UNDERGROUND 17
EBERSBACH/FILS. Volksliteratur eines französischen Fremdarbeiters, Ebersbach/Fils (Württemberg) 1944
“Zehn Gebote des vollkommenen französischen Arbeiters
In der Werkstatt langsam gehen.
Am Feierabend sich beeilen.
Den Abort oft aufsuchen.
Nicht zu viel arbeiten.
Den Meister ärgern.
Den schönen Mädchen den Hof machen.
Den Arzt oft besuchen.
Nicht mit Urlaub rechnen.
Die Reinlichkeit lieben.
Immer Hoffnung haben.”
(Berlin, Bundesarchiv, R 58 Bd. 213, Bl. 52)
Im Jahr 1944 kamen einem französischen Fremdarbeiter glänzende Ideen, wie er sich in der Zwangsarbeit verhalten solle.
Der Hintergrund scheint uns heute harmlos zu sein. Die Fremdarbeiter aus dem Westen wurden im Gegensatz zu den Ost-Arbeitern vorsichtiger angepackt. Warum? Mit jedem Tag, den die Alliierten aus Frankreich an den Rhein vordrangen, gaben sich die Nazis den West-Fremdarbeitern gegenüber vorsichtiger.
Der Verlagsort dieser Undergrundliteratur war Ebersbach/Fils, zwischen Plochingen und Ulm gelegen. Genauer: die Wohnbaracke der Firma, die den Franzosen ausbeutete.
Name des geheimen Autors: André Coutelier, geb. 12. 4. 1922 in Quen. Ehre seinem Namen.
Der freie Geist wurde verpetzt. Von wem? Trübe Gestalten, Verräter gibt es überall. Die Gestapo Stuttgart nahm den französischen Volksliteraten fest.
Auf, liebe Leserin, steh’ geschwind auf, erhebe dein Glas oder eine Tasse, bring deine Hochachtung aus für diesen Freiheitsfreund!
Wenn diese Grundsätze für die Gegenwart weiterentwickelt würden, wäre das nicht eine Erlösung für die Menschheit – mindestens zwischen Ebersbach/Fils, Ulm und Bodensee?
Geht es heute in Europa nicht schon weitgehend schlimmer zu? Wer darf noch langsam arbeiten? Und wenig arbeiten? Wer kann, ohne gleich rauszufliegen, öfters auf das Clo oder, gar in der Arbeitszeit, zum Arzt? Und wer den Meister ärgert, sieht sich gleich vor dem Betriebstor.
Die Industrielle Reservearmee ist schon ausgedehnt bis nach Rumänien und Polen, ja sogar schon bis nach China. Soeben meldet mir ein rumänischer Bewunderer meiner Freiheits-Bücher, Tausende chinesischer Sklavinnen kämen soeben nach Rumänien in die abgewickelten Textilbetriebe, um annähernd zum Nulltarif zu arbeiten.
Das neue Europa benimmt sich jetzt schon reichlich widerlich. Wohin wird das noch führen?
Eines sei dem Franzosen besonders gedankt, das 10. Gebot: “Immer Hoffnung haben.”
Aber Hoffnung worauf?