FRÜHE DEMOKRATEN IN ROTTENACKER AN DER DONAU
Als überm Rhein in Mainz 1792 unsere erste deutsche Republik entstand, wären auch zahlreiche Bürger in Süddeutschland gerne ihre Herrscher losgeworden. Ein Schwerpunkt dieser Demokraten lag damals vor den Toren von Ehingen/Donau, in der evangelischen Enklave Rottenacker. Der Ort nahm eine Sonderstellung ein, gehörte er doch mitten im katholischen Oberschwaben zu Württemberg und damit zum evangelischen Bekenntnis.
Es fing mit pietistischen Versammlungen an, die bald einen harten politischen Kern entwickelten, je mehr sie von der Ortsobrigkeit bekämpft wurden. 1801 tauchte aus dem Kanton Appenzell eine intelligente Frau auf, Barbara Grubermann, die die Rottenacker mit Visionen aus dem Jenseits und klugen, theosophischen Schriften bekannt machte. In diesem Punkt gehörten die Rottenacker damals zu den besten Philosophen des Landes.
Der Vogt hielt die Grubermann für „gefährlich“ und wies sie aus, angeblich eine „Verbrecherin“. Damit reizte er den Widerstand der Rottenacker „Separatisten“. So wurden sie nun genannt, weil sie sich von der Kirche „separierten“, trennten. Sie ließen sich nicht länger, wie bisher üblich, vom Kirchenkonvent in ihr Leben hineinpfuschen.
Der Pfarrer durfte ihnen nicht mehr vorschreiben, wann sie ihre Kinder zur Taufe zu bringen hätten. Sie verlangten die Erwachsenentaufe und lehnten das Abendmahl ab, weil Opportunisten dran teilnahmen. Unter dem Einfluss von mystischen Philosophen wie dem Schuster Jakob Böhme, dem Schweden Swedenborg und dem Schwaben Oetinger entwickelten sie eine visionäre Innerlichkeit.
Das Kirchengebäude kam ihnen nur noch als ein Ort des Unglaubens vor, von Maurern hergestellt, während sie ihren Gott in ihrem Herzen verehrten.
Der Vogt und der Magistrat des Ortes wollten die Rebellen gnadenlos unterwerfen. Da hatten sie nicht mit der überlegenen Haltung der separatistischen Gesellschaft gerechnet. Unter dem unchristlichen Druck sprachen die Separatisten die Obrigkeit nur mit dem egalitären Du an. Im Vogteiamt nahmen sie ihre Kappen nicht mehr ab. Sie verweigerten den diktatorischen Befehlen den Gehorsam, zahlten keine Abgaben, schickten ihre Kinder nicht mehr in die Schule, verweigerten endlich gar den Kriegsdienst.
Wir sehen: Diese frühen Demokraten waren durch und durch modern.
Der neugebackene König in Stuttgart wollte die Opposition zertrümmern. Die Männer warf er auf die Festung Hohenasperg, die Frauen ins Zuchthaus Ludwigsburg, die Kinder ins Waisenhaus. Damals schmachteten 10 % der Rottenacker hinter Gittern, so stark war die demokratische Partei des Dorfes. Ab 1805 tauchten einige unter und schlugen sich bei Gesinnungsfreunden im Untergrund durch.
Die meisten waren Weber und Tagelöhner. Oder Schuster, wie der Anführer und Dichter Stephan Huber. Seine herausragende Leistung stellt ein Revolutionslied dar, das er 1798 in der Schweiz schrieb und zuhause in den Versammlungen sang.
Die Handschrift mit 48 Strophen wurde inzwischen in einem Büchlein über die Rottenacker Demokraten publiziert und beleuchtet eine schöne Blüte rebellischen Geistes. In ganz Deutschland findet sich damals nichts Vergleichbares, schon gar nicht aus der Feder eines Schusters.
Die Separatisten litten über zehn Jahre hinter Gittern. Der nächste König, Wilhelm I., ließ sie endlich auswandern. Einige gingen in den Kaukasus, viele dagegen in die Vereinigten Staaten nach Ohio, wo sie eine sozialistische Kommune gründeten. Die lebte bis knapp vor 1900, als die neue Generation sich mehr vom amerikanischen Individualismus angezogen fühlte und den gemeinsamen Besitz auflöste.
(erschienen in: Südwestpresse Ulm/Ehinger Blatt, 11. April 2007, S. 16)
Rottenacker: der Kirchturm bedroht Abweichler