haasis:wortgeburten

Cesky Krumlov (Krumau), wunderbare tschechische (böhmische) Stadt an der Moldau. – Alter Kaufladenstil, wie er einst in Prag und bei jüdischen Geschäften üblich war: ein OFFENES GEWÖLBE.

 

ANTON ERNSTBERGER (1894-1966):
einst sudetendeutscher nazistischer Rassist und Tschechenhasser in Prag,
antidemokratischer Historiker.
Eine Entdecker-Notiz von Hellmut G. Haasis,
deutsch-schwäbischer Jakobinerforscher seit 1968. Ergänzung zum Nürnberger Underground ab 1789.

Der nationalistische Historiker Ernstberger aus der Gegend von Nürnberg/Erlangen begegnete mir literarisch erstmals
und gleich unangenehm 1968, als ich den Nürnberger Jakobiner Johann Benjamin Erhard (1766-1826) nach neuen Quellen zu erforschen und herauszugeben begann.

Wohin ich bei der Nürnberger Revolutionszeit auch schaute, über der Epoche der Französischen Revolution in dieser rebellischen Stadt lag der schwarzbraune Schatten dieses Anton Ernstberger.

Seine Editions-Arbeit gegen die frühen Nürnberger Demokraten galt als die Bibel einer duckmäuserischen Orientierung: Nürnberg im Widerschein der französischen Revolution 1789-1796. In: Zeitschrift für Bayerische Landeskunde, 21. 1958, S. 409-471.

In Übereinstimmung mit der antidemokratischen Tradition seiner sudetendeutschen Herkunft und seiner rassistisch-nazistischen Tätigkeit an der deutschen Universität Prag suchte Ernstberger die quellenmäßig belegte demokratische Radikalität der Nürnberger Revolutionsfreunde herunterzuspielen, aufzuweichen, möglichst auszuradieren.

Natürlich hatte der Nürnberger Jakobiner Erhard für Ernstberger nie existiert. Und wenn Ernstberger aus unleugbaren Quellen radikale Töne edieren sollte, schrieb er gegen den Wortlaut an.

Bei ihm roch ich in jedem Absatz: Diese frühen Demokraten sind dem alten Nationalisten nicht geheuer. Dabei war Nürnberg damals die geheime Hauptstadt der radikaldemokratischen deutschen Untergrundliteratur.

Man lese dazu: NÜRNBERGER Underground 1789-1809. Vortrag von Hellmut G. Haasis (Nürnberg, 29. September 2006) http://haasis-wortgeburten.anares.org/underground/jakobiner.php

Mit seiner desorientierenden Edition etablierte Ernstberger 1958 in Nürnberg eine böse Tradition, die erst mit meiner Erhard-Edition von 1970 gebrochen wurde. (Johann Benjamin Erhard: Über das Recht des Volks zu einer Revolution und andere Schriften. Hg. von Hellmut G. Haasis. 1. Aufl. München, Hanser, 1970, 4. Aufl. 1976)

Umso erstaunter rieb ich mir vor kurzem die Augen, als ich in einer wissenschaftlichen Studie über die Reinhard-Heydrich-Stiftung von Prag seinen Namen fand. (Andreas Wiedemann: Die Reinhard-Heydrich-Stiftung von Prag (1942-1945). Dresden 2000, S. 49).

Nach Heydrichs Tod im Jahr 1942 in Prag durch zwei Partisanen hatten die Nazis im Geiste Heydrichs eine ausufernde Stiftung eingerichtet, um ihre „Ostforschung“ für die rassistische Selektierung der Tschechoslowaken und den Holocaust voranzutreiben - Deportation und Ermordung sollten ideologisch gerechtfertigt werden. Eine Pseudowissenschaft für den Massenmord.

Die Reinhard-Heydrich-Stiftung konzentrierte sich in verschiedenen Gebäuden auf der Kleinseite Prags, ihre Zentrale lag in der Brückengasse 15 (Mostecká), in der Fortsetzung der Karlsbrücke.

Zu den verschiedenen Instituten der Reinhard-Heydrich-Stiftung zählte auch das „Landesgeschichtliche Institut für Böhmen und Mähren“, das Ernstberger ab 1944 bis zum Ende als Direktor leitete. (Wiedemann, 2000, S. 49)
Davon sprach er später lieber nicht mehr.

Schon 1937 gab Ernstberger die Nazi-Schrift „Heimat und Volk“ heraus. Als die Nazis 1939 Prag überfielen, durfte der braune Sudetendeutsche Ernstberger an der Universität bleiben, die Tschechen wurden hinausgeworfen, viele in ein KZ verschleppt. Die tschechische Universität wurde geschlossen. 1942 erhielt Ernstberger in Prag eine Professur für die Geschichte der Neuzeit, auf der er blieb, bis die deutsche Naziarmee 1945 Prag in Schutt und Asche zu legen suchte.

1942 war Ernstberger auch Mitglied der nazistischen „Deutschen Akademie der Wissenschaften in Prag“, die die Henkersarbeit der Nazis in Prag und im Protektorat Böhmen und Mähren „wissenschaftlich“ zu legitimieren suchte. Ernstberger widmete sich dem Deutschnationalismus, der zu den wesentlichsten Zuträgern der NS-Bewegung zählte:

Ernstberger, Anton: Die deutschen Freikorps 1809 in Böhmen. Prag, Amsterdam, Berlin, Wien: Volk und Reich Verlag, 1942. 512 S. Hiermit publizierte Ernstberger in einem scharfen Naziverlag von Heydrichs Gnaden; bis zum Ende des Nazireichs blieb dieser Verlag in Prag, allein schon die Verlagsorte beweisen die Orientierung auf die NS-Besatzungsarmee.

Heute ist interessant, dass dieses Werk damals und später nur in bayerischen Bibliotheken angeschafft wurde, wie der Karlsruhe Virtuelle Katalog (KVK) beweist. – Sieh da! Da kann man ja ins Grübeln kommen.

Gleich nach Hitlers Überfall auf Prag 1939 hatte Ernstberger die tschechoslowakische Außenpolitik attackiert: Ernstberger, Anton: Böhmens außenpolitische Stellung in der Neuzeit. Brünn 1939, S. 253-291.

Wenn man heute die Publikationen des militantesten Nazi-Verlags „Volk und Reich“ liest, kann einem speiübel werden. Ein Beispiel soll genügen: Karl Hermann Frank: Der Endkampf 1918 bis 1938, in: Das Böhmen und Mähren-Buch, Volkskampf und Reichsraum, Prag, Amsterdam. Berlin, Wien: Volk und Reich, 1943, S. 210-214.

Der hohe Nazifunktionär Frank hatte 1938 „die Sudetendeutschen Freikorps“ kommandiert, die ihr Bestes gaben, um noch vor der Losreißung der Sudetengebiete die demokratische Tschechoslowakei von innen heraus durch Provokationen und Mordanschläge zu zerstören. Es handelte sich um kriminelle Banden, deren Mitglieder später straffrei blieben.
HYPERLINK "http://de.wikipedia.org/wiki/Sudetendeutsches_Freikorps" http://de.wikipedia.org/wiki/Sudetendeutsches_Freikorps

1942 wurde dieser Frank Heydrichs Nachfolger als Hitlers Staathalter, sprich als TERRORCHEF IN PRAG. Die zu grausamer Berühmtheit gekommene Ausrottung des Dorfes Lidice geschah unter seinem Kommando.
http://de.wikipedia.org/wiki/Lidice

1945 haben die befreiten Tschechoslowaken Frank vor ein Gericht gestellt – und am 22. Mai 1946 im Gefängnis Pankrác gehenkt.

Sein Lehrer in Brünn war HYPERLINK "http://www.bohemistik.de/wostrymain.html" WILHELM WOSTRY, dessen reichlich braun gefärbtes Werk den Sudetendeutschen noch lange schmeckte: Wilhelm Wostry: Sudetendeutsche Geschichte 1918-1938. Forschung und Darstellung, in: Deutsche Ostforschung. Ergebnisse und Aufgaben seit dem Ersten Weltkrieg, Leipzig 1943, S. 488-530. HYPERLINK "http://www.bohemistik.de/wostrymain.html" http://www.bohemistik.de/wostrymain.html

Wostry ging seinem Schüler Ernstberger voran bei der „deutschen Ostforschung“, die der mörderischen Expansion der Nazis nach Osten pseudowissenschaftliche Schützenhilfe zu leisten hatte.

Nach dem Krieg blieb Ernstberger im Lager der äußerst rechten Sudetendeutschen, die weiter in die alten, verrosteten Trompeten stießen. Den deutschen Widerstand gegen Napoleon engte er, wie damals die meisten, auf Chauvinisten und Militaristen ein, der demokratische, rebellische Flügel existierte bei ihm nicht. – Von einem antinazistischen Widerstand war bei Ernstberger nie die Rede.

So ließ sich auch die Kontinuität mit dem „deutschen“ Prag und Böhmen festhalten: Anton Ernstberger: Eine deutsche Untergrundbewegung gegen Napoleon 1806/1807, München, Beck (!), 1955.

1953 finden wir Ernstberger in einem Festband für einen Kollegen, geschmacklos „Prager Festgabe“ genannt, noch im Jahr 1953. Bei den Mitautoren sticht der einstige Prager Nazi-Professor Wilhelm Weizsäcker (1886-1961) hervor, der in der Stadt an der Moldau der profilierteste Nazi-Juraprofessor gewesen war. Nach 1945 zählte Weizsäcker zu den wichtigsten Interessenvertretern der Sudetendeutschen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Weizs%C3%A4cker

PRAGER FESTGABE für Theodor Mayer. Mit Beiträgen von Anton Blaschka, Anton Ernstberger, Wilhelm Weizsäcker, Eduard Winter, Heinz Zatschek u. a. Hrsg. von Rudolf Schreiber. Freilassing-Salzburg, Müller, 1953.

Der Wikipedia-Artikel über Ernstberger
HYPERLINK "http://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Ernstberger_%28Historiker%29" http://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Ernstberger_%28Historiker%29
hat diesen Nazi-Wissenschaftler von jeder Verantwortung für die Geschichte befreit, alle braune Spuren sind getilgt. Aber das war in Bayern normal – und nicht nur dort.

Wir sehen hier also eine fleißige sudetendeutsche Geschichtskorrektur am Werk. Wie lange noch?

Alle fünf Direktoren der Prager Reinhard-Heydrich-Stiftung durften nach dem Krieg an deutschen Hochschulen weitermachen, einige brachten es zu hohen Orden. Vier setzten in der Bundesrepublik ihre Karriere fort, der fünfte schaffte es in der DDR zum Kirchenhistoriker.

Für alle hatte sich die Mord-Wissenschaft in Prag um Geist Reinhard Heydrichs gelohnt.

 

/underground/underground29.php | anares.org | comenius-antiquariat.ch Samuel Hess 2005