HEISEL REIN Nr. 13
HEIMAT
Gefühlsduselei oder Utopie?
Der Begriff verkleistert seit zwei Jahrhunderten die deutschen Hirne, immer wenn ihnen grad nichts Wichtiges einfällt.
Und da das oft der Fall ist, hat das Stichwort Heimat Konjunktur, immer.
Seit 1961 wohne ich in einer Gegend – Tübingen/Reutlingen - wo zwei Handvoll Professoren, Journalisten und Kulturamtsangestellte ausufernd Heimat pflegt – wie Tante Emma den Fußboden schrubbte und polierte.
Als im Jahr 2009 wieder einmal HEIMATTAGE meine Wohnstadt Reutlingen streiften, überfiel mich ein Redakteur der REUTLINGER NACHRICHTEN, ob ich dazu nicht etwas absondern möchte.
Da ich selten genug so was soll, wollte ich.
Andere europäische Sprachen kennen das Wort nicht und damit auch nicht diese Duseleien des Gefühls.
Italiener sagen angeblich PATRIA, behauptet ein Lexikon.
Komisch: So hieß auch eine Bar in Torino mit faschistischem Publikum, deren Scheiben zu den Zeiten meiner Torino-Feldstudien bei FIAT vor meinen Augen in Scherben zerbröckelten. Zerdeppert von jungen Militanten von Lotta Continua, die gerade von einer Trauerkundgebung für ihren ermordeten Tonino Micciché zurückkehrten.
Das war 1975. Patria hat einen chauvinistischen Klang. Im Italien Berlusconis wird es heute leicht anders sein: eher NEOLIBERAL und ein wenig separatistisch. Irgendwann wird sie digitalisiert, diese ganze patria – auf CD oder DVD gepresst und günstig verhökert.
Vielleicht ginge noch am besten la terra natale. Aber dann sind auf der Welt die vielen Migranten draußen vor der Tür - aber da sind sie sowieso.
Der Phrase spürt man noch die Zangengeburt zur Zeit der Romantik an, dem Urquell so vieler deutscher Fehlleistungen:
Ersatz für eine verschlafene politische Freiheitsbewegung
Geburtshelfer für Rückwärts-Bestrebungen im Schoß des antiemanzipatorischen Bürgertums.
Jetzt haben wir den Salat.
Jedes Jahr schleichen Dauerschwätzer durch die dünnen Kulturseiten der lokalen Kulturprogramme und der Zeitungen und Fernsehsendungen und beglücken das Publikum:
Heute sei es mit dem missbrauchten Heimatbegriff endlich ganz anders, man dürfe wieder dafür sein.
„Und wie gehen Sie damit um?“ klappert’s auf allen Kanälen.
Ich schrieb voller Arglosigkeit, weil ich das Gefühl hatte – „also auch Sie haben so etwas? wie gehen Sie damit um?“ – AMEN……schleimschleimschleim……..
Ich hatte ein gutes Gefühl bei meinem schwäbischen Antiheimat-Roman HEISEL REIN der Gscheite Narr.
Die Betzinger, unter denen ich wohn’ und wo ich oft mit dem Radl die Dorfstraße hinunterbretter, der rauschenden Echaz entlang, haben das unschuldige Dorfbüchlein flugs in die 7. Auflage hinaufgekauft.
Ein dreifaches HippHippHurrah.
Fahnenschwenken.
Gehupe im Autokorso,
mit und ohne Vuvuzela.
HEIMAT wo gschafft wird, in meinem Büro sieht's nie anders aus. |
Hier der Text, von der Zeitung bestellt – und nie gedruckt. Ich verzweifel zwischen Uflamör, Strasbourg und Basel bloß nicht, weil der BLOCH der ERNST mir hie und da über die Schulter schaut und brummt, wenn’s zu TRIEFNASIG ist, was ich schreib.
Ihm zur Ehre und ständigen Erinnerung:
HEIMAT IST EINE GROSSE UTOPIE
weit vor uns
wo’s keine Grasdackel Hurgler Hutsempel mehr gibt
keine Fremden-, Völker-, Schwabenhasser
und keine Klugscheißer
wo man keinen Durst und Hunger mehr kennt,
wo man die Leute duzen kann
und in einer fidelen Mischung aus verschiedenen Kulturen lebt
wo man viel miteinander lacht
wo’s Diebe höchstens im Hunderter-Bereich gibt
wo man nicht ständig über Heimat labert
und meine Gerlinde nicht meckert, wenn mir das Essen anbrennt
Heimat ERTRÄUM ich mir als ein Land
wo der GSCHEITE NARR VON BETZINGEN
nicht vergast wird
und die Leute meine Bücher lesen
Hellmut G. Haasis
Reutlingen-Betzingen
2009
HEIMAT droht, an der schwäbischen Donau bei Reichenstein,
am Nebenflüsschen BRAUNSEL (im Rücken des Fotografen liegt eine der schönsten Stellen der Donau)