HELLMUT G. HAASIS
Joseph Süß Oppenheimer genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer. Rowohlt 1998, Taschenbuch 2001.
Verscharrung des Skeletts von Joseph Süß Oppenheimer in Stuttgart 1744, sechs Jahre nach der Ermordung auf dem Galgenbuckel beim Pragfriedhof. Federzeichnung von Jona Mach, 1993, geplant für das Buch Hellmut G. Haasis: Joseph Süß Oppenheimers Rache, 1994. Das Blatt wurde vom Verleger ausgeschieden, jetzt im Besitz von Hellmut G. Haasis.
(Rezension 1 bei Amazon)
„Erstes umfassendes Werk zum Thema“ 25. April 2002
von HYPERLINK "http://www.amazon.de/gp/pdp/profile/AAI2BFM3CMFAJ/ref=cm_cr_dp_pdp" Duchamp "rroseselavy"
JOSEPH SÜSS OPPENHEIMER, genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer
Im Stuttgarter Staatsarchiv stehen sie, die gesamten Prozeßakten gegen Oppenheimer, meterweise "Büschel", also lose Blättersammlungen. In heute kaum mehr zu entziffernder, schneller Handschrift der Protokollanten. Wer hat sie bisher gelesen? Kaum jemand, das zeigen die Leselisten des Archivs.
Haasis hat sich durchgearbeitet und erstaunliche Details zutage gefördert. Und er vermag sie einzuflechten in einen nachvollziehbaren Fluss damaliger Ereignisse und Umstände.
Natürlich sind die Verwicklungen der Zeit teilweise wie dichtes Gestrüpp. Münzprägung, Lotteriewesen, Position der württembergischen Landstände –
Haasis bemüht sich, Licht ins Dunkel zu bringen, dennoch bleibt das Ganze streckenweise schwer zu lesen.
Na und? Schließlich besser, als alles soweit zu vereinfachen, dass es sachlich falsch wird.
Wen das Thema interessiert, der (oder sie) kommt an diesem Buch nicht vorbei. Es ist tatsächlich das erste und bislang einzige Buch (und ich habe lange in Bibliotheken gewühlt!), das vermag, einen Blick auf den Menschen Oppenheimer zu werfen sowie die ganze Ungeheuerlichkeit - und nichts anderes war der Prozeß - aufzudecken und darzulegen.
Dass dem politischen Historiker Haasis dabei die ein oder andere Polemik unterläuft, ist nur allzu verständlich. Auch ein historisches Buch ist ein Produkt seiner Zeit. Sehr positiv die exakten Quellenangaben, die in vielen populärwissenschaftlichen Werken heutzutage fehlen.
Alles in allem ein unentbehrliches Buch für alle an Oppenheimer oder Deutscher Geschichte Interessierten!
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(Rezension 2 bei Amazon)
Joseph Süß Oppenheimer - eine ARBEITSINTENSIVE BIOGRAFIE, 16. Februar 2011
von HYPERLINK "http://www.amazon.de/gp/pdp/profile/A39I1YKVNHMKVL/ref=cm_cr_dp_pdp" Katharina Becker
Bereits im ersten Kapitel "Ursprünge im Nebel" beschränkt Hellmut G. Haasis seine Biografie auf "Zeitabschnitte, Tätigkeiten und Orte" im Leben des Joseph Süß Oppenheimer, zu denen "sichere und ausreichende Quellen" vorliegen.
Die Quellennachweise werden ab Seite 453ff für die einzelnen Kapitel genannt und lassen nur vermuten, wie a r b e i t s i n t e n s i v die Recherche zu diesem Buch gewesen sein muss. Die Zitate aus den Quellen im Text verleihen dem Buch Authenzität.
Hellmut G. Haasis hat Joseph Süß Oppenheimer als intelligenten, kreativen und äußerst pragmatischen Menschen der Finanzbranche (18. Jahrhundert) beschrieben. Als jemanden, der politische Kontakte suchte und zu nutzen wusste. Der Niederlagen und Herausforderungen annehmen konnte. Und als assimilierten Juden, für den die Religion in der Gefangenschaft lebenswichtig wurde. Ein wenig befremdlich wirken - aus heutiger Sicht - Joseph Süß Oppenheimers Kontakte zu Frauen...
Erklärung Haasis:
„Aus heutiger Sicht“ – ich hab Süß’ Beziehungen zu Frauen so beschrieben, wie ich sie in den Akten überliefert bekam und für glaubhaft hielt. Mehrmals hat man mir geraten, dieses Kapitel lieber wegzulassen. Selma Stern hat in ihrer Biographie sich als Frau geweigert, den Frauen-Aspekt aufzugreifen. Eine Zeitgenossin, Landeshistorikerin, hat mir Details übel genommen, ich hätte SCHWEIGEN sollen.
Dazu ließ ich mich nicht verführen. Geschichte muss erforscht werden, wie sie wahr, nicht wie wir sie gerne lesen würden. Unangenehme Ereignisse zu verschweigen, rächt sich, man wird unglaubwürdig – und mit Häme von einem kleinen Schreiberling später überführt. Übrigens dürfen Frauen heute sicher sein, andere Männer waren damals eher noch übler als Süß.
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(Rezension 3 bei Amazon)
DETAILLIERTE BIOGRAPHIE des "Jud Süß", 15. November 1999
Der antisemitische Hetzfilm „Jud Süß" von Veit Harlan (1940) bildet wohl den unrühmlichen Höhepunkt der fast unüberschaubaren Zahl von verzerrten Berichten über Joseph Süß Oppenheimer, die seit dessen Hinrichtung 1738 veröffentlicht wurden. Gegen die Legendenbildung, die sofort nach dessen Tode begann, setzt Hellmut G. Haasis nun eine detaillierte und spannende Biographie des - so im Untertitel der Studie - Finanziers, Freidenkers und Justizopfers.
Der Autor zitiert aus seinen Quellenbeständen, vornehmlich Prozeßakten, sehr ausgiebig. So entsteht ein facettenreiches Bild des 1698 in Heidelberg geborenen Joseph Süß und seines Aufstiegs zum Finanzier und Berater des württembergischen Herzogs Karl Alexander.
Vor allem aber zeichnet Haasis sehr genau den Verlauf des geheimen Prozesses dar, der schließlich zum Todesurteil führte, und entlarvt dieses dabei als Justizskandal, als bewußt kalkulierten Mord, keineswegs als Justizirrtum. Joseph Süß Oppenheimer befand sich im Spannungsfeld der Konflikte zwischen dem katholischen Herzog und den evangelischen Landständen. Er war letzteren vor allem als die treibende Kraft der den traditionellen württembergischen Eliten so verhaßten, vom Herzog durchgesetzten, Modernisierung des Finanzwesens ein Dorn im Auge.
Dies gepaart mit antijüdischen Vorurteilen erzeugte jene Stimmung, die schließlich zur Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung des „Jud Süß" - so wurde er erstmals während seiner Haft genannt - führte. Am Todestag von Carl Alexander, dem 12. März 1737, wurde Oppenheimer ohne Haftbefehl festgenommen; einer der unzähligen Rechtsbrüche, die Haasis nachweisen kann.
Es folgten rechtswillkürliche Akte wie die verfrühte Beschlagnahmung seines Vermögens, die Verweigerung der freien Verteidigerwahl, die Zusammensetzung des keineswegs neutralen Gerichts, usw.
Insgesamt fällt der Autor ein vernichtendes Urteil über den Prozeß: „Der ganze Prozeß war eine Farce. Es ging nie darum, die Sachverhalte aufzuklären und sie rechtlich zu würdigen. Schon Mitte 1737 stand das Todesurteil fest."
(Dies ist eine Amazon.de an der Uni-Studentenrezension.)
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(Rezension 4 bei Amazon)
EIN BESSERWISSER NERVT, 13. September 1999
Da hat sich nun einer in Kreuzzugsmanier aufgemacht, um die bislang verdrängte Geschichte eines Juden in Deutschland neu zu schreiben. Vorgebend, daß sich bislang noch niemand ernsthaft mit der Gestalt von Süss Oppenheimer, später bekannt als „Jud Süss" beschäftigt habe, und wenn, dann nur in einseitiger Art und Weise, legt Haasis seine Biographie über den Mann vor, die objektiv sein soll und die Geschichte dieses Mannes, der im 18. Jahrhundert Opfer eines Justizmordes wurde, neu zu schreiben.
Dies mißlingt beinahe in jeder Hinsicht. Haasis zeigt sich letztlich unfähig, sich in die komplizierte Welt des kleinen pietistischen Herzogtums Württemberg hineinzudenken, zu dessen Spitze sich Oppenheimer unter der Protektion des Herzogs Karl Alexander emporarbeitet.
Oppenheimer wird im hellsten Licht beschrieben, seine Umgebung, die später sein Mörder wird, von Anfang an im dunkelsten. Der nervend belehrende Ton, moralisierend bis zum Exzess (!) verleitet (!) die Lektüre dieses Buches.
Haasis will nicht erkennen, daß die vor allem ständische Opposition in Württemberg gegen Oppenheimer sich nicht allein auf Judenhaß und Kleingeisterei reduzieren läßt - schließlich versucht Oppenheimer, den Staat für seinen Herzog in einen absolutistischen umzuwandeln.
Mit so wenig Sinn für die historische Situation hätte er besser die Finger von diesem Thema gelassen, das übrigens schon vor ihm bearbeitet wurde (auch wenn er dies leugnet). Die Aufmachung und die Werbung für dieses Buch sind hervorragend und so wird - leider - doch so mancher dieses Buch lesen und sich von dem ewig betroffenen (!) Haasis auf den Arm nehmen lassen.
Ich halte Lion Feuchtwangers „Jud Süss" zum Thema immer noch für besser, obwohl (!) es ein Roman ist - Feuchtwanger gibt dies wenigstens zu, während Haasis sich selbst als einzigen Wissenschaftler beschreibt, der Ahnung zum (gemeint ist: vom) Thema haben soll.
(Dies ist eine Amazon.de an der Uni-Studentenrezension.)
Erläuterung Haasis:
Ich schreib also in „KREUZZUGSMANIER“. Weiß der Kritiker überhaupt, was ein „Kreuzzug“ ist? Wo hab ich Juden und Muslime verbrannt? Wo Andersgläubige erschlagen? – Der Student droht, vor mir hätten schon andere, seiner Meinung nach wohl viele, wissenschaftlich nach den Quellen das Leben von Süß erforscht. „Vornehmerweise“ nennt er diese vielen Quellenarbeiten nicht. – Es gibt sie nicht. - Ich nahm mir vor, den kostbaren Platz nicht mit Kritiken der Vorläufer zu vergeuden, die keine oder fast keine Quelle benützt haben. Warum auch?
Den Höhepunkt seiner Position formuliert der Student forsch, ohne belastet zu sein von Quellenstudien:
„Haasis zeigt sich letztlich unfähig, sich in die komplizierte Welt des kleinen pietistischen Herzogtums Württemberg hineinzudenken, zu dessen Spitze sich Oppenheimer unter der Protektion des Herzogs Karl Alexander emporarbeitet.“
In den letzten 100 Jahren hat noch niemand geglaubt, den PIETISMUS IN DEN MITTELPUNKT des Süß-Prozesses stellen müssen. Wenn phantasievolle Kreativität alles mögliche erfinden darf, bleibt uns keine Verirrung erspart.
Süß an der Spitze des Herzogtums? Kaum zu glauben: Die ALTE NAZI-TRADITION lebt noch, wie sie im NS-Film von Veit Harlan „Jud Süß“ von 1940 ihren Höhepunkt erlebte – und noch heute uninformierte Zuschauer verwirrt.
Ich sei ein Besserwisser? Was ich in jahrelangen Arbeiten in den Quellen des Prozesses fand, lass ich mir nicht ausreden. Wer einen anderen Weg zur historischen Wahrheit kennt als den über die historischen Quellen, soll mir Vorschläge übermitteln.
Ein Roman sei besser als eine quellengesättigte, sehr detaillierte wissenschaftliche Biographie? Wir zwei reden offenbar von verschiedenen Dingen.
Süß habe bei der Herausarbeitung eines absolutistischen Staates mitgemacht? Ein alter Glaubenssatz altwürttembergischer Historiker, voran der Freunde der Landstände. Bis heute nicht bewiesen. „Absolutismus“ ist eine glaubensgetränkte, neu erfundene Kategorie der nach 1848 besiegten bürgerlichen Historiker. In der internationalen Geschichtsschreibung ist diese unbrauchbare Kategorie schon längst verschwunden, sie lebt nur noch in Deutschland.
Oppenheimer hätte ich „im hellsten Licht“ beschrieben? Es wäre nützlich gewesen, mein Buch langsam und genau zu lesen. Ich hab mich immer von einer schwarz-weiß-Beschreibung fern gehalten. Ich gebe zu, auch andere Kritiker behaupten, dass ich Süß von seinen vielen Verbrechen „rein gewaschen“ hätte. Bis heute warte ich auf die Beweisführung, welche Verbrechen Süß begangen haben soll. Selbst die Stuttgarter geheime Justiz war 1738 überfordert, diese Verbrechen zu nennen. Bei der Urteilsbegründung fielen alle detaillierten Vorwürfe in sich zusammen. Und da will ein Student, unbeleckt von Quellenforschung, 261 Jahre später genaueres von Süß’ Verbrechen wissen als die damaligen Richter? – Und nennt doch keinen einzigen Vorwurf.
Und warte ich weiter auf die Beweisführung, wie einst Süß. Und ich weiß, damit nerve ich wieder und bin „EIN BESSERWISSER“.
Der Rundumschlag dieser HASSTRIEFENDEN REZENSION stimmt mich richtig fröhlich.
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Jud Süß - Aufstieg und Fall
Hellmut G. Haasis: Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß
Financier, Freidenker, Justizopfer.
Eine Rezension von Siegfried Wollgast
In unserer scheinbar universell aufgearbeiteten Welt gibt es doch immer wieder noch nicht aufgearbeitete Bereiche. Zu J. Süß Oppenheimer gibt es z. B. zwar viel Literatur von „rechts bis links“, aber H. G. Haasis (geb. 1942) hat erstmalig die Stuttgarter Prozeßakten für die vorliegende Biographie vollständig ausgewertet. Zudem die bislang nicht beachteten Kurpfälzer Akten in Karlsruhe, den Nachlaß in Frankfurt und die Münzakten in Darmstadt.
Die flüssig geschriebene Biographie widmet sich gerade dem Menschen Süß Oppenheimer, erst nach Erwürgen (nicht Erhängen) am höchsten Galgen des deutschen Reiches 12 m über dem Erdboden am 4. Februar 1738 durchgängig als „Jud Süß“ verunglimpft.
Haasis schildert zunächst Familie, Geschwister und Jugend des im Februar bzw. März 1698 in Heidelberg Geborenen, und sein Umfeld. Beigegeben sind 12 Abbildungen, zumeist nach zeitgenössischen Stichen, drei Faksimile-Unterschriften sowie eine abgelichtete Seite aus dem letzten Brief des Delinquenten an seinen Verteidiger vom 5. 1. 1738.
Etwa ab 1722 wirkte J. Süß Oppenheimer in Mannheim. Hier stieg er „langsam vom Kleinhandel über alle möglichen Aufträge zum Pächter eines staatlichen Monopols auf“ (S. 51), des kurpfälzischen Steuerpapiers. Damit war er „nicht mehr der jüdische Händler, sondern eher ein autodidaktischer Verwaltungsexperte, der einen enormen Schriftverkehr mit ausgeklügelten Darstellungen zu bewältigen hatte“ (S. 61). Die Zahlungspflichtigen rebellierten und wandelten ihre Zahlungsunwilligkeit gegenüber dem Kurfürsten in Judenhaß um.
Dieser Judenhaß sollte Jud Süß auch in den Tod treiben. Leider ist dieser Gedanke bei Haasis nicht tragend, er wird vielfach nur einzelnen zugeschrieben. Wie ist es möglich, daß „plötzlich“ ein so ungeheurer Judenhaß in Württemberg tragbar wird, wie er sich am 20.3.1737 bei J. Süß Oppenheimers Verhaftung äußert (S. 320) oder bei seinem Transport zum Hinrichtungsort Stuttgart am 30.1.1738 (S. 415)?
Wie ist dieser Haß generell erklärbar? Material gibt es dazu wahrlich genug. Haasis grenzt sich von Instrumentalisierungen dieses Hasses, wie sie Veit Harlans NS-Film von 1940 bezeichnet, ebenso ab wie von diesem Haß selbst. Er schildert Oppenheimers Leben im Detail, zeigt dabei, daß ihn keine Schuld trifft. Doch eingebettet ist seine Schilderung höchstens in die regionalen Verhältnisse. Sie erklären aber nicht den ganzen Antisemitismus in Deutschland.
Ab 1732 pendelt Süß Oppenheimer zwischen Darmstadt, Frankfurt/Main und Württemberg. Zum Darmstädter Landgrafen Ernst Ludwig unterhält er seit 1730 Beziehungen und schlägt ihm die Münzherstellung vor. 1732 lernt er auch den designierten Württemberger Thronfolger kennen. Dieser, der Katholik Carl Alexander, besteigt am 16.12.1733 den Thron im völlig protestantischen Württemberg.
Süß Oppenheimer beeindruckt ihn und andere Auftraggeber durch seinen typischen Arbeitsstil, der durch „Unerschrockenheit, Selbstbewußtsein und Pragmatismus“ gekennzeichnet war (S. 33). Diese Eigenschaften, mit Erfolgen verbunden, trugen ihm auch viele Gegner ein. Ab 1733 wohnte Süß in Frankfurt, hier wurde er württembergischer Resident. Später wurde er als enger Vertrauter des Herzogs sogar u. a. „Geheimer Finanzrat“.
Es liest sich bei Haasis wirklich überzeugend, wie umfassende Geschäftsbeziehungen und finanztechnisches Geschick sich bei dem für seine Zeit mit modernen Methoden operierenden Süß Oppenheimer auch dahingehend auswirken, daß er als solider und ideenreicher Financier einer adligen Klientel erscheint.
Das Privatleben des Financiers kommt dabei nicht zu kurz: die Mutter, Frauen und Liebschaften, Heiratspläne, sein Verhältnis zu seiner christlichen Lebensgefährtin Luciana Fischer, seine Freigiebigkeit u. a.
Eigentlich ist der Prozeß das Kernstück, auf das der Autor hinsteuert. Als Herzog Carl Alex ander überraschend am 12.3.1737 stirbt, geht die geballte Wut dieses „evangelischen Kirchenstaates mit den Prälaten und den durch das ganze Land versippten Patriziern“ (S.105) auf J. Süß Oppenheimer nieder.
In Württemberg hatten der Herzog und die Landstände bzw. der Geheime Rat die Macht. Diese betrachteten jede geringste Änderung im Staate als Attentat auf ihre Rechte. Der patrizische Kastengeist, getränkt mit Judenfeindlichkeit, stellte sich gegen den jüdischen Financier Süß Oppenheimer, den wirtschaftlichen Berater des Herzogs. Man verschleppte Entscheidungen oder boykottierte sie, zur Empörung gerade auch des Herzogs. Gegen ihn und gerade auch gegen seinen Ratgeber Süß Oppenheimer kam es zur „konservativen Revolte“ (S. 300).
Nach dem Tode des Herzogs muß Süß Oppenheimer für die Entscheidungen des katholischen Herzogs im bigotten protestantischen und hochverschuldeten Württemberg büßen. Im Auftrage des (ungeliebten) katholischen Herzogs hatte er auch die Entwicklung zum modernen Finanzwesen vorangetrieben. Das störte die Herrschenden, die sich an den Herzog nicht herangetraut hatten.
Dabei hatte Süß Oppenheimer sich keineswegs an den Herzog bzw. seine Position in Württemberg geklammert, er wollte immer wieder weg: Er „war in Stuttgart ein Sklave in goldenen Ketten, kein freier Mensch“ (S. 189). Im Prozeß, der bis zum Hochverratsprozeß aufgebläht wird, kommt es zu 1365 Seiten Akten mit 1075 Fragen.
„Viele Fragen erscheinen regelrecht dumm. Zu Gericht sitzen Leute, die nichts von dem verstehen, worüber sie schon lange das Todesurteil gefällt haben ... Hier sitzt eine eitle gekränkte Bürokratie auf dem Richterstuhl gegen einen geistesgegenwärtigen Außenseiter, der argumentativ nicht zu Fall zu bringen ist.“ (S. 345)
J. Süß Oppenheimer bewahrte während des ganzen Prozesses eine sehr souveräne Haltung. Er gab nichts zu, weil nichts zuzugeben war. Stets verlangte er zu erfahren, was man ihm denn nun im einzelnen vorwerfe. Bis zu seinem Ende erhielt er dazu keine richtige Antwort. Er bekommt nur einen Pflichtverteidiger, der aber bewußt nichts für ihn tut. „Bis zu seinem Schluß fordert Süß ständig unparteiische Richter, einen landesfremden Rechtsbeistand und einen öffentlichen Prozeß. Sein Schicksal gewinnt prophetische Größe für eine unabhängige Rechtsprechung.“ (S. 372) –
Und: Bis 1918 blieben die Prozeßakten - dazu gehören 344 Fragen der Verteidigung und mehrere längere Erklärungen des Angeklagten, insgesamt 167 Seiten - Geheimmaterial, „ausgenommen für wenige obrigkeitstreue Historiker, die sich auf die Kunst der unterwürfigen Selbstbeschränkung verstanden“ (S. 381).
Süß Oppenheimers Verteidigungsschrift blieb vor Gericht ungelesen. Der ganze Geheimprozeß fand ohne den Angeklagten statt, dieser war auf der Festung Hohenneuffen bzw. auf der Festung Hohenasperg. Man konstruierte Vorwürfe bis hin zum Landesverrat und Majestätsverbrechen sowie Münzfälschung, auch um den Herzog und seine christlichen Ratgeber zu entlasten.
Fast „modern“ mutet das Wühlen der Ankläger im Sexualleben des Angeklagten an! „Männlicher Sexualneid tritt in den Verhörprotokollen unverhüllt auf.“ (S. 213) Zwei Welten prallten aufeinander: der Herzog und seine Ratgeber setzten auf Geld und Zinsen dabei, das Patriziat, dann die Ankläger von Süß Oppenheimer auf Naturalwirtschaft.
J. Süß Oppenheimer war in seiner Weltanschauung Aufklärer, auch in seinen religiösen Auffassungen. Sein philosophisches Denken wurde wohl durch Christian Thomasius entscheidend geprägt. Dies ist bei Haasis nur angedeutet (z.B. S. 281), es lohnt sich wohl weitere Arbeit dazu. Jedenfalls stirbt er bewußt als Jude.
Haasis stellt vornehmlich aus den Gerichtsakten, gegen Legenden und Verzerrungen, die wirkliche Lebensgeschichte des J. Süß Oppenheimer dar. Aus den Akten auch wird bewiesen: „Joseph Süß Oppenheimer starb in der Selbstgewißheit eines deutschen Juden - Opfer eines christlichen Justizmordes.“ (S. 404) Zudem: „Das Urteil nennt keine Straftaten und verweigert eine Begründung ... läuft auf eine faustdicke Lüge hinaus.“ (S. 436f.)
Bei aller Trefflichkeit der Arbeit: Haasis beschränkt sich zu sehr auf Württemberg! Übergreifende Literatur zur Judenfrage in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert fehlt ganz, ausgewertet wurde lediglich Material zu badisch-württembergischen Juden! Hingegen wird der lokalhistorische Aspekt sehr betont: Wie eine Straße, ein Platz heute heißen, wird immer wieder gesagt (z.B. S. 175f., 227, 244, 264, 305, 416).
Die ökonomischen Prozesse hätte ich mir mehr unter heutigem Aspekt dargestellt und erhellt gewünscht. Sechs Jahre hing der erwürgte Joseph Süß Oppenheimer am Stuttgarter Galgen. Den Täuferführern zu Münster war 1535 ähnliches widerfahren. Doch beide leben fort - auch in der Literatur.
Daher ist erstaunlich, daß Haasis Wilhelm Hauffs Jud-Süß-Novelle nicht erwähnt, vor allem nicht Lion Feuchtwangers Jud Süß. Einige Präzisierungen hätten dem Werk und damit der Sache gutgetan. Zum Beispiel: Wer war Salomon Schächter, der den Delinquenten bis zum Tode begleitete und dessen letzte Lebensstunden beschrieb?
Und hätte nicht die Dissertation von Barbara Gerber „Jud Süß - Aufstieg und Fall im frühen 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur historischen Antisemitismus- und Rezeptionsforschung“ (Hamburg 1990) mit ihren 754 Seiten zumindest Erwähnung verdient?
© Edition Luisenstadt, 1998
HYPERLINK "http://www.luise-berlin.de" \t "_top" www.luise-berlin.de
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Anmerkung Haasis:
Auch noch die sogenannte „Judenfrage“ früherer Jahrhunderte „klären“ zu wollen, überfordert eine Biographie. Wer sich dazu verleiten lässt, außer einem eh schon schwer zu rekonstruierenden Leben auch noch weitere Jahrhunderte und den ganzen Antisemitismus in einem Aufwasch behandeln zu wollen, wird beides verfehlen: Biographie und Antisemitismus.
Die ökonomischen Prozesse unter heutigem Aspekt darstellen? Abgesehen, dass wir von der Zeit des Süß nicht diese Fülle von Wirtschaftsdaten haben wie heute, kann man eine vergangene Wirtschaft nur aus sich selbst heraus erklären, nicht aus heutigen Fragestellungen. Was uns heute am meisten bewegt, hat es damals überhaupt noch nicht gegeben.
Erzählende Werke wie die von Hauff und Feuchtwanger haben in einer wissenschaftlichen Biographie nichts zu suchen, sie verkleistern nur den durch Quellen zu belegenden Lebensablauf.
Die Dissertation von Barbara Gerber wurde von mir nicht beachtet, weil sie keine Biographie ist. Man kann sie bestenfalls als eine METAGESCHICHTE bezeichnen, eine REZEPTIONSGESCHICHTE. Barbara Gerber hat übrigens, wie sie im Quellenverzeichnis zugibt, den Kriminalprozess gar nicht studiert, Süß Leben und Untergang waren nicht ihr Thema, sondern wie nach seinem Tod der Hingerichtete weiterhin durch Literatur und Film geistert. Abgesehen davon ist die Arbeit in einer Sprache gehalten, die oft reichlich VERSCHWURBELT wenig verständliche Urteile fällt, in einem eigentümlichen soziologischen KAUDERWELSCH. Alle ihre Ausführungen beweisen freilich: Süß blieb auch nach seinem Tod ein Opfer des Antisemitismus. Das ist gewiss interessant und bienenfleißig durch Jahrhunderte nachgewiesen, hat aber leider mit einer Biographie nichts zu tun.
Von Salomon Schächter, der Süß in der Todeszelle besuchte und als einziger über ihn schrieb, habe ich deshalb nicht mehr berichtet, weil ich nicht mehr weiß. Er war ein Schochet, der in Stuttgart kurz in Süß’ Leben trat und genauso schnell wieder verschwand. Er könnte aus Frankfurt stammen, dort fand ich nichts. Ich hab an Individualität nur seine Unterschrift gefunden, mit der er bescheinigte, als Entlohnung für den religiösen Trost in Süß’ Todeszelle fünf Gulden erhalten zu haben. Immerhin hab ich ermittelt, dass die anonyme Totengedenkschrift der kleinen Stuttgarter Gemeinde von Salomon Schächter hebräisch geschrieben worden ist. Die Geschichtsschreibung hat meine Entdeckung und Edition mit TOTSCHWEIGEN beantwortet.
Auch eine Leistung.
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