Edelweißpiraten + Elser
Kommentar
(April 2006)
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Gewalt in der Ehe lief noch lange unter dem Segen der CDU, der Stammtische und der deutschen Leitkultur. Die Medien hielten sich eher zurück.Die Entstehung der Anti-Gewalt-Erziehungs-Kampagne (heimlich zertifiziert als AGEK) ist genau zu datieren: auf das Jahr 1967. Die später als „68er“ ettiketierten Gegner des Vietnamkriegs, der Aushöhlung der Demokratie (Notstandsgesetze) und unfähiger Professoren wollten nicht alles laufen lassen.
Zur Erinnerung an die verdrängte Medienkampagne: Was war nicht alles Gewalt?
unerlaubte Zwischenrufe in einer Vorlesung
ungenehmigtes Verteilen von Flugblättern
Fragen an Wissenschaftler über die Folgen ihrer Handlungen
Information ignoranter Zeitgenossen über die Notstandsgesetze
Diskussion mit Streikbrechern beim Unistreik
Demonstrationen mit Schielen nach Tomaten und faulen Eiern
Die Gewaltfrage wurde von den Medien für längere Zeit fallen gelassen, als 1970 in Frankreich mit einem Schlag Tausende von Lastwagenfahrern und Landwirten Grenzübergänge und Straßen blockierten.
Unsere Erkenntnis:
Wenn Studenten nicht mitmachen, heißen sie Gewalttäter.
Wenn Massen von Arbeitenden sich viel schlagkräftiger wehren, ziehen unsere Journalisten die Leine.
Die Gewaltfrage war für mich der Hintergrund, auf den ich die Edelweißpiraten in ihrer Aktualität projizierte. Die Diskussionen in Mannheim an der Berufsschule waren heftig. Die einladende Lehrerin staunte, wie schläfrige Bauklassen munter wurden. Bei diesen Jugendlichen hatte die Medienkampagne nicht verfangen.
In Köln nahmen sich später Jüngere ebenfalls des Themas Edelweißpiraten an. Reaktion: Blockade bei der Politik (der Regierungspräsident, ein rechter Sozialdemokrat, verweigerte lebenslang die Anerkennung von Edelweißpiraten als NS-Opfer), bei Fernsehen, Rundfunk und Verlagen (das Thema sei nicht relevant, die Gruppen unbedeutend).
Das Kölner Stadttheater näherte sich vorsichtig: Bitte nicht mehr als eine kleine Studiobühne, für ein winziges Minderheitsprogramm!
Erfreulich: mein Erzählband „Edelweißpiraten“ beim Trotzdem-Verlag diente öfters für szenische Lesungen und als Anregung für freie Theaterstücke. Höchste Anerkennung nach der Marktlogik heute: Bis heute kommt kein Exemplar ins Antiquariat. Und wenn je, dann wird es teuer.
Die Speerspitze der Blockade lag – wie so häufig – beim „Spiegel“, den wir ab 1967 mit Vorliebe „Bild am Montag“ nannten. Finger anfeuchten, umblättern, Bilder gucken, mit dem „Hohlspiegel“ lachen. Aber danach weiß man schon nicht mehr, was die Schreiber einem sagen wollten. Zufall? Nein, kein Wunder. Das Nichts lässt sich halt wirklich schlecht behalten.
Die Redaktion lehntr ab: kein Bedarf, unwichtiges Thema, nur Rabauken.
Soeben kommt mit 25 Jahren Verspätung ein fetziger Film ins Kino, der „Spiegel“ erwacht. Georg Bönisch, Spiegel-Redakteur seit 1982, bringt es zu einer Besprechung (Nr. 45, 2005, S.84-85).
Für die gewöhnlich oberflächliche Art des Magazins ein brauchbarer Artikel, der aus Versehen, ohne es selbst zu merken, die noch heute bestehende Blockade gegen einen unserer fähigsten Hitler-Gegner streift: Georg Elser (1939 Bürgerbräukeller München).
Die Edelweißpiraten stammten – genau wie Georg Elser – aus dem linken Arbeitermilieu. Sie hatten kein festes Programm. Auch Elser hat doch tatsächlich nie ein Papier verfasst, um seine Regierungsfähigkeit zu beweisen. Edelweißpiraten wie Elser häten kein klares Ziel gehabt, tönt es. Doch Elsers Motivation, den Krieg verhindern, bewegte auch viele Edelweißpiraten und andere der wilden Jugendopposition, spätestens ab 1944 und oft früher als die braun angeräucherten Opportunisten des 20. Juli.
Es ist schade, dass bis heute die Düsseldorfer Gestapoakten mit den Zeugnissen der Edelweißpiraten nicht gelesen werden, für Normalinteressenten auch gar nicht erreichbar sind. Die Fachleute streiten sich darüber, wer von ihnen recht hat, aber sie publizieren nicht die Stimmen dieser Widerstandsströmung.
Die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem hat einige Edelweißpiraten schon lange anerkannt, in Sachen Georg Elser ist sie bis heute betriebsblind geblieben.
Es ist eben schwer vorstellbar und in Deutschland noch kaum jemals formuliert worden: Hätte Elsers Anschlag Hitler und die Führung beseitigt, so hätte es keine Shoa, keine Euthanasie und keinen so ausufernden Weltkrieg gegeben. Aber es ist ein Ding der Unmöglichkeit, sich im nachhinein das Ausbleiben einer uns heute eingebrannten totalen Katastrophe vorzustellen.
Die Alliierten haben sich beim Verständnis der wilden Jugendbewegung Edelweißpiraten geistig nicht verausgabt. Das britische Außenministerium hielt die Taten für sinnlos und rowdyhaft. Wir spüren: die feine Art englischer Elitehochschulen.
Ganz ähnlich gegenüber Elser. Der schwäbische Schreiner war für das offizielle England nichts als ein gekaufter Hitler-Knecht. Bis heute ist in England keine Elser-Studie erschienen, die vorhandenen deutschen Arbeiten werden einfach nicht übersetzt.
Ganz anders beim 20. Juli. Alte Kriegsgegner respektieren sich weiterhin. Der gemeinsame Stallgeruch verbindet über Jahrzehnte. Rommel bleibt der Größte. Und Elser hatte ja nie ein Gewehr getragen. Kontaktversuche über den Kanal wegen Elser zu britischen Medien sind bis heute fehlgeschlagen.
Oder irre ich mich?
Berichtigung erwünscht.
Nebenbei: Das britische Außenministerium wusste seit Anfang 1942 unter anderem durch seine Geheimagentin Elisabeth Wiskeman, Pressesprecherin bei der britischen Botschaft in Bern, dass die Nazis systematisch und massenweise im Osten Juden und andere ermordeten. Das Ministerium sah sich zu keiner Aktivität genötigt.
Na, warum denn auch?
Militärstrategisch handelte es sich da ja um ein Nichts.
Rolf Hochhuths „Stellvertreter“ wäre um eine Variante zu bereichern: die Alliierten und ihre Untätigkeit seit 1942 gegenüber den Judenmorden.
(Au weh, das kann ein Geschrei absetzen.)
Ich mach‘ mich schon mal ans Dementieren.
Wie den Edelweißpiraten hat man auch Elser lange politischen Verstand abgesprochen. Die Folge: Er ist bis heute der baden-württembergischen Landesregierung keiner Ehrung wert. Eine Anregung, vor fünf Monaten über ein Ministerium eingereicht, fand erst soeben Oettingers Antwort: eine Kranzniederlegung im Namen der Landesregierung sei nicht vor dem Jahr 2010 möglich.
Was für eine Eile: atemberaubend.
Warum? Was politisch richtig und sinnvoll ist, können nur Berufspolitiker entscheiden.
Wer kein Amt mit hoher Dotierung hat, kann nicht genug Verstand besitzen.
Nur Juristen und Verwaltungsbeamte haben den Durchblick, wer zu unseren großen Landsleuten zählt, die zu ehren wären.