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Elser, Nachträge zur Biographie

Nachtrag Nr. 6

Nach Elsers Anschlag verhaftete die Gestapo in ganz Deutschland ungefähr 120 Menschen, irgendwo, irgendwie. Die meisten dieser Opfer wurden nie bekannt.

Ein weiteres können wir nun identifizieren: Michael Singer in Klosterreichenbach (bei Freudenstadt/Schwarzwald). Wodurch erregte er den Verdacht, Elsers „Hintermann“ oder etwas ähnliches gewesen zu sein?

Er war Jude, seine Frau evangelisch. Angesichts der tödlichen Rassenhetze und seiner Gebrechlichkeit wünschte er schon lange, zum Christentum überzutreten. Der Pfarrer erteilte dem Hilfesuchenden ein halbes Jahr lang Taufunterricht. Nach der Vorschrift der Landeskirche musste er den Gefährdeten noch ein weiteres halbes Jahr warten lassen.
(Das darf jeder Mensch für sich selbst kommentieren.)

Michael Singer war 72 Jahre alt, chronisch krank, gehbehindert und fast erblindet.

Ein wahrlich gefährlicher Gegner Hitlers und der ideale Helfer für Elser!

Das weitere nach einem historischen Aufsatz:

„Zu Beginn des Krieges hatten alle Juden ihre Rundfunkapparate abzugeben, so auch Michael Singer. Die „arische“ Ehefrau machte geltend, dass sie Eigentümerin des Geräts sei und beantragte beim Landratsamt dessen Rückgabe. Pfarrer Böckheler (in Klosterreichenbach; HGH) befürwortete das Gesuch mit einem kurzen Zusatz und dem Hinweis auf die Krankheit des gehbehinderten und fast blinden 72jährigen Ehemannes.
Diesen recht harmlosen Vorgang nahm der NSDAP-Kreisleiter zum Anlass, Böckheler öffentlich als Handlanger eines Juden zu diffamieren. Die alsbald erfolgte Kritik am Kreisleiter von der Kanzel in Klosterreichenbach herab (alle Achtung!!! So was traute sich in Württemberg keine Handvoll Pfarrer; HGH) entzweite die Pfarrerschaft um Freudenstadt.
Bislang hatte der Kirchenbezirk sich mit dem „Goldfasanen“ (Ausdruck für führende Nazi; HGH) einigermaßen arrangiert gehabt. Karl Böckheler allerdings sah die Sache grundsätzlicher. „Ich hätte kein gutes Gewissen gehabt, wenn ich der Frau als Seelsorger nicht beigestanden hätte. Auch wenn es sich nur um den nicht eben lebenswichtigen Radioapparat handelte“ schrieb er am 19. November 1939 dem Oberkirchenrat. „Genau so wie ich mich nachher bei der Verhaftung von Herrn Singer anlässlich des Münchner Attentats (Anmmerkung des Autors Röhm:
Offenbar fanden nach dem Bürgerbräu-Keller-Attentatsversuch von Georg Elser am 8. 11. 1939 auch Verhaftungen von Juden statt, obwohl dieses Attentat von den Nazis mit einer Verschwörung von Kommunisten und dem englischen Geheimdienst in Zusammenhang gebracht wurde) für ihn durch eine Anfrage beim Amtsgericht verwendet habe, habe ich es auch in dieser ‚kleinen“ Sache tun müssen. Ich bin auch heute noch der Überzeugung, dass jeder Geistliche verpflichtet war, so zu handeln, wenn er anders Gott mehr fürchtet als Menschen.“ Die Pfarrerskollegen gingen gegenüber dem „Eiferer“ auf vorsichtige Distanz.“

(Eberhard Röhm: Der württembergische Protestantismus und die „Judenfrage“ im Zweiten Weltkrieg, in: Rainer Lächele/Jörg Thierfelder (Hg.): Das evangelische Württemberg zwischen Weltkrieg und Wiederaufbau, Stuttgart 1995, S. 32-33)

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