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SONDERZUG NACH BRATISLAVA
ein satirischer Alptraum
von Hellmut G. Haasis

Ministerpräsident Stefan Mappus und „Verkehrsministerin“ Tanja Gönner, bei der zweitletzten samstäglichen Großdemo vor den Landtagswahlen am 19. Februar 2011

Neulich hing ich in einem viel zu heißen Zug rum – und bin eingepennt. Die Folge: ein Alptraum. Der schnellste Zug der ganzen Welt soll soeben am Bahnhof Paris-Est losgejagt werden, in einer innovativen RÖHRENSCHUSSBAHN. Vorne drin Sarkozy, neben ihm Merkel Arm in Arm mit dem ewig verliebten Berlusconi.

Merkel: „Was, Sarkozy, ihr habt in Paris noch keinen Tiefbahnhof? Immer noch sechs Kopfbahnhöfe?“
Sarkozy getroffen: „Schuld ist Bruni, die will was sehen.“ Berlusconi, kaum aus dem Gefängnis entlassen, kläfft: „Und gesehen werden, wie alle Frauen.“

Die Röhrenbahn kommt nach einer Stunde in Straßburg an, immer unterirdisch, von Frankreich war nichts zu sehen.

Sarkozy stößt Berlusconi an, ob ihm dieses Frankreich da unten gefalle.
Silvio abfällig: „Ich brauch’ kein Licht, ich brauch Geld für meinen Prozess mit den vielen Minderjährigen“ und schaut nach, was sich in den hinteren Wagen verstecken mag.

Dort ertappt er die deutschen Finanzminister von Bund und Ländern beim Skatspielen, ihre Sakkos sind ausgebeult mit dicken Brieftaschen.
„Wo habt ihr denn den vielen Schotter her?“ staunt Berlusconi.

Die Herren bleiben einsilbig und zeigen weiter zurück in den nächsten Wagen. Silvio findet ihn voll mit blauen Säcken, drin die größten Euro-Scheine.
„Wieviel?“

Der Schäuble deutet an, dienstlich sei er heute taubstumm, und schreibt auf eine Zigarettenschachtel:
„750 Milliarden“.

Vor Berlusconis Augen verrutscht eine Warnung auf der Packung. Wo früher „Rauchen“ stand, liest er unsicher:
LÜGEN KANN TÖDLICH SEIN. DIE WÄHLER.

Im nächsten Wagen fahren ihn aggressive Bereitschaftspolizisten aus WÜRZBURG an:

„He bist du auch so ein Berufsdemonstrant? Willst wohl eine auf den Sack, du geiler Bock?“

Um 10 Uhr schießen sie nach Stuttgart hinein, in die dunkle, miefige, feuchte Grube des berüchtigten Rüdiger Grube.

„Leider sind heute Beleuchtung und Lüftung ausgefallen. Wir bitten um Ihr Verständnis.“

Am Gleis lauert die einheimische Bahnhofs-Mafia - Sonnenbrillen und schwarz brennende Kerzen. Mappus, Grube, Gönner, Schuster und Rech tasten sich im Dunkeln an die vorderste Tür heran, hinten kommt der Veranlasser der ganzen Katastrofe: Manfred Rommel.

Die massenhaften Anhänger des Kopfbahnhofs sind abgedrängt. Als sie am Zug das Ziel leuchten sehen, gehen Wellen von Lachen und Sprechchöre durch die Halle:

SONDERZUG NACH BRATISLAVA
.
Der PFANNKUCHEN-Mappus umarmt Tanja, die klappt ihr Fernsehgrinsen hoch:
„Nach dem Nordflügel war es höchste Zeit zum Rückbau auch des Südflügels.“

Mappus’ Pfannkuchen schwankt:
„Sag mal, war es wirklich notwendig, gleich auch den Chor der Stiftskirche und die Hälfte des Alten Schlosses abzureißen?“

„Aus Kostengründen ja“, knarrt Tanja Gönner. „Unser gut geschmierter Parteifreund hat Rabatte eingeräumt, wir könnten das Wirtschaftswachstum um 2 % steigern, bei 3% weniger Kosten für die Zerstörung des übrigen altmodischen Stuttgarts. Der Stadtrat unter Schuster hat schon zugestimmt, im voraus auch zu Plänen, die es noch gar nicht gibt.“

„Und das Essen der vielen Bauarbeiter?“

Tanja strahlt: „Jeden Tag 3.500 LKW.“
Mappus: ???

„ Leberkäswecken. Die Stuttgarter Metzger haben mir eine gebratene Sau gestiftet.“

„Hoffentlich nicht mich?“ Mappus ist verwirrt.
Grube: „Oder meint ihr zwei etwa mich?“

Die Türen des Sonderzugs öffnen sich, in Sekunden ist die Handvoll gekaufter Jubler EINGESAUGT, der Zug schießt in Grubes Röhre weiter.

Im Flughafentunnel schrammen die viel zu langen Wagen an den engen Wänden entlang.

Ängstliche Blicke zu Grube, der ist nicht zu erschüttern: „Wo ich bin, gibt’s Murks - aber ich kann nicht überall sein.“

Schuster: „Wie bei Fokker und Chrysler?“

Grube: „Getroffen“

Die Gönner verteilt eine Erklärung an die geschmierten Journalisten: „Reparaturkosten minimal, kaum 150 Millionen Euro. Haben wir soeben geschätzt.“

Die Medienleute nicken ergeben.

Weiter geht’s durch die SCHWÄBISCHE ALB, Tageslicht dringt nicht ein.

Unterwegs kommt die Tanja Gönner irgendwie abhanden. Mappus findet sie unter ihrem Sitz arbeiten.
„He, was machst denn du da?“

Gönner: „Mein Sitz wackelt katastrophal. Wenn die Bahn bremst, kippt er nach vorne. Wenn sie beschleunigt, nach hinten. Bei Kurven haut’s mich nach links und rechts. Ich hab schon Migräne.“

„Und wie willst du das ändern? Alle Reparaturarbeiter sind entlassen und auf Harz IV gesetzt.“

Tanja stößt mit einem Schraubenzieher nach oben und trifft den Mappus in den Oberschenkel, hihi, tief genug, aber fast zu weit oben.

Mappus brüllt auf, der Polizeipräsident SCHLUMPFF eilt ihm zu Hilfe:
„Keine VERFESTIGUNG dulden, im Park nicht und auch sonst nirgends.“

Leider lässt Schlumpff sich davon abhalten, gegen die Gönner einen hübschen, kleinen Wasserwerfer in Stellung zu bringen.

In Ulm steht der OBERBÜRGERMEISTER GÖNNER da, der Ivo. - Noch so ein Gönner. Der Ivo setzt gerade zu einer parfümierten Lobrede auf die ULMER MAGISTRALE INS ALLGÄU an, da gehen die Türen auf, samt seinem SPD-Stadtvorstand wird er eingesogen.

INNENMINISTER RECH stöhnt, er wollte eigentlich in Ulm raus, zu einer geruhsamen Dienstfahrt an den Bodensee und baden gehen.

Droben auf der Erde ist es Frühjahr, aber unten in der Röhrenbahn steigt die Temperatur auf schlappe 55 Grad.

„Die Kühlung ist ausgefallen, wir bitten um Ihr Verständnis.“

Mappus schlägt alles auf die Blase. Das erste Clo trägt einen gelben Aufkleber: „WC außer Funktion. Wir bitten um Ihr Verständnis.“

Im zweiten findet er weder Wasser noch Clopapier.
„Wir bitten um Ihr Verständnis.“

Beim Zugchef will er eine Beschwerde einlegen, der schaut ihn nur mit einem vernichtenden Blick an:

„Kein Verständnis. Das ist eure Bahn, für uns war die bisherige besser – und für die Fahrgäste auch preiswerter.“

Vor München kommt die Warnung: „Alle anschnallen. Keiner verlässt seinen Platz. Vollbremsung wegen Kopfbahnhof.“

Mappus bekommt einen roten Kopf und tobt: „Ja ist denn so was noch erlaubt? Nach der totalen Infrastruktur-Regenerierung in ganz Europa?“

Der Zugchef: „Bringen Sie das mal den Münchnern bei, die haben was gelernt. Ihre Sprechchöre lauten: Stuttgart nie, Stuttgart nie.“

Der Zug soll umdrehen, vorher muss Tanja Gönner alle Sessel ummontieren - das dauert. Es gibt halt nur einen einzigen Schraubenzieher.

Der Geisterzug rast unter Salzburg und Wien durch und vorbei. In Bratislava wollen alle raus, Pippi machen, die Clos sind voll oder gesperrt. Sie bekommen keine Halteerlaubnis.

Der Zug donnert weiter nach Budapest. Niemand will rein. Zuletzt über Bukarest ans Schwarze Meer, nach Constanza.

Mappus brüllt verzweifelt, irregeführt von seinen mageren Geografiekenntnissen: „Liegt Konstanz nicht am Bodensee?“

Dann musste es passieren. Der Zug kann nicht mehr stoppen, so was altmodisches wie die Bremsen wurden nie gewartet.

Bevor das scheußliche Gefährt im Schwarzen Meer versinkt, erkennen die Strandgäste von Constanza das Schluss-Schild: LÜGENPACK.

Sie rufen es noch tagelang, mit wachsender Begeisterung und in allen Sprachen Europas.

Später wurde das Schild an der Halbinsel Krim angeschwemmt, eine Holzsammlerin drehte es um und freute sich über den europaweit populären Spruch: OBEN BLEIBEN.

(febr. 2011, gedacht als künstlerischer Beitrag für eine Demonstration gegen Stuttgart 21)

 


 

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