haasis:wortgeburten

 

JOSEPH SÜSS OPPENHEIMER (1698-1738)
Ausstellung im Hauptstaatsarchiv Stuttgart
Februar/März 2007.
(soll erneut zu sehen sein in Ludwigsburg November 2007)

Ein kritischer Besuch des Süß-Biographen
Hellmut G. Haasis (Reutlingen)

Der Titel der Ausstellung lenkt vom ersten Ärgernis ab: In Stuttgart wurde 1738 ein Jude gehenkt, aber erst 269 Jahre später findet das große Stuttgarter Archiv den Mut, sich dem Thema zu stellen - mit leider unbefriedigenden Griffen in seine 7,5 laufende Meter Akten.

Der verantwortliche Archivleiter Prof. Dr. Robert Kretzschmar verkündete der Presse kühn: „Es war ein Schauprozess.“ (Südwestpresse/Schwäbisches Tagblatt 12. Februar 2007).

Mitnichten. Die Worte, die man gebraucht, sollte man in ihrer Bedeutungsgeschichte ernst nehmen.

Der Schauprozess ist eine Kategorie stalinistischer Rechtsbeugung, mit gelenkter Öffentlichkeit und total umgedrehten Angeklagten, die so präpariert waren, dass sie glaubten, mit einem erfundenen öffentlichen Geständnis könnten sie die Partei und den Staat und die Weltrevolution und weiß ich was alles retten.

In Stuttgart gab es keinen öffentlichen Prozess. Und Süß gestand keinen einzigen der absurden Vorwürfe. Süß ließ sich nie umbiegen, die Justiz hätte ihn gerne zur Unterwerfung gebracht – er war dafür nicht zu gebrauchen.

Kretzschmar machte zur Einführung in die Ausstellung vor einer Journalistin fantasievoll weiter: Zur Hinrichtung am Galgenberg seien 100.000 Zuschauer gekommen.

O jemineh. Stuttgart hatte nur 20.000 Einwohner. Ziehen wir Kinder, Alte, Kranke und Frauen mit Kleinkindern ab und bedenken wir, dass nach Befehl der Obrigkeit in jedem Haus Wachen gegen Einbrecher und Brandgefahr bleiben mussten, so dürften nicht mehr als 10.000 Zuschauer Süß sterben gesehen haben. So sagen auch die Zeitgenossen.

Der geballte damalige Unsinn über Süß liegt gesammelt im Archiv in den sogenannten „Landberichten“ vor, angeblich lauter Beschwerden über Süß, die erst nach mehrfacher Aufforderung durch das Untersuchungsgericht eingingen.

Robert Kretzschmar legt zentralen Wert auf diesen Aktenband „Landberichte“. Für ihn fast Schlüsseldokumente für die Unbeliebtheit des jüdischen Geschäftsmannes. Der Herr Archivpräsident meint, Süß habe sich im Land „einige Feinde gemacht“.

Es ist einfach infam, diese These zu verbreiten, ohne sie mit Beispielen zu belegen. Selbst der vorsichtigste Besucher kann vor dem verschlossenen Schaukasten diese These nicht überprüfen. Und so wird er in der Regel der Ausstellung glauben, weil da ja geprüfte, promovierte, womöglich gar habilitierte Fachleute für die Wahrheit zu garantieren scheinen.

Glücklicherweise habe ich zuhause einige Kopien aus dem Büschel 48. Im Stück 153 findet sich die Beschwerde der Sublieferanten Johann Martin Fischer aus Waldenbuch und anderer gegen Süß und Bühler. Die Sublieferanten hatten für die Armee Mehl, Korn, Roggen und Heu zu liefern, ins Kriegsgebiet am Mittelrhein.

Die Bestellung hatte Bühler vor dem Liefertermin widerrufen. Ein ständiges Problem in der Kriegsführung: Die Armee marschierte weiter, dann sollten die bestellten Mengen plötzlich woandershin geliefert werden. Sicher ein großes Problem für die Sublieferanten, aber auch für den Armeelieferanten – hier für Süß.

Die Veränderung ging nicht auf Süß‘ Verantwortung zurück, sondern auf die Armeeführung, die Süß wiederum jede Bezahlung seiner Sublieferanten verweigerte, wenn die Ortsänderung nicht akzeptiert und sofort realisiert wurde.

Süß war hier Opfer der ständigen Ortswechsel innerhalb der Kriegsführung. Das passierte auch anderen häufig. Er saß zwischen beiden Wirtschaftspatnern, der Armeeverwaltung und den Sublieferanten. Und wenn es Probleme gab, war er der Schweinehund. Jawohl, so einfach war das.

Der Komplex Armeelieferungen findet sich mit vielen Problemen und Beispielen erklärt in meiner Biographie (S. 158ff). Ein trockenes und schwieriges Thema, wie es von den ikonen-verliebten medialen Rezeptions-Historikerinnen (Gruppe Göttingen) natürlich nie in Angriff genommen wird. In der ganzen Süß-Literatur hat sich noch niemand damit befasst, das Thema ist ja auch nicht süffig, für die Medienleute total unsexy.

Kommen wir auf des Pudels Kern: Nur beim Juden waren seine Bosheit und Religion schuld an den Änderungen der Lieferziele, im Fall anderer lag die Verantwortung bei militärischen Notwendigkeiten und der Armeeführung.

Solcher und ähnlicher Unsinn wurde in den „Landberichten“ haufenweise zusammengetragen. Und so etwas wird uns heute in der Ausstellung suggeriert als Schuld des Süß Oppenheimer. Ganz offenbar hat der Aussteller die Dokumente dieses Aktenbandes nicht gelesen.

Es ist zum verzweifeln. 269 Jahre danach noch nichts gelernt, nicht einmal lesen gelernt, in den eigenen Akten.

Der Kirchenrat warf sich im Zusammenhang mit Süß‘ Lieferantentätigkeit in einer riesigen Gedenkschrift zu der hirnrissigen Wirtschaftstheorie auf, Süß wäre an den Preissteigerungen im ganzen Land schuld – nicht der Krieg, wie man durchaus wusste.

Diesen Blödsinn hat die Landesgeschichte bis heute nicht widerrufen.

Im Stück 198 (immer noch Büschel 48) wird der Jude als noch bösartiger entlarvt - na ja, dafür muss er nun wirklich hängen. Hier liegt eine anonyme Denunziation aus Calw vor, die Handelsleute Stuber und Notter gäben nur den Sabbat frei, den Sonntag feierten sie nicht. Stuber und Notter waren mit ihrer Holzhandelsfirma die reichsten Leute des Landes.

Da kann man nur empört aufschreien: Der Süß ist doch wirklich ein Teufelskerl. An den Galgen mit ihm!

Der Schuldzusammenhang mit Süß bleibt unerfindlich, aber überzeugend, für die württembergischen Landeshistoriker.

Ich entsinne mich des weiteren noch an hübsche Schwänke in diesen „Landberichten“. Hätten wir geistreiche Filmemacher oder Komödienschreiber, das wäre ein Stoff!

Aus Süßen (bei Göppingen) meldete ein Vogt, seitdem Süß in Stuttgart sei, erfreche sich im Ort ein kleiner popeliger Amtsassessor des Sonntags vor ihm, dem Vogt, in den Kirchenstuhl zu sitzen und ihm den angestammten Platz wegzunehmen.

Der Jude muss in Sachen Unterordnung im württembergischen Beamtenalltag furchtbare Verwüstungen angerichtet haben. Und welche Fernwirkung, für Süß eine Kleinigkeit: von Stuttgart nach Süßen, das immerhin näher an Ulm liegt als an Stuttgart.

Ein Gastwirt aus dem Schwarzwald beschuldigte Süß, ein Fass Bier im Wert von 3 Gulden noch nicht bezahlt zu haben.

Ja ja, kann ich da mit meinen überforderten Schwaben nur sagen: Wo der Süß hinkommt, gibt es nichts als Sitten- und Preisverfall.

Soviel zur Einstimmung in die Süß-Ausstellung des Stuttgarter Archivs.

Einen ersten Überblick von der reichlich problematischen Ausstellung kann man sich im Netz verschaffen: HYPERLINK http://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/detail.php?template=hp_artikel&id=15826&sprache=de http://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/detail.php?template=hp_artikel&id=15826&sprache=de

Der Titel „Beschlagnahmte Briefschaften“ – es rumpelt altertümlich - und klingt gleichzeitig sehr privat. Nun ja, es geht ja bloß um Briefe. Sonst um nichts?

Der Untertitel verspricht viel: „Der Kriminalprozess gegen Joseph Süß Oppenheimer 1737-1738“.

Das Material der Ausstelllung ist in drei Abteilungen aufgebaut:
Ein zeitgenössisches Medienspektakel und fiktionale Bearbeitungen.
Die authentischen Quellen.
Nutzung und wissenschaftliche Auswertung des Aktenbestandes.

Bevor wir etwas vom Kriminalprozess erfahren, dominieren zeitgenössische Stiche, oft schön koloriert, aber eben kein Material aus dem Prozess. Diese illustrierten Blätter sollen ein „Medienspektakel“ gewesen sein?

Alle Publikationen waren in Stuttgart verboten, ein Spektakel ist öffentlich. Also Wortwahl wie Sachdarstellung gehen daneben, wieder einmal.

Wir sehen nur ein einziges Medium. Die anderen langen Texte und Dialoge, fast halbe Theaterstücke, fehlen ganz, und es fehlen Augenzeugen.

Und das ist das Schlimmste - es fehlen jüdische Stimmen. Dabei war Süß‘ Mutter extra zum schmerzlichen Abschied von ihrem Ältesten gekommen. Marx Nathan und Salomon Schächter, zwei Mitglieder der Stuttgarter jüdischen Gemeinde, besuchten Süß auf dessen Wunsch hin in der Todeszelle.

Na ja, das interessiert heutige Medienvoyeure wohl nicht.

Bei der Abteilung 2 „authentische Quellen“ sind die Lücken am ärgerlichsten. Und die Lücken folgen einem System.

Im ersten Schaukasten, wenn man die Ausstellung betritt, liegt unerklärt die Verteidigungsschrift des Pflichtverteidigers Mögling. Keine Erläuterung, schon gar nicht eine Skizzierung und Bewertung der fast 150seitigen Schrift.

Süß hielt nicht viel von ihr, obwohl sie seine Angaben im „peinlichen Verhör“ breit überliefert.

Warum? Der knechtsseelige Advokat Mögling aus Tübingen schnitt jeden Hilferuf des Todgeweihten nach außen ab: ans Reichskammergericht Wetzlar, an den Reichsmünzdirektor, an den Kaiser in Wien und an unabhängige Richter außerhalb Württembergs, zur Bildung eines unabhängigen Gerichts.

Alles revolutionäre Ideen, die Süß hätten retten können. Das kann man ausführlich in meiner Biografie nachlesen (S. 360ff, 405ff).

Das Gemeinste: Der Gefangene darf kein Wort sagen. Nirgends lässt ihn diese Ausstellung seine Verteidigungsstrategie entwickeln. Nicht ein einziger seiner letzten Briefe aus der Haft wird gezeigt und transskribiert.

Der Jude kommt nicht als Leidender in den Blick. Es geht ganz offenbar gar nicht um ihn. – Sehr württembergisch, dieses Wegsehen vom Justizopfer.

Ein fataler Eindruck beschleicht mich immer schlimmer von einem Schaukasten zum andern: In dieser Ausstellung geht es nicht um das Leben, sondern bloß um Papier und nicht einmal da um Zeugnisse von zentraler Bedeutung bei der Frage nach Leben und Tod.
Schade schade.

Übrigens fehlen auch alle Aspekte von Süß‘ Leben in Frankfurt und Mannheim. Die Karlsruher Akten über Süß‘ Tätigkeit als Mannheimer Stempelpapierpächter hätten uns einen Finanzmann gezeigt, der von allen Behörden betrogen wurde (meine Biographie S. 51ff). Wenn man schon kein Stück von Karlsruhe zeigen will, sollte man wenigstens mit einem kleinen Verweis den Horizont öffnen. Täte gut.

Wie immer wird man mir mit der Klage kommen: Wir haben nicht genügend Platz.

Mit Verlaub: Was soll dann der herzogliche Mops? Sein Denkmal auf einem aufwändigen Foto?

Ich muss zitieren, sonst hält man mich für einen böswilligen Scherzbold:

„Der Hund hatte seinen Herren während der Türkenkriege begleitet und – nachdem er ihn in Belgrad verloren hatte – alleine den Weg nach Winnental gefunden.“

Was für ein entscheidendes Ereignis für die Rechtsfindung unter Schwaben – dieser Hund.

Tatsächlich: Dieser Hund fand eher das Richtige - das Recht - als alle Kriminalrichter samt dem Kirchenrat. Sie verurteilten Süß einstimmig zum Tod, um das geltende Recht machten sie sich keine Sorgen.

Man kann ruhig sagen: Wer das Justizopfer verdrängt und nicht zu Wort kommen lässt, kommt selber auf den Hund.

Der Platz für die Ausstellung sei zu knapp? Die angeblich an Spektakuläres so gewöhnte deutsche Seele bekommt unter 15 Schaukästen fast 4 Kästen nur für die NS-Zeit reserviert.

Fast immer dasselbe Elend: Wenn die Deutschen sich mit Süß beschäftigen, bleiben sie gebannt am Nazifilm „Jud Süß“ (1940) von Veit Harlan hängen. Ein permanenter Triumph von Goebbels bestem Ziehkind.

Dieser Film ist eine Pest – aber die Verlängerung in die heutige Süß-Desinformation hinein geht allein zu Lasten verantwortungsloser Gaffer, Entertainer, Show-Business-Manager, oder wie man diese Tagdiebe nennen mag.

Inzwischen bin ich auf einen Fernsehjournalisten des SWR Stuttgart gestoßen, der allen Ernstes glaubt, der Nazifilm von Veit Harlan (1940) sei ein wissenschaftlich völlig korrektes Filmwerk. Der Herr führt einen Doktortitel.

Ich hab Harlans Film dreimal mit Cineasten angesehen und auf dem Podium diskutiert. Die Filmspezialisten waren katastrophal kenntnislos, worin denn die gefährliche Verfälschung des Süß-Bildes bestehe. Kenntnisse des historischen Süß kann man bei diesen Medienleuten nicht erwarten.

Professor Knilli (Berlin) trieb sein Leben lang vor allem dieses Thema um, den Film von Harlan. Ein Film unter der Schutzherrschaft von Joseph Goebbels, mit den besten deutschen Schauspielern, offenbar ein automatisch beachtliches Werk.

Da haben jüdische Quellen einfach nichts zu suchen. Wenn ich richtig zähle, so gab es in den letzten 15 Jahren über 10 Fernsehereignisse mit und für Veit Harlan. Keine entsprechende Häufung für den ermordeten jüdischen Finanzmann aus Heidelberg. Die notwendige Erinnerung an den Justizmord stellt hinterrücks auf einmal Veit Harlan in den Mittelpunkt, nicht den ermordeten Süß Oppenheimer.

Das „Haus der Geschichte“ in Stuttgart wird diese trübe Tradition fortsetzen. Ab November 2007 sehen wir dort die Sonderausstellung „Jud Süß“ von Veit Harlan (9. November 2007 – 20. Juli 2008).

Einseitiger kann man in Stuttgart gar nicht mehr vorgehen. In öffentlichen Diskussionen werden, wie üblich, nur die filmische und sonstige mediale Ausschlachtung eines Justizverbrechens zur Darstellung kommen. Das Opfer ist unter dem Medienschrott bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

Die Einseitigkeit der Ausstellung im Hauptstaatsarchiv auf Kosten von Süß Oppenheimer ist nicht zu ertragen.

Es gab auch im Regierungsapparat Zeugen für Süß – gestrichen.
Es existiert eine höchst wichtige Verteidigungsschrift, die sein Bruder in Wetzlar einreichte – gestrichen.
Süß entwickelte eine intelligente Strategie gegen die rechtswidrige Prozessführung – weg damit.

Ein uralter juristischer Grundsatz, man müsse auch die Gegenseite zu Wort kommen lassen, wird in den Wind geschlagen. Das Wort gehört den Tätern.

Unter der Verachtung von Süß-Ikonen-Verehrerinnen (Göttingen), die sich nur für Medien-Verarbeitung und fiktionale Rezeption interessieren, stellte ich eine lange Liste schwerster Rechtsbrüche im Prozess zusammen.

Gudrun Emberger hat sich inzwischen zu der Erkenntnis durchgerungen:

„Ein Ruhmesblatt württembergischer Geschichte ist der Justizmord an ihm – und anders kann man es nicht nennen – gewiss nicht. Dass Süß zu Unrecht starb, ist heute unbestritten.“ (Gudrun Emberger: Joseph Süß Oppenheimer, S. 68)

Wir schreiten bei den Schaukästen zur Inventur des beschlagnahmten Vermögens. Hier ließe sich nachlesen, wieviel die Herren Kriminalrichter, Geheimräte und Hofschranzen gestohlen haben.

Das schwäbische Archiv schweigt feinfühlig. Wirklich nett. Es ging, in heutigem Geld, in die Millionen. Es wäre hübsch, wenn eines Tages die Staatskasse hier eine Rechnung präsentiert bekäme. Und es ist nötig, weil die Schwaben nur beachten, was etwas kostet. Gell?

Gegen Ende riskiert die Ausstellung einen Blick in die „Forschung“. Als erster hatte ich bemerkt, dass Süß erst nach der Verhaftung plötzlich als „Jud Süß“ angesprochen und aller Titel beraubt wurde. Vorher musste er mit Resident oder Finanzienrat angesprochen werden.

Zu sehen ist ein Brief des Herzogs, der beweisen soll, dass Süß in Stuttgart „Jud Süß“ genannt wurde. „Demnach Wir die Uns von Joseph Süs Oppenheimer zerschiedene Jahre hier in allerhand Angelegenheiten geleistete ersprießliche Dienste......“

Jetzt, bitte, wo ist er als Jude angesprochen? - Ach ja, ganz links außen oben steht im Betreff: „Jud Süs“, Januarius 1934, Nro. 35.

Aber um Himmelswillen, das ist doch eine Formulierung des Bürokraten, keine Anrede an den anwesenden Süß. Am Hof dominierten Judenfeinde, die den Juden wenigstens auf dem Papier demütigen wollten, wenn sie es sonst schon nicht konnten.

Nein, das ist wirklich keine Heldentat der Stuttgarter „Forschung“.

Insgesamt verfestigt sich bei der Ausstellung mein Eindruck: Diese Präsentation des Kriminalprozesses hat ihr Thema verfehlt.

Das Todesurteil wird nicht gezeigt. Von den 10 Anklagepunkten musste man 8 fallen lassen, sie waren doch zu dämlich, griffen ganz daneben. Aber der uninformierte Besucher glaubt weiterhin, sie hätten im Prozess Bestand gehabt.

Intern verblieben nur 2 Vorwürfe: Majestätsverbrechen und Hochverrat. – Das wenigstens hätte man lesen müssen. - Schweigen.

Und man hätte den Zuschauern erklären müssen, wie Süß Oppenheimer gegen den toten Herzog diese beiden Verbrechen begangen haben soll.

Hier wurde ein aberwitziger Unsinn zusammenkombiniert (meine Biographie S. 373ff). Besonders dieses Kapitel wäre heute jedem Juristen zu empfehlen.

Es fehlt in der Ausstellung auch die publizierte Fassung des Todesurteils, die so schwach ausgefallen ist, dass sie überhaupt keine konkreten Tatbestände mehr zu nennen vermochte.

Die Todesrichter werden in der Ausstellung überhaupt nicht namentlich aufgeführt. – Darin könnte man fast eine Vertuschung von Amts wegen sehen.

Wie lange soll eigentlich die Kumpanei mit den einstigen Machthabern noch gehen? Die Schatten der alten guten Familien, der Ehrbarkeit sind noch immer lang genug.

Die interne, geheime Diskussion über das Todesurteil und seine Begründung werden ausgespart. Dabei hätte man nur einige Meter in die Landesbibliothek hinüber gehen müssen. Dort liegen die einzelnen Voten der Richter. Und dort hätte man zeigen können, dass wenigstens ein Richter kurz ins Schleudern kam – Wolfgang Adam Schoepff -, er fand keinen rechtlich haltbaren Grund für die Hinrichtung.

Der Mann hatte recht, aber keinen Mut, er war ja auch württembergischer Beamter und als Auisländer, geboren in Schweinfurt, nur geduldet.

Nun brüllten die anderen Kriminalrichter den Schoepff nieder – und er formulierte geknickt den klassischen Satz, der noch lange in Württemberg und sonstwo galt:

„Er glaube, Süß habe den Tod meritiert.“ (meine Biographie S. 387, soll heißen: verdient).

Der Ausstellung ist es wirklich gelungen, den jüdischen Geschäftsmann zu „arisieren“. Er ist kein Jude mehr, wenigstens muss man sich sehr bemühen, bis man da irgendetwas Jüdisches findet.

Das intensive Bekenntnis zum jüdischen Glauben seit Beginn des Prozesses ist in der Ausstellung weggefallen. Süß aß in Wirklichkeit von nun an nur noch koscher, auch um der stets drohenden Vergiftung zu entgehen. Ein probates Mittel der barocken Rechtsfindung.

Die Begegnung von Süß in der Todeszelle mit zwei Stuttgarter Juden vor der Hinrichtung - gelöscht.

Süß‘ Bitte, von einem Rabbiner zum Galgen begleitet zu werden – nichts davon zu lesen.

Das hebräische Glaubensbekenntnis Schma Jisrael bis auf die letzte Sprosse der Galgenleiter – weg.

Der Gipfel dieser das Judentum eliminierenden Ausstellungskonzep-tion: Es fehlt selbst die illegale Denkschrift der Stuttgarter jüdischen Gemeinde für den toten Süß. Verfasst von Nathans Schächter Salomon.

„Relation von dem Tod des Joseph Süß seel. Gedächtnus.“ 1738 in Stuttgart hebräisch geschrieben und mit hebräischen Lettern in einem Untergrunddruck in Fürth herausgebracht.

Als ich damals noch nicht das einzige erhaltene hebräische Exemplar gefunden hatte, brachte ich ersatzweise eine zeitgenössische deutsche Übersetzung heraus (1994).

Dem tragischen Anlass entsprechend und aus Ehrfurcht vor dem Justizopfer und aus Respekt vor meinem ersten hebräischen Schriftstellerkollegen – wählte ich eine bibliophile Kunstmappen-Edition.

Bis heute hat sich die gar nicht so schmale Süß-Forschung geweigert, dieses jüdische Süß-Dokument zur Kenntnis zu nehmen.

Jeder Interessent kann die Edition in der Stuttgarter Landesbibliothek ausleihen. Der Karlsruher Virtuelle Katalog weist 5 Exemplare als erreichbar in großen Bibliotheken nach. In Stuttgart sind weitere 5 Exemplare zu lesen (Stadtbücherei, Stadtarchiv usw.).

Aber mit diesem Werk würde sich das Gewicht verlagern, weg vom vorgeblichen Medienspektakel hin zum Opfer krimineller Richter.

Die jüdische Gedenkschrift ist ins Nichts verschwunden, Süß‘ Judentum ist entsorgt – aber Gottseidank haben wir ja den Mops des Herzogs wieder.

Literatur

Haasis, Hellmut G.: Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer. Reinbek, Rowohlt, 1999. 2. Aufl. 2001.

Ders.: Joseph Süß Oppenheimers Rache. Erzählung, Biographischer Essay, Dokumente aus der Haft und dem Prozess. Mit Illustrationen von Jona Mach (Jerusalem) und historischen Stichen. Blieskastel, Gollenstein, 1994 (zusätzlich viele Erstdrucke von Dokumenten und Briefen).

Ders.: Jud Süß. Das Leben und Leiden des Joseph Süß Oppenheimer (WDR 2. Programm 8. 11. 1994, 60 Min.; dafür erhielt ich den Civis-Medienpreis der ARD).

Ders.: "Köpfen wäre viel zu unspektakulär gewesen". Der Historiker Haasis erklärt, warum die Vorurteile gegen Joseph Süß Oppenheimer bis heute salonfähig sind. In: Stuttgarter Zeitung, 54. Jg., Nr. 238, 15. 10. 1998, S. 24.

Ders.: Joseph Süß Oppenheimer (1698-1738). Ein Justizmord im pietistischen Württemberg, in: MIZ. Materialien und Informationen zur Zeit. Politisches Magazin für Konfessionslose und Atheistinnen. 25. Jg., Aschaffenburg 1996, S. 52-54

Ders.: "Jud Süß" - Joseph Süß Oppenheimer. Rezeption und Verdrängung eines Justizmordes, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, 42. Jg., Heft 167, Frankfurt/Main 2003, S.178-184.

Ders.: Justizmord an Joseph Süß Oppenheimer. Der Finanzier des Herzogs: eine Legende bis heute. In: Lang, Frank Thomas/Helfert, Verena/Stangl, Anja (Redaktion): Hofgeschichten. Die Ludwigsburger Residenz und ihre Bewohner. 2004, S. 34-35.

Ders.: Ein Justizmord in Stuttgart. Das Schicksal des jüdischen Hofbankiers Joseph Süß Oppenheimer (SDR S 2 Kultur, Soirée, 2. 11. 1991, 90 Min.).

Ders.: Ein Jude in der Todeszelle. Der Heidelberger Finanzmakler Joseph Süß Oppenheimer. Justizmord in Stuttgart 1738 (SFB 16. 8. 1994, 60 Min.).

Ders.: Joseph Süß Oppenheimer alias Jud Süß. Eine deutsch-jüdische Biographie (SDR S 2 Schulfunk; 2 Teile, 17. und 24. 4. 1998, zusammen 60 Min.).

Ders.: Joseph Süß Oppenheimer. Ein deutscher Jude zwischen Aufklärung und Judenhass (HR 2. Programm, 13. 2. 2001, 30 Min.).

(Exemplare der Radioarbeiten finden sich in der Württembergischen Landesbibliothek.)

Joseph Süß Oppenheimer vulgo „Jud Süß“, in: shoa.de 24. 4. 2005. http://www.shoa.de/content/view/405/85/

Ders.: Veit Harlan „Jud Süß“. Film, Umstände, Produktion, Hintergründe. Eine Einführung. (September 2007 gemeldet in der website shoa.de) abrufbar unter:
http://haasis-wortgeburten.anares.org/veitharlan/veit_harlan.php

Schächter, Salomon: Relation von dem Tod des Joseph Süß, seel. Gedächtnus. O.O.u.J. (Fürth/Stuttgart 1738) Einst verlegt von Mardochai Schloß alias Marx Nathan. Mit hebräischen Lettern gedruckt von Chajim ben Zvi Hirsch in Fürth. Mit einer Originalradierung von Angela Laich, einem Judenstern der Nazizeit und einer erklärenden Beilage neu hg. von Hellmut G. Haasis. Paris-Strasbourg-Basel usw., Freiheitsbaum, 1994 (bibliophile Kunstmappen-Edition in 100 Exemplaren, davon 30 mit je einer Originalzeichnung von Angela Laich).

Emberger, Gudrun:Joseph Süß Oppenheimer. (Freudentaler Blätter 2) Freudental 2006 (Erstdrucke wichtiger Dokumente).

29. März 2007
Reutlingen

angela laich (berlin), zeichnungen (unikate) zum justizmord an süß oppenheimer, 1994.

einst beilagen zur bibliophilen kunstmappe von salomon schächter: relation (1738/1994).

 

 

 

 

 

/suess_oppenheimer/ausstellung.php | anares.org | comenius-antiquariat.ch Samuel Hess 2005