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Elser, Nachträge zur Biographie

Nachtrag Nr. 9

Ein Nazispitzel in einem Zürcher Cafe 1943

„Im Café Suvrette, Zürich, Bahnhofstr. 61, erschienen heute Nachmittag, kurz nach 5 Uhr, zwei Herren, offenbar Juden, beide gut deutsch sprechend, ohne Akzent, also wahrscheinlich Emigranten (der eine etwa 60 bis 65 Jahre alt, 1,65 bis 1,70 m. gross, grau-grüner Sportanzug mit einem hellblauen Hemd und blauem Schlips, graure Haare, Brillenträger, der andere 48 Jahre alt, 1,70 m gross, schwarz gescheitetelte, glatte Haare, vorstehende Schneidezähne am Oberkiefer, Brillenträger, sprach Berliner Dialekt).

Der Jüngere fragte, welche Nachrichten eingetroffen seien; der Ältere erwiderte, aus Spanien und Portugal lägen Nachrichten vor, dass Deutschland nach Spanien einmarschieren soll.

Der Jüngere warf ein, Deutschland werde doch diese Dummheit nicht machen. Der Ältere entgegnete, die Nachricht sei ihm aus London bestätigt worden. Der Jüngere fragte darauf, ob der Ältere noch mit London Verbindung habe, was dieser bejahte mit dem Bemerken, die Nachricht sei telegrafisch chiffriert gekommen und er telegraphiere laufend, jedoch habe er keine telephonische Verbindung mehr.

Der Jüngere fragte sodann nach weiteren Nachrichten. Der Ältere erwiderte, in Frankreich wachse die Resistenz und nähmen die Sabotageakte zu.

Der Jüngere erwiderte darauf, das sei ja bekannt. Er fragte dann, was für Nachrichten aus Rumänien vorlägen.

Der Ältere erwiderte: „Der aus Rumänien ist noch nicht da.“ Der Jüngere fragte den Älteren, ob er noch regelmässig sein Geld bekomme, welches telegraphisch angewiesen werde. Der Ältere bejahte.

Das Gespräch der Beiden wandte sich sodann Geldgeschäften zu, anschliessend aber wurde auch von der allgemeinen Lage, insbesondere in Deutschland gesprochen.

Der Jüngere bemerkte, die beste deutsche Jugend sei in Stalingrad geblieben, und nunmehr seien auch in Tunis die kampffähigsten deutschen Truppen erledigt. Alles nehme den erwünschten Verlauf. Am vergangenen Donnerstag habe er noch gewisse Befürchtungen gehabt (hier waren einige seiner Worte nicht verständlich), jetzt aber sei ja die Lage durchaus klar.

Der Ältere erklärte sodann, er müsse sich leider entfernen, da er eine Verabredung habe und noch jemand treffen müsse.

Die Unterhaltung dauerte etwa bis 6 Uhr 10.
Zürich, den 10. Mai 1943.“

(Der Bericht befindet sich in Berlin, Archiv des Auswärtigen Amtes, Politisches Archiv, Signatur¨Inland II g 97 Nr. 1983, Schweiz: Tätigkeit des SD, der Abwehr, der Agenten und Polizeiattaches. Von 1940-1943, 83-60 E, 1. Bd., Bl. 178)

Man kann nicht sagen, dass der Agent ein großes Licht war, aber bessere Berichte brachten die Nazispitzel selten zustande. Die Zuträger entstammten der deutschen Kolonie oder dem Schweizer Nazimilieu. In der Sicht und Darstellung gibt es Ähnlichkeiten mit Spitzelnotizen, die nach Elsers Anschlag 1939 nach Deutschland geschickt wurden. Publiziert finden sie sich in „Die Akte Elser“. (Hg. Von Uli Renz, Schriftenreihe der Georg Elser Gedenkstätte in Königsbronn, Band 1, O.O.u.J. (Königsbronn um 2003).

Sie seien hier als Beispiel für das Milieu mitgeteilt. Man bedenke, dass die Gestapozentrale in Berlin allen Ernstes von der Schweizer Bundespolizei verlangte, diesen Schwachsinn aufzuklären. Die Berner Polizisten werden sich an den Kopf gegriffen haben: „Die Deutschen spinnen.“
„Es ist in Erfahrung gebracht worden, dass zwei Personen namens Theodor Maller und Willi Kirschbaumer sich bei einer Autofahrt nach Vaduz am 8. 11. 1939 geäußert haben: ‚Hoffentlich klappt die Sache heute Abend. Schade, dass es nicht miterlebt werden kann.‘ Maller ergänzte diese Äußerung mit der Bemerkung: ‚Auf jeden Fall hören wir die Wirkung im Radio. Es nimmt wohl alle.‘“ (Die Akte Elser, S. 10)

Die Bundespolizei von Bern wurde schwach, wohl unter dem Druck des nazifreundlichen Chefs der Politischen Polizei Heinrich Rothmund, der jüdische Flüchtlinge massenweise durch Abweisung an der Grenze in den Tod trieb. Sie verriet die Daten des Emigranten Theodor Maller. Er sei 1940 „nach dem Orient emigriert“. Höhepunkt: der Fehlleistung: „Ein Lichtbild des Maller liegt in doppelter Ausfertigung bei.“

Würde man es hier nicht lesen, man könnte es nicht glauben. Da waren nicht die Schweiz, aber einige Schweizer Bundespolizisten wieder einmal übereifrig, wie sie ja auch die Nazibehörden dazu bewegt hatten, den deutschen Juden ein fettes tödliches J in den Pass zu stempeln.

Eine zweite Spitzelnotiz im vermeintlichen Zusammenhang mit Elser:

„Zehn Tage vor dem Anschlag in München sind in Bern im Wiener Café zwei deutschsprechende Personen, die leicht englischen Akzent sprachen, beobachtet worden, wie sie sich über den Bürgerbräukeller und dessen Räumlichkeiten unterhielten.

Dabei fiel die Äußerung: ‚Es muss gelingen.‘

Die beiden Unbekannten, die während der Unterhaltung in einer etwas verdeckten Nische rechts beim Eingang im Café saßen, wurden nach dem 9. November 1939 nicht mehr beobachtet.“ (S. 10)

Die Gestapo fragte die Schweizer Polizei nassforschs: „Aus welchen Kreisen setzen sich die Besucher des Lokals zusammen?“ und „Wer sind die beiden Unbekannten, von denen der eine jüdisches Aussehen hatte?“ (S. 10)

Diese Fragen wenigstens beantwortete die Berner politische Polizei nicht.

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