haasis:wortgeburten

VOLKSBUCH DER VERSPOTTETEN PÄPSTE

RATZINGER ZUM LACHEN

„Volksbuch der verspotteten Päpste“
Ein befreiendes Lachbuch von Hellmut G. Haasis/
Heiner Jestrabek
(Reihe: Blauwolkengasse. Eine verschüttete
Freiheitsbibliothek aus der Zeit der deutschen Jakobiner. Bd. 7)
Freiheitsbaum, Paris-Heidenheim-Ulm-Prag 2011.
170 Seiten, 80, 2011. ISBN 978-3-922589-34-1. 12 Euro.

Mit fröhlich-surrealistischen Collagen von Uli Trostowitsch.

Ein göttliches Erlebnis mit dem noch (?) amtierenden Papst Joseph Ratzinger in Rom und ehrwürdigen alten Texte gegen das Papsttum

Rezension von Wladimir Krutthofer (Moskau),
übersetzt von Sergei Petrowitsch Eisenstein (Witebsk)

Wir in Moskau sind total überrascht, dass dieser Hellmut G. Haasis, der Autor der maßgebenden Georg-Elser-Biografie, nun ein ganz andersartiges Buch veröffentlicht. Eine Sammlung alter und neuer Spott-Texte über die Päpste.

Wir müssen neidisch gestehen, dass wir eine ähnliche Kritik der orthodoxen Patriarchen noch nicht gelesen haben. Es wäre höchste Zeit, seitdem bei uns viele sich erneut einer kritiklosen religiösen Verehrung zuwenden. In der weltweiten Krise flüchten sich viel zu viele wieder in die Arme der Religion. - Eine uralte Sackgasse.

Ich erinnere mich mit Stolz an den Offenen Brief an Putin, den wir in der Akademie 2007 verfasst haben.

An den Präsidenten der Russischen Föderation W. W. Putin
Sehr geehrter Wladimir Wladirowitsch!
Mit wachsender Sorge beobachten wir die zunehmende Klerikalisierung der russischen Gesellschaft und das aktive Eindringen der Kirche in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.
Die Verfassung der Russischen Föderation proklamiert den weltlichen Charakter unseres Staates und das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat. Wir wenden uns mit diesem Brief an Sie als die oberste Amtsperson unseres Landes, die der Garant der Einhaltung der Grundlagen der Verfassung ist.“

Der neue geistesverwandte deutsche Sammelband beginnt mit vier Gutachten, die sich aus verschiedenen Rechtstraditionen heraus dem Vorwurf stellen, ob dieses Buch nicht die Religion beschimpfe und religiöse Gefühle verletze – und deshalb mit einer Strafe bis zu drei Jahren belegt werden könnte. Jede Richtung kommt zu einem andern Urteil.

Die beiden Freidenker Gottfried Lepusis und Enrico Marcard brachten es am 6. Juli 2010 fertig, mit dem Papst im römischen Gartenlokal L’Isola della Pizza zu essen.

Schon das Datum war eine Herausforderung: der 695. Todestag des tschechischen Reformators und Nationalrebellen Jan Hus. Der große Prager wurde 1415 vom Konstanzer Konzil auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dankenswerterweise lassen die beiden Schwaben die üblichen Ausflüchte der Päpste vor diesem KIRCHENMORD nicht gelten.

Die beiden Freidenker formulieren die Außenseiterstellung denkender Menschen gegenüber Religion und Unterwürfigkeit fast klassisch und ironisch zugleich:

„Wir beide waren an jenem lauschigen Abend in Rom echte Ausländer, was für uns in allen Ländern bedeutet: notorische Nichtchristen, Nichtporschefahrer, Nichtjuden, Nichtmuslime, Nichtgojim, Nichtnichtschwimmer, Nichtgesangbuchbesitzer und Nichtlederhosenträger.“ (S. 17)

Ein VOLLTREFFER. Präziser und zugleich vergnüglicher kann man es kaum sagen.

Der Papst wünschte sich einen Abend mit humorvollen und geistreichen Leuten – ein Menschentypus, der im Vatikan kaum zu finden ist. In der Ostkirche ist es freilich nicht besser, und das Personal in unseren früheren sowjetischen Parteiapparaten war ganz ähnlich, in seiner kriminellen Gewalttätigkeit aber noch weit schlimmer.

Wie kamen die Herausgeber des FREIHEITSBAUMS zu diesem exklusiven Text, nach dem sich die Presse die Finger lecken würde?

Sie erhielten eine Abschrift des Gesprächs zugeschickt, ein Text, den die uns bisher unbekannten Spaßvögel Lepusis und Marcard in einem Schnellzug zwischen Mailand und Zürich hatten liegen lassen. ES LEBE DIE VERGESSLICHKEIT, wenn sie so kreativ ist.

Während einer echt bayerischen Mahlzeit in Rom fragten die Besucher Ratzinger nach seiner Zeit als katholischer Theologieprofessor in Tübingen aus.

Wir erfahren vom Herrscher über alle katholische Seelen, dass er in Tübingen keineswegs in einem „Haifischbecken“ lebte, wie die Presse jahrelang behauptete. Dies sei ein Mythos, der von den Medien geschaffen wurde.

Heute gibt sich Ratzinger dankbar den rebellischen linken Studenten, weil sie ihn durch ein provozierendes Flugblatt zu seiner PAPSTMISSION angestoßen haben (S. 26/28). Von ROTEN ROLLKOMMANDOS könne nicht die Rede sein (S. 20).

Alles für die LEGENDENBILDUNG erfunden, wobei der Papst offen lässt, ob er nicht mitgeholfen habe. Als katholischer Märtyrer in der TÜBINGER HOCHBURG DES ANTICHRIST konnte er sich im Vatikan leichter etablieren.

Mit härteren Bandagen ging es in REGENSBURG weiter, als Ratzinger mit Hilfe der bayerischen Polizei gegen seine Studenten zurückschlug. Ratzinger richtete einen universitären NACHRICHTENDIENST ein – und führte ihn selbst an (S. 31), mit einem eigenen Spitzelnetz.

Dabei müssen wir Ratzinger danken, dass er uns an einen goldenen Spruch von Franz-Josef Strauß erinnert. Strauß, der Rechtsaußen in der CSU, pflegte zu sagen: RECHTS VON MIR IST NUR DER ABGRUND. Wenn er aber mit Ratzinger zusammenkam, konnte er aufatmen:

RECHTS VON MIR IST WENIGSTENS – NOCH DER RATZINGER. - Und der Papst lachte dazu. (S. 30)

Überhaupt lachte er viel an diesem lauschigen Abend in Rom. Es muss ihm über die Maßen gefallen haben. Ich muss gestehen, ich lachte bei der Lektüre gerne mit. Der Papst zeigte sympathische Züge.

Ratzinger greift den liberalen Regensburger Physikprofessor Obermair an, für ihn der „reinste Teufel“ (S. 33) Der Papst vergisst seine Feinde nicht. Wenig christlich.

Was Ratzinger von einem studentischen PROTESTTHEATER in Regensburg erzählt, stellt ein glänzendes Stück VOLKSLITERATUR dar. Tiefschwarz gekleidete Herren, weiß maskiert, kommen mit einem Demonstrationszug in die Vorlesung, als Ratzinger wieder einmal von der LIEBE faselt, die nach der Einsicht seiner Studenten nichts mit Wissenschaft zu tun hatte und deshalb nicht an eine Universität gehörte (S. 33-35).

Ratzinger wollte gegen diesen Aufzug mit einem Sarg, drüber eine Kirchenfahne, aus dem Saal flüchten und die Polizei rufen. Die Verkleideten versperrten ihm die Flucht. Der künftige Papst musste mit ansehen, zu welchen Reaktionen geistig misshandelte Studenten fähig sind. Ihre Parodie einer Mönchsliturgie gipfelte in der Bitte:

GOTT ERLÖS UNS VON RATZIS DUMMHEIT.

Wir wissen, die Bitte half nichts, aber wenigstens liest sich das exzellente Gesprächsprotokoll wie ein THEATERSTÜCK, in der italienischen Tradition der commedia dell’arte. Köstlich. Man sollte das Stück laut lesen – und dem Drang zum Lachen nachgeben.

Als ich es in der Moskauer Metro las und ständig lachte, fragten mich Mitfahrer, warum ich lache. Als ich es ihnen vorlas, lachte bald der halbe Wagen mit, einige vergaßen auszusteigen. Zwei haben mich sogar zu einem Bier in ihre Kneipe eingeladen, wo wir zur Freude des ganzen Lokals zusammen weiter gelesen haben.

Jetzt träume ich von einer Übersetzung ins Russische – was aber mit meinen Kollegen an der Russischen Akademie der Wissenschaft schwer zu machen sein wird.

Geschickt bringen Lepusis und Marcard das Gespräch voran. Sie nehmen Ratzinger nicht als Papst ernst, sondern als Zeitzeugen „böser“ studentischer Umtriebe. Sie seifen ihn ein (sagt man so im Deutschen?) und stoßen überraschend aus ihrer atheistisch-freidenkerischen Wissenschaftlichkeit und Heiterkeit zu.

Ratzinger, der in wissenschaftlichen Fragen Judentum und Islam für unmündig hält, kann sich bei Fragen nach der wissenschaftlichen Haltbarkeit der AUFERSTEHUNG bloß auf ein GLAUBENSWUNDER zurückziehen. Der Glaube müsse der wissenschaftlichen Wahrheitsfrage ein Opfer bringen (S. 42). Ratzinger wischt jede wissenschaftliche Haltbarkeit des christlichen Glaubens vom Tisch.

Die beiden Gäste fragen Ratzinger nach seiner Meinung über Tübingen und die Schwaben. Wunderbar, wie der Bayer sein Unverständnis gegenüber dem schwäbischen Dialekt zeigt. Da wird er uns richtig sympathisch: die vielen Diphthonge und besonders das nasale oagnehm (S. 39). Das war auch für mich bei meinem Tübingen-Aufenthalt 1985 ein großes Problem.

Die Spannung nimmt zu, als die beiden Freidenker den Papst nach den Misshandlungen junger Menschen durch katholische Kleriker fragen. Ratzinger geht zum Angriff über, das ist typisch für den autoritären Charakter. So was haben wir es in Russland erst nach 1989 durch Adorno, Horkheimer und andere über autoritäre Menschen wissenschaftlich studiert.

Zuerst will Ratzinger nichts davon wissen: „Jesus hat gesagt, geht hin in alle Welt und predigt meine Botschaft, er hat nicht gesagt, geht hin in alle Welt und schaut im HOSENLADEN jedes Priesters nach.“ (S. 45)

Besser hätte es kein KABARETTIST sagen können.

Als sich Ratzinger noch mehr in die Ecke gedrängt sieht, gibt er ein Stück seiner Biografie preis: seine erotische Leidensgeschichte auf einer Altöttinger Wallfahrt. Aber bis es soweit kommt, dem Kern der Begegnung zwischen Papsttum und atheistischer Wahrheitssuche, lenken die beiden Spaßvögel Ratzinger auf den berühmten CAMPO DEI FIORI, ans Denkmal des verbrannten Ketzers und Philosophen GIORDANO BRUNO.

Ratzinger will von dieser MÄRTYRER DES FREIEN DENKENS nichts wissen, aber die beiden verwickeln ihn in eine Diskussion über dieses Opfer päpstlichen Terrors. Auf ihrem Abendspaziergang durch das sommerliche Rom kommen sie zum Antico Caffè Greco.

Die Umgebung wird immer lockerer, zwei FLOTTE DAMEN bringen aus Ratzinger heraus, was ihm bei seinem ersten LIEBESVERSUCH IM FRAUENSCHLAFSAAL VON ALTÖTTINGEN passierte. Das muss man selbst lesen, da darf der Rezensent nichts verraten: „EROTISCHE GESPRÄCHE“ (S. 57-68).

Faszinierend, wie die Gruppe zum Petersdom fährt. Nach einem herrlichen Unglück, das ebenfalls nicht verraten wird, sucht Ratzinger seinen GOTT IM PETERSDOM. Er findet ihn nicht.

Die Strategie der beiden Freidenker geht auf, der Papst wird hellsichtiger, wissenschaftlicher und erkennt schließlich, dass hier nie ein Gott war, ja dass sein Gott wohl nie existierte.

Was uns in dem von Putin geprägten Russland am meisten erstaunt, ist der frische Erzählstil von Lepusis und Marcard. Schade, dass diese beiden Spieler mit der päpstlichen Autorität bisher NICHT ENTLARVT sind. Ich glaube, wir könnten von ihnen viel über die GEHEIMEN KRÄFTE VON FREIDENKERN lernen, die heute durch den Rückkehr zu verlebten Religionen schwer zum Zug kommen.

Ach ja, eines sollte ich nicht vergessen. Im weiteren Verlauf trägt das VOLKSBUCH Stimmen gegen das Papsttum aus vielen Jahrhunderten zusammen, von Toledo 1099 bis Nürnberg und Paris 1792.

In Nürnberg erschien im Untergrund eine freche Geschichtserzählung über die Reise eines Papstes in die Hölle (S. 97-117). Diese kleine Drama ausgegraben zu haben, stellt eine Leistung des Georg-Elser-Forschers Hellmut G. Haasis dar.

Im hinteren Teil des VOLKSBUCHs schlägt Heiner Jestrabek ein neues Kapitel auf, mit der Erinnerung an den großartigen französischen Atheisten Jacques-René Hébert (S. 118-155). Jestrabek, ausgerüstet mit einem undogmatischen Marxismus, folgt nicht einer Todsünde der Bolschewiki, die diesen Hébert immer verurteilten und lieber den bigotten ROBESPIERRE hochhielten.

WLADIMIR KRUTTHOFER (Moskau)
geb. 1944 in Moskau, Kunsthistoriker, promovierte über den deutschen Bildhauer Tilman Riemenschneider. Interessiert an rebellischer Untergrundliteratur seit dem Großen Bauernkrieg von 1525, auch Jörg Rathgeb, den Schöpfer des famosen HERRENBERGER ALTARs.

Ulrich Trostowitsch: Ratzinger weiblich charmant



 

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