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Ein "gscheiter Narr"


(Reutlinger Nachrichten 10 nov. 08)

Hellmut G. Haasis liest aus seinem Buch über Heisel Rein
"Ich bin ein Betzinger", so beginnt Hellmut G. Haasis am Freitagabend in einer vollen Zehntscheuer die Geschichte von Heisel Rein. Der "gscheite Narr" wurde 1878 geboren und - 1940 in Grafeneck ermordet.
NORBERT LEISTER
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Das Leben des Heisel Rein: Hellmut G. Haasis macht aus der Lesung eine Performance. Foto: Norbert Leister

Betzingen  "Ich bin ein Betzinger. Das ist nicht weiter schlimm, vielen anderen gehts auch nicht besser." Diese Ouvertüre zeigt schon, wo es lang geht mit der Geschichte des "Eulenspiegels von der Echaz". So nennt nämlich Hellmut G. Haasis den Heisel Rein, der eigentlich Reinhold Häußler hieß.
 
In Betzingen habe ihn ab den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts fast bis heute ein jeder gekannt, behauptet Haasis am Freitagabend in einer gut gefüllten Zehntscheuer. "Die Geschichten sind aber drauf und dran, verloren zu gehen."
 
Über einige Umwege sei Heisels literarischer Nachlass vor der Haustür von Haasis gelandet, mit der kurzen, anonymen (hier ins Hochdeutsche übersetzten) Notiz an den Empfänger: "Wenn du schon nichts Vernünftiges arbeitest, dann kannst du wenigstens die Geschichten vom Heisel Rein rausbringen."
 
Als der Schriftsteller die Aufzeichnungen des Betzinger "Eulenspiegels" las, habe er sich köstlich amüsiert - und beschlossen, diese Zeilen in einem Buch zusammenzufassen. Was Haasis aber offensichtlich nicht gefiel: Die politische Färbung all der Streiche, die Heisel Rein der Obrigkeit spielte, sei in den mündlichen Überlieferungen mit der Zeit verloren gegangen. Hellmut Haasis habe deshalb in dem vorliegenden Buch eine gewisse "Renovierung - wie bei einer alten Wandmalerei in einer Kirche" - vorgenommen.
 
Das Publikum in der Zehntscheuer amüsierte sich prächtig über die Geschichten des Heisel Rein: In der Pause gingen die Bücher weg, wie die sprichwörtlichen "warmen Wecken". Und eigentlich war die Lesung weit mehr als das: Haasis untermalte seine Worte mit Kerzenschein und einer "Multimedia-Show" mit alten Bildern aus Betzingen oder von Reinhold Häußler. Zudem beließ der Schriftsteller es nicht allein bei den gelesenen Zitaten - sein Auftritt geriet mehr und mehr zu einer Art Performance, in die Haasis, der auch als Clown Druiknui bekannt ist, zahlreiche schauspielerische Elemente mit einwob. In diesem Stil erzählte der Autor am Freitagabend etwa Geschichten, wie Heisel Rein den Ortspolizisten oder den Betzinger Pfarrer und auch den Spieß beim Militär spitzbübisch an der Nase herumführte.
 
Musikalisch begleiten ließ sich Hellmut Haasis von Andrej Mouline aus Moskau, einem Virtuosen an der russischen Bajan-Ziehharmonika. Seine Finger schienen fast schon magisch über das Instrument zu fliegen und dabei Melodien aus Argentinien, Frankreich oder Russland zu produzieren - die Zuhörer waren begeistert.
 
"Ohne das Ende von Heisel Rein in Grafeneck wäre die Geschichte aber nicht vollständig", hatte Bezirksbürgermeister Thomas Keck zum Beginn der Veranstaltung in der Zehntscheuer betont. Und so finden sich auch im Buch von Haasis im zweiten Teil, nach den aufgeschriebenen Schwänken, Texte über den unfassbaren Tod des "Eulenspiegels von der Echaz".
 
Begonnen hatte das Ende Heisels mit seiner Einweisung in die psychiatrische Anstalt nach Weissenau bei Ravensburg. Von dort aus wurde Reinhold Häußler 1940 mit den grauen Bussen nach Grafeneck abgeholt.
 
Von dort kehrte er aus dem bekannten Grund nie mehr zurück: Wie 10 653 weitere Menschen wurde auch der "gscheite Narr" dort in der so genannten Aktion T4, einer Probephase der industriellen Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten, ermordet.


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