Ratzinger (3)
Lang hat er geschlafen, zu Ostern wachte er auf. Aber ohne die Medien wäre seine Auferstehung nicht bemerkt worden.
Ratzinger hebt für die Gläubigen wieder die Hände, winkt und sucht vielleicht doch nur ein Weißbierglas zu halten. Ich rate: Vorher a bissle supfa, damid-s ed iberlauft. Proscht.
Am 19. April 2006 ließ er durch die Nachrichtenagenturen weltweit verbreiten: „Es kam ganz unerwartet für mich, dass die Kardinäle meine armselige Person zum Nachfolger des geliebten und beweinten Johannes Paul II. wählten.“
Armselig – er hat’s selten so selbstkritisch getroffen. Inszeniert uns hier ein demütiges Spektakel, wie wenn er der arme Diener einer hehren Gemeinschaft wäre. Wie wenn er nicht bei der Papstwahl in schlitzohrigen Verhandlungen und Intrigen hinter den Kulissen eine Kardinalsstimme nach der anderen an Land gezogen hätte.
Ratzinger war der gefürchtete scharfe Hund der Glaubenskongregation, würdiger Nachfolger von Großinquisitoren. Hat viele Kritiker, Zweifler und Sucher auf dem Gewissen – ohne seines je von solchen Opfern belastet zu spüren.
Nicht nur über seinen ehemaligen Tübinger Kollegen Küng führte er in Rom eine Schnüffelakte. Ihm übrigens mit Material gefüttert von Tübinger Spionen. Feiner Verein, diese Kirche.
Tausende anderer Opfer wurden in dieser Schandinstitution der katholischen Kirche beobachtet. Und nun ein Gesinnungsschnüffler als Hirte? Das Sprachbild entlarvt sich selbst. Hirte ist er nur, wenn andere ihm Schafe oder Säue oder Kühe sein wollen. Der unterwürfige Wille dazu nimmt spürbar ab.
Dieser Gesinnungspolizist trieft nun von Armseligkeit und Gutmütigkeit. „Papa Ratzi“, wie man inzwischen locker sagt.
Vor 50.000 Gaffern, Pilger genannt, gab er mal wieder sein Programm bekannt: Er werde „ein sanfter und standhafter Hirte der Kirche“ sein.
Sanft? Damit meint er wohl sein gemütliches Opa-Lächeln – ohne je Opa werden zu können. Peinliche Quizfrage für das vatikanische Fernseh-Ratespiel: Warum kann er nie Opa werden?
Standhaft wolle er sein: Das waren und sind Gewaltherrscher in der Regel. Standhaft waren die Jesuiten bei den Verhören Andersgläubiger. Standhaft die Kirchenjuristen bei den Verhören der Hexen. Und tödlich standhaft die Konzilsherren in Konstanz 1415, als sie gegen rechtsverbindliche Zusagen den Abweichler Jan Hus den Flammen übergaben.
Ein Verbrechen, das kein Konzil und kein Papst je bedauerten. – Obwohl selbst ein formales Bedauern nur eine Unverschämtheit wäre. Mord bleibt Mord. Da bleibt auch Ratzinger „standhaft“.
Das hoffe ich sehr. Nur nicht nachgeben!
Zum Schluss zur päpstlichen Propaganda-Aktion eine Beweihräucherung der naiven Gläubigen, die an seinem Mund hingen: Ohne die vielen Gebete der Gläubigen könnte er sein Amt gar nicht ausfüllen. – Wie soll ein kritischer, vernunftbegabter Rationalist das verstehen? Wie kommen die imaginären Gebetsduseleien durch den Äther nach Rom, um den Papst in seinem Amt zu unterstützen? Und was passiert, wenn die Gläubigen selbst nur einige Minuten mit dem Beten für Ratzinger aufhören? Bricht dann die Kirche zusammen?
Es wäre zu schön.
Wie können wir uns physikalisch die Gebetsübertragung erklären? Wie wirken in der Ferne bewegte Hirnwindungen auf die Kräfte des Papstes?
Wie sagte der berühmte Bußprediger Jesus von Nazareth, ein erfolgreich beschnittener Jude: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ – Welche Früchte haben die Gebete im ersten Amtsjahr von Ratzinger gebracht?
Nix zu sehen, nix zu hören – und vor allem: Auf der ganzen Welt kann man nix davon spüren.
Ratzinger bleibt in seiner geistigen Unbeweglichkeit ein „standhaftes Nichts“.
Kann so weitergehen, uns fehlt nix.
Passt! pflegt man heute zu sagen.
(1. Mai 2006)