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UNDERGROUND 3
PRAG, antinazistische Flugschriften von Deutschböhmen aus Prag nach Linz, 1942
(Berlin, Bundesarchiv, R 58 Bd. 209, Bl. 33-34)

Reichssicherheitshauptamt, Amt IV, Meldungen wichtiger staatspolitischer Ereignisse, 1943, Nr. 3 vom 12. Januar 1943, eingeordnet unter „Tschechische Widerstandsbewegung“.

„Von der Staatspolizeileitstelle Prag wurden im Zuge der weiteren Aufrollung der illegalen Sokolorganisation „Jindra“ in Klattau und Kladnow 6 Personen festgenommen.

In Klattau hatten die Funktionäre dieser illegalen Organisation eine Abhörgemeinschaft gebildet, um die feindlichen Nachrichten abzuhören. Unter den Festgenommenen befindet sich u. a. der Direktor der Bürgerschule in Bresnitz.

Die gleiche Staatspolizeileitstelle konnte bei der Aufrollung der Fachleutegruppe der „UWOD“ 15 Personen festnehmen, unter denen sich 7 Betriebsvertrauensleute in Kolin tätig waren.

Bei den übrigen Festgenommenen handelt es sich um namhafte Einwohner von Bad-Podiebrad, die zum Teil hohe Geldbeträge zur Unterstützung von Angehörigen politischer Häftlinge gezahlt hatten.

Vom Volksgerichtshof wurden im Dezember 1942 weitere 23 Protektoratsangehörige wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung zum Tode verurteilt. Unter den Verurteilten befinden sich wiederum Funktionäre der illegalen Militärorganisation und mehrere ehem. Höhere tschechische Offiziere, die sich maßgeblich an der Errichtung und Unterhaltung von Waffenlagern beteiligt hatten.

In der letzten Zeit sind verschiedenen Bürgermeistern des Regierungsbezirks Aussig, insbesondere im Landkreis Leitmeritz, sowie Gemeindeämtern im Bereich der Staatspolizeistelle Linz staatsfeindliche Flugschriften übersandt worden.

Absendeort war Prag. Die Hetzschriften trugen die Überschrift
„Deutsche Bürger der Tschechoslowakei! Es geht um unser Leben, es geht um unsere Heimat!“

Unterzeichnet waren die Flugschriften mit „Die Vereinigung demokratischer Deutscher in der Tschechoslowakei, Zentrale Prag.“

In den Hetzbriefen wird zum Ausdruck gebracht, dass der Führer den zweiten Weltkrieg entfesselt habe. Nach Ansicht aller miliärischen, politischen und wirtschaftlichen Sachverständigen sei die Niederlage des Nationalsozialismus unabwendbar.

Sodann wird dem Nationalsozialismus in der üblichen gehässigen Form zur Last gelegt, am eigenen Volk und an den Bewohnern der besetzten Gebiete furchtbare Verbrechen begangen und den Tod sowie die Verstümmelung von Millionen verschuldet zu haben.

Durch die Tätigkeit der Gestapo und SS seien die besetzten Gebiete zu Pulverfässern geworden, die jeden Augenblick explodieren könnten. Alle Erfolge der Wehrmacht würden durch diese „politische“ Tätigkeit der Nationalsozialisten zunichte gemacht.

Die tschechischen Mitbürger würden in rohester Weise gepeinigt und zu Tausenden ermordet. In diesem Zusammenhang wird an die ermordeten Studenten und an die Opfer von Liditz [Lidice] erinnert.

Abschließend heißt es in diesem Hetzbrief:
„Deutsche w e r d e t E u c h b e w u s s t !
Nur durch friedliche Zusammenarbeit der freien Völker kann Europa gerettet und zu neuem Leben erweckt werden.
Hitlerherrschaft bedeutet Tod und Verderben des deutschen Volkes und Europas.
Unser Leben und unsere Heimat sind bedroht, wenn wir nicht sofort den Nationalsozialismus mit allen Mitteln bekämpfen.

Deshalb: Sofortige Verständigung mit den tschechischen Mitbürgern.
Gewährt ihnen Unterkunft, wenn sie verfolgt werden!
Warnt sie rechtzeitig und lasst ihnen Nachrichten zukommen!
Schwächt den Hitlerismus mit allen Mitteln:
Sabotage, Attentate, kurz jedes Kampfmittel gegen diese Verbrecher ist gestattet.
Schreibt Euren teuren Angehörigen an der Front, dass der Krieg verloren ist und ihre Opfer vergeblich sind.“

Diese Stimmen von Deutschböhmen aus Prag waren rar. Von den noch immer rachelüsternen Sudetendeutschen konnte man so etwas nicht hören. Oder irre ich mich?
Wäre diese Position von den Deutschen im besetzten Protektorat Böhmen und Mähren massenweise eingenommen worden, es hätte wohl die Vertreibung nach Kriegsende nicht gegeben.

Aber die Sudetendeutschen wollten es anders – und sie bekamen es anders.

/underground/underground03.php | anares.org | comenius-antiquariat.ch Samuel Hess 2005