haasis:wortgeburten

 

JOSEPH SÜSS OPPENHEIMER
1734 IN GIESSEN
(nach einer alten Quelle in W. J. Casparson, 1738)

Dieses alte Buch über Süß unterstützt generell die Hetzkampagne gegen Süß Oppenheimer. In dieser feindseligen Umgebung findet sich freilich bei genauer Lektüre eine Schilderung, die nicht in die Gehässigkeit einstimmt. Diese Passage sei wörtlich und unverändert zitiert. Das Buch ist höchst selten und wird heute von den Bibliotheken nicht mehr ausgeliehen, in Stuttgart darf man wegen des hohen Wertes das Original nicht mehr lesen, sondern muss sich mit einer Mikrofiche-Ausgabe begnügen. Der besseren Lesbarkeit zuliebe habe ich in den absatzlosen Text Absätze eingefügt.

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„Die Lebens-Geschichte des Süssen würde nicht vollkommen seyn, wann man ihn nicht noch mit wenigem ausser seinem Caracter und als eine Privat Person betrachtete. [im Buch fett] Seine Bildung war nicht übel und eben nicht Jüdisch. Er hatte ein freyes und munteres Wesen. Sein Umgang mit Leuten, die er nicht unter seinem Joche hatte, war erträglich und nicht eckelhaft.

Den verdrießlichen Accent, welcher den Juden bey ihrem Reden eigen ist, hatte er sich so wohl, wie die wunderbaren Jüdischen Stellungen und Geberden gänzlich abgewehnet.

Daher er bey denen, die ihn nicht kannten, für einen Chri-[46]sten paßirte. Es wird dem Leser nicht entgegen seyn, wann dieses letztere mit einem Exempel bestärket wird.

Er kam im Jahr 1734. mit der Extra-Post nach Giessen, in Ober-Hessen, und kehrte daselbst im Gast Hofe zum weissen Rosse ein. Weil er ein gutes Ansehen, und einen Laquais in Livree bey sich hate, so empfieng ihn der Wirth mit vielem Respect an der Haus-Thür, und fragte: Ob Ihre Gnaden zu speisen beliebete? Indem es grade zur Mittags-Zeit war.

Süß beantwortete dieses mit Ja, und begehrete ein besonders Zimmer. Indem nun solches erst geheitzet werden muste, führete ihn der Wirth in die ordentliche Gast-Stube, woselbst sich ein ganzer Tisch voll Studenten vom Mittags-Essen befanden.

Auch diese sahen den Süß für was rechtes an, und stunden alle auf: Er aber bath sich diese Ehre nur mit diesen Worten ab:

Sitzen geblieben, Ihr Herren!“ sitzen geblieben; worauf sich die Studenten wieder niederliessen.

Süß lehnete sich inzwischen mit dem Arm auf einen Stul, und erblickte allererst einen Juden, den er vorhero in der Stube noch nicht gesehen hatte.

Woher Ebräer? fragte er denselben.
Von Düsseldorf, Ihr Gnaden! versetzte dieser.

Indem kam der Wirth, und nöthigte ihn mit den Worten:

Ihro Gnaden, ist es nun gefällig hinauf zu spatzieren, in das gewärmte Zimmer. Süß gieng hinauf, und indem er die Stube verlies, sagte er zu den Studenten:

Adieu Messieurs! zu dem Wirth aber: Ich werde nicht essen, schicke er mir nur eine Bouteille Wein auf mein Zimmer.

Der Wirth beantwortete dieses mit einer tiefen Reverenz, und führete seinen Gast die Stiege hinauf. Wie er wieder zurück kame, fand er des Süssen Laquais auf dem Gange.

Er bath denselben sehr ernstlich: Monsieur! sage er mir doch, wie man seinen Herrn titulirt, Ihr Gnaden, oder Ihr Excellenz?

Ha! antwortete der Kerl: Ihr Gnaden wird er durchgehends geheissen.

So, so, versetzte der Wirth, und gieng in den Keller Wein zu zapfen; welche er nachmals dem Süß ins Zimmer brachte. Süß befahl demselben seinem Kerl jemand mitzugeben, der ihm ein ge-[47]wisses Hauß zeige, in welchem er sich wolle melden lassen; dem Düsseldorfer Juden aber lies er sagen: Er solle zu ihm auf die Stube kommen.

Der Juden gehorsamete, und gieng nach geziemendem Anklopfen hinein, fragte auch alsobald:

Was Ihro Gnaden zu befehlen hätten? Wo seyd ihr her Ebräer? fieng der Süß zum andernmal an.

Ihro Gnaden, ich bin von Düsseldorf, wie ich schon gesagt habe, und logire hier im Hause, antwortete ihm derselbe.

Jener: Wie heisset ihr?
Dieser: Liebmann.

Süß: Was macht ihr hier?
Ich habe hier wegen eines Processes zu thun.
Süß: Mit wem führet ihr Proceß.

Liebmann: Es rühret noch von meinem verstorbenen Vater her, und nannte denselben bey Namen.

So, versetzte Süß, so habt ihr ja Verwandten in Mannheim und Heidelberg, und zehlete ihm solche auf den Fingern her.

Gott soll behüten! antwortete der Jude, Eure Gnaden kennen ja alle meine Verwandten. Süß lachte, weil sich der Liebmann so drüber verwunderte, und trank ihm ein Glaß Wein zu.

Ich darf nicht, entschuldigte sich der Liebmann.

Warum nicht? fragte Süß.
Liebmann: Eure Gnaden wissen ja, wie die armen Juden so übel dran sind.

Süß stellete sich einfältig, und fragte weiter: Wie so?

Nu, antwortete Liebmann: Eure Gnaden wissen wohl, daß die Juden keinen andern als Koscher-Wein trinken dürfen.

Narrens-Possen! sagte Süß, trinkt ihr doch.

Der Jud zuckte die Achsel und entschuldigte sich, dass er nicht trinken dürfe.

Endlich veränderte sich das Spiel auf einmal, wie ihm der Süß das Glas mit den Worten auf Loschen hakoudesch, darhielt:
Schoute trink! ich bin so wohl ein Bar Isroel wie du.

Der Jud ward ganz bestürzt und antwortete: Eure Gnaden scherzen.

Dem der Süß in die Rede fiel: Catouves ist Catouves: Aber ich dibbre ldir den Emmes, daß ich ein Bar Jsroel bin.

Ein Bar Jsroel! fragte jener mit der grössesten Verwunderung.

Pschite! beschlos dieser, Schoute, ich bin der Süß Oppenheimer.

Das Ge-[48]spräch wurde unterbrochen, wie des Süssen Laquais zurück kam, von welchem er sich hinführen lies, wo er sich melden lassen; bestellete aber zuvor, dass der Postillon anspannen sollte, damit er gleich auf Wetzlar fahren könne, wann er wieder käme.

Indem nun der Süß abwesend war, erzehlete der Jud Liebmann dem Wirth, was zwischen ihnen vorgangen, und missbilligte gar sehr, dass der Süß den Satzungen der Rabbiner so frech entgegen handelte; gab auch den Anschlag:
man möchte ihn beym Zöllner anzeigen; weil er sich am Thor vermuthlich für einen Christen ausgegeben, und den Zoll nicht entrichtet haben würde.

Herr K…, so hieß der Wirth, ein ehrlicher Mann, aber zugleich ein durchtriebener Kopf, lachte bey sich selber, dass er dem Süß so viele Complimenten gemacht.

Damit er sich aber doch ein wenig an ihm rächen möge, so schickte er so gleich in die benachbarte Juden-Herberge, und ließ denen Blete-Gästen sagen:

Dass sie sich alle in seinem Hause einfinden sollten, weil ein fremder reicher Jud da wäre, der sie beschenken wolle.

Es war den Freytag Nachmittag, wie dieses geschahe, und die Herberge war voller armer Juden, die den Schabbes in Giessen zu feyern gedachten; Alle diese erschienen vor dem weissen Roß, und warteten auf den Oscher, der sie beschenken würde.

Dieser kam auch bald, von seiner abgelegten Visite, zurück, und erkannte seine Glaubens-Brüder und Schwestern eher, wie sie ihn. Er fragte den an der Thür stehenden Wirth:

Wo die vielen armen Leute herkämen?

Welcher ihm mit allem verstelleten Respect antwortete:
Ihr Gnaden! weil hier ein Wirtshaus ist, so finden sich beständig arme Leute ein, die von grossen Herrn ein Allmosen erwarten.

Es ist so, sagte der Süß, man trift überall arme Leute an, und reichte allen gegenwärtigen Juden, von den Alten bis auf die kleinen Kinder ein reichlich Allmosen dar; bezahlete darauf den Wirth und fuhr davon.

Man siehet aus diesem Histörchen, dass er in seinem äussern Wesen nicht viel Ebräisches an sich gehabt; desgleichen, dass er sich in einigen Stücken seiner Religion sehr vieles heraus genommen. Dahin [49] gehöret seine Art zu essen und zu trinken, bey welchen er die Rabbinischen Satzungen, zum Aergerniß aller scrupulösen Juden, wenig in acht nahme.“

(Wilhelm J. Casparson: Leben und Tod des berüchtigten Juden Joseph Süß Oppenheimer, aus Heidelberg, 1738, S. 45ff (72 Seiten) Signatur in der Landesbibliothek Stuttgart: MC w.G. qt.359)

Den hier geschilderten Aufenthalt in Gießen im Jahr 1734 hat Hellmut G. Haasis beschrieben und interpretiert in seiner Biografie „Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer“,1998, S. 264-267.

 

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