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neues Vorwort für die japanische Ausgabe der Biographie “Joseph Süß Oppenheimer genannt Jud Süß”

Der jüdische Bankier Süß Oppenheimer hing im Jahr 1738 am Galgen von Stuttgart, vor bald 270 Jahren.

Warum wird sein Name bis heute in Deutschland nicht vergessen? Aus zwei Gründen.

Zum einen: Das Justizopfer wurde nie rehabilitiert, hier steht noch eine Schuld aus, die keine Ruhe finden kann. Zum andern: Der Hass der Nationalsozialisten hat sich noch unwiderrufen an diese Person geheftet.

Bis heute lässt sich die diskriminierende Titulierung “Jud Süß” nicht ausrotten. Moderne Autoren, selbst jüdische, sprechen ausnahmslos vom jüdischen Geschäftsmann “Jud Süß”. Niemand würde es einfallen, gewöhnliche deutsche Historiker, Theater- und Filmleute zu titulieren “Christ Pohl”, “Christ Harlan” oder, in meinem Fall, “Freidenker Haasis”.

Dieses jüdische Leben wurde so haarsträubend in den Tod gestürzt, dass die Generationen nach Hitler, Himmler und Goebbels keine Lust verspüren, darüber das Tuch des Vergessens auszubreiten.

Im Finanzmann aus Heidelberg begegnen uns zeitlose menschliche Probleme, die zu lösen gewesen wären, aber regelmäßig in Katastrophen enden, wenn rationale und humane Regelungen von Konflikten mit Gewalt blockiert werden.

Die Art, wie dieser Außenseiter liquidiert wurde, wiederholt sich millionenfach. Süß: eine symbolische Warnung, wenigstens für diejenigen, die nicht schon abgrundtief versunken sind in die Schokolodenseite eines privilegierten, saturierten Lebens.

Die Weichen von Süß Oppenheimers Leben wurden in Richtulng zu mehr Härte gestellt, als der Vater starb und eine arme Witwe mit drei kleinen Kindern hinterließ. Joseph kam zu einem Vormund, der ihm nur strenger Chef war, mütterliche Zuneigung erlebte der Junge nicht mehr.

Mit Macht ließ er sich vorzeitig, mit 16 Jahren, für mündig erklären. Von allen Geschwistern brachte es nur Joseph zu Vermögen, die andern schlugen sich kümmerlich durch. Und Joseph musste sich zeitlebens – typisch für einen missgünstig beobachteten Außenseiter – ständig genau ans Gesetz halten, andernfalls wäre man mit ihm übel umgesprungen. Seine (christlichen) Kontrahenten bei Streitigkeiten konnten eher schon mal das geltende Recht brechen, ohne dafür zu büßen zu müssen.

Ein Außenseiter, wohin er kam. Er brauchte nur seinen Namen zu nennen und die christliche Geschäftswelt reagierte hämisch: “Aha, ein Jud.”

Anspielungen auf seine Religion verbat er sich, das sei seine Privatsache. Selbst als Geschäftspartner deutscher Landesfürsten war er gesellschaftlich isoliert, jeder Amtmann stand im Hofzeremoniell über ihm. Sobald Süß auftauchte, witterte die Hofelite eine hochverräterische Verschwörung gegen das christliche Abendland.

Kein Wunder, dass Süß in höheren Kreisen als unbeliebt galt. Ganz anders sah es bei den kleinen Leuten aus. Wenn Süß in seinem Stuttgarter Palais Audienz gewährte, was er leidenschaftlich gerne tat, dann standen die Bittsteller Schlange und brachten ihm ihre Wünsche vor, er möge bei Hof etwas für sie tun.

Für Hunderte war er die letzte Hoffnung. Der Jude hatte Mitgefühl für die “Bedrängten”, wie er es nannte. Freilich schürte dieses abweichende Verhalten erst recht den Hass gegen ihn. Wie er’s machte, der Jude machte es falsch.

Süß, unter ruinösem Dauereinsatz nach oben gestiegen, bezahlte mit Einsamkeit und Krankheit. Seine Arbeitswoche kannte keinen Ruhetag. Es berührt einen, wenn man heute im Archiv den dicken Stapel seiner Apothekerrechnungen durchblättert. Süß litt unter Überstrapazierung des Magen-Darm-Bereichs. Die Quittung für ein Leben in Hetze und unter Kämpfen mit wirtschaftlichen und weltanschaulichen Todfeinden.

Schließlich setzte er sich zwischen alle Stühle, als er sich von der jüdischen Tradition entfernte und als erster in Richtung eines aufgeklärten Freidenkertums weiterging. Die jüdische Orthodoxie verweigert ihm bis heute die Anerkennung als Märtyrer.

Süß macht eine moderne Persönlichkeit aus. Während die Rechtgläubigen aller Richtungen alles nachplappern, was die Obrigkeit befiehlt, stürzt er sich mit dem Risiko seiner Existenz in ein ungeschütztes Berufsleben. Er erlebt mit, wie die Judenhasser in Heidelberg ein Pogrom anzetteln.

Süß tut das einzig Richtige: Er verlässt diesen Ort des Terrors. Und in Frankfurt beugt er sich nicht dem Zwang, im Getto wohnen zu müssen. Als erster lässt er sich demonstrativ vor dem Gettotor nieder. Die anderen Juden sehen tatenlos zu, ob er nicht doch noch unterjocht werde. Von Solidarität und Einsicht keine Rede. Dennoch kannte er kaum eine größere Befriedigung, als am Sabbat von bettelarmen Juden umringt und um ein Almosen gebeten zu werden.

Seine Zuneigung zu den “Bedrängten” durchzieht sein Psychogramm.
In einem andern Punkt ist Süß moderner als wir. Er verachtete es, zu seiner Sicherheit unterwürfig ein Patent als Hoffaktor zu erwerben. Sein Selbstbewusstsein vertrug es nicht, sich einer Hofschranze unterwerfen zu müssen.

Hier verrechnete er sich, er wird es büßen. Wer sich zu hoch stellt, muss mit dem Absturz rechnen. Wir selbst erleben soeben die Wiedergeburt der Hierarchien.

Als der württembergische Herzog überraschend stirbt, sind die Messer gegen Süß schon gewetzt. Der größte Dieb am Hof lässt Süß ohne Rechtsgrund verhaften. Die Todfeinde sitzen in der Regierung, es sind die Geheimräte. Noch bevor sie als Kriminalgericht zusammentreten, schreiben sie siegessicher ins Protokoll, Süß werde auf jeden Fall hingerichtet.

Und bevor sie Akten studieren und Anklagepunkte zusammenfantasieren, gehen sie mit Übereifer an die Beschlagnahmung des Besitzes, wobei sie darauf achten, dass genügend für sie selbst abfällt. Sie stehlen alle Ölgemälde, deren immenser Wert darin bestand, dass die gemalten Fürstenkronen mit echten Diamanten besetzt waren. Für einen ordentlichen Stein bekam man damals in Stuttgart ein Zweifamilienhaus. Der Justizmord hat sich gelohnt.

Der Häftling wehrte sich lange und mit Geschick. Obwohl er kein Jurastudium hatte absolvieren dürfen, nicht einmal eine ordentliche Schule, verstand der jüdische Geschäftsmann mehr vom geltenden deutschen Recht als seine Richter.

Dagegen ordnen Rechtsbrecher auf dem Richterstuhl gerne Gewalt an: die Folter. Jetzt endlich entwickelte Süß eine Härte, die man dem genießerischen Geschäftsmann nie zugetraut hätte. Er zieht sich in seine letzte Fluchtburg zurück: seine jüdische Identität. Er isst nur noch koschere Speisen, so kann man ihm nicht, wie in der Barockzeit üblich, Gift beimischen.

Das geltende deutsche Recht und das württembergische Landrecht werden in unendlich vielen Punkten gebrochen. Süß moniert es, die Richter gehen frech über ihn hinweg. Er lehnt verschiedene Richter als befangen ab, sie hören ihm gar nicht zu. Er verlangt von seinem Pflichtverteidiger Mögling, an den Kaiser in Wien zu appellieren, die höchste Schutzmacht der deutschen Juden.

Süß ist mit diesem Rechtsanwalt betrogen, der den Hilferuf nach Wien unterdrückt. Genau führten sich die Pflichtverteidiger im Hitlerreich auf.

Mit dem Aufhängen am Galgen schien das Schmierentheater von Stuttgart beendet zu sein. Aber da lagen noch verräterische Akten herum, die Gefahr bringen konnten.

Was tun? Die Rechtsbeuger ließen die Zeugnisse ihrer Untat wegschließen. Das gelang bis 1918. Das Tauwetter endete schon 15 Jahre später, mit Hitler. Außer der jüdischen Historikerin Selma Stern schrieb bis dahin niemand ein nennenswertes Werk über Süß.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren alle Akten zugänglich. Da machte sich als erster ein Nachfahre des alten Patriziats, Prof. Decker-Hauff, daran, ein Aktenverzeichnis zu erstellen. Er begriff durchaus, was er las.

angela laich, berlin, e.a., radierung zu süß oppenheimers leben, beilage zu salomon schächter: relation von tod des joseph süß seeligen gedächtnis, fürth 1738, neuausgabe in bibliofiler kunstmappe, auflage 100 stück, kam nicht in den handel.

 

Als Professor brachte er es dann später in Tübingen in Sachen Süß nicht über einen Männerwitz hinaus: Eigentlich hätte man Süß wegen des Sex mit Christinnen hinrichten wollen, davon musste man absehen, sonst wäre Stuttgart entvölkert worden.

Heiterkeit der Studenten war das einzige, was dieser Professor beim Thema Süß zustande brachte. In der württembergischen Landesuniversität Tübingen blieb das Thema Süß bis heute tabu.

Wo Bildung und Unterhaltungsindustrie heute nach spannenden, lehrreichen Stoffen gieren, wäre es da nicht Zeit zu einem großen Roman? einem Theaterstück? einem Film?

Mit Vergnügen erzähle ich den japanischen Lesern, was der deutsche Kulturbetrieb bisher geleistet hat. Klaus Pohl, ein Stückeschreiber, schrieb für das Staatstheater Stuttgart ein Auftragsstück “Jud Süß”.

Ohne etwas über Süß geforscht zu haben, breitet er fröhlich alle Vorurteile über den Juden aus, während nach Auschwitz die Deutschen da allergisch reagieren. Bis zur Pause bekommen die Zuschauer eine Peep-Show geboten. Im Zentrum der Bühne ein riesiges Bett, in dem mal Süß, mal ein Bekannter die Freundin von Süß besteigt. –

Ein zentraler Bestandteil des rassistischen Antisemitismus wird reanimiert: der Sexualneid gegen den angeblich viel potenteren Beschnittenen. Alle Gegner von Süß vereinigen sich im Pflichtverteidiger Mögling, dem es nur darum geht, Süß’ Bett zu erwerben, weil der Jude dort so viele Siege gefeiert habe.

Nach der Pause fallen antisemitische Attacken über den Häftling her. Am Ende lässt man den Käfig von der Decke herunter, im Theater, der Verurteilte öffnet den Käfig, steigt ein und lässt sich hochziehen, widerstandslos.

Der historische Süß wehrte sich bis zur letzten Sekunde und rief sein hebräisches Glaubensbekenntnis zu den 12.000 Voyeuren hinunter. Davon erfahren die Zuschauer kein Wort.

Das Stück wurde durch das kritische Publikum glücklicherweise zum Misserfolg verurteilt, man ging einfach nicht mehr hin.

Da erst veranstaltete der Intendant des Theaters eine öffentliche Diskussion, unter Ausschluss aller Kenner der Materie. Ein alter Trick im Kulturbetrieb.

Die Schande kam dennoch zur Sprache. Ungefragt erhob sich im Publikum ein anderer Regisseur und monierte den “grob fahrlässigen Umgang mit dem historischen Stoff”.

Der Schauspieler mit der widerlichen Rolle des Pflichtverteidigers schüttete sein Herz aus: Er schäme sich jeden Abend, bei so einer “antisemitischen Pornografie” mitzuspielen.

Der Intendant, heute Chef im Theater von Hamburg, schlug zurück wie ein Cowboy in Hollywood, unüberlegt und gnadenlos. Er polterte, er werde “die beiden Kerlchen zur Ordnung” rufen, und warf vor dem sensiblen Publikum die beiden sofort aus dem Ensemble.

Seitdem hat nie mehr ein großes, staatlich subventioniertes Theater sich an Süß versucht, die Vorurteile sitzen offenbar noch immer tief. Das Theater befindet sich derzeit nicht auf dem kulturellen und politischen Niveau der Deutschen.

Und der Film, wäre das nicht ein Medium für diesen Stoff? Über jedem Nachdenken liegt der Schatten des übelsten Nazi-Filmes, des “Jud Süß” von Veit Harlan (1940), gedreht unter der Schirmherrschaft des Propagandaministers Goebbels. Die SS sorgte dafür, dass Harlan mit jüdischen Opfern aus dem Warschauer Getto den Film drehen konnte. Die Hilflosen hofften, so der Ermordnung zu entkommen. Als die letzte Klappe des Filmes fiel, waren die Deportationszüge nicht mehr weit.

süß wird die galgenleiter hochgezogen, ruft das schma jisrael hinaus.
zeichnung jona mach, jerusalem, 1994.

 

Der Film erwies sich als der größte wirtschaftliche Erfolg der Nazi-Filmwirtschaft. Harlan stimmte die Deutschen ein auf die bald anlaufenden Judenmorde in Osteuropa. Den Film sahen über 20 Millionen Zuschauer, darunter die SS-Wachmannschaften in den KZ’s und die SD-Einsatztruppen hinter der Ostfront, bevor sie unter den Juden Blutbäder anrichteten. Veit Harlan bekam nie ein schlechtes Gewissen.

Es ist tatsächlich höchste Zeit zu einem neuen Film. Bereits einmal streifte ein Hauch Weltkultur das Thema. Charlie Chaplin plante 1930, Feuchtwangers Roman “Jud Süß” zu verfilmen.

Ein Traum für alle Cineasten. Chaplin mit einem anspruchsvollen Thema, zehn Jahre vor dem “Großen Diktator”?

Die Idee liegt noch herrenlos herum.

Vielleicht wäre Chaplin schon damals selbst Opfer antisemitischer, fremdenfeindlicher Strömungen im Amerika geworden? Jedenfalls wurde der Tramp seit 1925 vom FBI als Jude observiert, seine Akte brachte es auf 1.500 Seiten.

Heiliger Schwachsinn.

Mein unerfüllter Traum: “Charlie Chaplin spielt Jud Süß”.

Selbst wenn solche Hoffnungen scheitern sollten, bleibt uns ein lange vor der Zeit moderner Süß. Er erlitt exemplarisch, was allen droht, wenn Richter außer Kontrolle geraten.

In schwerster Haft brachen in Süß’ Ideenwelt die besten Ideen moderner Rechtssicherung durch, ohne die wir niemand einem Gericht überliefern dürfen: Trennung der Justiz von der politischen Macht, Einsetzung von unvoreingenommenen, unabhängigen Richtern, Erstellung einer unveränderlichen Anklageschrift, Recht zu einem Anwalt des Vertrauens, unanfechtbare Berufungsinstanz, öffentliche Verhandlung des ganzen Prozesses, Befragung und Infragestellung aller Belastungszeugen.


titelzeichnung jona mach, jerusalem, 1994. buch vergriffen.

 

 

 

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