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Süss Oppenheimer

 

Süß Oppenheimer Nr. 18 SZENISCHES THEATER ZU SÜSS OPPENHEIMER FÜR DIE WORMSER NIBELUNGENFESTSPIELE 2011

Plakat zum Süß-Theaterstück Worms 2011

JOSEPH SÜSS OPPENHEIMER
IM VERHÖR

Szenisches Theater

von Hellmut G. Haasis

geschrieben für die Nibelungenfestspielte Worms

Uraufführung: Worms 25. Juli 2010

Personen

1. Joseph Süß Oppenheimer
2. Erster Kriminalrichter Pflug
3. Zweiter Kriminalrichter Jäger
4. Berichterstatterin/Erzählerin
5. Gefangenenwärterin
6. Zitatorin

weitere Personen, die von Nr. 6 gesprochen werden können:
DAVID BERNARD (ehemaliger Rabbiner), SALOMON SCHÄCHTER u. a.

JOSEPH SÜSS OPPENHEIMER
IM VERHÖR

Szenisches Theater
von Hellmut G. Haasis

1. SZENE:
VERHAFTUNG, HAUSARREST, ERSTES HAFTLOKAL AUF DEM HOHENNEUFFEN

4 Das Unglück brach über den Finanzberater Joseph Süß herein, als der württembergische Herzog 1737 in Ludwigsburg starb. Eine zwielichtige Figur am Hof, der Baron Röder, der den Marstall unter sich hatte, also immer viel Geld für neue Pferde in der Hand hält, fährt mit Süß sofort nach Stuttgart.

Er wittert die Chance, den gefährlichen Entdecker seiner Unterschlagungen ausschalten zu können. Süß, die Vertrauensperson des Herzogs für die Finanzen, hatte herausbekommen, dass der Herr Baron 140.000 Gulden in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte. Damit konnte man damals in Stuttgart einen Immobilienwert von mehr als 100 Häusern erwerben.

Röder lässt Süß alleine der Herzogin zum Tod ihres Mannes kondolieren. Als Süß wieder aus dem Schloss kommt, lässt der belastete Chef des Marstalls Süß festzunehmen und in den Hausarrest abführen. Ein Haftbefehl liegt nicht vor.

Es schlägt eine seit langem hasserfüllte Gruppe von Geheimräten zu, die nicht mehr nach dem Recht fragt, sondern wie sie den jüdischen Berater aus der Welt schaffen kann.

Eine Woche lang überlegen die Räte, was sie tun könnten. Sie haben keine präzisen Vorwürfe – nur ihre dumpfe, tiefe Abneigung, dass ein Jude beim Herzog etwas zu sagen hatte – und dass er klüger war.

Nach einer Woche Hausarrest eskortieren 50 Grenadiere zu Pferde den Gefangenen auf die Landesfestung Hohenneuffen bei Nürtingen. Dort bleibt Süß eine weitere Woche ohne Verhör, seine Gegner wissen überhaupt nicht, was sie ihn fragen sollen.

2 Wir kommen zum ersten Verhör des Delinquenten. Der Jud klagt über die Kälte hier auf der Festung? Geht uns nichts an, wir sind nicht für das Wetter zuständig.

Er hat Fieber und will warme Kleidung? Wir sind nicht seine Diener.

Er klagt über Magenkrämpfe? Geht nur einen Arzt etwas an, wir selbst brauchen hier oben keinen.

Der Jud weigert sich zu essen, er hat Angst, Gift zu bekommen? –

Eine Beleidigung des ganzen Landes, des Hofes und der Beamtenschaft.

3 Der Jud will nur noch koscher essen? Anmaßung eines Dahergelaufenen. Bisher ist er nicht als frommer Jud aufgefallen. Der will uns nur Schwierigkeiten machen.

*****

5 Ich bring’ den Gefangenen, den Geheimen Finanzrat Süß.

2 (schreit sie an) Diese Pracht mit dem Titel ist vorbei, der heißt nur noch Jud Süß. Kann sie sich das merken?

5 Entschuldigung, er hieß bisher doch immer Geheimer Finanzrat?

3 Bisher! Vor zwei Tagen wurde ihm alles genommen: alle Titel und alle Rechte. Er ist jetzt nur noch der Jud Süß. Er hat alles Ansehen verloren –

2 Und in Kürze auch seinen Besitz und sein Geld.

1 Ich verlang einen Anwalt, ich akzeptier’ nur einen Anwalt meines Vertrauens.

3 (fährt ihn an) Er wurde nicht gefragt. Merk er sich das, hier redet er nur, wenn er gefragt wird.

1 Ich nehm bloß einen Nichtwürttemberger, einem aus Württemberg trau ich nicht…….

2 (unterbricht ihn, brüllt ihn nieder) Hat er taube Ohren? Er hat nur zu reden, wenn er gefragt wird.

1 (lauter) Es geht um meine Freiheit, um mein Ansehen, mein Geld, mein Besitz.

3 Alles gestohlen. Er kam mit nichts ins Land, jetzt ist er in ganz Württemberg der reichste Mann.

1 Der Herzog wusste, mit wie viel Besitz ich von Mannheim und Frankfurt nach Stuttgart kam. Er hat meine Verhältnisse geprüft und immer für rechtens befunden.

2 Der arme Herzog wurde von ihm verführt, das könnt ihr Juden vorzüglich. Wenn es ums Geld geht, handelt es bei euch ständig um massenhaften Betrug.

1 Jeder Regierungsrat kann bestätigen, dass meine Rechnungen ständig penibel geprüft wurden, zumeist von meinen Gegnern in der Regierung.

3 Bei Bilanzfälschungen sind die Juden unschlagbar. Aber wir lassen uns das Thema nicht von ihm vorschreiben. Beginnen wir.

2 Wie heißt er?

1 Joseph Süß, Oppenheimer, von Heidelberg.

2 Wie alt?

1 Zwischen 38 und 39 Jahre.

2 (scharf) Weiß er das nicht genau?

1 Es ist mir zu langwierig, mein Alter nach dem jüdischen Kalender in den gängigen umzurechnen. – (überlegt, rechnet mit den Fingern) Ich wurde im Frühjahr 1698 in Heidelberg geboren.

2 Welchen Beruf übt er aus, was hat er gelernt?

1 Meine Profession ist, mit großen Herren umzugehen.

3 Weiß er das nicht genauer?

1 (schweigt provokativ, spricht dann langsam) Der Herzog wusste am besten, was ich konnte. Ich hab ihn in allen finanziellen und wirtschaftlichen Fragen beraten.

2 Von welcher Religion ist er?

1 Ich bin geborener Jud, hab’ aber die Religion von einem ehrlichen Menschen.

3 (hinterhältig) Bekennt er sich noch immer zur jüdischen Religion?

1 (fest) Ja

2 Hat er sich nicht einmal bei den Landständen vernehmen lassen, er sei ein Liebhaber aller Religionen?

1 Ja, so etwas sagte ich, aber mit der ausdrücklichen Erklärung, dass ich keine Religion bevorzuge, ich bin keiner abgeneigt noch besonders zugeneigt.

2 Also hat er keine Religion?

1 Doch, ich bin und bleib’ Jude. Auch wenn man mich zum Kaiser von Wien oder zum Papst von Rom machen wollte, werd’ ich doch bei der Religion meiner Vorfahren bleiben.

2 Wie hoch beläuft sich sein Vermögen?

1 Das kann ich nicht wissen, weil es dauernd unter meinen Leuten im Umlauf ist, seit zwei Jahren hab’ ich keine Vermögensbilanz mehr erstellt.
2 Wo befindet sich sein Vermögen?

1 Teils zu Frankfurt, teils zu Stuttgart, ich weiß es selbst nicht genau, meine Leute wissen es. Aber auf Fragen, die mein Vermögen betreffen, antwort’ ich nicht.

3 (tobt) Wer ermittelt hier - die württembergische Justiz mit dem Geheimen Kriminaltribunal – oder er? Wenn er zum Geld nichts sagt, werden wir ihn auf die Folter legen – und nicht so knapp, da kann er sicher sein. Juden brauchen bei Gelddingen eine feste Hand.

1 Ich weiß, die Württemberger lieben die Folter, sie haben dieses Instrument der Rechtsbeugung vor kurzem wieder eingeführt. Wer so etwas tut, vergeht sich gegen den Geist der Aufklärung, wie er aus den Niederlanden auch hierher kommen wird. Was Vermögenssachen angeht, möchte ich genaue Vorwürfe hören. Seit zwei Wochen hat man mir noch kein einziges Vergehen vortragen können.

3 Schweig er. Ihm wird seine Frechheit schon noch vergehen. Mit dem Tod des Herzogs weht ein anderer Wind durchs Land. Jetzt geht es um sein Geld – (spöttisch) aber das gehört uns sowieso.

2 Mit welcher Weibsperson lebte er in Frankfurt in verbotener Gemeinschaft?

1 Ich verlang eine genaue Anklage, kein allgemeines Gerede.

2 Wie hieß die hohe Dame zu Frankfurt, die wegen ihm in Arrest gekommen sein soll?

1 (spöttisch) Mehr wissen Sie nicht? Darüber muss man den hochwürdigen Herrn Erzbischof von Köln fragen, es handelte sich um seine Geliebte, die er schändlicherweise verjagt hatte und die ich selbstlos in den Schutz meines Hauses aufnahm. Wer will, kann den Erzbischof mit ins Spiel ziehen, bitteschön. Er ist als Kurfürst von Köln einer der mächtigsten Herren des Reiches.

2 Wie kam der Delinquent in württembergische Dienste?

1 (überlegen) Da würd’ es genügen, die Dokumente im Besitz des Herzogs zu lesen. Aber dazu müsste man etwas von der Regierungsarbeit verstehen. Wer nichts weiß, kommt nie über vage Behauptungen hinaus.

3 (schreit) Diese Unverschämtheit ist nicht zu überbieten. Wart, wir kriegen dich noch klein. Der Herzog lebt nicht mehr - jetzt leben nur wir.

*****

4 Wir verlassen dieses erste Verhör, so ging es tagelang weiter. Joseph Süß ließ bei jeder Frage seine Überlegenheit spüren, er glaubte, der Spuk ginge bald vorbei, in Kürze werde er die Festung als Sieger verlassen. – (erschöpft) Nach sechs Wochen erkennt er seine Machtlosigkeit. Mit Hilfe seines koscheren Koches vermag er eine Klageschrift aus der Festung hinauszuschmuggeln.

Die Heidelberger und Mannheimer jüdischen Geschäftsleute legen Geld zusammen und reichen eine Klage ein beim höchsten Gericht des Reiches, beim Reichskammergericht in Wetzlar. Die württembergische Justiz erfährt davon und blockiert die Klage mit politischem Druck und Bestechung. Gleichzeitig inszenieren die Württemberger beim Kaiser in Wien und am Reichstag in Regensburg eine Verleumdungskampagne.

Viele Diplomaten schütteln die Köpfe über die gewaltbereiten Württemberger – aber niemand will sich mit einem Staat anlegen, der die Rechte eines Juden und selbst das Gesetzbuch des Landes in den Wind schlägt. Kein auswärtiger Rechtsanwalt traut sich, für Süß nach Stuttgart zu reisen.

2. SZENE:
ZERMÜRBUNG IN DER ZWEITEN HAFT AUF DEM HOHENASPERG

4 Den Richtern ist der Weg auf den Hohenneuffen zu weit, sie verlegen Süß auf die Festung Hohenasperg bei Ludwigsburg.

2 Wir werden diesen Geheimprozess bald beenden, der dauert höchstens noch ein paar Wochen. Der Jud wird vor der Masse unserer Beschuldigungen in die Knie gehen und ein Geständnis ablegen.

3 Hauptsache, wir verführen ihn zu irgendeinem Schuldgeständnis. Wahr muss es nicht sein. Wen interessiert schon die Wahrheit, wir sind ja in diesem Geheimverfahren unter uns.

2 Wenn der Jud Süß sich auf so ein Schuldgeständnis einlässt, mir scheint er aber nicht so dumm zu sein.

3 Ich weiß, ein Jud ist immer gerissen, besonders wenn es um sein Vermögen geht. Aber wir sitzen am längeren Hebel. In 20 Tagen haben wir ihn am Boden zerstört.

*****

5 Hier bring ich den Jud Süß, den allseits im Land verhassten Todfeind Württembergs.

2 So lass ich mir den Ton gefallen. Abtreten! Und draußen erzählen, was für eine jämmerliche Figur der Münzfälscher und Millionendieb hier macht. Jetzt raubt er nicht mehr unser Land aus.

3 Mit welchen schmutzigen Tricks hat er den Herzog umgarnt?

1 Von schmutzigen Tricks weiß ich nichts.

2 (brüllt ihn an) Hat er den Mut, uns die Worte vorzuschreiben? Hier sind wir die Richter, nicht er. Und wir sagen, was wir wollen. Wie hat er den Herzog übertölpelt?

1 (souverän) Ich weiß. Als Richter haben Sie kaum davon erfahren, wie der Herzog, als er noch Erbprinz war, von den württembergischen Landständen ohne die ihm zustehende fürstliche Finanzierung gelassen wurde.

2 (spöttisch) Nun, was wollte da der Jud Süß machen, um den „armen“ Herzog vom Geldmangel zu befreien? Diesen verfluchten Katholiken, den gleich bei der Thronbesteigung ein Schlaganfall hätte treffen sollen.

1 Der Herzog verlangte einen Fachmann für Geldleihen, ich wurde ihm empfohlen. Wir haben uns in seiner Sommerresidenz Wildbad getroffen, im Schwarzwald.

3 Aha, gibt er zu, dass er sich illegal ins Land eingeschlichen hat? Darauf steht Auspeitschung und Festung.

1 Der Herzog hat mir in mein Frankfurter Büro einen ordentlichen Pass geschickt und mich eingeladen. Dort erklärte er mir: Seitdem sicher sei, dass in Württemberg die evangelische Herrscherlinie im Mannesstamm aussterbe, sei er zum Erbprinzen ernannt worden und werde nach dem Tod des Herzogs den Thron besteigen. Die Landstände hätten ihn nach dem württembergischen Recht ab sofort standesgemäß zu bezahlen.

2 Jud, halt er sich an meine Frage. Was geht ihn das Geld des Herzogs an?

1 Viel, denn der Herzog bekam keines vom Land und wollt’ es sich von einem fähigen Geldbeschaffer ausleihen. Und zurückzahlen, sobald er den Thron bestiegen habe.

2 Ich verstehe, er hat sich raffiniert zwischen Herzog und Land gedrängt, um den Herrscher von sich abhängig zu machen?

1 Der Erbprinz hat alle großen Herren um das ihm zustehende Geld gebeten. Die haben nur gelacht, ihn verspottet, sie würden einem Katholiken wie ihm nie auch nur einen Kreuzer freiwillig geben, man könne sie dazu nicht zwingen, der Kaiser kümmere sich darum nicht, der sei außerdem auch bloß Katholik.

3 So? Und auf welche verbrecherischer Weise hat er, ein Habenichts, dann dem Herzog Geld besorgt?

1 Mein Herr, Ihre Überheblichkeit beweist nur Ihre Unkenntnis. Ich war schon damals in Frankfurt an der Geldbörse ein angesehener Geldhändler. Jährlich hatte ich mehr als 2.500 Kontobewegungen, meist beträchtliche Summen. Ich bekam Gold- und Silberlieferungen aus den Niederlanden, als in Deutschland alle Münzstätten dringend Edelmetall brauchten. Ich lieh auch anderen Herrschern. Wenn Sie es nicht glauben, können Sie gerne die Herren fragen, falls Sie bei denen überhaupt Zugang bekommen: den Kurfürsten von Köln, den Bischof von Paderborn, den Fürstbischof von Würzburg und viele andere.

2 Jud, er langweilt uns. Was soll das Selbstlob? Weiß er, was das Sprichwort davon sagt?

1 Ich wollte nur darstellen……

3 (unterbricht ihn, imitiert ihn spöttisch) Ich wollte nur …. (schreit) Selbstlob stinkt. Selbstlob stinkt – wie ein Schacherjud. (beide Richter lachen voll Hass) Bei einem Juden stimmt das doppelt und dreifach. Wenn der am Sabbat aus der Synagoge kommt, stinkt er nach dem Zeug, mit dem sie dort schachern - nach Viehhandel. (sie lachen genüsslich)

1 Ich hab durch mein hohes Ansehen als Großhändler dem Herzog jedes Quartal 20.000 Gulden vorschießen können. Im Jahr 80.000 Gulden.

2 (hinterhältig) Und er will sagen, dass das kein gestohlenes Geld war?

1 Anders als vertragstreu hätt’ ich in Frankfurt keinen Gulden geliehen bekommen.

3 Wie will er diese immense Summe je zurückzahlen?

1 Das geht nur, wenn der Herzog nach der Thronbesteigung mich ins Geschäft holt und pünktlich seine Schulden begleicht.

2 (naiv, erstaunt) Und – hat er je was zurückgezahlt?

1 Meine Herren Richter, Sie kannten offenbar Ihren eigenen Landesherrn nicht. Der hielt seine Verträge aufs genaueste ein, der ließ seinen Kreditgeber nicht untergehen, sonst hätte am Hof in Finanzsachen nichts mehr geklappt. Als ich kam, waren die Staatseinnahmen zu einem großen Teil schon verpfändet. In der Küchenkasse hatte der Koch an manchen Tagen keinen Gulden mehr zum Einkauf.

3 Aber dann muss er wenigstens in der Münze gestohlen haben! Gibt er dies zu, wo doch das ganze Land davon redet, wie er in der Stuttgarter Münze über elf Millionen Gulden ausgemünzt und alle außer Landes gebracht und in Frankfurt in seine eigene Tasche gesteckt hat?

1 Mit Ihnen sind Finanzdinge offenbar nicht zu besprechen. Ich hatte mit den neu geprägten Stuttgarter Münzen in Frankfurt meine vielen, oft kurzfristigen und teuren Wechsel zu bezahlen. Ich musste Gold und Silber auf Kredit besorgen und die Wechsel möglichst schnell zurückzahlen, die kosteten Stunde für Stunde steigende Zinsen. Sie können sich nicht vorstellen, wie ein Geldhändler an der Frankfurter Börse gehetzt wird.

2 Wollen wir auch nicht, so ein Leben möchten wir gar nicht führen. Wir bleiben lieber in unserer ruhigen, warmen Amtsstube in Stuttgart. Morgens ein wenig später beginnen, die Bettfedern halten einen doch zu lang fest, um elf Uhr ein ausführliches Gabelfrühstück, mittags eine Besprechung mit lieben Kollegen, dann aber bald ein früher Feierabend. Und bitte keine Hetze.

3 Hat nicht sogar der Herzog ihn der Münzfälschung bezichtigt?

1 Das wollt’ ich gerade sagen. Als während des Krieges am Oberrhein die Gold- und Silberpreise in die Höhe schossen, musste ich bei der Münzprägung den Edelmetallgehalt um einige Prozente senken. Das haben alle Münzstätten in Deutschland ebenso machen müssen.

2 Genau, jetzt haben wir ihn, den Betrüger an unserem guten württembergischen Geld.

1 Ich hab mich sofort dem Herzog gestellt.

2 (ironisch) Das wird den verführten Landesherrscher ja sehr beeindruckt haben.

1 Ich hab sofort alle Türen in der Münze und alle Kassen und Bücher versiegeln lassen. Das hat den Herzog erstaunt - und erfreut, er sagte mir, so viel Ehrlichkeit sei er bei den Landeskassen nicht gewohnt.

2 (brüllt) Hört hört! Unverschämter Kerl. Das wirst du uns büßen.

1 Darauf ernannte der Herzog eine Kommission von lauter Geheimräten.

2 (ironisch) Natürlich alles Busenfreunde des Jud Süß?

1 Unter diesen Herren hab’ ich keinen einzigen Freund.

3 (triumphierend) Zum Glück, so ist es recht, das sind wenigstens noch rechtschaffene, treue Württemberger, die riechen den Juden und seine zum Himmel stinkenden Geschäfte von weitem, auch bei Gegenwind.

1 Die untersuchten alle meine Kassen, Goldvorräte und Rechnungsbücher. Was werden sie wohl gefunden haben?

2 (ironisch) Wir warten auf die Wahrheit.

3 Nun?

1 Sie mussten vor dem Herzog und mir zerknirscht eingestehen, dass sie nicht die geringste Unregelmäßigkeit gefunden hatten.

2 (haut auf den Tisch) Faule Saubande.

1 Von wegen, es waren die einzigen Wirtschaftsfachleute in der Regierung, die meisten anderen Räte verstehen nur etwas von Wortklaubereien in den alten Vorrechten der Landstände. Das sind Papierräte, keine Regierungsräte.

3 Schade, ein Chance verpasst.

1 Später haben dieselben Herren erneut geschrieen, ich betriebe erneut Münzfälschung. Diesmal befahl der Herzog ihnen, sofort alle Papiere zu untersuchen. Aber wehe, brüllte er - Sie wissen wohl nicht, wie der schlachtenerprobte österreichische General des Prinzen Eugen brüllen konnte - Wehe, wenn ihr meinen treuen Münzpächter Süß Oppenheimer wieder verleumdet habt.

2 (schleimig, vorsichtiger) Und was kam heraus?

1 (voll Genugtuung) Wieder nichts. Keine Fälschung. Der Herzog hat die Geheimräte zum Teufel gejagt und verflucht und ihnen verboten, ihm mit diesen Lügengebäuden noch einmal die Zeit zu stehlen.

Süß-Theaterstück Worms 2011, die Bühne vor dem Chor des Doms

2 Ach was, lassen wir dieses untaugliche Thema, da ist dem Jud Süß nicht beizukommen. Lieber Kollege, ich hab dir ja immer gesagt, beim Geld wirft man keinen Juden um, diese Kerle sind mit allen Wassern gewaschen.

3 (hinterhältig) Ist er nicht, wie es allgemein am Hof und im Land heißt, aus Mannheim nach Stuttgart gekommen als ein armer Handelsjud, nicht viel betuchter als ein Hausierhändler mit der Krake auf dem Rücken?

1 Solchen Unsinn hab’ ich in Stuttgart nie gehört, hier spricht eine trübe Quelle. Ich hatte in Mannheim über viele Jahre das Stempelpapier des Kurfürsten gepachtet und die Gebühren eingenommen. Am Ende erzielte ich durch den Verkauf meines Geschäftes 9.000 Gulden. Ich leitete meine Firma mit einem Dutzend Beschäftigten, die auch in meinem Haushalt lebten. Jährlich gab ich für den Unterhalt aller über 1.000 Gulden aus. Da kann man nicht von Armut reden. Für 1.000 Gulden kann man in Mannheim ein ordentliches Haus bauen. Der württembergische Herzog wusste, dass ich schon in Mannheim ein großer Geschäftsmann war und jederzeit Zugang zum kurpfälzischen Hof hatte.

2 (drohend) Ich glaub’, wir müssen einmal ganz andere Saiten aufziehen. Jetzt geht es um Majestätsverbrechen, sogar Hochverrat. Das wird ihm gewiss den Kopf kosten, dafür werden wir sorgen. Nur wenn er irgendetwas gesteht, auch bloß eine Kleinigkeit, kann er seinen Kopf noch aus der Schlinge ziehen. - Hat er nicht mehrmals sich geweigert, auf einen Befehl des gnädigsten Herzogs sofort bei Hof zu erscheinen?

1 Ich verlang’ eine präzise Beschuldigung. Allgemeine Redensarten, womöglich ein Gerücht, haben in einem Prozess auf Leben und Tod nichts zu suchen.

2 Ging es da nicht um Juwelen, die er dem Herzog andrehen wollte? Wertloses Zeug bei sündhaft überteuerten Preisen?

1 Ich seh’ schon, wie immer wissen Sie nichts Genaues. Ihre Untersuchung steht überall auf wackligen Beinen, wenn man die Gerüchteküche am Hof überhaupt für Beine halten will. – Ich entsinne mich mit Vergnügen, dass der Herzog beim Juwelenkauf am heftigsten aufbrauste, dieses Geschäft hat ihn am meisten gefallen, da wurde er richtig übermütig, war immer bester Laune. Wenn er mich beim Preis drücken wollte, verfiel er in seinen geliebten österreichischen Dialekt und wurde lauter und derber. Er hatte seit seinem zehnten Lebenslager im kaiserlichen Heerlager in Wien gelebt, unter groben Soldaten, das prägt.

3 Lügner, er wird doch nicht behaupten wollen, dass unser schwäbischer Landesherr österreichisch sprach? Das war ein waschechter Schwabe.

1 (nachsichtig) Schauen Sie her, meine Herren Richter: Wie wenig Sie sich am Hof auskennen, beweisen Sie mit diesem Irrtum. Haben Sie je mit dem Herzog gesprochen?

3 Wie sollten wir? Er hat ja nie unsere Amtsstuben besucht, unter uns ging sein Spruch um, er könne drei Dinge nicht leiden: keifige Weiber, impotente Männer und Zimmer angefüllt mit amtlichen Papiergebirgen.

1 Er wollte mir für einen besonders großen und reinen Diamant nicht, wie ich verlangen musste, 5.000 Gulden zahlen, sondern nur 2.000, das war nicht einmal der Einkaufspreis.

2 (hinterhältig) Und was tat er?

1 Als der Herzog mich anbrüllte, das sei sein letztes Gebot, er werde mich schon noch an den Galgen bringen, wenn ich ihm das letzte Geld aus der Tasche ziehen sollte.

2+3 (rufen hocherfreut) Bravo bravo.

1 Darauf ging ich sofort ohne Abschied zur Tür, verneigte mich artig und verließ den Raum, ohne noch ein Wort zu sagen.

2 (auftrumpfend) Genau, jetzt haben wir ihn. Das war ein klares Majestätsverbrechen. (springt auf) Darauf steht der Galgen.

1 Sie irren sich, ich war nicht der Diener des Herzogs, auch nicht sein Soldat oder gar Sklave. Ich war nach Stuttgart gekommen als freier Geschäftsmann, Bürger aus Heidelberg, nicht Württemberger. Wenn mich jemand im freien Juwelenhandel beleidigt und tödlich angreift, verlass’ ich als freier Mensch den Raum. - Dazu könnten wir einmal die kaiserlichen Räte in Wien oder in Wetzlar fragen.

3 (lospolternd) Wenn er nicht die geringste Kleinigkeit gesteht, werden wir ganz andere Mittel anwenden. Unsere Macht ist nicht am Ende, wir haben eine schöne Palette von Hilfsmitteln für die Befragung eines Delinquenten.

1 Ich weiß, man will mich mit der Folter zur Verzweiflung treiben. Unter allen zivilisierten Staaten wird sie vor allem in Württemberg noch hochgeschätzt. Aber die Folter ist eine Schande für jede Justiz, für die Humanität überhaupt. Deshalb verlang’ ich erneut einen Verteidiger meiner Wahl, einen unabhängigen Mann, nie und nimmer einen Württemberger. Denn in diesem Land wird das Recht gebeugt, sobald man einem Juden sein Vermögen rauben will.

2 Maul halten, wir wollen das nicht mehr hören. Immer dieselbe Leier.

1 Ich appellier’ an den Kaiser in Wien, den Schutzherrn aller Juden im Reich. Ich appellier’ an das Reichskammergericht in Wetzlar. Ich beantrag’, dass der Reichsmünzdirektor von Wien meine Münzakten untersucht. Ich verlang’ ein Gericht, das nur aus integren Rechtsgelehrten der Freien Reichsstädte zusammengesetzt ist, ohne einen einzigen Württemberger.

2 Wenn er sich je an kaiserliche Behörden wendet, werden wir gegen ihn sofort zu den härtesten Maßnahmen schreiten, dann kann er brüllen, solang’ er will. Die Mauern dieser Festung sind dick.

 

3. SZENE:
RÜCKBESINNUNG AUF DIE JÜDISCHEN WURZELN

4 Die Chronisten des Landes wurden nun schweigsam. Was hinter den Gefängnismauern geschah, erfuhren sie nie – und sie wollten es auch nicht wissen. Aber die umfangreichen Akten bezeugen, dass der Angeklagte der Folter unterworfen wurde. Er wurde kreuzweis’ geschlossen, wie es hieß. Seinen rechten Arm fesselte man möglichst knapp an den rechten Fuß. Süß konnte kaum mehr aufrecht gehen, nachts nicht mehr entspannt schlafen. Wenn er weiterhin nichts Belastendes zugeben würde, drohte man ihm, auch noch die linke Seite anzuschließen, danach über Kreuz. Das musste zu Kreuzschmerzen führen. –

Süß änderte seine Taktik. Er versprach, etwas zu gestehen - und erging sich nur in Bagatellen, aber wortreich. Er aß schon lange nicht mehr, was man ihm vorsetzte. Er rechnete mit Vergiftung, an barocken Höfen durchaus üblich und bei einem Juden leicht zu rechtfertigen. Um das Essen kontrollieren zu können, verlangte Süß einen jüdischen Koch und nur noch koschere Speisen.

Er aß immer weniger und glitt in einen schleichenden Hungerstreik hinüber, für die letzten sieben Monate seines Lebens. Je mehr er an Gewicht verlor, desto stärker wurde seine seelische Kraft, er gewann sie aus der Rückkehr zur Religion seiner Vorfahren.

Er war stolz darauf, dass seine Mutter die Tochter des berühmten Kantors der Frankfurter Synagoge war. Er stützte sich auf eine Sphäre, wo ihn die brachiale Justiz nicht angreifen konnte, auf sein Inneres. Dem Herzog hatte er einmal sein besonderes Glaubensbekenntnis anvertraut.

1 Meine Religion mit meinen wichtigsten Grundsätzen lautet: Ich fürchte und liebe den höchsten Beherrscher des Himmels und der Erde, ich verehre Eure Hochfürstliche Durchlaucht mit untertänigster Treue und Devotion. Und ich diene meinem Nächsten gerne, ohne auf Geld und Gut zu sehen. Das alles zusammen halte ich für die sicherste und beste Religion.

4 Das war ein Bekenntnis zu einer aufgeklärten Religion der Humanität, wie sie im stocklutherischen Württemberg unverstanden bleiben musste. Unter dem terrorartigen Druck in der Haft ging Süß weiter, er bekannte sich offen und unbeugsam zum Judentum.

3 Warum tut er denn auf einmal so sehr als Jude? Seine Religion war ihm doch bisher gleichgültig?

1 Sie irren, nur war ich Geschäftsmann genug, um meine Religion nicht aus dem Fenster zu hängen, sie ist keine Fahne. Und wie es in meinem Innersten aussieht, geht keinen Herrscher der Welt etwas an.

2 Glaubt er? Dann kennt er Württemberg nicht. Wir sind ein lutherisches Land, wer nicht unser Bekenntnis hat und Sonntags nicht regelmäßig in die Kirche geht und zur Beichte und zum Abendmahl, der wird aus dem Land gejagt. Gleichgültig ob er reformiert oder Katholik oder Jud ist.

1 Außer beim Herzog, der darf Katholik sein.

2 Das ist eine hässliche Ausnahme, der neue Herzog war schon lange vorher übergetreten, am kaiserlichen Hof in Wien, aber wir werden uns mit einem Katholiken nie abfinden.

1 So haben Sie wirklich noch nichts gehört von der neuen Idee der Aufklärung, dass in Sachen Religion jedes Land tolerant sein sollte – zu seinem eigenen Nutzen?

2 So eine Idee ist Hochverrat, wer sie propagiert, kommt genauso auf den Hohenasperg.

1 Ich hab’ genügend erlebt, was der Geist der Intoleranz in diesem Land anrichtet.

2 Nenn er uns ein Beispiel, wo er doch sonst immer genaue Angaben haben will.

1 Als ich Geheimer Finanzrat war, kam eines Tages ein Hilferuf vom Graf von Berlichingen zu mir: ein erbarmungswürdiges Bittgesuch, zum Heulen. Der Vogt der württembergischen Stadt Künzelsau hatte den jüdischen Hausierhändler Mayer von Berlichingen überfallen, entführt und ohne rechtliches Verfahren ins Gefängnis geworfen.

Dort blieb der arme Jude lang’ auf der Folter. Der Vogt war in der Gegend als besonders brutal bekannt. Angeblich hatte der Jude eine Schuld nicht bezahlt. Um diese von ihm zu erpressen, unterwarf der Vogt ihn den schlimmsten Folterungen. Die ganze Haft dauerte über anderthalb Jahre. Können Sie sich das Ergebnis vorstellen?

2 Nein, ist mir auch egal, der Vogt kann machen, was er will, dazu ist er württembergischer Beamter. Folter ist landesweit erlaubt.

1 Diese Gleichgültigkeit passt zu Ihrer Rechtsvorstellung.

3 Nehm er seine unverschämte Zunge in Acht, sonst probieren wir auch an ihm die Folter aus, ganz legal.

1 Ich weiß, das ist die letzte Hoffnung jedes württembergischen Richters. In diesem Land wäre es höchste Zeit für die Aufklärung.

2 So etwas Unchristliches und Unanständiges wird bei uns nie Platz greifen. Davor mögen uns die christliche Religion und der Geist Luthers schützen.

1 Da ist mir mein jüdischer Glaube lieber, ihr braucht mich gar nicht mit Bekehrungsversuchen zu belästigen. – Also, die arme Frau dieses Gefolterten starb, als ihr Mann noch in Haft war, Sorge und Krankheit und Hunger brachten sie um. Als ihr Mann endlich von Württemberg nach Hause entlassen wurde, konnte er nicht mehr gehen. Mitleidende Nachbarn mussten ihn auf einen Bauernwagen laden und heimfahren. Die hilflosen Kinder bekamen einen Vater zurück, der nicht einmal mehr, wie es die Armen sonst tun, an den Türen anderer anklopfen und um ein Stück Brot betteln konnte. - Was glauben Sie, was dann passierte?

2 Er wiederholt sich, das Ganze interessiert mich nicht.

1 Der Graf von Berlichingen wandte sich nach Württemberg. Keine Antwort. Er wollte den Gewalttäter verklagen. Wo? Es gibt dafür kein Gericht, jeder Landesherr kann tun, was er will, auch im Bösen. So schrieb der Krüppel ein Bittgesuch an mich, ob ich etwas für ihn tun könnte. Und nun beschuldigt mich die württembergische Justiz, ich sei im Land allmächtig gewesen und hätte die ganze Regierung und Justiz beherrscht. Wissen Sie, was ich getan hätte, wenn ich diese Macht besessen hätte?

2 (gähnt) Ist mir auch egal.

1 Ich hätte den Vogt für den Unterhalt der ruinierten Familie zahlen lassen, lebenslang.

2 Mehr nicht? Keine Rache?

1 Wir Juden sind entgegen dem, was die Christen über uns sagen, nicht rachsüchtig. Wir glauben oder hoffen, dass Gott für seine Geschöpfe selbst handeln wird. Und wenn nicht, dann stellt sich dieser desinteressierte Gott kein gutes Zeugnis aus.

3 Er redet ja bald wie ein Gottesleugner?

1 Ich hab’ öfters für verhaftete jüdische Geschäftskollegen gesorgt. Wenn einer von uns im Gefängnis landet, damit irgendwelche Gelder von ihm erpresst werden können, ist am Schluss alles vernichtet: zuerst die Gesundheit, dann das Leben – und der angebliche Gläubiger sieht erst recht kein Geld, ein toter Schuldner kann nicht mehr zahlen. Auf diesem zweifelhaften Rechtsweg gibt es nur Witwen und Waisen.

2 Aber abgesehen von Geldstreitigkeiten hat er sich doch sonst nie um seine Religion gekümmert? Hat er nicht jede Menge Weiber gehabt?

1 Gehen auch Liebesdinge das Gericht etwas an? Ich schau’ doch auch nicht in den Betten der Christen nach, da wird es ja nicht immer langweilig zugehen.

2 Frecher Hurenbold, man sollte ihn auch mal da unten herum foltern, damit es eine Ruhe gibt. (lacht zynisch)

1 Ohne es an die Glocke des Hoftratsches zu hängen, hab’ ich den Todestag meines Vaters immer in Ehren gehalten. Dann hab’ ich, wie es bei orthodoxen Jude üblich ist, die Gebetsriemen angelegt, in aller Frühe, und die vorgeschriebenen Gebete gesprochen, ohne etwas zu essen. - Wo auch immer ich einen Juden gequält, ungerecht behandelt sah, hab’ ich ihm unter die Arme gegriffen. Mein heiligster Grundsatz war: Jeder anständige Mensch hat ein Herz für die Bedrängten, nicht nur ein Jude. Wissen die Herren, woran man in Stuttgart am stärksten sah, dass ich ein Herz für die Bedrängten hatte?

3 Er war dafür bekannt, dass er die jungen Damen, die bei ihm um eine Gunst für ihre Familien baten, gerne „bedrängte“, gerne betatsche und an sich drückte.

1 Ich versteh’, dass Ihnen der Sinn am meisten danach steht, aber mir war es ernst mit den vielen Ungerechtigkeiten am Hof. Wenn ich Zeit hatte, hielt ich Audienz. Können Sie sich denken, wie es da in meinem Palais in Stuttgart aussah?

2 Lauter vollbusige Damen scharten sich um ihn, er ist für seinen Geschmack bekannt.

1 Ich hab in diesem Fall die Personen nicht angeschaut. Im Handumdrehen wartete im Flur meines Palais eine lange Schlange darauf, mir ihr Anliegen vortragen zu können.

2 (hämisch) Er wollte ja nur daran verdienen.

1 Wer so spricht, tut mir leid für seine Unempfindlichkeit gegenüber der Not anderer. Ich erfuhr viel schlimme Fälle von Willkürherrschaft und konnte meistens doch nicht viel tun.

3 Das wollen wir auch hoffen. Die württembergischen Behörden arbeiten ohne Fehl und Tadel, das wissen wir selber. – Wie er jetzt sieht, wird er unserer Justiz nicht mehr entkommen. Was kann er da noch für sich hoffen, wo er jetzt selbst zu den Bedrängten gehört?

1 Meine Hoffnung zielt nur noch darauf, aus der Haft entlassen zu werden, damit ich meine ruinierte Gesundheit pflegen und mein Leben in Ruhe beenden kann. Dazu möchte ich nach Freudenthal bei Brackenheim entlassen werden, wo es eine rührige Gemeinde mit Synagoge, Rabbiner und Friedhof gibt. Und ich möchte dereinst nach dem Ritus meines Glaubens beerdigt werden.

 

4. SZENE:
IN DER TODESZELLE

4 Die Richter hatten von Anfang an ein leichtes Spiel mit Joseph Süß Oppenheimer erwartet: nur wenige Wochen und wenige Fragen. Daraus wurde ein zähes Ringen, denn der herzogliche Finanzberater wehrte sich geschickt, mit glänzendem Gedächtnis und hoher Intelligenz. Er war seinen Gegnern haushoch überlegen – was sie ihm nie verziehen.

Am Ende dauerte das Geheimverfahren noch geschlagene sieben Monate und brachte ein Meer von Fragen mit sich, 1.075 Fragen, deren Beantwortung im erhaltenen Protokollbuch 1.365 Seiten ausmacht. Acht Tage vor der Hinrichtung transportierte man den Gefangenen nach Stuttgart, ins Herrenhaus auf dem Marktplatz. Dort pflegte man die Todeskandidaten bis zur Hinrichtung festzuhalten.

*****

5 Jud, steh auf, hier kommt David Bernard, ein ehemaliger Rabbiner aus Polen. Der war gescheiter als du, der hat beizeiten das Judentum verlassen und ist zur Landesreligion übergetreten, als er dafür noch etwas bezahlt bekam.

6 Guten Tag, mein verehrter Herr Süß, was sollen denn diese beiden Schildwachen in Ihrer Zelle?

1 Die sind Tag und Nacht um mich. Sie müssen stündlich einen Wachbericht schreiben und den Richtern einschicken, damit die genau wissen, was ich sage, was ich plane, ob ich mich möglicherweise mit kabbalistischen Zaubersprüchen aus der Haft entfernen will.

6 (entsetzt) Er sieht ja furchtbar aus. Sind Sie es überhaupt, der einst so berühmte, glänzende und überall hoch angesehene Geheime Finanzrat? Die Perle der Geldbörse in Frankfurt. Es ist schier unglaublich, wie ein Mensch so elend herunterkommen kann.

Von Ihnen ist nichts mehr übrig als ein schwebender Totenkörper, der nächstens völlig zerfallen wird. Ihr Gesicht: Schmerzen und Ängste statt der Würmer haben Ihnen das Fleisch abgenagt. Das unkenntliche Angesicht wird noch abscheulicher, weil es mit einem dicht schwarzen Bart wie ein Totenkopf von Moos umwachsen ist.

Ihre Augen waren einst so munter, Herr Süß, jetzt sind es nur noch zwei ausgelöschte Kerzen. Irgendwelche Bewegung des Inneren kann ich in ihnen nicht mehr ablesen. Diese elende Kleidung: Die stumpfen Haare auf dem Kopf bedeckt mit einer grünen Kappe, der Hals mit einem seidenen Schnupftuch umwunden.

Am übrigen Leib ein kurzes, weites Überkleid, das in der langen Zeit Ihrer Gefangenschaft mit Ihnen selbst zuschanden geworden ist. So sieht kein Mensch aus, Sie sind in Wirklichkeit ein Sklave, der nach einer harten Dienstzeit endlich freikommen soll, aber die Anzeichen seines vorigen Elends noch an sich herumträgt, damit Mitleid erweckt werden kann.

1 Mach er sich keine Mühe um das Mitleid der Christen. Davon erwarte ich schon lange nichts mehr. Die Württemberger werden mich elend umlegen, wie einen räudigen Hund. Nach der Leidenszeit von elf Monaten will ich nur noch wissen, wie man mich umbringt. Ich höre schon den ganzen Tag zahllose Wagen von auswärts über den Marktplatz fahren, alle wollen zu meiner Hinrichtung kommen. Ich muss die Neugier vieler das schönste Schauspiel abgeben. Ein Jud soll noch im Tod die Christen unterhalten.

6 Mein lieber Herr Süß, trösten Sie sich damit, dass Gott auch Ihr Schicksal vorausbestimmt hat.

1 Ich pfeife auf den mordsüchtigen Christengott, das ist nicht meiner.

6 Sie haben wenigstens die Genugtuung, dass sie als Kadosch sterben, als Heiliger, als jüdischer Märtyrer.

1 Ein schlechter Trost. Was ich noch mehr fürchte, ist, dass bei der religiös verbrämten Ermordung eines Juden hinterher ein Pogrom ausbricht. Die Christen fühlen sich aufgestachelt, es den Juden für deren angebliche Schuld bei der Hinrichtung Jesu heimzuzahlen. Und man wird unsere Wohnungen ausplündern, denn darum geht es den christlichen Seelen hauptsächlich. Ich bitte Sie, David Bernard, meinen Glaubensgenossen überall in Deutschland zu sagen, ich werde sterben mit dem jüdischen Glaubensbekenntnis auf den Lippen: Schma Jisrael, Adonai Elohenu, Adonai Echad. Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist der Einzige Gott.

*****

4 An Süß’ letzten Lebenstagen bedrängten evangelische Geistliche mehrfach und langwierig Süß in der Todeszelle, er solle sich dem christlichen Glauben unterwerfen. Es waren engherzige Pietisten, wie sie sich in der Landeskultur durchzusetzen begannen. –

Süß isst schon seit mehreren Tagen nichts mehr, er trinkt viel Wasser aus einer Kanne. Nachts schläft er nur stundenweise, dazwischen betet er in einem jüdischen Gebetsbuch. Er legt ein jüdisches Sündenbekenntnis ab und fühlt sich danach mit seinem Gott versöhnt, er hat seine seelische Sicherheit als Opfer christlicher Gewaltherrschaft gefunden. Er merkt sich genau die Uhrzeit dieser Erkenntnis: 3 Uhr. Morgens legt er um 5 Uhr die Gebetsriemen an und betet die Zehn Gebote. Als ein Vikar ihn hart bedrängt, zur Religion der Mörder überzutreten, bekennt er sich als Märtyrer seiner Religion.

1 Ich will nichts mehr hören von Ihrer Religion. Ich trage viel Theologie in meinem Leib, ich hab’ zahlreiche evangelische und katholische Bücher gegen uns Juden gelesen und meine Bibel dagegengehalten. Ich weiß, was ich zu glauben habe. Ich will ungestört bei meinem Glauben bleiben. Ich bin unschuldig. Ich bitte, von mir abzulassen, ich kann und will Sie nicht anhören. Ich wünsche, leben und sterben zu dürfen auf den Glauben Abrahams, Isaacs und Jacobs, was auch der Glaube meiner Vorfahren gewesen ist.

6 Als verordneter Geistlicher der evangelischen Landeskirche muss ich Sie auf Ihre schweren Sünden gegen Gott und das Land Württemberg hinweisen. Wenn Sie keine Buße tun, wird Gott Sie in die ewige Verdammnis schicken.

1 Ich sprech’ Ihnen jedes Recht ab, mir Sünden vorzuhalten. Von meinem Prozess verstehen Sie kein einziges Wort. Sie brauchen mich nicht nach Sünden auszuhorchen. Heute Nacht um 3 Uhr wurde ich mit Gott versöhnt, ich kasteie mich und halte ständig Fasttage. Ich weiß nun, dass ich selig sterbe, Gott wird mein Blut rächen.

*****

4 Als der Geistliche den Wunsch des Sterbenden nicht respektiert, legt Süß sich aufs Bett und wickelt seinen Kopf in ein Tuch ein, um nichts hören zu müssen. Der Kampf geht stundenlang weiter, Süß lässt sich nicht umwerfen.

 

5. Szene:
HINRICHTUNG

4 Am Morgen des Hinrichtungstags kündigt das Armsünderglöckchen auf dem Herrenhaus den Bürgern mit, dass der Jude jetzt zum Tod verurteilt wird. Die Stadt ist im Ausnahmezustand. 1.800 Soldaten halten den Marktplatz und die Hinrichtungsstätte besetzt, weitere 600 warten in einer Kaserne als Reserve.

Der Totgeweihte wird gefesselt vor die Richter geführt. Durch zwei Stuttgarter Juden hat er sich eine Abschrift der Zehn Gebote besorgt und mit einem schwarzen Tuch an seine Stirne gebunden: Bekenntnis eines orthodoxen Juden. Süß fällt beim Betreten des Gerichtssaals auf die Knie und bittet um Gnade. Als er gegen das Todesurteil Protest einlegt, wie es erlaubt ist, will der Scharfrichter ihm den Mund zuhalten. Süß gibt ihm eine Ohrfeige und ruft:

1 Lass mich gehen, ich wehre mich meines Lebens.

4 Das Todesurteil ist viel zu summarisch gehalten, es nennt keine einzige Straftat. Das ist einer der vielen schweren Rechtsverstöße. Aber um das geltende Rechte ging es ja schon von Anfang an nicht. Der Vorsitzende zerbricht ein dünnes, weißes Stäbchen in drei Teile und wirft sie dem Verurteilten vor die Füße.

Süß gibt sich nicht auf, er erklärt sich erneut für unschuldig, ruft nach Rache gegen seine Richter und verflucht sie. Süß wird zur letzten Mahlzeit in die Todeszelle zurückgebracht, er rührt nichts an. Als zwei Pfarrer ihn bedrängen, schleudert er ihnen unaufhaltsam sein Glaubensbekenntnis Schma Jisrael entgegen.

Süß wird auf den Marktplatz hinausgeführt und auf einen Wagen gesetzt, mit dem man totes Vieh auf den Schindanger fuhr. Es geht aus der Stadt zum Galgenberg hinaus. Tausende folgen dem Spektakel. Vor 12.000 Zuschauern wird Süß von vier Henkersknechten die zehn Meter hohe Galgenleiter hochgezogen, oben erwürgt und in ein Käfig eingeschlossen.

Einige Tage später verfasst der Schächter Salomo auf den letzten Wunsch von Süß eine hebräische Gedenkschrift. Er teilt allen jüdischen Gemeinden Deutschland den Märtyrertod mit.

*****

6 Der heilige Mann Joseph Süß, ein Sohn des Reb Isaschar Süßkind Oppenheim, seligen Gedächtnis, hat Buße getan mit ganzem Herzen über seine Missetaten. Es steht weder uns noch allen übrigen Kindern Israels zu, ihm Böses vorzuwerfen, bis zur Ankunft des Messias.

Er hat jede Woche zwei Tage und drei Tage nacheinander gefastet. Ich habe nicht Tinte und Feder genug, seinen Abschied von dieser Welt zu beschreiben, so dringt mir’s zu Herzen wegen der großen Bekümmernis. Er hat mich gebeten, nach seinem Tod zu schreiben an alle heiligen Versammlungen Israels, seiner reinen Seele ja nichts zum Schimpf oder zum Bösen nachzureden.

Er ist gestorben über der Heiligung des Namens des hochgelobten Gottes und hat sich immer gefürchtet vor einer künftigen Tötung der Kinder Israels, was Gott verhüten möge.

 

6. Szene:
ABGESANG

4 Die Stuttgarter Regierung wollte nie mehr den Namen des Toten hören oder lesen. Das blieb lange so, erst durch den Roman von Feuchtwanger wurde Süß wieder richtig bekannt. Aber noch immer hat sich nicht herumgesprochen, dass es sich um einen von Anfang an geplanten Justizmord handelte. Die Mühlen der historischen Erkenntnis mahlen bei solchen raffiniert getarnten Verbrechen am langsamsten.

Wir hörten am Anfang, Heidelberger und Mannheimer Juden hätten für Süß Klage am höchsten Gericht in Wetzlar eingereicht. Württemberg erreichte, dass die Dringlichkeit des Antrags verneint wurde. Sehr spät nahm sich dieses zweifelhafte Gericht doch noch die Klage vor.

Es wurde eine böse, grausame Verspottung jeder Justiz. Die Richter wogen ihr Urteil hin und her und lehnten am Ende die Befreiung von Joseph Süß ab. Er hing bereits seit über 14 Monaten am Galgen vor den Toren von Stuttgart.

Und dennoch besitzt dieser ungesühnte Justizmord eine Tür ins Offene, in die Zukunft. Das Württembergische Landrecht, das für das Verfahren respektiert werden musste, ahnte bereits, dass ein Urteil unter Verletzung des Prozessrechtes zustande kommen könnte, darunter unter falschen Zeugenaussagen – wie Süß sie erdulden musste.

Für diesen Fall sah das württembergische Recht ausdrücklich vor, dass dieses Urteil null und nichtig sei. Dieser Erkenntnis müsste eines Tages eine Tat folgen: Das vom württembergischen Staat gestohlene Vermögen des Joseph Süß Oppenheimer ist ohne Wenn und Aber zurückzugeben.

ENDE
(2010)

 

(Notiz des Autors)
Das Stück wurde 2010 von Dieter Wedel bestellt als Vorbereitung und Einstimmung in das Wormser Theaterstück über Joseph Süß Oppenheimer 2011. Daraus machte ich auf Wunsch eine kürzere Fassung, die mit verschiedenen Schauspielern im Sommer als szenische Lesung aufgeführt wurde. Teile des ersten Verhörs auf dem Hohenneuffen (oft wörtlich nach dem von mir gefundenen Verhörprotokoll) haben sich in die fünfte, die letzte Fassung des Stücks von Joshua Sobol und Dieter Wedel gerettet. Hier nun die komplette Erstfassung meines szenischen Theater.

Hellmut G. Haasis
Juli 2011

 


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