"Tod in Prag". Das Attentat auf Reinhard Heydrich, Rowohlt 2002.
Der Feuilletonchef der großen Prager Tageszeitung "Pravo" vereinbarte über die Übersetzerin Zlata Kufnerova ein elektronisches Interview, das pünktlich zum Erscheinen der tschechischen Übersetzung herauskam.
Sehr angenehm: Die Sudetendeutschen marschierten danach nicht gegen uns, stellten uns nirgends an den Prager und auch die Kommunisten wussten nicht alles besser. Niemand sah irgendeine Weltverschwörung.
Das Interview kam tschechisch heraus in: Pravo, Prag 6. Mai 2004, Kulturbeilage "Salon", eine halbe Seite.
Fragen von Zdenko Pavelka.
Meine Antwort nach Prag:
1. Welche Bedeutung hat fuer Sie heute, mit Abstand, das Attentat auf Heydrich? War es eine Heldentat, eine Kriegsoperation oder eine terroristische Aktion? /Zur letzten Moeglichkeit: dieses Argument tritt manchmal auch heute wieder auf, als eine Analogie mit der sog. Auschwitz-Luege./
Schon viele entsetzliche Regimes haben den Ehrentitel Helden vergeben: Himmler für die deutschen SS-Mordbanditen, die Millionen Juden, Freiheitskaempfer, Kommunisten, Sinti usw. umbrachten. Auch Lenin und Stalin ehrten ihre "Helden". Die Auszeichnung als Held ist fuer mich unrettbar missbraucht, es straeubt sich alles in mir, diese Ehrung noch zu verwenden.
Kubis und Gabcik halte ich absolut nicht fuer Terroristen, sondern fuer Raecher aller geknechteten Menschen in Europa. Sie waren Stellvertreter fuer alle Opfer der Nazis, vom Atlantik bis an die Wolga, von Norwegen bis nach Nordafrika.
Die Partisanenaktion traf nicht einen kleinen Mitlaeufer Hitlers, sondern den faehigsten aller Nazimoerder: den Chef der Gestapo, der SD-Polizeitruppen und des SS-Geheimdienstes. Heydrich baute in jedem eroberten Land einen SS-Apparat auf, wie es Himmler und selbst Hitler nie geschafft haetten. Kubis' Granate schlug der vielkoepfigen Nazi-Hydra das gefaehrlichste Haupt ab. Hitler war schwer getroffen, am Sarg Heydrichs brachte er nur noch einige hilflose Sätze heraus.
Mein Respekt gilt ebenso den Unterstuetzern im Prager Untergrund, den Kreisen um Marie Moravcová und Jan Zelenka, genannt Onkel Hajský. Ohne deren Hilfe waere die Aktion gar nicht moeglich gewesen. Es stuende den heutigen Pragern gut an, diesen Vergessenen ein kongeniales Denkmal zu setzen, keine geistlose Tafel, sondern eine Inszenierung passend zum Geist des Hus-Denkmals auf dem Altstaedter Ring.
2. Haben Sie bei der Arbeit am Buch etwas fuer Sie voellig Ueberraschendes entdeckt?
Natuerlich und massenweise, fast jeden Tag. Die SD-Geheimdienstberichte ueber die widerspenstige Stimmung im Land, die intelligente tschechische Untergrundliteratur mit ihren Forderungen und Ideen, mein groeßter Respekt gilt hier den Gewerbeschuelern von Kladno. Die Protestparolen auf Closetts, in Eisenbahnen, auf Gehsteigen und Handzetteln. Eine Masse verschütteter Details vom Ablauf des Attentats, wodurch wir Einblick in die Seele der Akteure gewinnen. Die Entdeckung eines tschechischen Verraeters im Prager Widerstand, selbstverständlich ohne meine Genugtuung, denn die Deutschen haben solche Verräter zu Millionen gehabt.
Auch Zuege zur Erheiterung habe ich gefunden. Der ganze Ablauf sieht streckenweise so aus, wie wenn er unter der Regie von Charlie Chaplin stünde: ein Slapstick nach dem anderen. So die Unfaehigkeit Heydrichs und seines Chauffeurs, ihre Waffen einsatzbereit zu halten. Die Abneigung von Kubis und Gabcik vor einem Pistolenduell mit den Waffenlosen. Die Irreführung der Gestapo durch die Söhne und Töchter Schwejks. Der Unwille, Heydrich ins Spital zu bringen.
Ich fand auch todernste Elemente, Stoff zu einem dramatischen Roman von Weltformat: Der letzte Kampf der Fallschirmspringer in der orthodoxen Kirche St. Cyrillus und Methodius. Heydrichs Verlust der Realitaet, sobald er auf dem Hradschin residierte, sein Verzicht auf jeden Schutz. Seine beiden Geheimreden über seine Mordstrategie, die 2. Rede muss als Klartext zur Wannsee-Konferenz gelten. Heydrich entwickelte in Prag den nekrophilen Menschentypus der Nazis in Reinform. Zuletzt der Ekel erregende Totenkult um Heydrich.
3. Glauben Sie, dass es zwischen den Deutschen und Tschechen in diesem Jahrhundert zu einer Verstaendigung kommen wird und dass man die alten Unrechte und Kämpfe den Historikern überlassen wird?
Sicher. Ich bin Optimist, wenn auch mit Trauerflor. Wenn Sie mir in zehn Jahren dieselbe Frage stellen, werden die letzten Hassausbrueche der sudetendeutschen Funktionaere schon lange verklungen sein. Die Tschechen und die Deutschen werden sich besser kennen als heute, Reisen schaffen die schönste Aufklaerung. Und in zwanzig Jahren wird uns die junge Generation auslachen, wenn wir von den alten Streitigkeiten erzaehlen. Alles verschwunden im Orkus des Vergessens, nur noch wir Omas und Opas wissen davon. Hahaha. Unsere Sorgen von heute sind uebermorgen ein Witz.
Aber ganz so billig will ich uns nicht entlassen. Wir taeten gut daran, ab und zu die Kirche St. Cyrillus und Methodius und den Schießplatz von Kobylisy zu besuchen. Und bitte nicht vergessen: die deutsche Stadt Konstanz am Bodensee mit dem Hus-Haus und dem Gedenkstein an der Stelle, wo Hus verbrannt wurde.
Was wir nicht mehr kennen, das koennte uns eines Tages hinterruecks ueberfallen. Der Verlust der Geschichte bietet leicht Raum für Verführung, Verdummung und tief zufriedene Ignoranz.
Wichtig scheint mir auch: Beim Kampf zwischen Deutschen und Tschechen bezahlten zuerst die Juden die toedliche Zeche. Das geistige juedische Erbe Prags wäre wert, in das Schatzkästchen der Stadt einzugehen: bezaubernde Erzaehlungen von Wortkuenstlern. Prag hatte mehr als 50 talentierte juedische Erzaehler, leider hat Kafkas Schatten die meisten verdraengt.
Hellmut G. Haasis, geboren 1942 in der Nähe von Stuttgart. Hörspiele, Ausgrabungen vergessener Freiheitsbewegungen in Mitteleuropa, Roman, Theaterstücke, Ausgrabung Prager Erzählungen, Judaica. Spielt in Schulen den schwäbischen Märchenclown Druiknui (Dreiknie). Hauptwerke: Drei literarische Preise. |