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Elser, Nachträge zur Biographie

Nachtrag Nr. 33

Prozess wegen „VERUNGLIMPFUNG DES STAATES“ durch ein
NPD-Flublatt nach der Premiere des Elser-Theaterstücks von Delazzer/Huby 28. Februar 2008 in Melchingen (bei Reutlingen, auf der Schwäbischen Alb).

Zuerst besuchte ich die Premiere des Stückes, danach kam es zu dem Eklat mit Nazis vor dem Melchinger Theater. Ich kam erst knapp danach an den „Tatort“, vor der Gaststätte „Lindenhof“.
Zum Theaterstück selbst:
http://haasis-wortgeburten.anares.org/elser/bio_nachtrag_28.php

NACHSPIEL ZU „ELSER“
Gericht verurteilt Bisinger NPD-Funktionärin

Wegen „Verunglimpfung des Staates“ wurde die Bisinger NPD-Funktionärin gestern zu 90 Tagessätzen à zehn Euro verurteilt.

Hechingen. Es war nach der Premiere des Stückes „Georg Elser – Allein gegen Hitler“ am 28. Februar. Da verteilten zwei junge Männer vor dem Melchinger Lindenhof Flugblätter, in denen der Held des Stücks als feiger Mörder und falsches Vorbild bezeichnet wurde.

„Wie sehr ist das BRD-System verkommen?“, lautete die rhetorische Frage. Schüler würden heute gezwungen, den Hitler-Attentäter zu verehren, die Opfer – bei dem Anschlag im Münchner Bürgerbräukeller starben acht Menschen – würden verhöhnt.

Sogar einen Vergleich zum Umfang mit RAF-Terroristen zogen die Flugblatt-Verfasser.

Einem der Premieren-Gäste platzte der Kragen: Der ehemalige SPD-Landtagsabgeordneter Gerd Weimer drohte den Flugblatt-Verteilern Prügel an. Darauf suchten die jungen Männer das Weite.

Weil die Sache ein ziemliches Presse-Echo verursachte, ermittelte hinterher die Staatsanwaltschaft. Autoren und Verteiler des Flugblatts konnten zwar keine dingfest gemacht werden, wohl aber die Verantwortliche im Sinne des Presserechts: Edda Schmidt, 60, Bisinger NPD-Funktionärin, im Landesvorstand ihrer Partei zuständig für Brauchtums- und Heimatpflege.

Gestern nun fand der zweite Akt vor dem Hechinger Amtsgericht statt. Im Saal außer der Angeklagten und der Presse ein halbes Dutzend einschlägig bekannter Rechtsextremisten. Edda Schmidt im grauen Trachten-Janker machte einen Verbotsirrtum geltend. Zwei ihr unbekannte junge Männer hätten sie telefonisch gebeten, die presserechtliche Verantwortung für das Flugblatt zu übernehmen.

Sie hätten versichert, es sei vom NPD-Justitiar geprüft und für unbedenklich befunden worden. Außerdem seien alle inkriminierten Passagen nur in Frageform abgefasst gewesen. Fragen dürfe man ja wohl noch.

Für Richter Ernst Wührl warf der Prozess kaum rechtliche Schwierigkeiten auf, da die NPD-Funktionärin sich wenig Mühe gab, ihren Tatbeitrag zu verschleiern. Auch ging aus ihren Einlassungen hervor, dass sie den Inhalt des Flugblatts durchaus als brisant eingestuft hatte.

Einen ideologischen Schlagabtausch lieferte sich der Zeuge Weimer mit der Angeklagten: Zwei Dinge hätten ihn wirklich empört: dass Hitler in dem Flugblatt als demokratisch legitimierter Reichskanzler dargestellt worden sei und der Attentäter als „ganz normaler Krimineller“:

Hätte Elser Erfolg gehabt, wären der Welt 55 Millionen Tote erspart geblieben, meinte Weimer. Die Sache mit den Prügeln habe ihm gleich danach leid getan, entschuldigte er sich. Das sei sonst nicht seine Art.

In der Urteilsbegründung führte Richter Ernst Wührl aus, dass die Angeklagte sich nicht auf einen Verbotsirrtum berufen könne. Sie hätte mehr Sorgfalt auf die rechtliche Prüfung verwenden müssen. Und: Vom Recht auf freie Meinungsäußerung seien falsche Tatsachenbehauptungen nicht gedeckt – etwas die, dass Schüler heutzutage zur Elser-Verehrung gezwungen würden und die Opfer seines Anschlages vom Staat verhöhnt. „Diese zwei Aussagen sind schlicht unzutreffend.“

Info: Richter: Ernst Wührl; Staatsanwältin: Susanne Teschner.
(ENDE)
(Quelle wörtliche Abschrift von: SÜDWESTPRESSE SCHWÄBISCHES TAGLBATT 23. Sept. 2008, S. 27)

Die Hechinger Zeitung überliefert noch ein folkloristisches Detail, das uns ins 19. Jahrhundert zurückführt, in die besten Jahre bürgerlicher Freiheitsbewegungen:
„Die Reaktion von Schmidts Unterstützern im Gericht trägt indes schon sektenhafte Züge, so schreibt die Hohenzollerische Zeitung:
So etwas hat das Hechinger Landgericht auch noch nie gesehen: Nach dem Urteilsspruch gegen Edda Schmidt standen ihre alten NPD-Kameraden auf und stimmten einen Protestgesang an: „Die Gedanken sind frei.“
 
Lieder können sich nicht dagegen wehren, missbraucht zu werden. Das gilt auch für „Die Gedanken sind frei“, die Freiheitshymne aus dem Vormärz, die hundert Jahre später Sophie Scholl ihrem von den Nazis inhaftierten Vater vor der Gefängnismauer auf der Flöte vorspielte. Gestern Nachmittag im Saal 181 des Hechinger Gerichtsgebäudes wurde das Lied von einem knappen Dutzend Leuten geschmettert, die den Hitler-Attentäter Georg Elser für einen Mörder halten. Von Mitgliedern und Sympathisanten der rechtsextremen NPD um den Wannweiler Axel Heinzmann und den Bisinger Hans Schmidt, die mit ihrem Gesang gegen ein Urteil protestierten, das Amtsrichter Ernst Wührl gegen ihre Schwester im Geiste, die Bisinger NPD-Aktivistin Edda Schmidt, gefällt hatte.“
(http://npd-blog.info/?p=2220)

 

Notiz & Kommentar Haasis (Oktober 08):
Edda Schmidt, geboren 1948 (lebt in Bisingen bei Hechingen) gehört zu den kleinen, sehr kleinen Lichtern der baden-württembergischen Neonazis. Ihre braune Karriere begann in der Wiking-Jugend, die erst 1994 verboten wurde (mehr in Wikipedia).

Als Beruf gibt sie ständig Hausfrau an, was die geringen Tagessätze bei der Verurteilung erklärt. 2005 kandierte sie im Wahlkreis Tübingen für den Bundestag. Sie gehört zu den Altfunktionären der Gegend wie der Wannweiler Axel Heinzmann, der 1976 die rechtsradikale WEHRSPORTGRUPPE HOFFMANN nach Tübingen brachte, wo sie Söldner für das rassistische Regime im damaligen Rhodesien zu werben suchte. Davon zeugt ein damals in Tübingen verbreitetes Plakat, das ich inzwischen an die Plakatsammlung des Museums für Gestaltung in Zürich abgegeben habe, mit der größten Sammlung politischer Plakate dieser Zeit.

Im Branchenbuch von Hechingen liest man: „Hans und Edda Schmidt
Untere Klingen 2, 72406 Bisingen.“
Ihre Branche: „Antiquariat Buchhandel Versandhandel & Versandhausagentur.“

Vor der Ortschaft befindet sich ein bekannter KZ Friedhof, mit über 1.000 Gräbern von Häftlingen. Im Ort selbst erinnert eine Ausstellung an die Leiden der Gefangenen im örtlichen KZ, wo 1943-45 aus Ölschiefer Öl gewonnen werden sollte. Erfolg: eine kleine Menge Öl - und eine Masse Toter.

Die Schmidts hat das nie gekümmert. Sie sind weitgehend geschichts- und lernresistent.

Edda Schmidt vermag dank rechtsradikaler Schweizer auch über die Grenze zu wirken. Das sollten wir nicht übersehen. Dazu eine Meldung aus der Nachbarstaat über Schweizer Rechtsradikale:

„Die `Partei National Orientierter Schweizer` (PNOS) hat am Wochenende 17./18. November 2007 ihren Parteitag abgehalten. Mit dabei: Die NPD-Funktionärin Edda Schmidt, auch beim ` HYPERLINK "http://npd-blog.info/?p=1180" Ring Nationaler Frauen` aktiv, früher laut Wikipedia offenbar bei der mittlerweile verbotenen `Wiking-Jugend`.

Vor rund 100 PNOS-Anhängern prangerte Schmidt laut PNOS-Mitteilung die Verfahren gegen Holocaust-Leugner in Deutschland an. In dem PNOS-Bericht heißt es: `Anhand ihrer eigenen Biografie schilderte Schmidt die politischen Zustände in der BRD, wo sich erneut despotische Kräfte die Macht unter die Nägel gerissen haben. Die Beispiele Ernst Zündel und Germar Rudolf verdeutlichen, dass es sich bei der BRD nicht einmal annähernd um eine Demokratie handelt, sondern höchstens um einen Lakaienstaat (von) Siegers Gnaden.“ ( HYPERLINK "http://npd-blog.info/?p=1190" http://npd-blog.info/?p=1190)

Eine Selbstdarstellung dieser Schweizer Neonazi-Partei sollte man sich mal anschauen, man hätte so etwas auf eidgenössischem Boden nicht für möglich gehalten. HYPERLINK "http://pnos.ch/?seite=meldungen_detail.php&sprache=37&meldungid=518" http://pnos.ch/?seite=meldungen_detail.php&sprache=37&meldungid=518

Das Ehepaar Schmidt kümmert sich derzeit um ein NPD-Schulungsheim, in der Region Ravensburg, genauer in Strassberg. HYPERLINK "http://www.szon.de/lokales/ravensburg/region/200808140217.html" http://www.szon.de/lokales/ravensburg/region/200808140217.html

Schon vor dem Kauf verfügte Edda Schmidt als NPD-Landesvorstandsmitglied über einen Schlüssel, was die Journalisten erstaunlich fanden (Internetportal der Schwäbischen Zeitung, 14. 8. 2008).
Die Antifa-Freiburg beobachtet seit langem, dass Edda Schmidt immer wieder bei „neuheidnischen Themen“ der „Bewegung deutsche Volksgemeinschaft’’ referiert.
Im Jahr 2003 trat die NPD mit Fahnen dieser „Bewegung“ gegen die Wehrmachtausstellung in Schwäbisch Hall auf. Mit dabei war die „Schwarze Division Germania". HYPERLINK "http://www.antifa-freiburg.de/spip.php?page=antifa&id_article=56" http://www.antifa-freiburg.de/spip.php?page=antifa&id_article=56

Das klingt nicht umsonst ähnlich wie eine Legion Schweizer SS-Leute während des Zweiten Weltkriegs. Auch wenn aus der Schweiz sich damals nur rund 200 Überläufer in Deutschland der SS anschlossen, so ist doch diese Linie wegen der internationalen Zentralposition der Schweiz sehr interessant.

Nun zur Politik und Person des Anklägers Gerd Weimer. Wikipedia ist zwar dünn, aber sagt doch aus:

„Weimer war von 1975 bis 1991 in den HYPERLINK "http://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinderat_%28Deutschland%29" \o "Gemeinderat (Deutschland)" Gemeinderat von Tübingen gewählt. Von 1984 bis 2001 war er Abgeordneter des HYPERLINK "http://de.wikipedia.org/wiki/Landtag_von_Baden-W%C3%BCrttemberg" \o "Landtag von Baden-Württemberg" Landtags von Baden-Württemberg, in dem er von 1992 bis 1998 parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion war. Seit 1994 ist Weimer Mitglied des HYPERLINK "http://de.wikipedia.org/wiki/Kreistag" \o "Kreistag" Kreistages des HYPERLINK "http://de.wikipedia.org/wiki/Landkreis_T%C3%BCbingen" \o "Landkreis Tübingen" Landkreises Tübingen.“ 1998-2006 war er auch Erster Bürgermeister von Tübingen.

Seine Taktik gegen die Nazis entsprach der Linie, die ich seit 1967-69, der Zeit der Außerparlamentarischen Opposition, für verfehlt halte und als schwächlich erlebte.

Weimer erwies sich in dem Minikonflikt nach der Theaterpremiere als völlig überfordert, mit den jungen Nazis zur diskutieren. Sein Wunschtraum: Die Heilige Polizei soll anrücken und die Abweichler festnehmen. So verschafft man den Nazis zu Märtyrern, die Jungen bekommen bestätigt, dass „die alten Säcke“ nichts zu sagen, sondern nur zu kommandieren haben. Ein schlechtes Vorbild, das sie selbst nur zu gerne kopieren würden.

Dazu passt, dass auch Weimer sich in Tübingen nie für die Erinnerung an Elser eingesetzt hat. Der schwäbische Schreiner hat es in ganz Deutschland nirgends so schwer wie in seinem eigenen Land. Warum ihn also mit der Polizei vor einem kleinen Flugblatt schützen? Wem tut das Papier weh?

Übrigens hat vermutlich derselbe nazistische Sumpf um die Bisinger Parteifunktionärin schon nach der Premiere meines schwäbischen Elser-Theaterstücks in Horb (Oktober 2007) einen Plakatanschlag am Kloster angebracht. Das vorgetäuschte Mitleid galt ausschließlich dem einzigen nichtnazistischen Todesopfer von Elsers Anschlag: Maria Henle. Und wie immer unter großzügigem Übergehen der Millionen Opfer Hitlers – die sind schnuppe.
(November 2008)


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