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Elser, Nachträge zur Biographie

Nachtrag Nr. 10

(Darstellung nach André Brissaud: Canaris 1877-1945, Stuttgart 1977, einer Arbeit, die Canaris stark verherrlicht und die Gegnerschaft gegen Hitler übertreibt. Dennoch lohnt es sich, Brissaud zu lesen, weil er nach dem Krieg viele prominente Aktivisten des Braunen Reiches befragte und geheime Interna vom Auslandsgeheimdienstchef des SD, Walter Schellenberg, erfuhr. Freilich alles nicht ohne Skepsis benützen.)

1936 war Canaris ein begeisterter Anhänger Francos und hielt die blutige Niederwerfung der Republikaner für eine lobenswerte Tat. Diese Beurteilung hat Canaris nie revidiert (S. 67ff).

Hitler hatte am 5. November 1937 der Militärführung seine Angriffspläne vorgetragen. Die Mitschrift ist bekannt als „Hoßbach-Protokoll“. Schon am Tag danach erfährt Canaris davon. Am 11. November spricht er sich mit dem ihm bisher nicht vorgestellten Generalstabschef Beck aus. Beck war Canaris bekannt als erklärter Kriegsgegner (S. 110; Becks Motiv bleibt hier im Dunkeln; es ist nicht in einem Pazifismus oder in einer Weltbürgerliebe zu suchen, sondern in der technisch begründeten Einsicht, der Krieg käme für Deutschland bei seinem derzeitigen Rüstungsstand zu früh).

Es unterhalten sich also zwei alte Füchse der Geheimnistuerei. Beck gibt das Stichwort: „Hitler führt Deutschland ins Verderben.Wir müssten ihn daran hindern, bevor es zu spät ist!“ (S. 111)

Das hätte Elser genauso gesagt. Doch er sagte es schon seit 1932 – und er handelte.

canaris und heydrich im berliner restaurant "horcher".


Nach Walter Schellenberg, dem SD-Auslands-Spionagechef, spielte sich an Heydrichs Grab 1942 in Berlin eine peinliche Szene ab, die in die verwirrte Seele von Canaris blicken lässt.

Canaris selbst kamen die Tränen, als Heydrichs Sarg in die Grube gesenkt wurde. Mit belegter Stimme sagte er: "Er war doch ein großer Mann, ich glaube, ich habe einen Freund in ihm verloren." (Haasis: Tod in Prag, S. 123)

Canaris stand nicht allein mit seiner absoluten Unfähigkeit, den tief verbrecherischen Charakter Heydrichs erkennen zu können. Als die beiden tschechischen Partisanen Gabcik und Kubis am 28. Mai 1942 ihn getroffen hatten, zitterten die angeblichen Gegner Hitlers, die es am 20. Juli 44 halbherzig versuchen sollten, wie es mit Heydrich ausgehen würde.


Canaris antwortet Beck: „Wenn sich die Politik des Führers als eindeutig kriegstreiberisch herausstellten sollte und das deutsche Volk das wüsste, dann wäre es ein leichtes, die Regierung zu stürzen und das Regime zu ändern. Will denn Hitler wirklich den Krieg? Wenn das der Fall sein sollte, dann muss sofort gehandelt werden: Es muss alles getan werden, um ihm die Macht zu entreißen.“

Das scheint aber nie Ernst gemeint gewesen zu sein. Denn von 1937 bis 1945 wurde nicht gehandelt, wenigstens nicht von Beck und nicht von Canaris.

Brissaud strickt am Märchenfaden vom aufrichtigen Widerstandskämpfer Canaris weiter: Dann gibt Beck Canaris eine Kopie des Hoßbach-Protokolls. Hitler möchte zwischen 1943 und 1945 Deutschlands Lebensraum nach Osten durch Krieg erweitern. Ernsthafte militärische Gegner zieht er nicht ins Kalkül. Die USA existieren für ihn gar nicht. Hitler will mit der Taktik der Blitzkriege zuerst Österreich, dann die Tschechoslowakei erobern.

Canaris lässt alles laufen. Selbst dem Attentat vom 20. Juli 44 verweigert er die Zustimmung. Warum? Es sei nicht alles präzise vorbereitet. (Dann kann man ein Leben lang warten.) Gegen Ende, in Haft, entwickelt Canaris noch einmal enorme Fähigkeiten, die Ermittlungen der Nazis zu erschweren. Er beweist Tapferkeit und streut Sand ins Getriebe. Aber seine Chancen, Hitler umzulegen, sind verspielt, durch eigene Schuld. Am Morgen des 9. April 1945 wird Canaris im KZ Flossenbürg umgebracht, Georg Elser in der folgenden Nacht im KZ Dachau. Selbst durch das Todesdatum hängen beide Opfer Hitlers nahe zusammen – Elser wurde aber durch die besseren Kreise nach dem Krieg aussortiert. Ein Niemand.

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