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VEIT HARLAN „Jud Süß“

Film, Umstände, Produktion, Hintergründe.
Einführung von Hellmut G. Haasis
(für Horb-Nordstetten, Berthold-Auerbach-Museum, 2004)

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Einstimmung

Albert Einstein riet, sich an einem heilsamen pädagogischen Grundsatz zu orientieren:

„Es gibt keine vernünftigere Erziehung als Vorbild zu sein, und wenn es nicht anders geht, ein abschreckendes.“

Veit Harlan, dem Regisseur des Filmes „Jud Süß“, müssen wir danken, dass er einen bleibenden Beitrag zur Erziehung der Deutschen geleistet hat – ohne es zu wollen. Viele Mitläufer und Schreiberlinge von Hitlers Regime sind vergessen, auch die meisten Mörder, - nur Veit Harlan nicht. Er könnte uns mit dem Justizmord an Süß Oppenheimer verbunden halten – wenn nur das historische Denken nicht so mühselig wäre.

Das Kunstprodukt „Jud Süß“ der Medienindustrie ist dagegen frisch geblieben, während über dem historischen Finanzier im Herzogtum Württemberg dicker Nebel liegt. Mit Unklarheiten lässt sich gemütlich leben.

Eigenartig, wie zäh sich der Nazifilm bei der Beschäftigung mit Süß Oppenheimer immer in den Vordergrund drängt. Wo auch immer von Süß die Rede ist, klappert automatisch Veit Harlan hinterher. Sehr zu Lasten des wirklichen Süß. Der Film lässt sich genießen, natürlich mit vorgehaltener Abneigung, aber unter bloß konsumierendem Interesse. Der historische Süß von Stuttgart dagegen ist verschüttet.

In einem ausführlichen literarischen Führer durch Heidelberg spukt etwas Furchtbares herum. Michael Buselmeier, Stadtführer in Heidelberg, malt es uns wie für schlaflose Nächte:

„Joseph Süß Oppenheimer war eine schillernde, aus dem Dunkel kommende Persönlichkeit. Als seine Eltern gelten jüdische Komödianten. Doch hält sich auf die Version, er sei ein unehelicher Sohn des Feldmarschall-Leutnants von Heidersdorf gewesen. (...) 1738, nach dem plötzlichen Tod seines Herrn, fiel er der Volkswut zum Opfer.“ (Buselmeier S. 86)

Veit Harlans Ehefrau Kristina Söderbaum, eine Schwedin, die weibliche Hauptrolle im „Jud Süß“, nährt in ihren Erinnerungen noch mehr unser Grauen:

„Wenn ich den Filmtitel „Jud Süß“ höre, schrecke ich auch heute noch zusammen [ca. 1985 geschrieben; HGH]. Beinahe 19 Jahre lang ist Veit durch Verhöre, Verhaftungen, Prozesse und Interviews mit diesem Film identifiziert worden.“ (Söderbaum S. 130)

Wir sind gerührt: ein armer Schlucker. Das eigentliche Opfer der ganzen Geschichte ist der Regisseur, der Täter das Opfer, wie so oft in der verdrehten Logik der Tätergeneration. Die Opfer der Shoa tauchen bei Söderbaum kaum in der Ferne auf. Schuld? Unklar. Versagen? Aber nicht doch.

Und wenn schon, dann ist an allem Gott schuld. Warum? „Gott hat uns schwach sein lassen, feige gar, darum haben wir einen fürchterlichen Auftrag erfüllt. Möge also Gott urteilen, inwieweit Schwachheit Schuld ist.“ (Söderbaum S. 130)

Und der Film selbst? Das Plakat der Produktionsfirma TERRA zeigte einen dämonischen Süß, den Schauspieler Ferdinand Marian, mit grünem Gesicht, giftiger geht es nicht, gefährlich lauernd mit verschlagenem Blick von unten, darüber mit aggressivem Rot der Titel „Jud Süß“, in Lettern ähnlich denen des Wortes „Jude“ auf den Judensternen des Dritten Reiches.

Es war der erfolgreichste Film der Nazis, mit dem höchsten Gewinn (6 Millionen), dem Dreifachen der Produktionskosten. In den ersten zwei Monaten bilanzierte die SS schon 700.000 Zuschauer, insgesamt wurden es 22 Millionen Deutsche und nochmals so viele im eroberten oder faschistisch-verbündeten Ausland, von Frankreich bis Rumänien und Russland.

Ungeheure Massen hatten in Europa den „Jud Süß“ gesehen. Diese Propaganda geschah ganz offen, sie war überall bekannt.

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Grundlage

Kristina Söderbaum stellt die Handlung des Filmes nach einer alten Vorlage vor:

„1732 wird der Bankier Joseph Süß Oppenheimer württembergischer Finanzminister, da die Staatsfinanzen durch die Eskapaden des Herzogs Karl Alexander völlig zerrüttet sind. Dem Juden Süß gelingt es, durch rigoros eingetriebene Steuern, Belastungen und Erpressungen das Land in nie vorher gekanntem Umfang auszusaugen. Gleichzeitig nutzt er seine Stellung beim Herzog dazu aus, für sich und für andere Juden Vorteile herauszuholen.

Erst als er Dorothea, die Tochter des Landschaftskonsulenten Sturm, heiraten will und mit hinterhältigen Methoden versucht, ihren Verlobten auszustechen, gibt sich Dorothea ihm hin, um den Verlobten zu retten, geht aber, nachdem sie geschändet worden ist, ins Wasser.

Ferdinand Marian und Kristina Söderbaum, vor der Vergewaltigung

Ihr Tod rüttelt die Württemberger auf: Der Herzog stirbt und die erbosten Bürger machen Jud Süß den Prozess, die Richter verurteilen ihn zum Tode und die Zunft der Schmiede baut einen Galgen eigens für den Juden, höher als alle Galgen zuvor. Und innerhalb eines Monats hatten alle Juden das Land zu verlassen.“ (Söderbaum S. 300-301)

Schon hier wimmelt es von Fehlern, so wird es im ganzen Film gehen. Die Fälschung der Geschichte hat Methode. Mit dem wirklichen Heidelberger Geschäftsmann Süß Oppenheimer hat die Gestalt nichts mehr zu tun. Ein Popanz für die politische Propaganda.

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Fälschungen

Dürfen ein Film, ein Roman oder sonst ein Kunstprodukt abweichen von der geschichtlichen Realität?

Natürlich. Aber die Freiheit des Künstlers hat bei hochgradig verseuchten Themen enge Grenzen, sollten sie bei einem traditionellen Hassobjekt alles noch schlimmer verdrehen.

Die Folge wäre: Die Abneigung wird so gesteigert, dass die Wut sich an einer gefährdeten Minderheit austoben kann, von der Ausgrenzung über die Misshandlung zur Ermordung. Bei einer hassvoll aufgeladenen Gestalt wie Joseph Süß muss jede Abweichung von der historischen Realität diese Wirkungen mitbedenken.

Konnte Veit Harlan etwas vom historischen Süß Oppenheimer wissen? Er behauptete, er habe alles gewusst. Also wollen wir ihn an seinen hohen Ansprüchen messen. Mit Dreistigkeit hielt er sich so den Vorwurf vom Leib, er habe etwas verfälscht.

Bis heute haben Cineasten Veit Harlan diese Linie durchgehen lassen, haben ihn so gut wie nie mit einem Rückbezug auf den historischen Süß als Lügner, Hetzer, Verfälscher herausgestellt.

Warum? Nun ja, auch den Cineasten ist der wirkliche Süß egal, sie kümmert nur das Kunstprodukt. Je schriller, desto besser.

In Harlans Film sehen wir gleich zum Beginn eine unfilmische Textbeinblendung – bereits ein Indiz für ein schlechtes Gewissen – damit wollte Harlan alle Kritik im Keim ersticken:

„Die im Film geschilderten Ereignisse beruhen auf geschichtlichen Tatsachen.“ (Hollstein S. 270)

An einigen Beispielen will ich zeigen, dass in dem Film unglaublich viel verlogen ist – und zwar in gefährlicher Absicht. Hier spricht ein Brandstifter.

Später, nach dem Krieg, als Harlan vor Gesicht stand, behauptete er flugs, er habe den historischen Süß ja gar nicht darstellen wollen. Einst hatte er 44 Millionen Zuschauern das krasse Gegenteil vorgegaukelt.

Das sollte man ihm nicht durchgehen lassen. Gleich am Anfang begegnen wir Harlans Grundcharakter: ein großer Lügner.

Einst hatte er unverfroren behauptet, die ersten beiden Autoren des Drehbuchs hätten die Prozessdokumente im Stuttgarter Archiv studiert und alles historisch erforscht.

Absoluter Unsinn, der sich nachweisen lässt. Noch heute liegen in den 121 umfangreichen Aktenbänden des Süß-Prozesses Listen, wo sich anfangs jeder eintragen musste, wer wann einen Aktenband gelesen hatte. Dort finden sich die Namen der beiden nazistischen Lohnschreiber nicht.

Nun einige von Harlans Fälschungen im Film:

Süß lebte nie im Frankfurter Getto, er verstand es durchzusetzen, außerhalb frei leben zu dürfen. Eine großartige Leistung: der erste Jude, der sich nicht ins Getto einsperren ließ.

Süß war kein Halbjude, sondern hatte jüdische Eltern, zweifelsfrei. Die Abstammung von Heidersdorff ist Unsinn.

Der Herzog Carl Alexander war kein deppeter Polterer, sondern ein erfolgreicher österreichischer General, befehlsgewohnt. Erst bei den arbeitsunwilligen Geheimräten und den zahlungsunwilligen Landständen biss er auf Granit.

Süß hatte nicht die Straßensteuer gepachtet, so etwas gab es gar nicht. Makaber: Umgekehrt war es gerade sein Todfeind bei der Verhaftung, Baron von Röder, eine der korruptesten Figuren am Hof, der die Brücke über den Neckar gepachtet hatte. Also der gute Herr Geheimrat selbst war einer der Aussauger in Württemberg.

Süß galt, weil der Jude war, in der Hofhierarchie nichts, er konnte sich keineswegs so frei und dominant am Hof bewegen, wie der Film behauptet.

Der geplante Staatsstreich des katholischen Herzogs ist ein patriotisches Märchen, an das nicht einmal die Stuttgarter Bürger glaubten, sonst hätten sie die Waffen aus dem Zeughaus geholt und verteilt, die Miliz bewaffnet, die Einfallstraßen gegen die Würzburger katholischen Truppen besetzt und die Nachbarstaaten und den Reichstag um Hilfe gebeten.

Im Film, ähnlich wie im Roman von Lion Feuchtwanger, wird der Herzog vergiftet. Davon sprach Harlan nach dem Krieg nicht mehr. Wäre 1737 beim Tod des Herzogs etwas dran gewesen, so hätten die Württemberger Süß mit Recht aufhängen können.

Es gab keinen Volksaufstand gegen Süß. Überhaupt war Süß niemals verhasst im Lan. Diese Legende ist im Lauf der Jahrhunderte hinzugewachsen.

Süß bekam vom Herzog kein allgemeines jüdisches Niederlassungsrecht für Stuttgart oder gar das ganze Württemberg, sondern nur vorübergehend und nur für zwei Geschäftsleute. Die Szene mit dem offenen Stadttor, durch das die Juden in Massen hereinströmen, ist Harlans böse Erdichtung, die die Notwendigkeit der NS-Politik betonen soll.

Passen Sie nachher scharf auf. Nach dieser Szene folgt in manchen Kopien des Filmes ein sekundenlanger Blick in einen Kanal voller Ratten. Eventuell eine vom Film „Der ewige Jude“ herüberkopierte Szene.

Es gab keine Verkündung der Judenausweisung durch die Landstände am Hinrichtungstag.

Süß wurde nicht wegen Sex mit einer Christin verurteilt.

Süß hatte nie das Recht, den Sohn einer angesehenen Familie zu foltern. Übrigens war er als Anhänger der Aufklärung ein entschiedener Gegner der Folter, die am schnellsten die Juden zu spüren bekamen.

Harlans raffinierteste Fälschung suggerierte die Herrschaft des Judentums über das evangelische Württemberg. Zum Anfang des Filmes sind beim Gang die Treppe hoch rechts Kerzenleuchter an der Wand zu sehen: mit dem württembergischen Hirsch-Wappen im Relief, darüber der Judenstern.

Dasselbe Motiv wird gegen Ende wiederholt, bei der Einweihung von Süß‘ Palais. Aus einem Sandstein herausgehauen zuerst das württembergische Wappen, nach einem Schwenk die Wiederholung, die Hirsche, und nun darüber der Judenstern.

Allein schon diese filmische Schandtat hätte ein Berufsverbot gerechtfertigt. Der Filmer hat nie behauptet, Goebbels habe diese Verhetzung ihm aufgezwungen. Es war Harlans freier Wille. Hier sehen wir den Naziagitator in Reinform, ästhetisch durchaus raffiniert.

 

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Starbesetzung

In dem Film spielte die Elite der in Deutschland gebliebenen Schauspieler mit:


Werner Krauß, links

Ferdinand Marian als Jud Süß
Heinrich George als Herzog Carl Alexander
Werner Krauß als Rabbi Loew und in vier anderen jüdischen Rollen, also fünffach
Eugen Klöpfer als Landschaftskonsulent Sturm
Kristina Söderbaum als Dorothea Sturm
Malte Jaeger als ihr Bräutigam Faber.

Die Aufträge, beim Film mitzuspielen, kamen von Goebbels, dem Propagandaminister. Es gab sicher Spannungen, ob jemand mitmachen wollte und in welcher Rolle, aber nach dem Krieg, als das Spiel aus war, fiel das Jammern der einst hofierten Schauspieler überdimensional aus.

Jeder klagte, wie schlimm er von Goebbels gezwungen worden sei, Dinge zu tun, die er angeblich nicht wollte. Schauen Sie genau hin, ob Sie einem der Schauspieler den Zwang ansehen. Ein guter Schauspieler kann seinen Unwillen durchaus geschickt verpackt zeigen – wenn er will.

Die Klagen über Goebbels und seinen Zwang ziehen sich durch die Memoiren so intensiv durch, dass man am liebsten gramgebeugt mitheulen möchte: Ja ja genau, so schlimm war er, der Teufel Goebbels mit dem Hinkefuß.

Die eigentlichen Opfer sind die Schauspieler, nicht die Juden. In Hitlers Reich litten vor allem die Künstler. Von den Juden zwischen dem Atlantik und dem Ural gibt es dagegen nicht zu melden.

Die Schauspieler, diese armen Tröpfe, bekamen fürstliche Löhne, über die sie gerne schwiegen. Das Ehepaar Harlan allein für diesen Film 200.000 Reichsmark, bei einem halben Jahr Arbeit. Harlan scheffelte unter Hitler so viel Geld, dass er nach dem Krieg in einer Villa am Starnberger See lebte, die ihm natürlich nie genommen wurde.

Die durchschnittlichen Jahreseinkommen der erfolgreichsten Schauspieler schwebten im Himmel: Hans Albers 240.000 Mark, Willy Bürger 140.000, Paul Dahlke 70.000, Willy Fritsch 120.000, Heinrich George, der hier mitspielte, 215.000, Attila Hörbiger 80.000, Paul Hörbiger 120.000, Emil Jannings 125.000, Eugen Klöpfer 170.000, Werner Krauß 80.000, Ferdinand Marian 90.000, Hans Moser 210.000, Erich Ponto nur lumpige 30.000, Marika Rökk 70.000, Paula Wessely 130.000 Mark (Söderbaum S. 149-150)

Ein Facharbeiter verdiente damals im Jahr kaum 2.000 Mark. Und diese Arbeiter durften in den Krieg marschieren, kamen nicht oder als Krüppel oder zumindest verbittert zurück, ohne Geld im Sack.

Goebels rieb es seinen Lieblingen unter die Nase, dass er sie besser bezahle als die wichtigsten Wissenschaftlers. Sie hielten gerne die Hand hin und ließen sich die Bevorzugung gefallen.

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Goebbels‘ Zielsetzung

Goebbels tat so, wie wenn er die Ausweitung des Krieges fürchte. Um das Ausland nicht zu reizen, wolle er den deutschen Antisemitismus als allgemeine europäische Erscheinung darstellen. Mit dem Film sollte der traditionelle Judenhass als Schutzschild für die deutsche Politik herhalten.

Für Goebbels ging es um „den Kampf zwischen Judentum und den (württembergischen) Antisemiten.“ (Harlan S. 110) So meinte Harlan freilich erst nach dem Krieg.

Dagegen findet sich 1940 in der Zeitschrift „Film“ ein lupenreines NS-Interview von Harlan, der soeben aus Warschau und Lublin zurückgekommen war: Schon vor 200 Jahren sei der Jude Süß wegen Rassenschande verurteilt worden (Kraushaar S. 8) Also eine Bekräftigung der Nürnberger Gesetze, durch die Geschichte selbst.

Das wirkliche Ziel, der Angriff auf die Juden und ihre Ausschaltung, hatte sich Goebbels schon 1938 gesetzt. Bei seinen politisch dümmlichen Leinwandstars konnte er frech flunkern, die Reichspogromnacht gehe nur auf die Kappe der SA.

Nach dem Krieg las man es in Harlans Memoiren anders: Süß Oppenheimers Hinrichtung sei im Film als ein „großes Unrecht“ dargestellt und auch so empfunden worden (Harlan S. 110).

Am 30. Januar 1939 prophezeite Hitler im Reichstag, beim Ausbruch eines Krieges käme es zu einer „Vernichtung der jüdischen Rasse“ (Hollenstein S. 62). Wie immer, hörten die Deutschen live mit, an ihren eigenen Radios, zuhause und völlig ungezwungen.

Hitler forderte damals von Goebbels neue Film, nationalsozialistische, nicht bloß nationale (Goebbels Tagebücher III S. 1354).

Goebbels bereitete sofort drei astreine NS-Filme vor, die alle 1940 herauskamen: „Die Rothschilds“, „Jud Süß“ und „Der ewige Jude“.

Gefragt war beim Publikum, wie immer, leichte Unterhaltungskost. Goebbels‘ Aufgabe bestand darin, die NS-Weltanschauung und Zielsetzung in süffige Unterhaltung umzusetzen. Harlan drückte es später lieber nebelhaft aus, um sich aus diesem mörderischen Zusammenhang fortzustehlen:

Er wolle philosophische und humanitäre (!) Gedanken auf volkstümliche Weise miteinander verflechten (Harlan S. 95) Keinesfalls habe er einen „menschenunwürdigen antisemitischen Film“ machen wollen (Harlan S. 95)

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Jüdische Laienschauspieler

Auf eigene Faust fuhr Harlan 1940 nach Warschau und Lublin und informierte sich über das (sterbende) jüdische Leben, das er mit jüdischen Laienschauspielern echt darstellen wollte. Goebbels lehnte diese Idee zuerst ab, sie sei verrückt.

Harlan holte 120 Juden aus dem Getto von Lublin nach Prag zu Aufnahmen ins Studio Barrandow. Für den Ausnahmetransport halfen ihm drei SS-Deportationsspezialisten in der Berliner Gestapozentrale, dem Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße 8.

Schauspielerische Verstärkung warb er bei den deutschen jüdischen Emigranten in Prag an, die hofften, so der Deportation und dem Tod entrinnen zu können.

Harlan machte sich nie Gewissensbisse über diese tödliche Täuschung. Dieser Teil seiner Filmkonzeption entsprang seiner eigenen Initiative, hier war Goebbels nicht im geringsten der geistige Vater, ja Harlan übertrumpfte in diesem Punkt noch Goebbels selber.

Den Oberrabbiner der Altneuschulsynagoge von Prag bewegte er zur Mitarbeit, mit dem Trick, es gehe um Dokumentation. Wenn wir nachher in der nachgebauten Film-Synagoge Juden bei einem angeblich chassidischen, eher einem chaotischen Gottesdienst sehen, so erblicken wir todgeweihte Menschen, die um ihr Leben beten und singen und spielen, vor den filmenden Spießgesellen ihrer Mörder. Keiner dieser getäuschten Laienschauspieler kam mit dem Leben davon.

Selbstverständlich gab es in Stuttgart keine Synagoge. Dem deutschen Filmpublikum wurde die durch arglistige Täuschung erschlichene Mitwirkung todgeweihter Juden natürlich verschwiegen.

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Harlans Charakter

Nach der Novemberrevolution 1918 sympathisierte Harlan zuerst mit den Kommunisten, wie viele Schauspieler, Regisseure und Autoren. Später schloss er sich der SPD an, aber nie der NSDAP. 1924 war er Schauspieler bei Erwin Piscator, dem besten Regisseur. Er wirkte in einem linken, liberalen Milieu.

Das gegen den Antisemitismus gerichtete Drama „Mord im Hinterhaus“ inszenierte Harlan mit dem berühmten jüdischen Schauspieler Alexander Granach. Mit anderen, die mit ihm dann 1940 den „Jud Süß“ drehen werden, spielte er in Feuchtwangers Theaterstück „Jud Süß“.

Feuchtwanger kippte 1940 in seinem amerikanischen Exil schier vom Stuhl, als er von der Massenbekehrung seiner alten Schauspieler-Freunde zu Hitler hörte.

Im April 1933 kam es zu Harlans politischer Wende:
„Unsere Zeit, Deutschlands große Zeit ist da! Und so hell und klar, wie dieser zärtliche Apriltag, liegt die Zukunft vor uns, die wir unser Vaterland lieben. Das ist mein Bekenntnis zum Nationalsozialismus!“ (Pardo/Schiffner S. 37)

Nun ging Harlan als Regisseur ans Theater am Schiffbauerdamm und tat sich hervor durch Schreien, Zusammenstauchen, allgemein durch ein brutales Auftreten.

Als Kristina Söderbaum im 5. Monat schwanger ist, jagt er sie bei den Dreharbeiten zum Film „Die Reise nach Tilsit“ so lange im kalten Wasser herum, bis sie eine Nierenbeckenentzündung bekommt, die Jahre danach noch nicht ausgeheilt ist.

Bei den folgenden Dreharbeiten im Wellenbad von Leipzig zwingt er sie sogar, trotz ständigem Fieber, weiter im Wasser zu drehen. Als sie aus Angst um ihr Kind nicht spielen will, hebt er seinen Arm, als wolle er sie schlagen, und schreit vor allen Mitspielern: „Und du spielst!“! Sie wiegt damals gerade noch 44 Kilo.

Spät, sehr spät, erst nach seinem Tod fing sie zu denken an:

„Warum bin ich damals nicht auf und davon gegangen? Ich glaube, weil ich diese Autorität von meinem Vater gewohnt gewesen bin. Nicht stark genug war, mich zu diesem Zeitpunkt zur Wehr zu setzen.“ (Söderbaum S. 113)

Harlan dagegen schrieb in seinen weinerlichen Memoiren, wie schlecht es ihm nach dem Krieg ergangen sei. Wenn es andere traf, war er gefühllos. Viele Schauuspieler Berlins hatten jüdische Frauen, Goebbels zwang sie zur Scheidung, die meisten gehorchten.

Einer der größten Stars, Joachim Gottschalk, wollte sich nicht beugen. Harlan saß während der widerlichen Auseinandersetzungen bei Goebbels daneben. Der Herr der deutschen Filmindustrie trieb es so lange, bis das Ehepaar 1941 den Selbstmord mit dem Gashahn wählte. Ähnlich einer der besten Beleuchter der UFA.

Harlan lernte nichts daraus.
EIN GESINNUNGSLOSER KARRIERIST.

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Wirkung des Films

Harlan behauptete später, er habe sich nie darum gekümmert, was seine Filme politisch anrichteten. In Wirklichkeit war sein Film-Programm die kompromisslose Durchsetzung der NS-Politik, bis zum Massenmord an den Juden.

Später gab sich Harlan gerne als weltfremder Künstler.
Das ist er nie gewesen.

Obwohl angeblich von Goebbels gezwungen, im Film „Jud Süß“, stürzte er sich sofort danach in das noch viel verrücktere Projekt „Narvik“: die Eroberung von Narvik (Norwegen) durch die Wehrmacht.

Es sollte ein uneinholbar gigantisches Werk werden: mit mindestens vier bis fünf Zerstörern, mindestens einem Schlachtschiff, 100 Transportflugzeugen, 5.000 Fallschirmspringern und 6 Stukas.

So etwas plant und macht nicht ein vergewaltigter, gekränkter, unwilliger Mensch.

Den Schlusspunkt seines Werkes unter dem Hakenkreuz setzte Harlan mit dem Durchhaltefilm „Kolberg“, 1944 gedreht. Während es den Deutschen an allem fehlte, bekam Harlan 8,5 Millionen Mark für den teuersten Film unter Hitler, mehr als das Vierfache des Süß-Filmes. Premiere war am 30. Januar 1945. Hitler war gerade 12 Jahre an der Macht, seine tausend Jahre gingen unleugbar dem Ende entgegen.

Den Film „Jud Süß“ mussten nach einem Befehl von Heinrich Himmler die ganze SS und die Polizei ansehen. Alle Parteigliederungen folgten. Die SS ließ duch ihren Geheimdienst, den SD, Besucher fragen, welche Szenen am stärksten wirkten. Also soziologische Forschungsmethoden zur Kontrolle der Auswirkungen.

Das Ergebnis: Am stärksten wirkte die Szene mit der Vergewaltigung von Kristiana Söderbaum, danach der massenweise Einzug der Juden mit Sack und Pack in Stuttgart.

Einer der SD-Interviewer, die natürlich ohne Uniform und ohne den Auftrag, abweichende Meinungen zu verfolgen, auftraten, hielt fest:

„Im Anschluss gerade an diese Szene [Vergewaltigung] ist es wiederholt während der Vorführung des Films zu offenen Demonstrationen gegen das Judentum gekommen. So kam es z. B. in Berlin zu Ausrufen wie: ‚Vertreibt die Juden vom Kurfürstendamm! Raus mit den Juden aus Deutschland!“ (Wulf S. 447)

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurde eine deutsche Filmgesellschaft zur Aufführung der NS-Filme unter den besetzten Völkern gegründet, mit Niederlassungen in Riga und Kiew. Allein in der ersten Jahreshälfte 1942 sahen 19 Millionen unterworfene Osteuropäer deutsche Filme, darunter „Jud Süß“.

Speziell dieser Film folgte einer wohl überlegten Einsatzstrategie: Immer wenn irgendwo im Osten eine Deportation oder eine Mordaktion in einem Getto bevorstand, zeigte man der nichtjüdischen Bevölkerung den „Jud Süß“, um Mitleid und Hilfsbereitschaft zu unterbinden (Wulf S. 455)

Die Polizei-Einsatztruppen wurden vor dem Blutbad mit dem Film aufgeputscht. Im Frankfurter Auschwitz-Prozess erklärte der angeklagte SS-Mann Baretzki, wie man ihn zu seinen Mordtaten animiert hatte:

„Damals wurden uns Hetzfilme gezeigt wie ‚Jud Süß‘ und ‚Ohm Krüger‘. An diese beiden Titel kann ich mich noch erinnern. Und was für Folgen das für die Häftlinge hatte! Die Filme wurden der Mannschaft gezeigt. Und wie haben die Häftlinge am nächsten Tage ausgesehen.“ (Wulf S. 447)

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Kampagne gegen Veit Harlan

Harlan sah nie ein, was er angerichtet hatte. In zwei Verfahren der Entnazifizierung wurde er freigesprochen, ebenso in zwei Schwurgerichtsprozessen. Begründung: Die Ermordung der Juden stünde in keinem ursächlichen Zusammenhang mit seinem Film, das Schicksal der Juden wäre auch ohne den Film dasselbe gewesen (Kraushaar S. 13).

Der Richter, als Zyniker schwer zu übertreffen, entpuppte sich später als altes Parteimitglied, besudelt mit mindestens 20 Todesurteilen in einem Sondergericht, schon für einen kleinen Diebstahl verhängte er die Todesstrafe. Ein Verfahren gegen ihn verlief 1959 im Sand (Kraushaar S. 16).

Nach Harlans Freispruch stiegen Hunderte von Zuschauern auf die Stühle und klatschten und jubelten und trugen den Sieger auf den Schultern aus dem Gerichtssaal.

Alles schien für Veit Harlan zu laufen. Da stellten sich ihm 1951, als er seinen ersten neuen Film vorstellte, Andersdenkende in den Weg, häufig Studenten von Universitätsstädten. Sie übten sich in den ersten Demonstrationen ihres Lebens.

In Freiburg so gemäßigt, dass sie sich nicht von den Gehwegen herunter trauten und sich dennoch von eingeschleusten Zivil-Kripoleuten verprügeln lassen mussten. Der Staatspräsident setzte den Film eigenhändig ab, nach dem Protest aller Parteien musste der Polizeipräsident seinen Hut nehmen (Groß/Wegmann S. 176)
Der Protest war also nicht umsonst.

Salzburg 1951. Ein Harlan-Gegner wird abgeführt.

Wo ein Harlan-Film in die Kinos kam, entsannen sich die Bürger an seine Rolle als Hitlers Starregisseur. Angesichts der Proteste setzten die politisch Verantwortlichen häufig seine Filme ab.

Wenn Kristina Söderbaum in einem Theater auftrat, gellte ihr der Ruf entgegen „Jud Süß“. In Bayreuth schirmten amerikanische Panzer das Theater ab und schützten Harlans Frau vor Demonstranten. Ein Panzer brachte sie abends ins Hotel zurück.

An vielen Orten bekam das braune Deutschland Auftrieb. Im Hamburger Gerichtssaal wird beim Harlan-Prozess eine jüdische Zeugin von Zuschauern beschimpft. Vor dem Gebäude entgeht sie mit Not der Lynchjustiz und muss das altbekannte Programm hören: „Judensau, mach, dass du aus Deutschland rauskommst!“ (Kraushaar S. 14)

In Göttingen eine Protestversammlung, 100 Personen, mit den Transparenten „Friede mit Israel“ und „Wir wollen keine Harlans mehr“. Es rücken dreimal so viele Gegendemonstranten an. Ihr Geist offenbart sich in den Rufen:

„Judensöldlinge“
„Schlagt die Judenlümmel zusammen!“
„Haut sie in die Fresse!“
„Niederknüppeln!“
„Aufhängen!“
„Ins Arbeitslager mit ihnen!“
„Juden raus!“
„Brecht den Juden die Knochen!“

„Judenhure“ ist wieder ein Titel für junge Frauen (Kraushaar S. 27).

So geht das bis ins Jahr 1954. Da schlägt Harlan einen Haken. Er reist nach Zürich, kauft die beiden dort befindlichen Negativkopien auf und verbrennt sie in einem Steinbruch, in Anwesenheit eines Notars. Er legt damals immerhin 75.000 Mark dafür hin. Geld hat er genug.

Genützt hat es ihm nichts. Als Hitlers Starregisseur und uneinsichtiger Rechthaber war er nicht mehr gefragt. Ein schöner Erfolg einer politisch-kulturellen Protestbewegung, als die Bundesrepublik eher den Weg in die Restauration einzuschlagen begann.

Inzwischen ist ein merkwürdiger Trend zurück zu Harlans Werk zu beobachten. Seitdem Joseph Süß Oppenheimer wieder ein bisschen entdeckt ist, wird das Interesse süffig abgelenkt, weg vom Justizopfer Süß und hin zum Filmemacher Veit Harlan, zum prickelnden Konsum seines Filmes „Jud Süß“.

Die entrüstete Ablehnung ist vorprogrammiert, der historische Heidelberger Jude Süß scheint dagegen kein Interesse zu verdienen. So gibt es jedes Jahr irgendwo den Nazifilm zu sehen, in geschlossenem Rahmen, kommentiert, aber eben auf Kosten des wirklichen Justizmordes im Stuttgart des Jahres 1738.

Literatur:

Buselmeier, Michael: Literarische Führungen durch Heidelberg. Eine Kulturgeschichte im Gehen. Heidelberg 1991

Giesen, Rolf/Hobsch, Manfred: Hitlerjunge Quex, Jud Süß und Kolberg. Die Propagandafilme des Dritten Reiches. Dokumente und Materialien zum NS-Film. Berlin 2005

Goebbels, Joseph: Tagebücher 1924-1945. Hg. von Ralf Georg Reuth. Band 3, München/Zürich 1999

Groß, Thomas/Wegemann, Holger: Der „Fall Harlan“. – Die Geschichte eines politischen Skandals in der jungen BRD. In: Haumann, Heiko/Schnabel, Thomas (Hg.): „Eigentlich habe ich nichts gesehen...“ Beiträge zu Geschichte und Alltag in Südbaden im 19. Und 20. Jahrhundert. Freiburg /Breisgau 1987, S. 173-200

Harlan, Veit: Im Schatten meiner Filme. Selbstbiographie, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von H. C. Opfermann. Gütersloh 1966

Hippler, Fritz: Die Verstrickung. Auch ein Filmbuch. Einstellungen und Rückblenden von Fritz Hippler, ehem. Reichsfilmintendant unter Josef Goebbels. Düsseldorf o. J. (über Harlan S. 195ff)

Hollstein, Dorothea: „Jud Süß“ und die Deutschen. Antisemitische Vorurteile im nationalsozialistischen Spielfilm. Frankfurt 1983

Knilli, Friederich: Ich war Jud Süß. Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian. Berlin 2000

Kraushaar, Wolfgang: Der Kampf gegen den „Jud-Süß“-Regisseur Veit Harlan. „Ein Meilenstein in der Grundrechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts“. In: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung. 4. Jg., Dezember 1995/Januar 1996, Hamburg, S. 4-33

Kuhlbrodt, Dietrich: „Jud Süß“ und der Fall Harlan/Lüth. Zur Entnazifizierung des NS-Films. In: Peter Reichel (Hrsg.): Das Gedächtnis der Stadt. Hamburg 1997, S. 101-112

Moeller, Felix: Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich. Berlin 1998

Noack, Franz: Veit Harlan. „Des Teufels Regisseur“. München 2000

Pardo, Herbert/Schiffner, Siegfried: Jud Süß. Historisches und juristisches Material zum Fall Veit Harlan. Hamburg 1949

Söderbaum, Kristina: Nichts bleibt immer so. Erinnerungen. Aufgezeichnet von Julia Streitz. Neu durchgesehene und erweiterte Ausgabe München 1992

Wulf, Joseph: Theater und Film im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Reinbek 1966

Im WEB:

Harlan-Artikel in Wikipedia
Harlan-Artikel in shoa.de

 

Hellmut G. Haasis
Reutlingen
korrigiert und erweitert Juli 2007

 

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