haasis:wortgeburten

DER SCHNURRBART AUGUST. Georg Elsers Freundin Elsa Härlen

acht Stunden im Verhör bei Hitler
von Hellmut G. Haasis
Vorgetragen am 8. November 2014 bei der 75Jahrfeier für Elsers Angriff auf Hitler,
in der Akademie der Bildenden Künste. Die Veranstaltung gelang überhaupt nur durch die jahrelang intensiven Bemühungen von Hella Schlumberger, aus dem Hinterhof der Türkenstraße heraus, wo sie im 4. Stock lebt, ihr eigentliches Wohnzimmer ein malerisch-idyllisch ausgebauter Nebenraum auf der Bühne, dem Dachboden.

Elser Bild 2014 in der Akademie der Bildenden Künste München, künftig als Dauerleihgabe im Geiselgasteig, nach dem Gestapofoto München Nov. 1939, entstanden nach der Folterung durch Himmler persönlich. Eine digitale Untersuchung dieses Fotos durch den Elser-Biographen Hellmut G. Haasis ergab tiefe Verletzungen unter Elsers linkem Auge (von ihm aus). Foto: Hellmut G. Haasis.

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„Frau Härrlen, zum Führer!“
„Grad kommt erst mein Mittagessen, i han no nex gessa.“
„Der Führer wartet nicht. Dalli.“

Vor der Geschtapozentrale stoßat se mi en an Gfanganawaga nei. Noch hondert Metern hoißt-s: „Aussteigen! Reichskanzlei.“

Oben an der Trepp schreit-s: „Sie kommen!“ Bloß nicht wieder ohnmächtig werden, ben scho dreimol omkippt. Am End vom Flur reißt’s ein Riesentor auf.

Mich saugt-s nei in einen dumpfen, tiefen Raum. Ganz weit hinten guckt ein Männlein kaum über den Schreibtisch hinaus.
„Mein Führer, DIE FRAU!“

Ich will mitmachen, mein Arm geht nicht hoch. Ich probier’s dreimal, nichts. Die SS boxen mich. Die Lähmung bleibt.

Das Männlein dort hinten hört nichts. Blättert im Papier. Ist er’s überhaupt? Es können fünf, zehn, zwanzig Minuten gewesen sein.

Endlich nimmt er die Brille ab, tut, wie wenn er aufwache:
„Das also ist die Verruchte? Die Beischläferin des britischen Agenten vom Secret Intelligence Service?“

Ich versteh nichts.

„Wie war er denn so, der Verbrecher? Im Bett? Pervers?“

Ich schau mich um, wo gibt’s hier ein Bett? Der Feldgraue hebt den Kopf. Der SS schleppt einen Stuhl an. Wie ich mich auch setz, der Stuhl gautscht. Nicht ohnmächtig werden! Das würd denen so passen. Noi Elsa, net nomol omkippa!

Der Stuhl, hat den einer angesägt? Der hinten lächelt spöttisch. Lieber krumm sitzen, als dem eine Freude machen.

Der Schorsch hilft mir im Herzen. Er konnte mit seinen Freunden herrlich lachen, wenn einer sagte: „Der Schnurrbart August“. Wenn sie auf Hitler zu sprechen kamen, sagte der Schorsch nur: „Guck dem Schwerverbrecher bloß en’s Gsicht. Des gibt Krieg. Der hot Milliona Tote em Hirn.“

„Sie also ist die Frau von dem englischen Geheimagenten?“

Lange ein Loch in der Luft.

„Erzähl sie was von ihm. Ich weiß alles, ich will es aber von ihr hören.“

Ich erzähl das, was ich dem Himmler und dem Bormann erzählt hab, zwei Stunden in der Nacht.

„Elser hat sich immer anständig benommen. Hat mich nie geschlagen, wie ich’s von andern Frauen hör. Hat fleißig gschafft, ein guter Schreiner, mit dem isch jeder Meischter zfrieda gwesa. Hot gschpart, net tronka, net graucht, koine andre Fraua poussiert. Heiraten wollten wir. Beim Abschied sagte er, in München müsse er noch was erledigen, was uns vor der Katastrophe rette. Dann wollten wir uns in der Schweiz treffen und ein freies Leben führen, ohne Hakenkreuz.“

Der Höchste zuckt zusammen: „Hat er ihr nicht englisches Geld gezeigt?“

„Ausgeschlossen. Mit so einem Geld kann man bei uns nichts kaufa.“

„Ich weiß, er bekam vom englischen Geheimdienst 40.000 Reichsmark.“

Ich schüttel den Kopf. Der da ist nicht mehr ganz bei Trost. Wieder ist Schorsch bei mir: „Der mit seiner Rotzbrems, was fir a Sauerei beim Essa.“

So einen kann eine Frau doch nicht küssen: zwischen Nase und Mund hangat Schpätzla ond Rotz.

„Hat er ihr nicht gesagt, dass sie es in England besser haben werden?“

England? Was hat der immer mit England? „Bei ons auf dr Schwäbischa Alb kann niemand Englisch.“

„Hat er nie gesagt, dass er den Führer ermorden wolle?“

„Davon hab ich nix ghört, wir wüssten nicht mal, wie machen.“

„Aber ich weiß es, mit einer englischen Sprengbombe. Hat er die bei ihr zu Haus gebastelt?“

„Was, bei mir? Ich bin Textilarbeiterin, bei mir wird gwoba, gnäht ond gschtrickt, au mol bügelt.“

„Wann hat sie ihm zum letzten Mal geschrieben? Nicht lügen, ich weiß alles von Zeugen.“

„Wie will das jemand außer mir wissa? Nur einmal hab ich ihm geschrieben, postlagernd. Ich wollt wissen, was er verdient und wann wir heiraten. Ich war schuldig geschieden, weil ich meinen ständig besoffenen und gewalttätigen Mann nicht mehr ertragen konnte.“
„Und der Geheimagent hat geantwortet, dass er bald den Führer ermorden werde.“

„Er hat mir nie geantwortet.“

„Lüge, ich weiß es von der Postkontrolle. Sie hat grad zugegeben, dass sie ihm geschrieben hat. Damit ist bewiesen, dass sie in seine Pläne eingeweiht war.“

„Das alles hab ich nicht gesagt. Sie drehen mir jedes Wort im Mund herum.“

Wütend springt er auf, schleudert seinen Stuhl gegen eine Kommode: „Sie will mich einen Lügner heißen?“

Ich werde kleiner, aber auf meinem Stuhl bleib ich fester sitzen. „Ich hab nichts von seinen Plänen gewusst, er hat mir nie geschrieben. Und ich glaub noch lang nicht, dass er das wirklich getan hat, schon gar nicht allein. So ein Riesensaal, der Bürgerbräukeller. Tadellos zusammengefallen, heidenei. Ein Kunstwerk, diese Explosion. Er wollte immer Kunstschreiner sein.“

„Wer soll ihn unterstützt haben?“

„Wer solche Bomben für den Krieg braucht. Er war Schreiner, hat mir nie erklärt, wie eine Bombe klappt. Wir einfachen Leute machen solche Dinger nicht.“

Drei Uhr mittags, er bekommt Tee und Linzertorte. Ich hab noch nicht mal ein Mittagessen gehabt.

Fragt der SS, ob ich auch was bekomme?
„So eine verworfene Person kriegt nichts. Hat mich einen Lügner geheißen.“
„Wenigstens ein Getränk?“
„Ich hab gesagt: nichts.“

So ging’s Stund für Stund. Was ich geschrieben hätt und der Schorsch geantwortet? Was wir in der Schweiz wollten? Und immer das Triumphgeheul, ich sei eingeweiht gewesen, ich sei überführt.

Gegen Ende, als ich vor lauter Hunger und Durst einer Ohnmacht nahe bin, wird er leiser: „So was hat sich bei mir noch niemand getraut. Keiner meiner Generäle hat so viel Widerspenstigkeit bewiesen. Was für eine Frau, bloß eine Textilarbeiterin, Schwäbin, ungelernt wie ich.“

Dann ist er noch mehr hinter seinem Schreibtisch zusammengeschrumpft.

Es ist schon lang dunkel, als die SS mich nausbringen. Auf-m Flur schlepp ich mich mit weichen Knieen dahin. Ungläubig seh ich, wie die Uhr auf kurz nach acht steht.

Geschlagene acht Stunden Verhör, ohne Essen und Trinken.

Was machen die bloß mit meinem Schorsch?

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