haasis:wortgeburten

SCHWÄBISCH IN DER SCHULE

eine Unterrichtseinheit (Doppelstunde)
hellmut g. haasis, tannenstr. 17, 72770 reutlingen
tel/fax 07121-50.91.73
mundart (alle schularten)
+ märchenclown druiknui (grundschulen)
(kann au a ganz klois bissle hochdeitsch)
hellmut.g.haasis_at_gmx.de http://www.hellmut-g-haasis.de
http://haasis-wortgeburten.anares.org/
http://www.alemannisch.de/Mundart_an_der_Schule/Mundart_Schule-neu.pdf


die Vielfalt
einer Minderheitssprache in Europa

Versuch in einer Schule des südschwäbischen Dialektes

Requisiten: Arbeiterkittel, Filzhut, Zylinder, Trillerpfeife, meine Bücher „Jetz isch fai gnuag Hai honna“, „Em Chrischdian sei Leich“, Schild (vorne „1 Schwabe“, Rückseite „normal“), Folien bunte Dialektkarte.
Lesematerial: Kopien meiner Gedichte.
Die Schule stellt Farbkreide und Folienprojektor zur Verfügung.
ZIEL: Die Vielfalt in den verschiedenen Mundarten unseres Bundeslandes kennenlernen.
LACHEN: bei mir derf glacht werra, lieber a bissle mai wie nix.

VORSTELLUNG
Geboren in Mühlacker, dreispachig aufgewachsen (mittelschwäbisch/Stuttgarterisch in der Familie, enzfränkisch auf der Gass, hochdeutsch in der Schule).
Inhalt und Ziel der Doppelstunde knapp skizzieren. Dann hinausgehen.

EIN „NORMALER“ SCHWABE
Ich komm rein kostümiert (Arbeitskittel mit Malerflecken, Filzhut, Schild „1 Schwabe“) als schlichter Zeitgenosse. Ich gehe mit typischer Gestik und einsilbig bruddelnd durch die Reihen. Wichtig die nichtverbale Haltung („aubacha bleed“).
„Ha? So! Wa? A-a. Morom? Hanoi. Awa. Sooo? Vo wäga. Ed. Id. Idda. Edda. Noi ned noa, nix, nex. Närgads, oima, oimads, ommasooscht, äwl“.
Plötzlich aufbrausend ins Gegenteil verfallen: „henna-domma-diiba-dann-drom-rom-närgadsnoo“.
Am Ende ängstlich zurückweichen.

Erkenntnis:
Die Schulklasse kann sich einstimmen:
Wozu wird die Mundart in den Medien oft benützt? eher: missbraucht?

Awa, die Mundart isch doch hopfaleicht.
- Wa?
Aber wer Mundart spricht, scheint vielen ein einfaches Gemüt zu sein.
- So?
Wer ausschließlich Mundart spricht, gilt leicht als a Dommerle!!! Modell: „dr Hannes ond dr Birgermoischdr“ (Mäulesmühle, müsste Deppenmihle heißen).

Unsere stärksten Verächter sitzen im Fernsehen. Also oine uff da Zenka (geischdich, nadierlich).
Landesmeister ist Wieland Backes im „Nachtcafé“: Nach angeblicher „Meinungsbefragung“ steht das Schwäbische bei der Beliebtheit unter den deutschen Dialekten auf der drittletzten Stufe. Schlechter nur noch Sächsisch und Hessisch.
Retourkutsche: Von der leichten Fälschbarkeit schurnalistischer „Befragungen“. Meine Erfahrung: In „gebüldötön“ Kreisen gilt meine nicht verleugbare Mundart meistens als „echt Schweizerisch“.

3. ZUNGENBRECHER
Überlanger Satz, dramatische Zuspitzung mit abenteuerlicher Logik.
Dabei steige ich allmählich auf eine Schulbank (uffbassa, dass mr ed raahageld), mache das Abgründige durch die Körpersprache sichtbar.

om a Häärle Hoor
mid ama granadamäßich oaagnehm gräa ogschdrichna Gaadezaile uffm Buckl
hennadäbberlesweis
häälenga
heedarschefir
em daube Diicht
gschwend
grad en ra millionischa Wuat
von dr Alb ra

4. AKTIVIERUNG
Jetzt sind die Schüler gefordert. - Ha, des isch doch oifach. Wer hod äbbas vrschdanda? Noochschwätza! - Gell des gohd gar ed so leicht?

Erkenntnis: Wer nicht mit Mundart aufgewachsen ist, versteht am Anfang wenig oder nichts.
Trost: Man kann alles lernen, wenigstens das Verstehen.

5. TAFELANSCHRIEB DURCH SCHÜLER
Zwei Schüler (je eine Tafelhälfte) schreiben den Zungenbrecher nach Diktat an. (Nicht abschreiben!) Beifall für den Mut. Jeder hat mit seiner Version recht.

Erkenntnis: Der Dialekt ist einfach zu sprechen, aber schwer zu schreiben. – Warummmmmmmm?

6. EINBEZIEHUNG DER KLASSE
Korrekturen durch die Klasse: Wie könnte man die Worte sonst noch schreiben? Wer vorschlägt, darf mit Farbkreide drüberschreiben. Beifall für jeden Mutigen. (Dieser Punkt dauert erfahrungsgemäß zu lange, also eher weglassen.)

Erkenntnis: Widersprüche, Unklarheiten bis Chaos, jede Abweichung ist denkbar.
Nötig ist Toleranz gegenüber der anderen Ansicht, nichts ist allein richtig, nichts ist völlig falsch. Kein Wort ist überall im Land gleich richtig. Es herrscht bunte Vielfalt.
Warummmmmm?
Wer hat Verwandte, schwäbische, die manche Wörter oifach anders schwätzad?

meine Schreibweise mit Folie projizieren
Über Auffälligkeiten reden, andere Schreibung probieren. Hier an Zeitbegrenzung denken, man kommt leicht ins Uferlose.

8. UNTERSCHIEDE MITTELSCHWÄBISCH-SÜDSCHWÄBISCH
eine Synopse mit Folie projizieren. In anderen Gegenden natürlich abwandeln: Westschwäbisch (Schwarzwald), enzfränkisches Übergangsgebiet (mein Geburtsort Mühlacker), Ostschwäbisch, Hohenlohisch usw.

9. GEDICHT VON MICHEL BUCK
(Bussen, südschwäbisch)
(Feinäugle S. 134)
mit einer Folie projizieren. Wenn man nur vorliest, gehen die visuellen Abweichungen von der Schriftsprache verloren.

10. MUNDARTGESCHICHTE
Die drei großen Mundartgruppen in Baden-Württemberg:
Fränkisch
Schwäbisch
Alemannisch.
Sie haben nichts mehr mit den germanischen Stämmen der Völkerwanderungszeit zu tun.
Entwicklung erst ab 13. Jahrhundert.
Das Alemannische bewahrt den Lautstand des Mittelhochdeutschen im 14. Jahr: Ziit, Huus usw. (weiter Feinäugle S. 268).
Beispiel: Zittig, Zeidong, Zeideng.
Entsprechungen im Schwäbischen und Fränkischen.
Im Schwäbischen weiterentwickelt (heißt man: Lautverschiebung) zu halboffenen Doppelvokalen.
Seife – Frau.
Westschwäbisch: oa-Gebiet (S. 268 unten).
„Noa koa Schtoa.“
Senkung von i zu e, von u zu o (268)
Südalemannisch: k zu ch, ö und ü.
Die Doppelvokale kommen aus dem Südosten (Kärnten).
Bis ins 19. Jh. dringen ständig fränkische Änderungen zu uns vor.
Seit einigen Jahrzehnten Rückkwärtsgang: Schwäbisch dehnt sich nach Norden ins Neckarfränkische und nach Süden ins Alemannische aus. Gleichzeitig Rückgang des Schwäbischen in Bayerisch Schwaben bis Augsburg und im Allgaü. Mehr Verkehr und Orientierung der Jüngeren an Vorbildern der Ballungszentren.
Das Fränkische ist näher an der Hochsprache, erscheint deshalb als moderner.

11. VIELFALT DER MUNDARTEN
Scheidelinie zwischen den Mundarten (Feinäugle S. 65f).
Musterwörter.
Möglichst mit einer Folie projizieren, visuell wichtig.
Mittelhochdeutsch-Alemannisch/Schwäbisch/Rheinfränkisch:
Ziit Zeit (schwäbisch))
Huus Hous Hausch (südfränkisch)
breit broit broat (ostfränkisch)
Hond Hund
Chopf Kopf Koupf (ostfränkisch-hohenl.)
Schnai Schnea (ostschw.)
Schlouß (ostfr.)
Oufe (Ofen), Mou (Mann).

(der Mann im Mond) Mo mua dr Moo noo? Mua dr Moo en Mo? Ond no – Mo mua noo dr Moo em Mo noo no noo?

niene (nirgends) näane
nümm (nicht mehr)
nint (nichts)

fanschter (elssäss.), fenschder, faischer, fäaschder.

Nur im Schwäbischen gibt es die Senkung aus dem Hochdeutschen von i zu e und von o zu u:
schwemma, senga, Hond, gsonga. Im Südschwäbischen (südlich der Donau, Oberschaben bis Bodensee) bleiben i und u wie im Alemannischen und Fränkischen erhalten. Hier bildet das Mittelschwäbische eine gesamtdeutsche Sprachinsel.

Eine Besonderheit (wie beim schweizerischen Alemannischen) ist im Südalemannischen die Änderung am Wortanfang von k zu ch: chilche, chille (Kirche), Chuchi, Chuchichäschdli.
Dagegen Kärch (fränk.); Kuche (schwäb).
War der Maler van Gogh (Choch) vielleicht doch ein Südschwabe/Schweizer?

„uns“ mit endlosen Varianten: oas (westschw.), oos (ostschwäb.), aos (alb-schwäbisch), ons (mittelschw.), iis (südschwäb.);
unsa (südfränk.), aoser, ooser, iiser.

12. AUS MEINEN GEDICHTEN
siehe die 4 Anhänge.
Höhepunkt: inszenieren (mit Filzhut) S. 18 „vrgässlich“. (Aber do muaß mr fei schau sauguad sei, bittschee.)

Erkenntnis: Es ist gar nicht so schwierig. Wenn man übt, macht es bald Spaß.
Alles kann man lernen.
Was daneben geht, sorgt für Heiterkeit: unsere Belohnung. (honorarfrei)

13. MEIN SCHWÄBISCHER ROMAN
Aus dem bisher einzigen schwäbischen Roman “Em Chrischdian sei Leich” (1982 geschrieben, von 10 Verlagen abgelehnt, 1989 selbst verlegt, 2 Auflagen, 1990 Thaddäus-Troll-Preis).
Bei mir sind Restexemplare zu haben.

Personen vorstellen (S. 5)
den Anfang lesen S. 9 (ganz)
S. 20 aufräumen des Bettzeug vom Sofa
S. 27 Gegenschwieger (Berliner)
S. 38 schlimme Kindheitserfahrung

14. MEINE GRUNDSÄTZE UND ERFAHRUNGEN
Jede Mundart jedes Landstrichs hat ihr eigenes Recht. Zugezogene anderer Gegenden haben mit ihren Abweichungen genauso recht.
Ich komme nicht als Missionar für meine mittelschwäbische Variante.
Ich betone die Verschiedenheit und öffne so die Mundart für ein geschichtliches Nachdenken.
Anschauliches Beispiel: Entstehung und Alter meines Familiennamen Haasis (patronymisch vom Johannes/Hans, mit nasaler Längung zu Hoos, Sippenbezeichnung)
Auch bei der Schreibweise hat jeder mit seiner Version recht. Vergleiche ermöglichen ein eigenes Vertiefen in die Schwierigkeiten mit der Schreibweise.
Unsere Mundart erlebt rasch Änderungen: je nach Bildungsgrad, nach Arbeits- und Ortswechsel, nach Anpassungsdruck an das „führende“ Stuttgarter Zentralschwäbisch. Wer das breite Schwäbisch von der Alb schwätzt, gilt bald als Türke oder so ähnlich – und bekommt bei kaum einer Bank Kredit.
Am meisten macht den Schülern Spaß, an der Tafel etwas auszuprobieren.
Die schwer hörbaren und vorstellbaren Texte am besten projizieren (Folien, Powerpoint). Anschreiben stiehlt zu viel Zeit.
Der Einstieg mit der Karikatur eines Schwaben, wie er in den Medien verblödet wird, hilft, die Barriere zu einer ins Abseits gedrängten Sprache zu überwinden.

BUCHTIPP
Ein vorzügliches Lesebuch zur Mundart in unserem Bundesland (mit einem Querschnitt alter und neuer Gedichte aus allen Landesteilen):
Feinäugle, Norbert / Eha, Thomas (Hg.):
Mei Sprooch – dei Red. Mundartdichtung in Baden-Württemberg.
Konkordia Verlag, Bühl/Baden 1989 (wenn vergriffen, siehe ZVAB)

Feinäugle, Norbert / Fischer, Hermann:
Wie dr Schwob schwätzt. Reiz und Reichtum der schwäbischen Mundart. Leinfelden-Echterdingen, 2. Aufl. 2003.

 

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