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SÜSS NACHTRAG 9

Protest aus dem Innern des Stuttgarter Theaters gegen „Jud Süß“ von Klaus Pohl: „Vatermord“ von Christoph Müller (Tübingen, 2000)

der damalige stuttgarter schauspielintendant FRIEDL SCHIRMER, inzwischen schon lange nach hamburg abgedampft, wo er das theater vor sich hindümpeln lässt, nützte mich lange als ideengeber für das süß-thema aus. als er dann genügend zu wissen glaubte, erklärte er mir mit der frechheit, die am leichtesten ein saturierter sesselfurzer sich leistet:

„merken sie sich das eine - meine erfahrung beim theater:
wer zu viel von einem thema versteht, schreibt ein schlechtes stück.
als süß-biograf sind sie fürs theater nicht geeignet.“

und da ich ungern eine antwort schuldig bleibe – man macht sich sonst jahrzehntelang vorwürfe - konterte ich:

„soll das heißen:
wer nichts vom thema versteht, schreibt ein gutes stück?“

schirmer fuhr mich an:

„genau, das ist diese ihre polemik, die ich nicht leiden kann und nie und nimmer dulden werde. von ihnen nicht – und nicht in diesem meinem hause. sie drehen alles um. sie können nie ein brauchbares theaterstück schreiben.“

zug der erinnerung

in diesem geist beauftragte er dann stracks den knechtsseligen KLAUS POHL mit dem stück.

natürlich langte SCHIRMER bei der titelwahl kräfig in die klamottenkiste, als titel klopfte er fest:

JUD SÜSS.

von der uralten diffamierung seit süß‘ verhaftung im jahr 1737 hatte er nie etwas erfahren, wollte es auch nicht wissen. ein erfahrener theatermann tut gut daran, in alten geleisen zu fahren. und das ging ja bei POHL auch einfach, weil der nichts vom historischen süß wusste, nicht wissen sollte.

das stück wurde ein reinfall – die presse war sich einig. es verschwand bald vom spielplan und wurde nirgends nachgespielt.

pflatsch, weg war es. niemand hat es bedauert.

der theaterchef versuchte im sommer 2000 eine letzte rettung: podiumsgespräch – aber bitte im selben stil wie bei der ausbootung des biografen – der darf auf jeden fall nicht aufs podium.

Das war die krönung einer großen ausgrenzung, bei den buchauslagen aller bücher zu süß und angrenzenden themen fehlte ausgerechnet die einzige biografie – und keineswegs das produkt eines wald-feld-und-wiesen-verlages, sondern von rowohlt.

SCHIRMER war bei der ausgrenzung konsequent, das kann ich sagen.

und so kam eines jener fruchtlosen öffentlichen selbstgespräche zustande, bei dem der veranstalter sich bestätigen lässt, durch handverlesene knechte.

nur drei personen – allerdings im publikum, nicht auf dem podium - waren nicht kontrollierbar, zwei davon allerdings bei schirmer angestellt – sie flogen sofort raus, wie sich das für einen duodezfürsten von politikers gnaden versteht – einer war lokalchef und besitzer des SCHWÄBISCHEN TAGLBATTS in tübingen: CHRISTOPH MÜLLER.

MÜLLER, schon damals berüchtigt als neoliberaler ausbeuter seiner journalisten und beschäftigt mit der anhäufung alter niederländischer radierungen, aus den seinen mitarbeiten vorenthaltenen lohnanteilen.

MÜLLER war stolz darauf, dass seine niederländer-sammlung von einem fachmann auf 5 millionen mark wert geschätzt wurde.

dieser MÜLLER brachte aus versehen doch so viel courage auf, dass er die blamable öffentliche beschäftigung mit SÜSS in seinem käseblatt dokumentierte.

SCHIRMER dürfte getobt haben. ist aber eh egal, MÜLLER ist weg in berlin, ruhestand.

der artikel sei komplett nachgedruckt, gehört er doch in die krummen und verschrobenen wege der SÜSS-NACHGESCHICHTE, der göttinger germanistinnen-gruppe liebstes kind.

dort lautet die devise:
METAGESCHICHTE ist immer besser, weil leichter zu überschauen, als DIE GESCHICHTE EINER JUSTIZERMORDETEN PERSON.

 

„Vatermord
von CHRISTOPH MÜLLER“

(pardon, das soll nun nicht heißen, dass MÜLLER einen vatermord begehe, so radikal war er nie, der uns 1967-70 von rechts bremsend mit seiner zeitung in den rücken fiel, der lahmarschige schwätzer.)

(hallo- jetzt muss ich aber weitermachen)

„Zwei der vom Stuttgarter Schauspielhaus für die nächste Spielzeit angekündigten Stücke (Lorcas „Bernarda Albas Haus“ und Schimmelpfennigs „Ewige Maria“ haben inzwischen ihren Regisseur verloren und kommen deshalb vielleicht überhaupt nicht zur Aufführung.

Grund: ELMAR GOERDEN, neben MARTIN KUSEJ die stärkste Regisseurs-Entdeckung von FRIEDRICH SCHIRMER, hat schon jetzt seinen Vertrag lösen müssen, obwohl er erst im übernächsten Jahr zu DIETER DORN ans Münchner Residenztheater wechselt.

Dem ging eine ziemlich hässliche, harakirihafte Geschichte voraus. GOERDEN hat Probleme im Umgang mit seinem Chef, weil er sich selber zu Leitungsaufgaben berufen fühlt und entsprechend mitmischen will.

Den Anlass einer öffentlichen Podiumsdiskussion über das „JUD SÜSS“-Stück, mit dem GOERDEN selber gar nichts zu tun hatte, nutzte er zum tückischen (HGH: !!! böse böse, dieser kerl) Frontalangriff auf die Verantwortlichen des Hauses, indem er „grob fahrlässigen Umgang mit dem historischen Stoff“ beklagte.

Sein von ihm ans Haus gebrachter Protagonist THOMAS LUIBL, der im JUD SÜSS“ den fiesen Antisemiten spielt, setzte noch eins drauf und beteuerte coram publico:

Er schäme sich, bei so einer „antisemitischen Pornographie“ mitgespielt zu haben.

Starker Tobak! Außer ihm und GOERDEN hatte von solchen inkriminierbaren Tendenzen niemand etwas bemerkt.

(HGH: meint der Freund aller Chefs, unser MÜLLER, den Süß-Biographen, meine Wenigkeit, hatte er nie gefragt, die jüdische Presse nie gelesen.)

Verständlich, dass sich das Ensemble und der „JUD SÜSS“-Regisseur STEPHAN KIMMIG von den donnernden Verfluchungen aus den eigenen Reihen düpiert fühlten.

Dem Intendanten blieb nur noch die traurige Pflicht (HGH: man beachte die raffinierte Wortwahl: Pflicht!!!), „die beiden Kerlchen zur Ordnung zu rufen“ und milde resigniert im Falle des sich vergewaltigt fühlenden Schauspielers festzustellen:

„Er wird die Rolle nicht mehr spielen, denn das kann man ihm, dem Haus und dem Regisseur nicht zumuten!“

Härter aber trifft ihn der brillant inszenierte Abgang seines zum Vatermörder gewordenen Lieblings-Ziehsohns ELMAR GOERDEN:

„Aber als geprüfter Theatervater muss ich solche oft sehr schmerzhaften Ablösungsprozesse ertragen lernen.“

DIETER DORN sollte genau hinsehen, wen er sich da an seine Münchner Leitungsseite geholt hat!

(HGH: MÜLLER entpuppt sich wieder mal als großer Denunziant, so war er auch in Tübingen während der Zeit der Außerparlamentarischen Opposition, APO genannt.)

Denn nicht selten sind beim Theater Karriere-Aufsteiger menschlich nicht so schnell mitgereift wie künstlerisch. (HGH: feine moralische Benotung)

Im übrigen wird man in Stuttgart die besonders wahrheitsbohrenden, auf Wort-und-Tat-Korrektheit höchsten Wert legenden GOERDEN-Inszenierungen ebenfalls schmerzlich vermissen.“

(Südwestpresse/Schwäbisches Tagblatt, Tübingen, Dienstag, 20. Juni 2000)
(abgeschrieben und kommentiert von Hellmut G. Haasis, November 2007)

es ist bezeichnend für unsere presse, dass keine andere zeitung dieses diktatorische benehmen des herrn SCHIRMER meldete. die presse ist handzahm geworden, gegen den chef traut sich niemand etwas zu sagen. günstige zeiten für neue absolustische zustände!

das stuttgarter milieu unter ähnlich gestrickten ministerpräsidenten und oberbürgermeistern passt nahtlos dazu.

wir haben keinen DANIEL SCHUBART mehr.


 


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