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EIN HAUCH VON POLIZEISTAAT IN STUTTGART

6. Dezember 2008

Am 6. Dezember 2008 wurde in Stuttgart geprobt, wer im Zweifelsfall ein wichtiges öffentliches Recht der Demokratie, die Versammlungsfreiheit, gefährdet.

Im Landtag steht wieder einmal eine generelle Beschränkung dieses Grundrechts an, das uns von Diktaturen unterscheiden sollte – ja wenn wir’s hätten und ausüben dürften, ohne befürchten zu müssen, drangsaliert, körperlich angegriffen und für künftige „Zugriffe“ der Unordnungskräfte vorgemerkt zu werden.

Die Polizei aller Länder braucht „Vorgemerkte“. Machen wir einen kleinen Ausflug in die Geschichte, wir wollen doch vor lauter GEDENKTAGEN UND GEDENKSTÄTTEN nicht die noch immer aktuellen Seiten unserer Geschichte vernachlässigen

Auf dieses „Vormerken“ war einst Reinhard Heydrich spezialisiert (Chef der Gestapo, nicht Moderator von WETTEN DASS).

Womit? Durch die Führung von über 1 Million Karteikarten. Alle schön mit Hand, selten mit Schreibmaschine beschrieben. Viele fleißige Hände zu widerlichem Zweck und später mit anständigen Pensionen belohnt.

Eine solche Kartei gab es mit der Angriffsrichtung Schweiz. Falls man den Nachbarstaat überfallen würde, sollten die führenden Schweizer Demokraten eingelocht und beseitigt werden.

Zur Vorbereitung dieser globalen Polizeitat existierte seit 1938 eine Kartei mit den Namen von Schweizern, die als „feindlich“ galten.

Wo? – natürlich in Stuttgart, im Tagblattturm.

In diesem Wahrzeichen der Stadt residierte guter getarnt der Stolz der deutschen Polizei: der SD, der Sicherheitsdienst.

Ein verharmlosender Namen für den brachialen, an keine gesetzlichen Schranken gebundene GEHEIMDIENST DER SS.

Nun zum Stuttgart von heute. Als sich am 6. Dezember 2008 Demonstranten gegen die neue Knebelung versammeln wollten, offenbarte sich, dass die Polizeiführung die bisher als neue Fahne herumgetragene DEESKALATION auf den Schutthaufen geworfen hatte.

Es ging vielmehr um Provokation, Gemeinheiten, Verletzungen der menschlichen Würde – der geltenden Gesetze sowieso.

Doch noch ist die Polizei von der Beschränkung durch die Gesetze nicht befreit. Es sollte so weit nicht kommen – auch wenn politisch Aktive davon seit Jahrzehnten ein Lied singen können.

Als Zeuge der erlebten Zustände gilt uns nun die folgende Dienstaufsichtsbeschwerde von Peter Grohmann, Anstifter, Stuttgart.

Aber Peter, so wirst du dich bei der Polizei nie beliebt machen. Ist dir das nicht klar? ----- Ach so, das willst du gar nicht? Aber aber ……… nein nein ……..

Peter glaubt, er bekäme keine Antwort.

Ich glaube, er bekommt eine, die aber so viel rechtliche Substanz hat wie eine Büttenrede der Määnzer Fassenacht.

Die angesprochenen Dienststellen werden nichts auszusetzen haben, sich aber hüten, ihren Einsatz minuziös zu rechtfertigen.

Lassen wir nun den Augenzeugen sprechen – einen besseren bekommen wir nicht. Leute, die so etwas riskieren, sind dünn gesät, vor den Polizeikräften aller Staaten.

Peter selbst sieht den politischen Zusammenhang so:

Für Freiheit und Demokratie, für die Versammlungsfreiheit gingen am
6.12.2008 in Stuttgart rund 6500 Menschen auf die Straße – zum größeren
Teil junge Leute.

Es geht ja munter voran mit dem Abbau von Bürgerrechten:
Telefonüberwachung
- Online-Durchsuchung
- schwerwiegende Eingriffe in die Pressefreiheit –

das nimmt die gute Gesellschaft kaum recht wahr - so wenig wie den Aufmarsch einer bis an die Zähne ausgerüsteten und manchmal KOMPLETT VERMUMMTEN POLIZEI.

Die Polizisten, hatten wir den Eindruck, versuchten förmlich, durch Präsenz und Provokation die Stimmung anzuheizen: Körper-, Ausweis- und Gesichtskontrollen, viele rüde Beamte. Am Truppenübungsplatz der Polizei wurde munter gefilmt und fotografiert.
Hausrecht der Veranstalter? Eine Lachnummer für die Obrigkeit! Einsatzkommandos und Berittene, versteckte Kameras, Zivilpolizei: Das kennen wir doch.
Ein kaum zu überbietendes Drohpotential, das eine Kundgebung wie einen Aufmarschplatz von Verbrechern aussehen ließ:

Der Polizeistaat lässt schön grüßen, er steht längst parat.

Gegen die demütigen Polizeimaßnahmen habe ich Anzeige + Dienstaufsichtsbeschwerde erstattet – wegen Nötigung und Rechtsbeugung.

 

Peter Grohmann Olgastraße 1 A, 70182 Stuttgart

An das Innenministerium Baden-Württemberg,
Dorotheenstraße 6, 70173 Stuttgart
HYPERLINK "mailto:poststelle@im.bwl.de" poststelle@im.bwl.de

Bereitschaftspolizei BPA Göppingen, Heininger Straße 100,
73037 Göppingen
HYPERLINK "mailto:bpp.pressestelle@bp.bwl.de" bpp.pressestelle@bp.bwl.de

Polizeipräsidium Stuttgart, Hahnemannstraße 1
70191 Stuttgart
HYPERLINK "mailto:stuttgart.pp@polizei.bwl.de" stuttgart.pp@polizei.bwl.de

Anzeige wegen vermuteter Rechtsbeugung und Nötigung, ersatzweise
Dienstaufsichtsbeschwerde

gegen /unbekannte/ Beamte der BPA Göppingen, stellvertretend gegen die Einsatzleitung der Polizei, vertreten durch die LPD Stuttgart.

Anlass: Polizeiliches Verhalten und Übergriffe bei der Demonstration gegen das geplante neue Versammlungsgesetz am 6.12.2008 in Stuttgart.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich war Teilnehmer der Demonstration am 6.12. 2008 in Stuttgart gegen die geplante
Verschärfung des Versammlungsrechts in Baden-Württemberg.

Dabei wurden nach meinen Beobachtungen und Feststellungen (die auch von Dritten
bezeugt werden) wesentliche Grundrechte, wie sie im Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland bzw. im Versammlungsgesetz uam. festgehalten sind, durch Ihre Beamten
verletzt.

1. Offensichtlich verstieß die Kontrolle bestimmter Personen im Vorfeld der genannten
Kundgebung gegen Artikel 3, 1 und 3 des Grundgesetzes, weil ersichtlich war, dass die von den Kontrollen Betroffenen wegen ihrer politischen Anschauungen kontrolliert und dadurch benachteiligt wurden.

Dazu: (Artikel 3: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (3)
Niemand darf wegen … seiner … politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. )

2. Verletzt wurde in eklatanter Weise durch Sie oder Ihre Erfüllungsgehilfen weiter der
Artikel 5 des Grundgesetzes: (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen
ungehindert zu unterrichten.

Sie haben durch unverhältnismäßig starke Polizeipräsenz und Ausrüstung Passanten
eingeschüchtert und davon abgehalten, die öffentliche Versammlung zu besuchen. Sie
haben außerdem den Artikel 8 des GG missachtet:

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln, in dem Sie oder Ihre Erfüllungsgehilfen Passanten unberechtigterweise gestoppt und nach ihrem Weg und Ziel befragt haben.

Sie haben ferner Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Kundgebung besuchen wollen, durch vollkommen überzogene Taschen-, Gepäck- und Körperkontrollen (bis hin zum Abasten auch in den Schritt) am Besuch der Veranstaltung gehindert, indem Sie Ihnen den Zugang verwehrten, wenn sie sich den diskriminierenden Kontrollen nicht unterziehen wollten.

Sie höhlten damit das bestehende Versammlungsgesetz aus:

VersammlG § 1:
(1) Jedermann hat das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.

Sie haben ferner den § 7 VersGs missachtet, nachdem nicht Sie, also die Polizei, sondern der Leiter der Versammlung das Hausrecht ausübt:

VersammlG § 7: (4) Der Leiter übt das Hausrecht aus. Sie haben vor und während der Kundgebung in der Lautenschlagerstraße innerhalb des Kundgebungsgeländes ohne Aufforderung durch den Versammlungsleiter Kontrollen durchgeführt und Teilnehmer der Versammlung provokativ, unhöflich und ehrverletzend behandelt.

Sie haben gegen § 12 des Versammlungsgesetzes verstoßen, indem sich Ihr filmenden
und fotografierenden Beamten dem Leiter nicht zu erkennen gaben und zudem aus
versteckten Positionen heraus vor und während der Kundgebung filmten und fotografierten.

(VersammlG § 12: Werden Polizeibeamte in eine öffentliche Versammlung entsandt, so
haben sie sich dem Leiter zu erkennen zu geben…)

Sie haben außerdem gegen den § 12a VersammlG § 12a verstoßen:

(1) Die Polizei darf Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden …
.
Sie oder Ihre Erfüllungsgehilfen haben mich während und nach meinem Protest gegen eine Unhöflichkeit der Polizei fotografiert und gefilmt – weder wurde ein Beamter beleidigt oder gar bedroht oder in anderer Weise behelligt, es ging lediglich um eine einfache Beschwerde.

Diese Praxis wurde vielfach auch bei anderen Gelegenheiten angewandt, quasi kam jeder „aufs Bild“, selbst wenn er sich in der harmlosesten Weise z.B. über die Präsenz der Polizei beschwerte. Die fotografierenden / filmenden Beamten waren nicht bereit, mir ihre Dienstnummer zu nennen.

Ich fordere Sie auf: „(2) Die Unterlagen sind nach Beendigung der öffentlichen
Versammlung oder zeitlich und sachlich damit unmittelbar im Zusammenhang stehender Ereignisse unverzüglich zu vernichten, soweit sie nicht benötigt werden. …
VersammlG § 19a: Für Bild- und Tonaufnahmen durch die Polizei bei Versammlungen
unter freiem Himmel und Aufzügen gilt § 12a.

Beamte vor allem der BPA Göppingen haben während der folgenden Demonstration
mehrfach Fotografen absichtlich angerempelt, was offenbar nicht nur der Einschüchterung diente.

Sie haben schließlich eine Ihrer vornehmsten Pflichten verletzt, wie sie u.a. im
Polizeigesetz Baden-Württemberg festgeschrieben ist:

Allgemeines
(1) Die Polizei hat … insbesondere die verfassungsmäßige Ordnung und die ungehinderte Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte zu gewährleisten.

Mir sind vom Hörensagen zahlreiche weitere und ähnliche Zwischenfälle bekannt
geworden. Ich kann mir das Verhalten der Beamten erklären: Möglicherweise waren einige an „Zoff“ und Provokation interessiert, um das Bild einer gewaltbereiten Autonomen Szene besser transportieren zu können.

Erfreulicherweise hat das nur bedingt geklappt – viele Passanten riefen spontan „Polizeistaat“. Dem schließe ich mich gern an.

Mit freundlichen Grüßen
Peter Grohmann
8. 12. 2008

elektronisch versandt am 8. 12. 2008, 18:54
Peter-Grohmann<at>Die-AnStifter.de



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