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nr. 12 VOM JUDENMORD ZUM WÜRTTEMBERGISCHEN PIETISMUS
Der Enkel von Joseph Süß’ Todesrichter: Johann Jacob Dann

Einer der Richter, die Joseph Süß Oppenheimer am 4. Februar 1738 einstimmig zum Galgen verurteilten, war der Jurist Johann Jacob Dann. In der Staatstheorie Württembergs galt er nur als Ausländer, weil er in der benachbarten Reichsstadt Reutlingen auf die Welt gekommen war. Er hatte sich als Jurist besonders fleißig anzupassen, um diesen Makel abzuschütteln. - Und er gehorchte.

Dieser Reutlinger Dann galt von Anfang an bei dem geplanten Stuttgarter Justizmord an Süß als loyaler Beisitzer. Bereits bei der ersten Sitzung am 22. Mai 1737 zählte er zu den neun Kriminalrichtern (Hellmut G. Haasis: Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer. Reinbek, Rowohlt, 1998, S. 339). Er war also in das Justizverbrechen von Anfang eingeweiht.

Ohne so etwas zu beabsichtigen, überlieferte er aber in seinem Nachlass (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart) die Beweise, wer von den Richtern mit welchen Argumenten für Mord gestimmt hatte. Nach dem Todesurteil sammelte er die schriftlichen Voten einfach ein.

Wie wird diese angepasste Familie der Oberschicht den Mord verarbeitet haben? Auf jeden Fall gab es keinen Knick in der Karriere. Wir können sicher sein, der Herr, die ganze Familie war schon so weit, wie unsere Familien nach 1945. Sie schwiegen und erzählten niemand mehr etwas. Mit der Zeit vergisst sich so was.

Der Sohn Jakob Heinrich Dann, bei der Taufe seines Sohnes „fürstlicher Rat und Hofgerichtsassessor“ genannt, setzte den Aufstieg des Vaters in das bürgerliche Patriziat, die EHRBARKEIT, fort. Er brachte es zum Bürgermeister von Tübingen und erhielt damit einen Sitz in den Landständen, den eigentlichen Regenten des Landes.

Der Ort seines Grabes beweist den rasanten Aufstieg der Familie. In der westlichen Vorhalle der Tübinger Stiftskirche steht heute Danns Grabplatte, neben der des Vizepräsidents des Gerichts, Johann Christoph von Pflug (S. 449), der Hauptantreibers und Hetzers gegen Süß.

Der Enkel Christian Adam Dann (Tübingen 1758 – Stuttgart 1837) wurde von seinem Vater zum evangelischen Pfarrer bestimmt und in die Eliteschule des Evangelischen theologischen Seminars Blaubeuren geschickt. Er erreichte eine der begehrten Pfarrstellen in Stuttgart, dem Wunschort vieler Schwaben.

Christian Adam Dann trat in die Fußstapfen der schwäbischen Pietistenväter Johann Albrecht Bengel und Friedrich Christoph Oetinger und wurde ein beliebter Prediger. Sein Programm war, ein frommes, christliches Leben zu führen. Er hieß die Zuhörer auf Jesus und die Bibel zu hören.

Sein Biograph Jung schreibt rührend: „Dann las die Bibel genau und hörte auf jeden Satz.“ (siehe den Aufsatz, wie unten angegeben)

Hätte der Pfarrer wirklich gelesen, er hätte genügend Worte gegen einen Justizmord, gegen den Hass auf die Juden usw. gefunden. Er las selektiv, wie es sich halt für seine Stellung schickte.

Zu seinem Pietismus gehörte nicht, den Mord an dem jüdischen Bankier Joseph Süß Oppenheimer durch seinen Großvater in Frage zu stellen. Hier lebte der Pietismus innerhalb der Schranken der antisemitischen Staatsräson.

Lieber zog der Enkel Dann in seinen Predigten Beispiele aus der Natur heran. Als er aber bei der Beerdigung eines Stuttgarter Schauspielers dessen unchristlichen Lebenswandel öffentlich kritisierte, zog er sich den Ärger des jähzornigen Königs Friedrich zu, eines Rechtsbrechers im großen Stil.

Es folgte Danns Strafversetzung in die Nähe Reutlingens, des Herkunftsorts seines Großvaters: nach Öschingen am Rande der Schwäbischen Alb, später ins benachbarte Mössingen im Steinlachtal.

Nach der sinnlosen Erschießung eines Storches überkamen ihn die verdrängte großväterliche Lebenslinie und damit der blutbefleckte Aufstieg der Familie. Dann protestierte gegen den Mord – aber nur weil es ein Tier traf. Abscheu gegen einen Mord an einem Juden lag nicht in seinem Horizont.

So ging es beim württembergischen Pietismus weiter. Als Hitler sich zum gefährlichsten Feind aller Menschen aufschwang, blieb der württembergische Pietismus stumm. Mehrere württembergische Mordbanditen Reinhard Heydrichs im SD (Sicherheitsdienst der SS) stammten aus pietistischen Familien. Von der Tübinger NS-Studentenschaft brachten sie es über den SD Stuttgart und das Reichssicherheitshauptamt (Berlin) zu Kommandoposten in den Einsatzgruppen im Osten.

Einen ihrer übelsten ließ man nach dem Krieg im pietistischen Gymnasium von Wilhelmsdorf (Oberschaben) unterschlupfen.

Das alles gibt ein Schandkapitel ab, das womöglich ungeschrieben bleibt. Gefälliger sind die Schriften Danns über den christlich motivierten Tierschutz.

(vgl. Martin Jung: Ein Christkind aus Tübingen. An Heiligabend vor 250 Jahren wurde der Pfarrer und Tierschützer C. A. Dann geboren. In: Südwestpresse/Schwäbisches Tagblatt, Tübingen, 24. Dezember 2008, S. 39)

 


 


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