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Niemöller hat immer Recht Nach ausgedehnten Folterungen durch Himmler persönlich legte Elser ein Geständnis ab, um nicht erschlagen zu werden. Ein Jahr lang wurde er weiter im Reichssicherheitshauptamt Berlin gequält, danach ins KZ Sachsenhausen verlegt und im Februar 1945 nach Dachau. Dort erschoss ihn am 9. April 1945 nachts der SS-Oberscharführer Theodor Bongartz, ein Gipsermeister aus Krefeld am Niederrhein. Die nach dem Krieg Geborenen wundern sich immer wieder, warum man so wenig und so spät von Elser hörte. Als Elsers wirkungsvollster Feind wirkte dabei nicht etwas ein Nazi, sondern ein Nazi-Opfer selbst, führender Kopf der Bekennenden Kirche: Pfarrer Niemöller. Drei Jahrzehnte lang bis zu seinem Tod predigte er unbelehrbar, Elser sei SA-Mann und SS-Unterscharführer gewesen und habe ein getürktes Attentat begangen - vermutlich auf Anweisung von Heydrich und Himmler – oder vielleicht im Auftrag von Hitler selbst. Beweise blieb Niemöller immer schuldig, der Konfrontation mit Elsers Verwandten wich er aus. Nach einer Fernsehdiskussion (1965) mit Historikern, die als erste das Gestapo-Verhörprotokoll gelesen und geprüft und als echt anerkannt hatten, gab er kleinlaut zu, eigentlich habe er Elser nie gesprochen und der sei ein ehrlicher, einfacher Handwerker gewesen. Kaum zuhause riss den alten U-Boots-Kommandanten seine Besserwisserei wieder mit sich fort und er wetterte weiter: Elser sei von den Nazis gekauft gewesen. Diese Linie krönte der Historiker Hans Rothfels in seinem Standardwerk zum 20. Juli mit Erfindungen und Abwertungen. Rothfels’ schlechte Meinung von Elser bekam in der angloamerikanischen Geschichtsschreibung Heiligenstatus. Unter Historikern geistert ein ungeschriebenes, aber umso wirksameres Gesetz herum: Unfehlbar stimmt, was viele Kollegen nachplappern. Kraft dieses Gesetzes schwappte die Kampagne gegen Elser aus dem Ausland zurück, als unbezweifelbare Wahrheit über die deutschen Historiker-Schreibtische. Schon was es passiert – mit Nachwirkung für Jahrzehnte.
Der Heilige Georg Seitdem Elser in der Gedenkstätte deutscher Widerstand (Berlin)1997 eine Sonderausstellung bekam und Helmut Kohl im Fernsehen ein paar Sätze dazu sagte, geriet Elser in den Sog einer Heiligsprechung. Schließlich ist in der Geld- und Mediengesellschaft sankrosankt, wer im Fernsehen abgefeiert wird. es genügen 20 Sekunden. Man darf sich nicht wundern, dass bei einer solchen Anerkennung Elsers Persönlichkeit und Motive auf der Strecke bleiben. Mit Absicht. Weggehobelt wird, was sich nicht zur Befriedung und Einschläferung und Verdummung, zur Unterhaltung und zum Aufbau eines unkritischen Stolzes verwenden lässt. Bei der Rezeption von Elsers Beweggründen wurden seine Antriebskräfte verkürzt. Eine gesellschaftliche Zensur, durchaus nicht selten, aber wenig reflektiert. Elser hatte trotz Folterungen, Schlafentzug und ständiger Bedrohung durch Gestapoleute im Verhör erklärt: Das soziale Motiv steht an erster Stelle, deutlicher geht es nicht. Heute ist mit Hängen und Würgen der Kriegsgegner Elser akzeptiert, der Kämpfer für soziale Verbesserungen der Arbeiter bleibt unter den Teppich gekehrt. Wohin er für die Medien auch gehört. Elsers Anschlag stellt für die Bewusstseins-Manager ein Ärgernis dar, sobald man die halblebigen und peinlich späten Aktivitäten der 20. Juli-Verschwörer zum Vergleich heranzieht. Das tat ich 2002 auf einem Stuttgarter Symposium. Ein Zitat aus meiner Biografie beschloss mein Referat. Während Elsers Uhren tickten, habe der militärische Widerstand nichts getan. “Hitler selbst rechnete grundsätzlich mit einem Aufruhr oder einem Attentat. Vor seinen führenden Militärs hatte er dagegen nicht viel Respekt, er hatte oft genug erlebt, wie schnell sie einknickten, wenn er sie anschrie. ... Die hohen deutschen Militärs, die es nicht wagten, Hitler zu beseitigen, opferten dann ohne Skrupel ganze Divisionen.” Was bei allen Rezensenten durchgegangen war, verstieß in der vom Stuttgarter Haus der Geschichte durchgeführten Veranstaltung gegen den staatlich kontrollierten Konsens. Der Leiter Dr. Schnabel stieg sofort gegen mich in die Bütt: Diese Aufwertung Elsers unter gleichzeitiger Herabwürdigung der Leute um Stauffenberg dürfe man nicht durchlassen. Großer Beifall. Ich staunte, niemand steht gerne so alleine, fast schon am Pranger. Eine weitere Entschärfung Elsers unternahm am 9. März 2004 die halbstaatliche Geschichts-Manufaktur Guido Knopp: der 20. Juli im ZDF. Dank der Nachbarschaft höher gestellter Personen geriet Elser bedenklich nahe an die besseren Kreise. Wie konnte die Firma Knopp den strengen Geruch eines linken, ausgesprochen roten Hitlerfeindes neutralisieren? Durch die kontraproduktive Auswahl der Zeitzeugen und die Kritiklosigkeit gegenüber den anderen Versuche, die sich erst sträflich spät an Hitler herangewagt hatten. Zur Bewertung von Elsers Leben und Tat wählte Knopp renommierte Gesichter, die nach langer Verwendung bei solchen Produktionen für jedes Thema brauchbar sind: Hildegard Hamm-Brücher und Ralph Giordano. Beide haben zu Elser nichts publiziert, eine quellengestützte Erforschung des Themas kann bei solchen reichlich strapazierten “Zeitzeugen” sowieso nicht erwartet werden. Knopp präsentiert gerne auch Nachfahren verstorbener Zeitzeugen, Zeugen also nur dem Familiennamen nach. Die Familie Elser ist groß genug, es hätten sich viele finden lassen, aber allen fehlt der Geruch von Medien-Kompatiblität – wie man das aufgeschwollen sagen könnte. Knopp arbeitet mit einem Gummibegriff des historischen Zeugen. Hier darf man schon eher von gezielter Fälschung reden. Solcher Unfug kann Schule machen, ach was, macht es schon lange. Bald treten Enkel auf und schwafeln, wie wenn sie vor 100 Jahren irgendwo dabei gewesen wären. Der “einfache Schreiner”, wie inzwischen fast alle sagen, verschwindet am Ende bei Knopp. Elser wird nachts irgendwo umgebracht. Nix genaues braucht man nicht zu sagen. Der SS-Mann, der Elser mit Genickschuss umlegt, hat bei Knopp keinen Namen, obwohl man ihn seit fünf Jahren in meiner Biografie finden kann. Wenn nur nicht das viele Lesen so beschwerlich wäre. Der Mörder hat kein Gesicht, obwohl ich mehrere Fotos von ihm auftrieb und eines publizierte. Dieser Mann, der SS-Oberscharführer Theodor Bongartz aus Krefeld, hat einen schön geschriebenen Lebenslauf hinterlassen, der ihn als ganz normalen Hauptschüler ausweist, mit guter Schrift und anständigem Beruf: Stuckateur, mit Meisterprüfung. Extremer Angriff aus Chemnitz Gegen Elsers Verwertung für ein stromlinienförmiges Geschichtsbild stehen noch immer Lebenslauf, Tat und Gesinnung. Diese Schwierigkeiten nützte ein Rechtsaußen wie der Chemnitzer Lothar Fritze zu einer grundsätzlichen Attacke auf Elser. Zeitgleich mit dem Erscheinen meiner Biografie veröffentlichte er in der Frankfurter Rundschau (9. November 1999) seine Chemnitzer Antrittsvorlesung. Der “Moralphilosoph”, wie er sich hochtrabend nennt, griff ohne nennenswerte Kenntnis der Quellen und der Biografie Elser frontal an. Mein Misstrauen gegen die ewig taktierenden, allen so überlegenen Herren um den 20. Juli fand dabei eine Bestätigung. In der Frankfurter Rundschau hatte eine Redakteurin Fritzes Artikel durchgesetzt und mein Alternativangebot im Papierkorb versenkt: Jutta Roitsch, Enkelin von Carl Goerdeler, der durch seine Geschwätzigkeit in der Illegalität viel Unheil angerichtet hat. Gegen Leute von unten wie Elser war Goerdeler immer abweisend. Was für eine unheilvolle Familienkontinuität. Mit seiner Elser-Verdammung gelang es der Chemnitzer Nachwuchskraft Fritze, das Dresdener Hannah-Ahrendt-Institut zu spalten und an den Rand des Absturzes zu bringen. Gestützt auf uninformierte, sensationsgierige Moderatoren heizte Fritze einen “neuen Historikerkrieg” an, der eine Weile die Gazetten und Talkshows ernährte. Fritzes Courage verflüchtigte sich, als er sich dem Biografen Elsers stellen sollte. Von da an war von Fritze nichts mehr zu hören. Schade, ich hätte gerne einen Dresdner Hörsaal mit den Dummheiten des Herrn Fritze unterhalten. Was proklamierte Fritze? Seinem verschrobenen Akademikergefasel Sinn abzuringen, erfordert viel Geduld und Einfühlung in eine weltfremdes Hirngespinst. Im Wesentlichen bleibt der Vorwurf, dass Elser für seine Begründung, er habe den Krieg verhindern wollen, keine “Beurteilungskompetenz” besaß. Klartext: Fritze hält Elser für deppet und ungebildet, kein Wunder, Elser habe ja nur sieben Jahre die Volksschule besucht. - Damals übrigens die Regelschulzeit. – Man kann in diesem Geist weitermachen: Elser fehlte alles, was man in Deutschland von einer anständigen Geschichtsgröße erwarten muss: Abitur, Studium, Doktortitel, blaues Blut, militärischer Rang und bedeutende, saubere Verwandtschaft – und ein schönes Erbe im Rücken. Für Darmstädter Studenten zog ich die Folgerung: Der Unglücksrabe Lothar Fritze ist Honeckers letzte Rache. Nach 1990 publizierte er Arbeiten, in denen er die DDR-Dissidenten als moralisch unqualifiziert beurteilte. Sein Wunsch war die Rechtfertigung der Mitläufer. Auch gegen Hitler war nach ihm der Widerstand moralisch nicht legitim, weil Personen, die eventuell unbeabsichtigt Schaden erleiden konnten, vorher nicht gefragt worden waren. Damit schoss Fritze weit über das Biedenkopf-Milieu hinaus und verärgerte selbst seine Gönner. Auch der 20. Juli ist nach Fritzes Grundsätzen moralisch nicht zu rechtfertigen. Meine Folgerung : “Fritze liefert die ‘wissenschaftliche’ Rechtfertigung für die Mitläufer aller Regime. Dies wird seinen Karriereaussichten sicher nicht schaden.” Ein wunderliches Schachspiel Knopps ZDF-Film über Elser (10. 3. 2004) setzte den ersten größeren Verwurstungsversuch in Gang. Genau neun Tage später – man achte, wie in einem Krimi, auf die kurze Zeitspanne - schreckte der Münchner “Marketingberater” Peter Wittmann die örtliche Presse mit der “Entdeckung” auf, er besitze ein von Georg Elser im KZ geschnitztes Schachspiel. Vor Jahren hätte niemand etwas gegeben auf irgendein Erinnerungsstück des angeblichen Sonderlings und SS-Mannes Elser. Nun aber, mit dem Weihwasser des Fernsehens gesegnet, kroch als erste die Münchener AZ auf den Leim: “59 Jahre schlummerte das Schmuckstück im Verborgenen.” (AZ 19. 3. 2004, Artikel von Marie-Christine Piller). Das Märchen: “Der Münchner Hitler-Attentäter schnitzte sie (die Schachfiguren) während seiner Haft im KZ Sachsenhausen und Dachau von 1939 bis 1945.” Angeblich hatte ein polnischer Arzt 1944 in Dachau Elser medizinisch versorgt. – Unsinn: Elser kam erst im Februar 1945 nach Dachau. In Sachsenhausen wurde er erst im November 1940 eingeliefert. Elser sei lungenkrank gewesen. – Falsch – Der Pole habe ihn mit Medikamenten und abgezweigten Lebensmitteln gerettet. – Quatsch: Elser erhielt auf Hitlers Befehl das beste Essen, aus der Kommandantenküche und in doppelter Ration. Er war völlig isoliert, niemand durfte zu ihm und er nicht zu anderen, dafür garantierten drei SS-Wachen, die bei Ungehorsam sofort denunziert und liquidiert worden wären. Hitler hielt Elser für seinen gefährlichsten Gegner. Dieser polnische Arzt soll Wittmanns Vater gewesen und 1950 in einem polnischen Gefängnis gestorben sein. Elser habe ihm in Dachau aus Dankbarkeit das Schachspiel geschenkt. Der heutige Besitzer beruft sich darauf, seine Mutter habe ihm die Herkunft des Schachspiels so erzählt. Wittmanns naiv: Warum sollen meine Eltern mich belogen haben? Besser wäre die Frage: Warum verkohlt uns der heutige Besitzer? Ganz einfach: Er will 30.000 Euro. Hurra! Endlich ist der tatkräftigste deutsche Widerstand im Herzen des Kapitalismus angekommen. Auf dem Niveau der Geldspekulanten. Was zählt, ist Geld, nur Geld, etwas anderes gibt es nicht. Wenn nur Wittmanns Legenden glaubwürdiger wären. Es rächt sich, wenn man sich nicht informiert, man wird schnell bei Lügen ertappt. Wittmann fühlte sich genötigt, sein Fantasie auf die Figuren anzuwenden. Einer der Bauern des Schachspiels habe “einen völlig anderen Gesichtsausdruck als die übrigen Figuren, fast scheint er zu weinen.” Was steckt dahinter? Wittmann fantasiert: “Elser fertigte ihn (diesen weinenden Bauern), als er am 20. Juli 1944 vom Scheitern des Stauffenberg-Attentats auf Hitler hörte.” Schon zwei Tage nach dem Unsinnsartikel in der Münchner AZ mischte sich ein Kommunalpolitiker ein. Für die “Grüne Stadtratsfraktion und rosa Liste” stellte Siegfried Benker den Antrag, die Stadt möge “das historische Schachspiel Georg Elsers für das Stadtmuseum erwerben”. Frei von jeder Kenntnis behauptete Benker, das Schachspiel sei “ein herausragendes Dokument der Zeitgeschichte”. Das Kulturreferat möge die Echtheit prüfen. Aber eigentlich weiß der Grüne schon alles: Das Schachspiel sei “zumindest zum Teil – von Georg Elser während seines Aufenhalts im KZ Dachau geschnitzt” worden. Dem betrügerischen Anschlag auf die Münchner Stadtkasse widersetzte sich Hella Schlumberger aus der Türkenstraße. Dem Chef des Stadtmuseums Dr. Wolfgang Till gab sie neun Gründe an die Hand, warum dieses Schachspiel nicht von Elser stammen könne. Damit war eigentlich alles gesagt. Aber nun wollte auch das bayerische Fernsehen dabei sein. Jahrzehntelang hatten die Münchner Fernsehjournalisten bei Widerstandskämpfern, natürlich auch bei Elser, durch Schweigen geglänzt. Wahrscheinlich hätte man sich in der Programmdirektion genauso interessiert gezeigt, wenn eine Unterhose Elsers aufgetaucht wäre. In München schaut aus jeder Skurrilität Karl Valentin heraus. Das gehört zum schönsten Zug der Stadt, nur hat es mit der politischen Geschichte und mit dem Widerstand gegen Dreiliter nichts zu tun. Die bayerische Fernsehsendung über das angebliche Schachhspiel (3. 4. 2004) wurde dem Schwindelbruder Wittmann zum Verhängnis. Die Vermutung von Hella Schlumberger, Wittmann sei erst durch Knopps Sendung auf die Idee gekommen, Elser als Besitzer zu erfinden, bestätigte Wittmann selbst: “Ich wusste, dass es einer der Attentäter von Hitler war, aber das ist irgendwo alles so im Hinterkopf verschwunden. Und erst, als die Dokumentationen jetzt in letzter Zeit gesendet wurden, über die Attentate auf Hitler, war eben auch ein Bericht über Georg Elser. Und auf Grund dieses Berichtes hab’ ich mich erinnert: Mensch, du hast ja noch die Schachfiguren, die wurden von ihm (Elser) eigentlich geschnitzt.” Nach der Sendung erwachte jäh selbst die Süddeutsche Zeitung, die sich nun vor einem “Rätsel” fand (7. 4. 2004, Christoph Lungwitz). Dr. Till vom Stadtarchiv München schaute sich die Figuren an und trompete mutig hinaus, er habe keinen Zweifel, “dass das Schachspiel mit dem KZ Dachau in Zusammenhang steht”. Wie wenn es in Dachau eine so leistungsfähige Schnitzerwerkstatt gegeben hätte. Erfrischend dagegen die Leiterin der KZ Gedenkstätte Dachau Barbara Distel. Sie hielt die ganze Geschichte “für einen ausgemachten Schwindel”. – Getroffen! Und Hella Schlumberger konnte nur staunen, wie Leute reihenweise auf das Märchen hereingefallen sind. Es scheint einen Bedarf an simplen Erfindungen zu geben. Je belangloser und hirnrissiger, desto willkommener. Da können ja noch allerhand Trittbrettfahrer auf uns zukommen: Kujaus geistige Erben. Vielleicht taucht bald der Schulranzen von Stauffenberg auf? Oder die Zange, mit der er die Bombe für Hitler scharf machte? Und wie wäre es mit Goebbels letzten Hausschuhen? Und Görings letztem Kondom? Jeder Schwachsinn kann zur Unterhaltung dienen. Die Verblödung im Kulturbetrieb rächt sich an ihren Produzenten, die jedes Unterscheidungsvermögen verloren haben. In diesem Sinn erklärte ich der TZ (6. 4. 2004) bloß: “Das ist ein Witz.” Eingeholt von Stauffenbergs Cello (aktueller Einschub) Die ganze Heiligenpflege kostete übrigens schlappe 800.000 Euro. Zu welchem Zweck? Wesentlich ist jedenfalls die Strategie, wieder einmal Georg Elser zu umgehen. Mein Angebot steht noch immer : dieses stück altwürttemberg wird noch heute in unserer familie hochgehalten (im wörtlichen sinn) und an nationalen gedenktagen beim festmahl herumgereicht, unter absingung der nationalhymne. wenn die landesregierung höflichst darum bittet, könnte der familienrat dieses patriotische juwel der gedenkstätte als leihgabe überlassen. vielleicht.” Oettinger soll nicht sagen, niemand hätte sich um die Geschichtspflege gekümmert, ehrenamtlich. Ich tue es für weniger als als einen 1-Euro-Job. Da möchte ich mal den Landeschef neben mir sehen. Aber ohne Dienstwagen und Freiessen in der staatlich subventionierten Kantine. (aktueller Einschub Ende) Zur Beurteilung des Schwindels hätte es genügt, wenn man meine Biografie gelesen hätte. Elser war nie Schachspieler, warum also sollte er ein Spiel schnitzen? Er hatte in seiner Zelle nur Bretterholz, kein Schnitzholz. Er besaß keine Drehbank, um die Stücke vorzufertigen, sondern eine Hobelbank. Ihm fehlte Schnitzwerkzeug. Bei der Verlegung nach Dachau wurde ihm alles abgenommen, selbst das Bild seiner Verlobten. Und so weiter. Es gibt auch äußere Gründe gegen die Zuschreibung. Das Spiel hat kunsthandwerkliches Niveau, das muss man zugeben. Es stammt sicher aus einer Profiwerkstatt, gefertigt nach einem Typus, der bald nach dem 1870er Krieg modern wurde. Meine Vermutung: eine Südtiroler Werkstatt im Grödnertal. Die besten Spiele kann man sich dort im Heimatmuseum von St. Ulrich ansehen. Genug. Freuen wir uns. Elser kann nicht verwurstet werden – oder noch nicht? Seine Klarsicht, seine unbeirrbare Konsequenz, sein Bruch mit dem nationalen Dünkel des deutschen Volkes werden ihn vor einer Verwurstung im Unterhaltungsbetrieb bewahren. Hoffentlich. Konstruktive Kritik Neben dem Abstellgleis der Medienverwertung lebt eine erfreulichere, eine politisch produktive, aufklärerische Variante der Elser-Vergegenwärtigung. Auf meine Biografie hin erhielt ich eine konstruktive Kritik, die unsere Überlieferung über Elser verbessert. Nach einer Lesung in Geislingen an der Steige kam der Besitzer eines Tagebuchs auf mich zu. Er übergab mir, was sein Vater 1940 in Konstanz von dem Grenzpolizisten Rieger, der Elser festnahm, erfahren hatte. Ein andermal bekam ich Kontakt zu einem Zeitzeugen, der zeitgleich mit Elser im Reichssicherheitshauptamt inhaftiert war. Ein anderer Leser schickte mir die alten Aussagen einer Gestapo-Sekretärin, die 1939 Elsers Verhör mitgeschrieben hatte. Alles zu finden in der 3. Auflage meiner Biographie, der Taschenbuchausgabe. Der Höhepunkt dieser kollektiven Weiterarbeit. Ein Fachmann aus Wismar trieb mir die Erklärung aus, Elsers Kopfschmerzen im August 1939 seien psychosomatisch zu erklären, Folgen seiner Grübeleien und Unsicherheiten. Elser sammelte den Industriesprengstoff Donarit 3 und schlief gleich neben ihm, kannte aber nicht die gesundheitsschädlichen Ausdünstungen, unter denen er dann litt. Mein Kritiker versteht mehr von der Sache als ich. Denn sein Gutachten, mit Kopien aus der Fachliteratur seines Berufes untermauert, unterschrieb er mit einer Ehrfurcht gebietenden Berufsbezeichnung: “Sprengmeister”. Dagegen ist nun wirklich nichts einzuwenden. Erste Fassung in: schwarzer faden. Nr. 77, 24. Jg., Sommer 2004, S. 34-37. |