seine Antwort.
„Können Sie nicht endlich aufstehen?“
Venedey stöhnt.
„Um Gottes willen, wie geht es Ihnen?“
Venedey hängt seinen Arm von der Pritsche herab, zeigt matt und zittrig auf die Bescherung.
„Konnten Sie nicht wenigstens in den Nachstuhl kotzen, he?“
Nichts als ein Seufzer auf der Pritsche.
„Was soll ich denn mit Ihnen machen?“
Mit ersterbender Stimme, die dem Wärter Angst durch die Knochen jagt, piepst Venedey: „Doktor, Doktor.“
Der Arzt, ein gesinnungstreuer Pfälzer Demokrat, ist durch Heimberger bereits bestens unterrichtet. Mit wichtiger, besorgter Miene plappert er lauter unsinniges Zeug, lateinische Worte, die nichts erklären. Auf deutsch hätte es geheißen: Nacht, Frosch, Krankheit, Magen, Schweißfüße, Herz, Hand, Leber, reißender Fluss, Wolken, Berge, Hut, starke Winde im Darm.
Der Wärter zerfließt vor Ehrerbietung. Der Arzt verordnet: „Absolute Bettruhe, mindestens fünf Tage, und Diät: Hühnerbrühe mit Ei, Tee, kein Wein.“
Auch der polternde preußische Kommissar, soeben eingetroffen, der für Venedey einen Wagen besorgen will, wird von dem Arzt auf das strengste zurückgewiesen:
„Jede Fahrt bedeutet für den Schwerstkranken Todesgefahr.“ Und wieder ein Schwall lateinischer Worte.
Der Preuße begibt sich geschlagen ins nächste Wirtshaus.
Mittags bringt Heimberger ein starkes Bündel mit Ausbruchwerkzeugen. Beinahe fällt ihm das Paket unter der Jacke zu Boden, als er am Schließer vorbei die Treppe hochsteigt: Meißel, Lochsäge, Bohrer, Hammer, Strick, Schnur, Kerze, Schnupftabak und Sand. Die beiden letzten Dinge will Venedey Leuten, die ihn im letzten Augenblick am Entkommen zu hindern suchen, in die Augen streuen.
Jetzt aber braucht der Ausbrecher vor allem etwas Richtiges zu essen. Schwerarbeit steht ihm bevor.
Mittags beginnt Venedey, ein gelehriger Schüler des Kölner Schneiderleins, zu erkunden, wo es am leichtesten ins Freie geht. Das Gitter am Fenster ist zu stark, daran kann er mindestens eine Woche feilen. Nach unten, durch den Boden, ist es vom dritten Stock aus zu weit, also bleibt nur der Weg nach oben hinaus, durch die Decke.
Der Gefangene stellt sich erneut, wie wenn ihm übel wäre. Er bekommt Durchfall, lässt sich den Nachtstuhl auf den Flur tragen und ruft alle zehn Minuten den geplagten Wärter, bis dieser die Zellentür einfach offen lässt und statt dessen die Flurtür abschließt.
Gleich geht es dem Häftling besser. Er gelangt über eine Treppe auf den Dachboden und findet dort ein Halbbogenfenster, das kein Gitter aufweist.
Um zehn Uhr nachts macht der Schließer den letzten Rundgang und geht zu Bett.
Eine halbe Stunde später beginnt Venedey seine Befreiungsarbeit. Es geht um alles: heute Nacht wird er frei sein oder vielleicht nie mehr.
Er verhängt sein Fenster, zündet die Kerze an, steigt auf den Ofen und fängt an, die Decke zu bearbeiten. Gips weg, dann ein Drahtgeflecht zerrissen. Er bohrt Loch neben Loch. Ein wüste Arbeit: Dreck im Gesicht, ermüdende Arme, die immer schwerer werden, bald kaum mehr das Werkzeug halten können.
Endlich kann er mit dem Meißel ein Brett herunterreißen. Enttäuschung: ein schwerer Deckenbalken aus hartem Eichenholz versperrt den Durchgang. Venedey ist erschöpft, hört halb ein Uhr schlagen.
Zwei Stunden sind vertan.
„Soll ich's nochmals woanders versuchen? Aber vielleicht ist mir dann ein anderer Balken im Weg?“
Entmutigt lässt er sich auf den Strohsack sinken. „Morgen wird mein Fluchtversuch entdeckt, ich werde nach Preußen ausgeliefert und muss mein Leben auf einer Festung beenden, deren dicke Mauern und strenge Bewachung keinen Ausbruch möglich machen. Es ist zum Irrewerden.“
Für kurze Zeit nickt er ein. Dann schreckt er auf: „Aber nein, nein, nein.“
Er will sich nicht ergeben. Er springt hoch. Mit neuer Kraft und fast wahnsinniger Wut arbeitet er weiter an der verfluchten Decke. Die Kerze ist fast abgebrannt, also darf sie nur noch selten, zur Orientierung, angezündet werden. Ob es Lärm gibt oder nicht, ist jetzt gleichgültig. Wie ein Besessener schlägt Venedey drauflos. Vor Überanstrengung bekommt er von Zeit zu Zeit Nasenbluten. Ihm ist alles egal. Er kennt nur ein Ziel: ‚raus, raus und zwar sofort.’
Seine Hand wird steif, zuletzt kann er die Finger nicht mehr bewegen. Mit beiden Händen sägt er von Bohrloch zu Bohrloch weiter.
Draußen hört er bereits den ersten Hahn krähen. Venedey hebt das Bettuch am Fenster hoch, da fährt ihm das Morgenrot eiskalt in die Glieder.
Noch einmal stürzt er sich gegen die Decke, erweitert mit brachialen Schlägen, die einen Tiefschläfer wecken müssten, das Loch, sammelt die Werkzeuge ein, um sie nicht zurückzulassen und so jemanden zu verraten, legt sie auf den Dachboden und quält sich nach oben. „Geschafft.“
„Verdammt“, das Halbbogenfenster ist angeschraubt. Also werden die Schrauben zertrümmert. Das Fenster geht dennoch nicht auf, der Rahmen ist verquollen. So muss die Scheibe zerschlagen werden, aber möglichst leise. Und dann endlich:
„Morgenluft. Ein schöner Spätsommermorgen. Es ist höchste Zeit, dort vorne geht bereits ein Bauer aufs Feld.“
Nun steht noch eine Mutprobe bevor. Venedey muss sich aus dem vierten Stock abseilen. Als die Straße frei ist, lässt er sich geschwächt und langsam herunter.
Gerade hat er die Hälfte geschafft, da scheuert das Seil oben so stark an einem vorstehenden Schieferdach, dass es reißt. Venedey stürzt, fängt sich gut auf, ohne sich erneut zu verletzen. Als geübter Turner klettert er leicht über die zweieinhalb Meter hohe Gefängnismauer. Ein Blick, ob die Luft sauber ist, dann nichts wie raus aus der Stadt.
Unterwegs nimmt ihn ein Bauer auf dem Wagen mit, bis fast nach Dürkheim, etwas über 15 Kilometer. Beim Weingut des in der ganzen Gegend angesehenen Demokraten Johannes Fitz steigt Venedey ab.
Sofort erkennt er, in welche Gefahr er sich und seinen Gastgeber bringen würde, wenn er dem Bauern zeigte, wo er Unterschlupf sucht. Deshalb marschiert er querfeldein in die falsche Richtung, bis der Wagen im Wald verschwunden ist.
Auf dem Gut wird Venedey wie ein Auferstandener begrüßt.
Nun setzt sich die Demokratenpost in Gang. Das ist eine absolut zuverlässige Fluchtorganisation, mit der verfolgte revolutionäre Demokraten von einer Vertrauensperson zur anderen ins Ausland geschleust werden: versehen mit einem falschen Pass, genügend Geld, neuen Kleidern und genauen Wegbeschreibungen.
Ein geflügeltes Wort geht um: Wenn im preußischen Königsberg ein Verfolgter auf die Demokratenpost gesetzt wird, so kommt er eines Tages gewiss durch die Pfalz und über die Grenze nach Frankreich und landet im „Rebstöckle“ von Straßburg.
Venedey sitzt noch keine fünf Minuten in der Stube, da reiten bereits Frankenthaler Gendarmen vorbei, mit dem Steckbrief des Ausbrechers. Sie vermuten, zu Recht, dass der entsprungene Gefangene nach Frankreich will.
Der Flüchtling darf nicht ausruhen. Seine Haare und sein Bart werden geschnitten, dann führt man ihn zu einer abgelegenen Papiermühle, zu einem Gesinnungsfreund. Dort wirft er sich erstmals auf ein Bett, das für solche Anlässe in einer verbarrikadierten Vorratskammer bereit steht.
Aber er ruht nur äußerlich. Innerlich kommt er nicht zur Ruhe, auch nicht nachts. Er verfällt in einen Dämmerschlaf. Zahllose Alpträume schrecken ihn auf. Er muss immer wieder Ereignisse der letzten Woche durchleben: von der Verhaftung über den ersten Fluchtversuch bis zum Ausbruch.
Unter Schreckträumen leidet Jakob Venedey auch später noch, nach 33 Jahren, als er erstmals über seine Flucht einen spannenden Zeitungsartikel schreibt.
Nachts um drei Uhr weckt ihn ein Müllergeselle, sein Wegführer bis Annweiler. An einer vereinbarten Stelle übergibt der Weingutsbesitzer Fitz ihm einen gut fabrizierten falschen Paß.
Dann geht der Weg bei aufgehender Sonne am Ostabhang des bewaldeten Haardtgebirges vorbei, oberhalb der Weinberge. Auf der linken Seite öffnet sich das Rheintal, noch weiter links, fast im Rücken, jenseits des großen Flusses, ragt von ferne der Odenwald aus dem Dunst auf, weiter rechts der Schwarzwald.
Ein einladender Spätsommertag, schon etwas frisch, aber bald ist die ganze Gegend mit Sonnstrahlen erfüllt. „Diese liebliche Gegend soll ich vielleicht nie wieder sehen?“
Nach den Strapazen, bereits auf dem sicheren Weg in die Freiheit, kommen Venedey Tränen.
Sein Fluchtweg streift das Hambacher Schloß. Hier wurde vor wenigen Monaten das Ende der Fürstenherrschaft ausgerufen, nun muß einer der Redner als gesuchter Verbrecher das Land verlassen, vorbei an einer der Geburtsstätten der deutschen Demokratie.
Abends kommt der Verfolgte beim Pfarrer von Annweiler unter: auch eine sichere Station der Demokratenpost.
Am folgenden Morgen geht's weiter nach Bergzabern. Eine Kleinstadt, eine Hochburg der entschlossenen Republikaner, dem bayerischen Königsreich immer ein Dorn im Auge.
Venedeys dortige Gesinnungsgenossen verstehen den Verfolgten nicht. Seine Fluchthelfer bieten ihre Hilfe an, zur Not auch gewaltsam an der Grenze durchzubrechen. Venedey lehnt ab, Sein einziger Wunsch: „Ich brauche eine Person, die gut französisch singen kann. Mehr nicht.“
Nachmittags ziehen die beiden los, wieder abseits der Hauptstraße, der französischen Grenze zu. In Schweigen, dem letzten Ort, genehmigen sie sich eine Pause. Erst im Dämmerlicht gehen sie die Straße hinunter, durch die Weinfelder, dem elsässischen Weißenburg entgegen.
Die Grenze ist schärfer als sonst bewacht. Zusätzliche Gendarmen halten den Schlagbaum besetzt, versperren die Straße. Venedeys Steckbrief hängt am Grenzerhäuschen.
Jetzt geht es ums Ganze. Venedeys Herz schlägt wild, Schweiß steht auf seiner Stirn, seine Hände werden feucht.
Sobald die beiden annehmen müssen, dass sie beobachtet werden können, beginnen sie besoffen über die Straße zu schwanken, Arm in Arm. Sie grölen das berühmteste Lied der Französischen Revolution, das zur Nationalhymne wurde: die Marseillaise. So torkeln sie auf die Grenze zu.
Ein Gendarm kann gerade noch auf die Seite springen, der Bergzaberer hätte ihn sonst umgerissen. Der Schlagbaum geht hoch. Die Uniformierten geben die Straße frei. Ein Grenzer schimpft hinterher:
„Die verdammten Franzosen vertragen halt nicht so viel Pfälzer Wein, wie sie saufen.“
Das ist Deutschlands Abschiedsgruß an den flüchtigen Republikaner. Der Flüchtling sinkt auf französischem Boden zusammen. Seine Kräfte sind aufgebraucht. Sein Begleiter muss ihn nach Weißenburg hinein mehr schleppen als führen.
Venedey bekommt noch immer keine Ruhe. Preußische Polizeispitzel schleichen durch alle Gasthöfe Weißenburgs. Sie wollen Venedeys Ausweisung nach Deutschland erreichen oder ihn gar eines Nachts mit Gewalt über die Grenze entführen. So muss der Gerettete nach einigen Tagen Erholung nach Paris weiterfahren.
Derweil betrachtet in Frankenthal der geprellte Gefängniswärter mehrere Male am Tag das rätselhafte Loch in der Decke. Er kann sich mit nichts in der Welt erklären, wie der feinsinnige, so gebildete und lustige, zuvorkommende und dabei noch schwerkranke Mann dieses Loch gebuddelt haben soll. Sogar ohne alle Werkzeuge.
Der gründlich verhörte Jurist Heimberger ist empört über so viel Undankbarkeit, wo es Venedey gerade in Frankenthal so schön gehabt hatte:
„Wer weiß, ob es ihm woanders nochmals so gut geht.“
(erstmals erschienen in meinem Erzählband „Edelweißpiraten“, Trotzdem Verlag 1976, hier bearbeitet.)